Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 29.09.2019

Dämonenjagdfieber
Predigt zu Lukas 10:17-20, verfasst von Benedict Schubert

17 Die Zweiundsiebzig aber kamen zurück voll Freude und sprachen: Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen. 18 Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. 19 Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. 20 Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Wann hat jemand von Euch zum letzten Mal erleichtert und freudig konstatiert: Jetzt war mir im Namen Jesu ein Dämon untertan?

Ich weiss nicht, wer von Euch begeistert jene Art von Computerspielen spielt, in denen Dämonen oder andere eher unappetitliche Wesen auf dramatische Weise bekämpft und hoffentlich besiegt werden. Ich weiss auch nicht, wer gerne Fantasy-Romanen liest oder Filme schaut, in denen Dämonen und Feen, Elfen und andere gute oder eher weniger gute Geister zur üblichen Besetzung gehören. Doch auch diejenigen, die diese Spiele spielen, diese Filme schauen und diese Bücher lesen, werden vermutlich eher selten in ihrem Alltag mit Dämonen rechnen und kämpfen, wenn sie frühstücken, mit der Schwester telefonieren, zur Arbeit gehen oder sich für einen Ausflug bereit machen.

Ich stelle mir deshalb vor, dass nicht wenige von Euch die Lesung des Predigttextes mit wachsendem Befremden und einem gewissen Unbehagen angehört haben. Es ist uns ja schon klar, dass Jesus sich in einer anderen Welt bewegt hat als der unseren. Doch im Grunde erleben wir nicht selten dankbar, dass sich leicht eine Brücke schlagen lässt. Wenn zum Beispiel Jesus die Kinder auf den Arm nimmt, um sie zu segnen, ist das eine Szene, die uns unmittelbar berührt. Oder: Dass die Ehebrecherin gesteinigt werden sollte, finden wir zwar unangemessen – dennoch spricht uns die Geschichte an, in der Jesus sich weigert, das patriarchale Spiel mitzuspielen, in das er hineingezogen werden soll. Vom Anfang im Stall bis zum Ende am Kreuz begegnet uns in den Evangelien vieles, was wir leicht aus jener Welt in die unsere hinein übersetzen können.

Doch dann begegnen wir drei Versen wie den unseren, und sind auf drastische Weise damit konfrontiert, dass Jesus wirklich ein Fremder ist. Wer von Euch kann sich spontan mit der Begeisterung der Zweiundsiebzig identifizieren? Wer von Euch möchte sich überhaupt mit etwas Stolz darüber freuen können, dass zur Liste ihrer Kompetenzen auch die gehört, sich Dämonen untertan zu machen? Das Problem mit Schlangen und Skorpionen hat sich dank gutem Schuhwerk glücklicherweise erledigt.

Es gilt also, etwas mehr Aufwand zu treiben, um dem Text näher zu kommen. Einen ersten Zugang suche ich, indem ich auf unsere eigene Sprache höre. Reden wir nicht davon, dass der Zorn einen packt? Die Wut überkommt dich. Du bist von einer Idee besessen. Oder vom Schmerz überwältigt.

Unsere Sprache gibt damit der Erfahrung Ausdruck, dass unsere eigenen Gefühle uns wie fremd vorkommen können. Ich würde nie bestreiten, dass meine Ängste meine Ängste sind oder mein Ärger mein Ärger. Doch manchmal kommen sie mir wie fremde Mächte vor, die mich zu etwas zwingen oder verführen wollen, was ich eigentlich nicht möchte. In solchen Momenten ist der Appell an mich selbst: «Reiss Dich zusammen!» nicht besonderes wirkungsvoll. Auf den Zeitungsseiten, die heute nett mit «Panorama» betitelt sind, früher aber noch ehrlicher «Unglücksfälle und Verbrechen» hiessen, finden sich immer wieder schreckliche Beispiele dafür, dass Menschen sich nicht haben zusammenreissen können oder wollen. Sie haben sich zu etwas Schrecklichem hinreissen lassen von ihrem Zorn oder von ihrer Lust, von ihrer Angst oder vom Gefühl, sie seien in ihrer Ehre gekränkt worden.

Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen. Lasst mich das so übertragen: Wir sind in der Lage, auch Gefühle, die zerstörerische Wirkung entfalten können, zu dirigieren.

