Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Erntedank / 16. Sonntag nach Trinitatis, 06.10.2019

Predigt zu Lukas 7:11-17 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Preben Kræn Christensen

Es war viel los in Nain. Einer der Einwohner der Stadt war gestorben, viele Menschen folgten dem Toten und seiner Mutter zum Grabe. Es war ihr einziger Sohn! Und da waren viele gekommen, um den Toten zu und auch die Trauer der Mutter tragen, denn sie war in Schock und weinte in ihrer Ohnmacht. Die Liebe zu ihrem Sohn war so groß, und wohin sollte sie sich nun wenden mit ihrer Liebe?

Sie hasste den Tod. Der Tod ist der Feind, der brausend oder schleichend kommt … das Leben hinter sich lässt, ohne dass wir wissen können wann. Der Tod ist der Gegensatz des Lebens, und er trägt dazu bei, dass wir nach dem Leben greifen, auch wenn wir es nicht begreifen können.

Vielleicht kam Jesus zufällig vorbei – vielleicht wusste er, was hier los war in Nain. Soweit ich weiß war da niemand, der ihn gerufen hatte in irgendeiner Weise, aber plötzlich stand er da, und es kam zu einer Begegnung mit dem Toten, der Mutter und dem Gefolge.

Und er begnügte sich nicht damit, nur dazustehen und zuzuschauen. Er empfand Mitleid mit der Mutter und ihrem Verlust. Es waren die Tränen der Mutter und ihr lautes Weinen, die ihm zuerst anrührten. Und dann sagt Jesus: „Weine nicht!“ Man sollte ja eigentlich meinen, dass es gute Gründe gab zu weinen. Aber die Worte ließen die Träger offenbar stehenbleiben, und dann geht unser Herr hin und berührt den „Sarg“ bzw. die Bahre. Der Tod erschreckte und erschreckt ihn nicht. Er rührt den Tod an – begibt sich in den Kampf gegen den Feind des Lebens. Und er begnügt sich nicht mit einer Berührung, er gebietet uns, dass das Leben über den Tod siegen soll, wenn er sagt: „Jüngling, ich sage dir, steh auf!“ – und der Jüngling kehrte zurück ins Leben – zurück nach Nain, zurück zu seiner Mutter.

Jesus kam, berührte und er befahl. Und so bekämpfte er den Tod, und so bekämpft er den Tod. Diese Erzählung ist also die Erzählung davon, dass wir im Tode nie allein gelassen werden.

Wenn wir unsere Lieben beerdigen, begnügen wir uns auch nicht damit, sie zu Grabe zu tragen und in die Erde zu versenken. Die Schöpfungsworte folgen: Aus Erde bis zu gekommen, zu Erde sollst du werden … Aber damit endet es nicht, denn dann folgen die Worte von der Auferstehung: Von der Erde sollst du wieder auferstehen. Wir könnten vielleicht mit demselben Recht sagen: Steh auf! Das tat Jesus an diesem Tage in Nain und später durch sein Beispiel, als er ins Grab ging und wieder auferstand.

Seine Worte und die Erzählung von seinem Leben und Tod sind die Erzählung davon, dass Gottes Sohn der Hoffnungslosigkeit, der Ohnmacht und dem Tod mit Hoffnung, Macht und Leben entgegentritt.

Wenn der Sarg in das Grab gesenkt ist und wir dastehen und hinabschauen, kann man mit gutem Grund fragen: Wo ist Gott? Und die Antwort ist: Eben dort! Im Grabe! Mit seinem Leben berührt er stets den Tod. Er folgt uns nicht nur, sondern er greift ein und sagt: Steh auf!

Immer wenn wir im Leben aus dem Gleichgewicht geraten und auf die Erde fallen, trifft uns zugleich das Gotteswort, das uns vergibt, trägt und emporhebt.

Der Tod bleibt uns in keiner Weise erspart. Er hat noch immer schmerzlich Macht über uns. Aber zugleich sagt unser Herr, dass dieser Tod nicht das Ende ist, sondern der Anfang von etwas Neuem.

Deshalb können wir heute und an allen Tagen mit Jakob Knudsen singen:

„Lass mich denn einst ziehen mit letzter Fracht,

lass hinaus mich segeln aufs Meer der Nacht:

Du, bist ja mein Vater, du Gott des Lichts,

deine Hand entreißt mich dem Netz des Nichts.“[1]

Gott ist da, wo wir nicht sein können. Er rührt an den Tod, und er gebietet leben.

Jørgen-Franz Jacobsen, ein Dichter und Autor von den Färöer-Inseln, lebte ein Leben, das von Licht und Dunkel zugleich geprägt war. Er erkrankte an Tuberkulose und wurde nur 38 Jahre alt.

Ein halbes Jahr vor seinem Tod schreibt er an den Freund und Kollegen William Heinesen: „Mit mir ist es ja so, dass mir das Talent für Tristesse fehlt, für die totale Sonnenfinsternis. Ist die Welt mir gram, dann kommen sogleich die Funken schneidend durch die Finsternis, und ich lebe geistig auf. Überkommt mich die Traurigkeit, kommen Bellmann oder Mozart. Meine Hilfsquellen sind enorm. Alles, wovon man in der Jugend geträumt und fabuliert hat, das liegt da wie eine unerschöpfliche Reserve an Freude. Ich bleibe tief dankbar dem Leben gegenüber und werde zudem mit seinen Bedingungen versöhnt sein, denn es gibt mir mehr als es nimmt, ja ich habe schon so viel bekommen – der Tod ist der Hintergrund für das geniale Relief des Lebens.“

Der Tod ist der Feind, der schleichend kommt, das Leben hinter sich lässt, ohne dass wir wissen können wann. Der Tod ist das Relief des Lebens und sein Gegensatz, und er trägt dazu bei, dass wir das Leben ergreifen können, auch wenn wir es nicht begreifen können.

Jesus kam vorbei an dem Tag in Nain. Er sah die Trauer, er rührte den Tod an, und er ließ es dabei nicht bewenden. Er fügte die entscheidenden Worte hinzu: „Steh auf!“

So spricht er auch zu uns jetzt, und so spricht er zu uns, wenn wir ins Grab gelegt werden.

Gott hat sein Volk besucht – nicht nur in Nain, sondern auch uns hat er besucht, und uns besucht er. Deshalb wissen wir wie die Mutter in Nain, dass sich die Liebe dem leben zuwenden muss … auch mitten in der Trauer! Amen.

 

[1]Str. 5 des Liedes von Jakob Kundsen: Sieh, da hebt die Sonne sich aus dem Meer, übersetzt von Jürgen Henkys, Deutsch-Dänisches Kirchengesangbuch Nr. 754.



Propst Preben Kræn Christensen
Esbjerg, Dänemark
E-Mail: pkch(at)km.dk

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