Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 29.09.2019

Höhenflüge
Predigt zu Lukas 10:17-20, verfasst von Gert-Axel Reuß

Liebe Gemeinde,

 

„Ach, ist das herrlich. Verliebt zu sein.“ Hand in Hand durchs Leben gehen, leichten Herzens und mit leichten Füßen. Und ansteckend ist es auch, denn wer innerlich voll Liebe strahlt, bekommt meist freundliche Blicke zurück. „Ich und Du und die ganze Welt – da können uns auch die weniger Glücklichen die gute Laune nicht verderben.“ Die Freude am Geschenk des Lebens. Die Freude, füreinander da zu sein. Die Freude, etwas von diesem Gefühl weitergeben zu können und anderen Menschen mit Freundlichkeit und Aufmerksamkeit zu begegnen.

 

„Ach ist das wunderbar, wenn man Erfolg hat.“ Wenn Pläne gelingen, wenn das, was man sich vorgenommen und ausgedacht hat, Wirklichkeit wird. Und attraktiv ist es auch, denn wer Erfolg hat, findet überall Freunde. Mitstreiter. „Menschen, die sich für meine Ideen begeistern.“ Alles gelingt wie von selbst. Kleine Rückschläge sind dazu da, überwunden zu werden. Optimismus ist eine Lebenskraft[1], die das Leben leichter macht. Und glücklicher.

 

Wir alle kennen solche beflügelnden Momente. Und wir sollten uns mehr an solche Höhenflüge erinnern, statt andere aus ihren Glücksgefühlen zu reißen und Abstürze zu prognostizieren.

Jesus sagt: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“– Das ist die Botschaft, die die Welt hören muss! Das ist die Botschaft, die wir der Welt schuldig sind!

 

Liebe Gemeinde,

 

es ist der Evangelist Lukas, der uns diese Botschaft heute in Erinnerung ruft. Die Bibelstelle markiert einen Wendepunkt, denn dieses Mal ist es nicht Jesus selbst, der die frohe Botschaft verkündigt: „Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen!“ (V. 9) Er hat seine Mission vielmehr in die Hand der 72 gelegt, also einen bestimmten Kreis seiner Anhänger.[2]

 

Ein Theologe hat geschrieben, es handele sich hier um eine Art Testlauf für die Mission nach dem Tod und der Auferstehung Jesu.

Noch aber lebt Jesus. Und wie es scheint, haben die 72 den Test nicht bestanden, denn sie kamen voller Freude zurück: „Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen.“

Er aber sprach zu ihnen: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

 

Liebe Gemeinde,

 

welches Zeugnis wird man uns einmal ausstellen? Bestanden? Oder nicht bestanden? Euphorie oder und Hochmut sind es in unseren Zeiten wohl nicht, über die wir zu Fall kommen, eher Missmut und Kleinglaube. Die Leute laufen uns nicht gerade die Kirchen ein. Und das scheint – durchaus verständlich – zu gewissen Lähmungserscheinungen zu führen. Der Weckruf Jesu gilt also auch uns: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

 

Könnte es sein, dass Lukas all das hat kommen sehen, und sich hinter dem Jesuswort kein tadelnder sondern vielmehr ein erinnernder, ein ermutigender Sinn verbirgt? Dann wäre die Botschaft Jesu: „Ich sah den Satan wie einen Blitz auf Erden einschlagen und die Leute verwirren – die einen zu verführen und die anderen in Depressionen zu stürzen. Aber seht: Ich habe euch Macht gegeben, Macht über alle Gewalt des Feindes und nichts wird euch schaden.“

 

Jesus sagt: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“– Das ist die Botschaft, die die Welt hören muss! Das ist die Botschaft, die wir der Welt schuldig sind!

 

Liebe Gemeinde,

 

es versteht sich von selbst, dass diese Botschaft nicht tatenlos bleiben kann. Darin, dass die 72 Macht über die Dämonen haben, klingt an, dass es – wie bei Jesus – zu Heilungswundern gekommen sein muss.

Lukas gibt diesen Berichten eine ganz eigene Färbung, wenn er unmittelbar nach der Rückkehr der 72 das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt. – Nicht wir sind die großartigen, von Gott berufenen Wundertäter. Alles was wir tun können, tun wir im Vertrauen auf den Geist und die Kraft Gottes. Und das ist für Lukas zuerst einmal Krankenpflege. Geduldig und fröhlich. Und, wenn wir es nicht selbst können, können wir doch unterstützend wirken wie der Samariter.

 

Liebe Gemeinde,

 

geduldig und fröhlich glauben und handeln!