Hinter dieser Übertragung steht der schöne Vergleich, den ein Freund verwendet hat, der beratend tätig ist. Er meinte: Die verschiedenen Gefühle mit ihren unterschiedlichen Klangfarben sind wie die Instrumente eines Orchesters. Der Zorn beispielsweise könnte mit einem schrillen Kornett verglichen werden. Das Kornett trägt in manchen Kompositionen zum vollen Klang bei – und es ist Aufgabe der Dirigentin, diesen Gesamtklang mit dem Orchester einzuüben. Wenn allerdings der Kornettist das Dirigentenpult entert, droht ein Fiasko.

Erleichtert und dankbar kehren die Zweiundsiebzig zurück und berichten: Du, Jesus, hast uns das Dirigieren beigebracht – und es ist uns gelungen. Wir konnten auch das, was uns und vielleicht auch andere hätte zu Schrecklichem hinreissen können, in ein gutes Ganzes integrieren. Wir haben die Symphonie des Lebens und der Liebe dirigiert.

Das bestätigt Jesus: Ja, dazu und zu noch weit mehr seid ihr in der Lage. Freut euch, weil eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Freut euch, weil Gott sich euch gemerkt hat. Freut euch, weil ihr zu denen gehört, die Gottes Geist zusammengebracht, die Gottes Atem durchweht, die von Gottes Liebe eingenommen sind und sich in dieser Liebe zusammennehmen können.

***

In einer ersten Annäherung habe ich den Text auf Erfahrungen hin gedeutet, die wir je in und mit uns selbst machen. Einen zweiten Zugang suche ich, indem ich die Rede von den «Dämonen» im Blick auf kollektive Befindlichkeiten und Zustände verstehen will. Ich beobachte, manchmal mit Sorge, manchmal mit Zorn, welche Art von «Ungeist» in unserer Gesellschaft nicht nur geduldet, sondern direkt gepflegt und gefördert wird. Ein «Ungeist» ist für mich jede destruktive Geisteshaltung, jede Art von selbstverständlicher, nicht mehr reflektierter Grundannahme, die die bestehenden Ungerechtigkeiten eher fördert als eindämmt, einen fragilen Frieden nicht stärkt, sondern noch mehr beschädigt. Ich habe an dieser Stelle schon mehr als einmal meinem Ärger darüber Ausdruck gegeben, dass diejenigen, die salbungsvoll betonen, man müsse «die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen» tatsächlich alles tun, um zu ihrem eigenen Nutzen diese Ängste zu schüren und zu bewirtschaften. Ich bin entsetzt darüber, dass sofort der Vorwurf laut wird, es fördere eine eine «Neidkultur», wenn sie bloss die Frage stellt, ob das absurde Gefälle zwischen den Einkommen des CEO eines multinationalen Unternehmens und der Reinigungskraft, die Nachts die Büroräume putzt in nachvollziehbarer Weise begründet werden kann, und ob es gegebenenfalls Mechanismen gebe, dieses Gefälle wieder ansatzweise zu kompensieren. Mich erfüllt umgekehrt mit grosser Sorge, wie viele junge Menschen an den Rand der Verzweiflung geraten, weil sie den Eindruck haben, wir hätten im Blick auf die Zukunft der Erde als Lebensraum den Zeitpunkt schon verpasst, an dem wir die Selbstzerstörung noch hätten aufhalten können. Es gibt den Dämon des Egoismus, den bösen Geist der Angst vor allem Andersartigen. Es gibt den Ungeist der Gier oder den der Rücksichtslosigkeit. Es gibt auch Dämonen der Verzweiflung und des Nihilismus.

Die Zweiundsiebzig kehrten jubelnd zurück. Sie hatten die Erfahrung gemacht, dass ihnen die «Unterscheidung der Geister» gelungen war. Dankbar stellten sie fest, dass ihnen eine Art von prophetischer Klarsicht geschenkt war, die Fähigkeit, derartige Ungeister in der Kraft von Gottes Geist zu erkennen und zu bannen. Sie hatten sich Dämonen untertan machen können. Sie hatten gemerkt, wo sie selbst oder andere von ihnen angegriffen wurden. Dämonen sind in dieser Perspektive Atmosphären, Vorurteile, Stimmungen, Meinungen, die von aussen an uns herangetragen werden oder von innen aufsteigen. Das kann eine als heftigen Angriff erleben, der andere erleidet eine subtile Unterwanderung. Dass ein Ungeist wirkt, lässt sich an Herzlosigkeit ablesen oder an Mutlosigkeit, an Lieblosigkeit, an matter Gleichgültigkeit und ähnlichem, während Gottes guter Geist in den Menschen so wirkt, dass ihr Glaube ruhiger wird, ihre Hoffnung kreativer, ihre Liebe herzlicher.

