Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 17.11.2019

Predigt zu Lukas 6:27-38, verfasst von Suse Günther

Lk 6,27-38

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

Ich sage Euch, die Ihr zuhört: Liebt Eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, segnet, die euch verfluchen, bittet für die, die euch beleidigen. Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar, und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. Wer dich bittet, dem gib. Und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so sollt ihr ihnen auch tun.

Und wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben ihre Freunde. Und wenn ihr Euren Wohltätern Gutes tut, welchen Dank habt ihr davon? Auch die Sünder leihen den Sündern, damit sie das Gleiche bekommen. Vielmehr liebt Eure Feinde, tut Gutes und leiht, wo ihr nichts dafür zu bekommen hofft. So wird Euer Lohn groß sein und ihr werdet Kinder des Allerhöchsten sein, denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

Wir haben in unserem Hausflur einen Ofen stehen, in dem Holz verbrannt wird, das gibt im Winter eine angenehme Wärme. Diesen Ofen anzufeuern gelingt am besten mit Kiefernzapfen, die gleich anfangen und brennen und deren Feuer dann auf das große Holz überspringen.

Also habe ich mich vor kurzem auf den Weg gemacht, um wieder ausreichend Kiefernzapfen zu sammeln, damit wir im Winter genug Vorrat haben. Als ich an die bekannte Stelle kam, wo viele Kiefern stehen und also viele Zapfen zu erwarten sind, war ich verblüfft: Nichts. Jede Menge nasse Blätter, aber sonst? Die Stelle, an der man sonst nur zuzugreifen braucht, schien wie leergefegt.

Natürlich war ich enttäuscht. Ich war die weite Strecke gelaufen und sollte nun erfolglos wieder zurück? Wenigstens wollte ich mir zwischen den schönen Kiefern noch einmal die Aussicht ansehen. Als ich dabei so über den Waldboden ging, spürte ich etwas: Ein Kiefernzapfen. Einer.

Und dann noch einer und noch einer. Immerhin drei, sagte ich mir, also nicht ganz umsonst.

Und als ich genauer hinsah, um die drei aufzuheben, merkte es ich: Es waren viele da. Ich hatte sie nur nicht gesehen. Mein Blick war fixiert gewesen auf die nassen Blätter, die ja eine ganz ähnliche Farbe haben. Nun, als mein Gehirn sich umgestellt hatte und meine Augen auch mit anderem rechneten, waren so viele Kiefernzapfen – wir sagen dazu „Hutzeln“ zu entdecken, dass meine Tasche gar nicht ausreicht.

Manchmal braucht es eine Weile, um neu sehen zu lernen. Um das zu entdecken, was wir vorher nicht wahrnehmen konnten, weil wir nicht damit gerechnet haben. Weil unsere Augen an anderes gewöhnt waren.

Manchmal muss man das spüren, was man nicht sehen kann. Manchmal muss man etwas spüren, damit man es sehen kann.

Unsere Augen sind gewöhnt, Dinge in bestimmter Weise zu sehen und einzuordnen. So funktioniert unser Gehirn. Es geht gar nicht anders: Die Fülle der Eindrücke, die jeden Tag auf uns einströmen, können gar nicht anders bewältigt werden, als dass wir sie im Bruchteil einer Sekunde in einer bestimmten Art und Weise einordnen. Sie passen dann in ein Schema, das uns bekannt ist und uns das Begreifen leichter macht. Umdenken ist schwer, braucht Zeit, unser Gehirn muss sich anstrengen.

Es hat wenig Wert, das immer wieder zu erklären. Denn auch diese Erklärungen würde unser Kopf aus Zeitersparnis wieder so verstehen, wie er es immer getan hat.

Deshalb muss das Gehirn manchmal einfach überlistet werden.

Eine Sache, die man immer angesehen hat, nun auf einmal spüren: Das führt zu ganz neuer Wahrnehmung. Einen Menschen, über den man immer geredet hat, nun auf einmal erleben, das führt zu ganz neuer Beurteilung.

Wir alle wissen, dass es in unseren Schulen Probleme gibt. Das Phänomen der „Intrige“, der üblen Nachrede, das gibt es aber überall, wo Menschen zusammenarbeiten und – leben. Das englische Wort dafür, „Mobbing“ ist inzwischen in aller Munde, das Problem ist mehr als bekannt.

Lehrer und Lehrerinnen können sich da den Mund fusslig reden. Oder sie können es lassen.

Und mit ihren Schülern und Schülerinnen ein völlig neues Projekt ihrer Schule verfolgen: Sich gemeinsam auf einen Weg machen. Von einer Gemeinschaftsschule in Bayern wurde im Fernsehen berichtet, dort haben die Jugendlichen die Berge vor der Haustür und haben sie trotzdem kaum besucht. Wie überall auf der Welt haben bei Jugendlichen Computerspiele, Beziehungskisten und Facebook mehr Anziehungskraft als Spaziergänge.

