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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 13.10.2019

Predigt zu Lukas 14:1-11 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Leise Christensen

Letzten Donnerstag flog ich um 7.40 Uhr von Kopenhagen zurück nach Jütland. Ich ging an Bord des Flugzeugs mit der Boardingkarte fest in der Hand mit einem Sitz 7A, einem schönen Fensterplatz. Die Stewardess sah mich an und sagte dann: „Du musst nach hinten auf Reihe 14, denn gerade dieser Flugzeugtyp ist sehr empfindlich gegen große Gewichtsverschiebungen! Hmmm, ich ging kleinlaut nach hinten zur Reihe 14 und dachte etwas darüber nach, ob ich zu Steinzeitdiät übergehen sollte, low carb oder die Diät mit viel Olivenöl. Ich hatte jedenfalls keine Lust, an einem Flugzeugabsturz oder dergleichen schuld zu sein. Man kann sagen, dass es sich hier um einen umgekehrten Jesus handelt, wo ich darum gebeten wurde, mich von der obersten Sitzreihen zu entfernen, wo ich eigentlich mit meiner Boardingkarte meinte hinzugehören, hin zu den hintersten Plätzen nach Reihe 14 mit meinen allzu vielen Kilos. Da konnte ich Demut lernen. So ist es mit der Demut. Demut, man schmeckt etwas an dem Begriff. Was bedeutet das eigentlich, demütig zu sein, und ist das eigentlich etwas, was erstrebenswert ist? Im Prinzip ja, aber nicht in der Praxis. Wir wissen ja aus unserer eigenen Erziehung, dass es gut und lobenswert ist, sich zurückzuhalten, dankbar zu sein für Gaben – auch wenn die selbstgestrickte Decke nicht gerade das war, was man sich als Dreizehnjährige wünschte. Es ist fein, sich selbst im Hintergrund zu halten und bescheiden zu sein, ja das ist alles etwas, was in dem Begriff der Demut liegt. Aber es fällt schwer, daran festzuhalten, dass Demut so gut sein soll. Denn wenn man sich in der heutigen westlichen Welt behaupten soll, dann genügt es nicht, demütig zu sein. Und so erziehen wir auch nicht die kommende Generation. Wir erzählen den Kindern vielmehr immer wieder, dass sie Wunschkinder sind, phantastisch, einzigartig und wunderbar. Wir versuchen, ihnen den großen und sprudelnden Selbstwert zu vermitteln, der uns selbst vielleicht nicht zuteilwurde. Und Demut, ja die hat in der Kultur unserer Erziehung einen sehr bescheidenen Platz. Das Ergebnis ist deutlich. Bei uns gibt es immer mehr Leute, die sich vordrängeln, um im Leben weiterzukommen, dorthin zu gelangen, wo man gesehen wird, berühmt wird und gefeiert wird. Einst sprach man von Sternen und Wasserträgern, heute genügt es wohl, von Sternen zu reden. Alle haben jedenfalls offenbar zu viel Selbstvertrauen und Selbstwert, um etwas so Armseliges zu werden wie der, der nur hilft und Wasserträger ist. Star für einen Abend kann man werden, und es ist wohl kein Geheimnis, dass alle hoffen, dass sie Sterne werden, mehr als nur an einem Abend, auch wenn sie aus objektiver aber unerwünschten Betrachtung hoffnungslos untalentiert sind. Da sind Häuser, wo man mehrere Wochen lang eingeschlossen wird und eingesperrt, wo man rund um die Uhr von Kameras beobachtet wird und ein Stück von der Speise der Berühmtheit erlangt. Da findet ein Kampf statt, bei Modewettbewerben die künftige Schönheitskönigin zu werden, und castings für Filme werden leicht von hunderten hoffnungsvollen jungen Leuten aufgesucht. Ja die Demut, die uns unsre Urgroßmutter lehrte, die ist nicht mehr modern. Auch so kann man beklagen, dass frühere Tugenden keine Zukunft mehr haben und dass die Demut als etwas Lobenswertes für immer verloren gegangen ist. 

Aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich wahr ist! Das ist eine Kritik an der modernen Welt, die oft vorgebracht wird, aber das macht sie nicht weniger wahr. Darin liegt ewas: O tempora o mores darin, Was für Zeiten, welche Sitten, wie dies schon die alten Römer sagten. Es wäre gut, daran zu denken, dass die Aussage, dass man nicht die obersten Plätze anstreben soll, sondern die hintersten, vor 2000 Jahren