So möchte auch ich mit den Zweiundsiebzig jubeln können. Ich möchte mit ihnen und wie sie in meinen Predigten, aber auch in den persönlichen Begegnungen diese Unterscheidung der Geister machen können – und ich wünsche mir, dass Dämonen gebannt werden, und denjenigen, mit denen ich es zu tun habe, fällt es leichter, Gott, ihre Nächsten und sich selbst zu lieben.

Das ist notabene kein pastorales Vorrecht: Wir alle dürfen wissen, dass wir getauft sind, dass unsere Namen im Himmel notiert sind, dass wir zu Gott gehören und deshalb die Kraft von Gottes Geist nutzen können. In seiner Antwort an die Zweiundsiebzig geht Jesus davon aus, dass ihnen die Geister untertan sind. Während die, die erfolgreich von ihrem Praktikum zurückkehrten, von den Dämonen sprachen, verwendet Jesus nun den Begriff der Geister, der pneumata, zu denen auch der Heilige Geist gehört. Auch zu ihm haben wir Zugang, auch die Kraft dieses Geistes dürfen wir nutzen. Ich wünsche mir und bete darum, dass wir als Gemeinde dafür bekannt werden, dass in uns und unter uns und um uns Dämonen gebannt werden und der Heilige Geist sichtbar wirkt. Dass wir uns nicht von den destruktiven Ungeistern beeinflussen lassen, sondern dass Gottes Geistkraft uns alle zu Zeuginnen und Zeugen macht, die dazu beitragen, dass vielen das Leben leichter wird.

***

In meinem zweiten Zugang zu unserem sagenhaften Text habe ich ihn als die Zusage gelesen, dass wir, die wir auf Jesus hören und ihm nachfolgen, die prophetische Gabe und Aufgabe haben, die Geister zu unterscheiden.

Noch einmal setze ich an und suche den dritten und letzten Zugang über jene Abschnitte in den Evangelien, die davon berichten, wie Jesus Dämonen austrieb. Manche dieser Berichte lassen uns vermuten, es habe sich um Menschen gehandelt, deren Leiden wir heute als psychische Erkrankung deuten und entsprechend behandeln würden. In gewissen charismatischen Kreisen wird die Schulmedizin gerne gegen Formen «geistigen Heilens» ausgespielt. Das halte ich für unnötig und schädlich. Ich nehme mit grosser Dankbarkeit zur Kenntnis, dass Gottes Geist sich auch so auf den menschlichen Geist ausgewirkt hat, dass Krankheiten erforscht und entsprechende Therapien entwickelt werden konnten. Es gibt beispielsweise Menschen, die an einer Schizophrenie leiden. Wenn diese nicht behandelt wird, kann das laut und gefährlich werden. Manche von ihnen können aber ein weitgehend normales Leben führen, weil ihre Psychiaterin die richtige Therapie gefunden, Ihnen das für sie beste Medikament in der guten Dosis verschrieben hat. Ich vermute eher nicht, dass diese Ärztin nach einem solchen Behandlungserfolg strahlend nach Hause geht und erzählt, dass Dämonen ihr untertan sind. Ich denke auch nicht, dass der so behandelte Patient das so ausdrückt – obwohl er genau dies hat erfahren dürfen.

Dabei will ich in grosser Vorsicht noch etwas anmerken: Nicht jedes auffällig destruktive Verhalten kann mit einer psychiatrischen Diagnose erklärt, als psychologischer Vorgang beschrieben werden. Manchmal ist eine ausdrücklich geistliche Intervention die einzige angemessene Art und Weise mit etwas umzugehen, wovon ein Mensch besessen ist. Dass die katholische Kirche Liturgien für einen kleinen oder einen grossen Exorzismus weiterhin in ihrem Repertoire bereithält, ist nicht nur Ausdruck eines verbohrten Konservatismus. Darin drückt sich vielmehr das Wissen aus, dass es auch einen dunklen Bereich des Geheimnisses der Wirklichkeit gibt, dem nicht mit einem Psychopharmakon beizukommen ist. In solchen Fällen hilft bloss ein «Pneumopharmakon», ein von Gottes Geist und nur von ihm eingegebenes Kraftwort.