 

Aber man kommt am Ende dieser Woche ja gar nicht herum um einen Blick nach New York. Als Auftakt zur Vollversammlung der Vereinten Nationen hat am Montag ein Klimagipfel stattgefunden mit der schwedischen Schülerin und Aktivistin Greta Thunberg, die in einer sehr emotionalen Rede die Menschen zur Umkehr ruft. Es sind nicht nur die Mächtigen, die sie zum Handeln aufruft, es sind wir alle, die unser Verhalten ändern müssen für die Zukunft der künftigen Generationen.

 

Ungeduldig und zornig ist die junge Frau aufgetreten. Und niemand hat gewagt, ihr zu widersprechen. Wie wird sie nach Hause zu ihren Eltern in Schweden zurückkehren? Was wird ihr Fazit sein?

 

Wird Ihre Reise über den Atlantik als Wendepunkt in die Geschichte eingehen? Oder wird sie ohnmächtig zusehen müssen, wie die Erde sich immer weiter erwärmt und das Artensterben immer erschreckendere Ausmaße annimmt?

 

Es gibt viele gute Gründe, den Satan auf der Erde wüten und die Menschen verführen und verwirren zu sehen. Sei es, dass man ihn (ungezügelten) Kapitalismus nennt oder Materialismus, sei es, dass man das Streben nach immer mehr Konsum verteufelt oder eine Mentalität und Verantwortungslosigkeit beklagt, die nicht mehr nur symbolisch mit „nach mir die Sintflut“ umschrieben werden muss.

 

Wie diesem Widerstehen? Dem resignativen Achselzucken, da könne man ja doch nichts machen. Und da müssten erst einmal die anderen sich grundlegend ändern. Und dass ich ja nur ein kleines Licht sei, auf welches es ja nun gar nicht ankommen könne. Was kann man solchen Gedanken, die wohl die meisten von uns schon einmal gedacht haben, entgegensetzen? Das scheint die Über-Lebensfrage zu sein.

 

Die Gewalt des Feindes ist mächtig. Und unsere Kräfte sind begrenzt. – Das scheint mir eine zutreffendere Beschreibung der Gegenwart im Vergleich zu der Welt, die Lukas beschreibt. Obwohl …

… vielleicht berichtet der Evangelist diese Szene – und nur er schildert sie in dieser Weise – mit einer gewissen Absicht im Blick auf seine (nachösterliche) Gemeinde. Als eine Art Motivationsrede: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

 

Liebe Gemeinde,

 

ich habe ja schon angedeutet, dass für Lukas Glauben und Handeln nicht auseinanderfallen, sondern zusammengehören. Dass uns also aus der Freude darüber, dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind, neue Kräfte erwachsen, die Welt nach dem Willen Gottes zu gestalten. Dass wir nicht müssen, sondern können – und dass deshalb unserem Tun eine Leichtigkeit beigegeben ist, die uns beflügelt statt uns ermüdet.

 

So als wäre Gott in uns verliebt. Wie wäre es, Hand in Hand mit ihm durchs Leben zu gehen? Und in dem Bewusstsein, dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind, für andere da zu sein. Nach besten Kräften und Gewissen. Da können uns auch kleinere Missverständnisse nicht die Freude verderben. Die Freude, füreinander da zu sein. Die Freude, etwas von dieser Glaubenskraft weitergeben zu können.

 

So, als hätten wir Erfolg. Denn wir sind es ja nicht, die die Probleme dieser Welt schultern müssen und denen die Misserfolge wie Mühlsteine um den Hals hängen. Es ist der Geist Gottes, der uns beflügelt und das Richtige tun lässt.

Es mag sein, dass es dazu gelegentlich nötig ist, auch in uns Widerstände zu überwinden. Aber die anderen, durch die und mit denen Gott genau so handeln will wie durch und mit uns, die sind ja auch noch da, uns daran zu erinnern: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

 

Es ist nicht die erste Freude, die das Leben leichter macht und glücklicher. Es ist nicht das Gefühl der Macht (über die Dämonen), das diese Welt nachhaltig verändern wird. Es ist die zweite Freude: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

Amen.

 

____________

[1]In meinem ersten Entwurf hatte meine Predigt diesen Schluss:

„Schließen möchte ich mit einen Zitat von Dietrich Bonhoeffer. Er selbst hat in dunkelster Zeit aus dieser Glaubensgewissheit gelebt und sie auch ausgestrahlt. Er hat diese Gewissheit so beschrieben:

Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner läßt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. … Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.Amen.“
Das Zitat ist entnommen aus: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 36

[2]Die Zahl symbolisiert die damaligen „Vereinten Nationen“ und leitet sich ab von den Nachkommen Noahs, wie sie in der Völkertafel im 1. Buch Mose aufgelistet werden.



Domprobst Gert-Axel Reuß
Ratzeburg, Schleswig-Holstein, Deutschland
E-Mail: gertaxel.reuss@ratzeburgerdom.de

(zurück zum Seitenanfang)