gefallen ist – d.h. dass das Problem mit der fehlenden Demut nicht etwas ist, was das Fernsehen in England und Dänemark im Jahre 202019 erfunden hat. Es ist vielmehr etwas, was immer existiert hat – natürlich in verschiedenen Formen, so wie unterschiedliche historische Perioden verschiedene Auffassungen von dem hatten, was demütig ist und was nicht. Dass die Welt erst kürzlich außer Rand und Band geraten ist, ist eine unsinnige Behauptung. Die Welt geriet nicht aus den Fugen, sobald Adam und Eva ihre Zähne in den roten verlockenden Apfel bissen. Die Pharisäer, die im heutigen Text beschrieben werden, sind eifernd, das heißt eifrig dafür, dass Rechte zu tun durch Einhaltung des Gesetzes. Sie wissen sehr wohl, dass man den Sabbat einhalten soll, also den Feiertag freihalten, und man darf deshalb nicht das Geringste tun, nicht einmal den Mitmenschen heilen, denn das ist nämlich Arbeit. Sie halten es für ihre vornehmste Pflicht, dafür zu sorgen, dass nicht nur sie selbst, sondern auch andere Menschen dieses Gebot einhalten, den Sabbat heilig zu halten. Sie fühlen etwas demütiger als andere, weil sie das Gesetz des Mose verstanden haben mit all seiner Verboten und geboten, und sie meinen deshalb sehr wohl, dass sie sich in aller Demut erlauben können, Jesus zurechtzuweisen, indem sie ihm eine Falle stellen. Aber das ist ja das große Problem des Begriffs der Demut – damals wie heute: Je demütiger zu sein man behauptet, desto weniger demütig ist man ja! Wer hat das nicht erfahren, man stellt sich demütig an in der Absicht, damit Anerkennung zu gewinnen! Da kann man ja sagen, dass die heutigen demütigen jungen Leute in Stern für einen Abend und ähnlichen Programmen wenigstens ehrlicher sind in ihrer offensichtlichen Jagd nach dem obersten Platz am Tisch. In Wirklichkeit sieht es deshalb danach aus: Das, was Jesus von uns verlangt, ist für uns unmöglich, wir können das nicht befolgen. Wir können nicht richtig demütig sein – zur Not können wir demütig sein, wenn wir etwas davon haben, sonst nicht. 

Aber vielleicht geht es Jesus um etwas ganz anderes? Wir glauben - was wir feststellen können, indem wir uns umsehen in unserem eigenen Leben und auch in dem der anderen umsehen - dass unser Platz dort ist, wo wir kämpfen und danach streben können, in diesem Leben etwas Gutes zu bewirken. Etwas Gutes tun mit der Karriere, der Arbeit, den Plänen, den Projekten, dem Geld, dem Haus, den Leistungen, dem Auto und den Küchen. Das ist es, was den obersten Platz einnimmt im Streben unseres Lebens. Aber wenn man einmal mit einem sterbenden Menschen spricht, ja dann geschieht es selten, dass ein Mensch sagt: „Es war wirklich gut, dass ich die tolle Küche installiert und einen Audi gekauft habe. Und es war wirklich phantastisch, dass ich den Wintergarten gebaut habe!“ So etwas habe ich jedenfalls noch nie in meinen Gesprächen mit todkranken Patienten gehört. Nein, da wird etwas ganz anderes im Vordergrund stehen. Da geht es um das Kind, das einen in die Hand nahm und das Farbenspiel in einem verwelkten Blatt zeigte. Da geht es um die Liebe zwischen nahen Verwandten, die vielleicht existierte oder fehlte. Da geht es um die die Freude an dem Leben, das nun verrinnt, und um die Gemeinschaft, an der man teilhatte. Da ist die Trauer darüber, dass man sich vielleicht nicht immer der Menschen angenommen hat, wie man dies gerne gewollt hätte. Das scheint im Rückblick das Wichtigste zu sein. Nicht bekannt zu sein als Stern für einen Abend, nicht ein großes Haus besitzt zu haben, das neueste Handy zu haben, nicht Direktor gewesen zu sein, sondern dass man Teil des gelebten Lebens mit anderen Menschen war. Immer etwas mit anderen Menschen. Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Könnte es sein, dass dies bedeutet: Das Erhöhte findet sich gerade im Demütigen, die Niedrigen, dem Alltäglichen, dem Geringen, gerade dort. Das, was wirklich etwas bedeutet. Die Liebe. Das Leben. Die Gemeinschaft. Gott. Dort, in der Demut, ist das Leben selbst. Das Leben, das nur etwas wert ist, weil es zusammen mit anderen Menschen gelebt wird. Gott gibt jedem von uns die Möglichkeit, im Kleinen zu leben, Freude im Alltag zu finden. Das tut er, weil er uns an unseren Ort hier gestellt hat in der Welt und weil er es gut mit uns meint. Nicht notwendigerweise auf einen erhöhten Platz, sondern einem Platz, an dem wir existieren und uns so gut entfalten können, wie wir

es nun einmal können. Vielleicht Platz hinter Reihe 14. Aber da saß ich ja auch ganz gut. Und was mit dem, dass wir uns demütigen sollen? Ja, soweit ich sehen kann, gibt es nur einen der wirklich demütig ist und auch gedemütigt. Nämlich unser Herr selbst. Der wurde erniedrigt mit einer Spottkrone, ermordet, indem er ans Kreuz erhoben wurde, aber er ist auch auferstanden an dem höchsten Platz. All das geschah zu unserer Hoffnung. Denn er hat nämlich Platz für uns bereitet dort am obersten Platz – auch wenn wir es nicht richtig vermögen, demütig zu sein. Amen.



Pastorin Leise Christensen
DK 8200 Aarhus N
E-Mail: lec(at)km.dk

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