Voll Freude kamen die Zweiundsiebzig zurück. Jesus hatte sie für ein Praktikum im Verkünden und Heilen ausgesandt. Dankbar hatten sie erlebt, dass sie es konnten, dass sie Menschen erreicht und manche von ihnen in die Freiheit geführt hatten.

Damit ist aber weder ihnen noch uns versprochen, dass wir von Erfolg zu Erfolg eilen, dass unser Leben im Glauben ein einziger strahlender Triumphzug ist. Die Hörerinnen und Leser des Lukasevangeliums haben jene Szene noch zu gut in Erinnerung, die der Evangelist kurz vorher beschreibt (9,37-43): Die Jünger bleiben ohnmächtig, als ein verzweifelter Vater sie bittet, seinen kranken Sohn zu heilen. Sie sind nicht imstande, dem Kind die nötige Erleichterung zu verschaffen; erst Jesus selbst gelingt es.

Hin und wieder wird uns aus dem Vertrauen in unsere Gotteszugehörigkeit ganz Grosses gelingen. Doch hin und wieder werden wir schmerzhaft scheitern und feststellen: Unser Glaube ist nicht einmal so gross wie ein Senfkorn. Unsere Hoffnung trägt uns nicht weit genug, und wir drohen zu versinken im Meer der Angst. Unsere Liebe ist zu zaghaft und kommt nicht an gegen das Misstrauen – und dann hören wir einen Dämon hämisch kichern.

Dann erinnern wir uns daran: Wir sollen uns darüber freuen, dass unsere Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Wir sollen uns freuen, dass wir bei Gott eingeschrieben sind. Nichts und niemand kann uns von der Liste derer streichen, die von Gott geliebt und angenommen sind. Deshalb bedeuten auch solche Erfahrungen des Scheiterns nicht unser Ende. Sie können uns wehtun, aber definitiv schaden können sie uns nicht. Wir gehören zu Gott.

 

Pfr. Dr. Benedict Schubert, geb. 1957, reformierter Pfarrer an der Peterskirche in Basel nach mehreren Jahren im Dienst der evangelisch-reformierten Kirche in Angola und bei mission 21 – evangelisches missionswerk basel, sowie Lehrauftrag im Fach aussereuropäisches Christentum an der Universität Basel; mit seiner Frau zusammen leitet er das «Theologische Alumneum», ein Wohnheim für Studierende aller Fakultäten.

Basel

 

 

 

 



Pfr. Dr. Benedict Schubert
Basel, Schweiz
E-Mail: benedict.schubert@erk-bs.ch

Bemerkung:
Anmerkung zur zweiten Annäherung: Meine Verwendung der Wendung «Unterscheidung der Geister» ist geprägt von Erfahrungen, die ich in ignatianischen Exerzitien gemacht habe. In der Spiritualität, die von den Jesuiten entwickelt wurde und gepflegt wird, spielt die «Unterscheidung der Geister» eine wichtige Rolle. Zur Einführung in die Thematik hilfreich ist der im Netz greifbare, von Peter Hundertmark, Johann Spermann SJ, Tobias Zimmermann SJ verfasste Text mit dem Titel «Unterscheidung der Geister»: https://zip-ignatianisch.org/wp-content/uploads/ZIP_Unterscheidung_der-Geister_Erlaeuterung.pdf.

In der Reihe der schmalen Bändchen «Ignatianische Impulse» hat Albert Keller eine kleine Schrift verfasst: «Vom guten Handeln. In Freiheit Geister unterscheiden» (Würzburg 2010).

Zur Einführung in die von Ignatius von Loyola herkommende Spiritualität fand ich das vom Provinzial der deutschen Jesuiten verfasste Porträt: Stephan Kiechle, Ignatius von Loyola. Leben – Werk – Spiritualität, Würzburg 2010.


(zurück zum Seitenanfang)