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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 29.09.2019

Sorge in der Zeit, so bist du in der Ewigkeit!
Predigt zu Lukas 10:17-20, verfasst von Paul Wellauer

Predigttext Lukas 10,17-20 «Der Lohn der Jünger» [Die Zürcher Bibel (Ausgabe 2007)]

17 Die zweiundsiebzig kehrten zurück mit Freude und sagten: Selbst die Dämonen, Herr, sind uns durch deinen Namen untertan. 18 Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. 19 Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und Vollmacht über alle Gewalt des Feindes, und nichts wird euch schaden. 20 Doch freut euch nicht darüber, dass euch die Geister untertan sind; freut euch vielmehr darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder

In meiner ersten Gemeinde war ein fröhlicher alter Mann, der nichts lieber tat, als mit Menschen über den Glauben zu reden. Wenn er eine Zugreise unternahm, war einer seiner gewohnten Gesprächseinstiege, dass er seine Mitreisenden im Abteil fragte: «Haben sie ein Billett (einen Fahrschein)?» Oft reagierten die Angesprochenen etwas erstaunt und wollten wissen, ob er denn Kontrolleur sei. Die meisten aber bejahten seine Frage verbunden mit einem fragenden Blick. Worauf er unbeschwert fortfuhr: «Ich finde es ungemein beruhigend und entspannend, wenn ich ein gültiges Billett habe: Ich kann ganz getrost reisen und die Ticketkontrolle löst keinerlei Ängste aus. So freue ich mich doppelt auf die Reise!» Auf diese Aussagen erntete er in der Regel Zustimmung und Kopfnicken. Was ihm die Türe öffnete für einen nächste Frage: «Haben sie auch ein Billett für die Reise in den Himmel?» Wenn ihn die Angesprochenen dann erstaunt anschauten oder zurückfragten, was er damit meine, erklärte er ihnen in einfachen Worten die Kernaussagen des Evangeliums. Und nicht selten enstanden tiefe Gespräche über den Glauben, die er vor dem Endbahnhof mit einem Gebet für die Mitreisenden abschloss. «Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind», wurde aus seinem Mund zum Segen und zur Verheissung, bevor sich die Wege der Reisenden trennten.

So einfach und doch so bedeutungsvoll und lebensverändernd kann ein kurzes Gespräch über den Glauben sein. Wenn ich mich an ihn erinnere, klingen in meinen Ohren die Sätze von Paulus an die Korinther an: «Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit,  wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.» [1.Korinther 1,21-24]

Viele Menschen sind bis heute der Meinung, dass sie nur dann glauben können, wenn sie ein Wunder erleben. Nach meiner Erfahrung ist es oft umgekehrt: Menschen wagen zu glauben und in der Folge entdecken ihre Augen und Herzen Wunder.  Andere möchten überzeugende Argumente hören und intellektuell den Durchblick erlangen.  Die Weisheit wird in der Bibel in den höchsten Tönen gelobt, aber ebenso deutlich wird gesagt: Die Weisheit beginnt mit der Ehrfurcht vor Gott. [Psalm 111,10/ Hiob 28,28] Was nützt es uns, wenn wir volle Köpfe aber leere Herzen haben?
Paulus und der alte Mann aus meiner früheren Gemeinde erzählen weder tiefschürfende Weisheiten noch beeindruckende Wunder, sondern von der Person Jesus Christus, gekreuzigt und auferstanden, Hoffnungsstifter für Zeit und Ewigkeit. Wer ihn kennt und auf ihn vertraut, hat sein «Billett für den Himmel». So einfach kann und darf die frohe Botschaft sein.

Wie würden Sie einem Mitmenschen in einfachen Worten und Beispielen den christlichen Glauben erklären?

Welche Einsichten und Erfahrungen geben ihrem Glauben Grund und Perspektive hier im Leben und über den Tod hinaus?

Ein Sprichwort sagt: «Sorge in der Zeit, so hast du in der Not!» Ich sehe es zwar nicht als Notsituation an, wenn Mitmenschen mich auf meinen Glauben ansprechen, dennoch finde ich es weise und wichtig, auf solche Begegnungen und Fragen vorbereitet zu sein. Wir sind es gewohnt, [gerade wir theologisch Gebildeten!] die Dinge sehr differenziert und detailreich zu erläutern, doch gelingt es uns noch, in wenigen Sätzen das Wesentliche zu sagen? An Gelegenheiten, die frohe Botschaft in einfachen Worten weiterzugeben, mangelt es auch heute nicht. Es muss ja nicht gerade eine Zugsreise sein: Die Erkrankung eines Nachbarn, ein Todesfall im Freundeskreis, die Arbeitskollegin aus einem anderen Kulturkreis, usw. usf. All diese Situation rufen danach und fordern uns heraus, die Friedensbotschaft von Jesus weiterzugeben. Beherzt wie der alte fröhliche Mann, in aller Einfachheit und menschlichen Ohnmacht wie die 72 Jünger und beseelt von der selben Verheissung, dass Gottes Geist trotzdem oder erst recht wirken kann, wenn wir es wagen, das Evangelium weiterzusagen.

Jesus sandte 72 Jünger vor sich her in die Städte aus, um die frohe Botschaft über das nahe Reich Gottes zu verkünden. Von dem, was sie dort zu erzählen hatten, ist eigentlich nur ein einziges Wort überliefert: «Friede!», bzw. wohl in der Muttersprache von Jesus «Schalom!»