Nun also in die Berge. Mit Lehrerinnen und Wanderführer. Eine Woche von Hütte zu Hütte. Handys waren nicht verboten. Aber die Sache mit dem Empfang… Und dann die Sache, dass man die Hände bei zunehmender Steigung für andre Dinge brauchte, nämlich für die eigene Sicherheit. Und die Tatsache, dass man aufeinander achten musste. Dass man Mitschülerinnen/Mitschüler, die man sonst eher am Rande wahrgenommen hatte, ganz neu gesehen hat. Die Freude, gemeinsam auf der anvisierten Hütte zum Übernachten anzukommen. Auch wenn das Essen dort einfach war und die Toilette auf dem Flur. Auch wenn mehrere Betten im Zimmer waren und man aufeinander Rücksicht nehmen musste in der Enge der Unterkunft. Auch wenn es immer noch keinen Handyempfang gab und kein Haargel – das hatte weichen müssen im Rucksack, weil der Platz für die Regenjacke wichtiger war.

Nach einer von allen im Tiefschlaf verbrachten Nacht am nächsten Morgen die gemeinsame Überlegung: Welche Route schaffen wir heute. Und wie schaffen wir sie?

Das gemeinsame Ankommen auf dem Gipfel nach der Anstrengung. Die Weite des Blicks, die Erfahrung: Wir alle sind wichtig, wenn wir den Weg schaffen wollen. Und auch das freiwillige Akzeptieren von Anweisungen des Wanderführers: Einfach weil klar war: Der hat Ahnung, es hilft uns, wenn wir uns dieser Führung überlassen.

Das Erleben auch: Es ist gleichgültig, ob meine Wanderhose zum Rucksack und zur Regenjacke passt: Hauptsache, ich bleibe trocken.

Ja, auch vielleicht dies: Das Erwandern von Gottes Schöpfung und das deutliche Gefühl: Ich, wir alle, sind ein Teil darin.

Sie verstehen längst, was ich Ihnen sagen will auch in Bezug auf unseren Prediggtext:

Es braucht mehr als ein erstes Urteil, um sich in der Welt zurecht zu finden. Um den eigenen Platz zu finden. Anerkennen, da gibt es jemanden, der den Weg kennt für mich. Ich brauche mich nicht aufzulehnen und immer wieder mit Gewalt ins Licht zu rücken. Ich bin wichtig, immer schon, wir alle sind es. Wir müssen niemanden verurteilen, um selbst gut dazustehen, weil wir bei Gott immer schon angesehen sind, er hat uns nicht nur im Blick, sondern auch im Gefühl: Er fühlt mit uns, weiß, was wir brauchen, ohne dass wir uns selbst immer wieder ins Gerede bringen.

Was Jesus uns im Predigttext zu sagen versucht, ist sicher auch damals nichts Neues gewesen. Vielleicht führt er seine Worte zu dem Guten, das wir einander tun sollen,deshalb mit folgender Erklärung ein: „Das sage ich Euch, die Ihr zuhört.“

Als stünde er vor einer Schulklasse und wüsste bereits, dass zwei Drittel derer, die da sitzen, sowieso nicht zuhören, sondern aus anderen Gründen da sind.

Für die anderen, die, die nicht zuhören, hat Jesus im wahrsten Wortsinn einen anderen Weg: Er macht sich mit ihnen auf den Weg. Mit Jesus zusammen unterwegs können die Menschen erleben, was es heißt: Aufeinander achten mit allen Sinnen. Aufeinander angewiesen sein, es miteinander schaffen, ein Gefühl füreinander entwickeln.

Mitfühlend sein: Das öffnet uns einen ganz neuen Zugang zu unseren Mitmenschen. Und das gibt uns in unsrem Leben ganz neue Kraftquellen: Wenn wir uns nicht mehr verschlossen halten für alle die, die bisher bei uns nicht genug Ansehen hatten, dann bekommen wir auf einmal ganz neue Unterstützung, neue Lebensfreude, ganz neue Weite im Leben. Oder. Um es mit Jesus zu sagen: Dann wird Euer Lohn groß sein.

Nicht jeder kann morgens mit denen, die ihm oder ihr das Leben schwer machen, einfach losziehen in die Berge.

Aber wir alle sind jeden Tag von neuem auf dem Weg. Auf dem Weg mit den Menschen und mit Jesus. Wir sind unterwegs in Höhen und Tiefen. Wir haben ein Ziel im Blick und einen, der uns die Richtung angibt immer dabei.

Wie schön, wie befreiend, wir stärkend, wenn wir dann gemeinsam am Gipfelkreuz ankommen. Mit unsren Gepäck. Mit unsren Erfahrungen. Und mit unserem Glauben: Es kann doch noch einmal alles gut werden: Blick zum Kreuz und geh ihm entgegen. Du bist frei.

AMEN



Pfarrerin Suse Günther
Zweibrücken, Rheinland-Pfalz, Deutschland
E-Mail: Suse.Guenther@evkirchepfalz.de

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