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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 17.11.2019

Predigt zu Matthäus 18:21-35 (dänische Perikopenordnung) , verfasst von Thomas Reinholdt Rasmussen

Wenn man das heutige Evangelium hört, kann man sehr wohl ins Grübeln kommen über das Wort „Schuld“. Was bedeutet das eigentlich, Schuld zu haben? Was bedeutet es, dass man jemandem etwas schuldig ist?

Es ist klar, Schuld kann als etwas Negatives verstanden werden. Also dass man bei jemandem Schulden hat. Oder dass man sich eines Vergehens schuldig gemacht hat. Dass die Ursache der Schuld also ein Mangel bei mir ist.

So hören wir im heutigen Evangelium das Gleichnis von einem Knecht, der riesige Schulden hat. Diese Schulden werden ihm erlassen und er geht frei hinaus in die Welt. Hier begegnet er einem anderen Knecht, der ihm etwas schuldig ist. Aber die Befreiung zur Liebe setzt sich nicht durch, und dieser Knecht wird an seinen Schulden bzw. seiner Schuld festgehalten. 

Die Befreiung zur Liebe setzt sich nicht durch. 

Schuld ist deshalb ein merkwürdiges Wort. Man kann jemandem etwas schuldig sein wie z.B. einen großen drückenden Kredit, man kann aber auch jemandem etwas schuldig sein im Sinne einer Befreiung. 

Denn jemandem etwas schuldig sein kann auch ein Ausdruck der Dankbarkeit sein. Jemandem etwas schuldig sein kann ja bedeuten, dass man ihm Dank schuldet. Schuld braucht dann nicht etwas Negatives zu ein. Es kann in der Tat etwas Positives sein, eine Befreiung. 

Man kann seinen Eltern etwas schuldig sein. Seinem alten Klassenlehrer, man kann ihm Dank schuldig sein dafür dass er einen tauglich gemacht hat für das Leben. 

In diesem Sinne kann Schuld befreiend sein, wenn es dabei vor allem um Dankbarkeit geht.

Meiner Frau bin ich schuldig, ihr für dies und jenes die Ehre zu geben. Ich kann meinem Kollegen einen Gefallen schuldig sein, auch wenn es sich nicht um Wiedergutmachung eines Schadens handelt, sondern um einen Dank. 

Ich bin meinen Eltern vieles schuldig, Lehrern, Christus bin ich etwas schuldig, weil er mich befreit hat. Diese Art von Schuld macht frei.

In dieser Weise ist Schuld etwas ganz anderes als eine negative Beziehung. Hier geht es um eine positive Beziehung, die mein Leben bereichert.

Und so wird das Wort Schuld in erster Linie im ganzen Evangelium und in der Liturgie der Kirche verwandt. Fast ausschließlich im Vaterunser ist von Schuld im negativen Sinne die Rede als etwas, von dem wir befreit werden sollen: Vergib uns unsere Schuld. Ansonsten bedeutet Schuld, jemandem etwas schuldig sein. Etwas für den anderen tun, etwas zu tun, um dem anderen zu helfen. Wenn wir davon reden, dass wir etwas tun „um Jesu Christi willen“, bedeutet das auch, dass unser Leben um Jesu Christi willen größer ist und wir ihm Dank schuldig sind. 

Schuld kann also etwas Positives sein. Wir sind einander etwas schuldig, weil das Leben dadurch größer wird. 

Und so ist es auch mit dem Knecht im heutigen Evangelium. Er wird von seiner drückenden Schuldenlast befreit, befreit zum Leben. 

Und wir sollen vielleicht auch beachten, dass seine Schuld nicht einfach getilgt wird. Die Vergangenheit lässt sich nicht auslöschen. Was geschehen ist, bleibt immer ein Geschehen, es ist Teil unseres Lebens. Aber die Schwere der Schuld ist von uns genommen. 

Das bedeutet auch, dass Vergebung der Schuld nicht bedeutet, dass die Schuld verschwindet. Das wäre auch merkwürdig unrealistisch. Vergebung der Schuld ist nicht, dass die Schuld entfernt oder vergessen wird. Die Schuld ist nicht vergessen, sondern aufbewahrt oder aufgehoben in der Gnade des anderen. Die Schuld ist in der Liebe verborgen. 

Oft reden wir so, als sei Vergebung der Schuld dies, dass die Schuld als solche verschwindet. Aber wir wissen ja sehr wohl aus eigener Erfahrung, dass das eine falsche Vorstellung ist. Die Schuld oder die Vergangenheit lässt sich niemals auslöschen, aber ihr kann die Schwere genommen werden. Wie sind nun einmal die Menschen, die wir sind, und die Schuld lässt sich nicht auslöschen, die Vergangenheit nicht vergessen – aber die Schwere kann anders werden.

Das ist es, was der Schalksknecht, der schuldbeladene Diener erfährt: Die Schwere der Schuld wird von ihm genommen. Und diese Vergebung verpflichtet. Nun ist er wieder etwas schuldig, diesmal ist es aber nicht die Schwere der Schuld, sondern eine vergebende Liebe.

Dass er dazu nicht imstande ist, sollte in diesem Zusammenhang nicht die Pointe des Gleichnisses in den Schatten stellen: Du sollst eine vergebende Liebe widerspiegeln. Die Liebe, mit der du geliebt bist, sollst du den anderen widerspiegeln. Wie ein Himmelspiegel auf dieser Erde, wie „Himmelslichter, wenn auch klein“1. Wie der Mond das Licht der Sonne widerspiegelt, sollen wir die Liebe Gottes widerspiegeln wie „Himmelslichter, wenn auch klein“. Das sind wir schuldig. Das schulden wir: Liebe. 

Der befreite Knecht vermag jedoch nicht die Liebe zu realisieren, und das Gleichnis erzählt, dass sein Herr zornig wird und ihn den Peinigern überantworten wird, bis er bezahlt hat, was er schuldig ist. Er wird ins Gefängnis geworfen. 

Das sind harte Worte, aber ehe wir uns über ihn und seine Schuld erhaben fühlen, sollten wir daran denken, was Christus in einem der letzten Texte des Kirchenjahres sagt: Hast du die besucht, die im Gefängnis sitzen, denn dort bin ich?

Wenn wir uns über dem Schalksknecht mit den vielen Schulden erhaben fühlen, haben wir nichts begriffen. Dann sehen wir nicht Christus in dem Verlorenen. Dann sehen wir nicht Christus in dem, der zugrunde geht. Dann sehen wir nicht Christus in ihm. Das sehen wir nicht Christus in dem, der gescheitert ist.

Das ist es was wir schuldig sind: Christus in dem Verlorenen zu sehen. Christus zu sehen in dem, der zugrunde geht. Christus zu sehen in dem, der gescheitert ist. 

Christus zu sehen auch in uns selbst, als den, der die Schuld trägt und uns schuldig sein lässt, in die Welt zu gehen und die Liebe Gottes widerzuspiegeln als himmlischer Spiegel auf Erden, als „Himmelslichter, wenn auch klein“.

Das ist Schuld: Mit der Liebe leben, mit der du selbst geliebt bist. Das sind wir schuldig. Unbedingt. Und wenn wir dem nicht nachkommen, dann liebt Gott uns als Verlorene, Gescheiterte, Versager – unbedingt, um Jesu Christi willen, weil er es Christus schuldig ist. Amen.



Propst Thomas Reinholdt Rasmussen
Hjørring, Dänemark
E-Mail: trr(at)km.dk

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