Die 72 Ausgesandten sollen den Menschen Gottes Frieden bringen in Wort und Tat: Zum Auftrag gehörte auch, dass sie die Kranken heilen sollen. Spätestens hier wird deutlich, dass dies ihre rein menschlichen Möglichkeiten überstieg. Wer von uns – ärztliches Personal ausgenommen – würde von sich behaupten wollen, dass er Mitmenschen geheilt hat?

Doch die Zweiundsiebzig kehren voll Freude zurück und berichten, was sie erlebt haben: «Selbst die Dämonen, Herr, sind uns durch deinen Namen untertan.» In ihrer einfachen Botschaft vom Frieden Gottes und in ihrem Gebet für die Kranken hat Gottes Geist und Vollmacht gewirkt.

 

Jesus aber dämpft ihre überschwängliche Freude über das Erlebte und zeigt ihnen eine umfassendere Dimension auf: Sie haben mit einfachen Worten und menschlichen Gebeten auf der Erde einiges bewegt. Im Himmel treten darüber hinaus Ereignisse ein, die für die Heilsgeschichte der Welt und des Einzelnen bedeutsam sind und das irdisch Sichtbare bei weitem überbieten.
Zum Einen sagte Jesus: «Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.» - Eine Aussage, die möglicherweise bei den Jüngern und bei uns mehr Fragen aufwirft als Klärung verschafft: Was macht der Satan im Himmel? Was bedeutet es, dass er vom Himmel fällt? Können wir damit, dass wir Gottes frohe Botschaft in Wort und Tat weitergeben, den Sturz des Teufels bewirken? Oder ist diese Aussage vorausschauend zu verstehen: Im Tod und der Auferstehung von Jesus wird die Macht des Satans überwunden sein; die Verkündigung der Zweiundsiebzig wirft ihre Schatten voraus auf dieses Geschehen: Ihre Friedensbotschaft wird gekrönt von der Niederlage des «Fürsten dieser Welt». Erst nach Karfreitag und Ostern werden die Jünger diese Aussagen von Jesus begreifen können.

Zum Anderen bemerkt Jesus: Die Verkündigung und die Gebete der Ausgesandten haben eine unmittelbare  und ewige Wirkung. Jeder einzelne Mensch, der diese Botschaft annimmt und beherzigt, darf sich zusprechen lassen: «Freut euch vielmehr darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.» Über körperliche Heilung hinaus erfahren sie Gottes Heil, Erlösung und die Hoffnung auf ewiges Leben. Der Friedenswunsch der Zweiundsziebzig und ihre Gebete wirken sich irdisch und himmlisch aus. «Sorge in der Zeit, so hast du in der Not!» könnten wir sinngemäss umformulieren: «Sorge in der Zeit, so bist du in der Ewigkeit!»

 

Die wenigsten von uns haben wohl Erfahrung mit Dämonenaustreibung, Vollmacht über Schlangen,  Skorpione und Geister, dennoch kann und soll jede und jeder von uns ein Friedensapostel sein und seinem Mitmenschen von Gottes Friedensbotschaft erzählen. In einfachen Worten, mit schlichten Gesten, die von Herzen kommen und zu Herzen gehen.
Eine kurze Erzählung illustriert die Dringlichkeit und Leben rettende Kraft dieses Auftrages: «An einer gefährlichen Küste, die schon vielen Schiffen zum Verhängnis geworden war, befand sich eine kleine, armselige Rettungsstation. Sie war nicht mehr als eine Hütte, und dazu gehörte nur ein einziges Boot. Einige Freiwillige versahen unentwegt ihren Wachdienst und wagten sich tags wie nachts ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben hinaus, um Schiffbrüchige zu bergen. Dank diesem kleinen Stützpunkt wurden viele Menschen gerettet, sodass er bald überall bekannt wurde. Manche der Geretteten und andere aus der Umgebung bauten nun die Station zu einem komfortablen Hotel aus, das gerne besucht wurde. Überall an den Wänden hingen tolle Ölgemälde, die verwegene Rettungsfahrten zeigten; aber es wurde immer schwieriger, Männer für den aktuellen Rettungsdienst zu gewinnen. Alle wollten sich der heldenhaften Väter rühmen, dabei aber behaglich am Kamin bei einer guten Flasche Wein sitzen.» [https://zeltmacher.eu/gemeinde-rettungsstation-oder-clubhaus/]

Dieses moderne Gleichnis hält unseren Kirchgemeinden und uns als einzelnen Christenmenschen einen Spiegel vor und stellt uns die Frage: Welches ist unser vordringlicher und erster Auftrag und wie versehen wir ihn am besten? Heute wird in der Kirche viel von «bedürfnisorientiert» gesprochen. Dabei müssen wir aufpassen, dass wir nicht zur «Bedürfnisanstalt» werden, wenn wir doch eigentlich eine «Rettungsstation» sein sollten, welche den Menschen das himmlische Heil vermittelt.

 

«Sorge in der Zeit, so bist du in der Ewigkeit!» - Wie sieht deine Vorsorge für die Ewigkeit aus? – Was steht auf deinem «Billett für den Himmel?» Und wie erzählst du vom Frieden Gottes, so dass sich deine Mitreisenden gelassen und fröhlich auch zur letzten Reise aufmachen können?

«Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind!»

Amen

 

 

Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in den Sozialwerken Pfr. Ernst Sieber, Zürich

 

 

 



Pfr. Paul Wellauer
Bischoffszell, Thurgau, Schweiz
E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

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