Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buss- und Bettag, 20.11.2019

Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.
Predigt zu Römer 2:1-11, verfasst von Udo Schmitt

Paulus schreibt einen Brief an die Gemeinde in Rom. Er war noch nie da, möchte aber bald da hin. Damit sie den richtigen Eindruck von ihm haben, schreibt er ihnen schon mal vorab, was er so denkt. Paulus hat die Erfahrung gemacht, dass er live nicht immer ganz so überzeugend rüberkommt. Also präsentiert er – statt Blumen – einen bunten Strauß von Themen, ein Florilegium sozusagen, eine Blütenlese seiner Gedanken. Einige der Themen sind aus seinen Briefen an andere Gemeinden schon bekannt: Wie ist das eigentlich mit der Auferstehung? Was muss ich tun, was soll ich lassen? Und: Wie ist das Verhältnis zwischen Juden und Nicht-Juden zu beurteilen?

Innerhalb der christlichen Gemeinden hatte es darüber Streit gegeben. Die einen sammelten sich um die Jünger in Jerusalem, allen voran Jakobus, den Bruder von Jesus, sie sagten: Wir bleiben auch als Jünger Jesu ein Teil des Judentums, eine jüdische Gruppe, Gemeinde, Sekte, etwas in der Art. Wer zu uns gehören will, muss sich an die Regeln halten, die für uns Juden eben nun mal gelten. Was sollen denn sonst auch die Nachbarn sagen?

Die anderen, das war eine Gruppe von Christen in Syrien, Antiochia. Von da aus hatten sie schon begonnen auch in anderen Teilen des römischen Reiches Filialen zu gründen. Allen voran Paulus. Sie wandten sich nicht nur an Juden und Freunde des Judentums, sondern auch – je länger, je mehr – an Heiden. Also Menschen, die nichts oder nicht viel wussten vom Judentum. Und die sich natürlich auch nicht an die verschiedenen Regeln und Gesetze hielten: Beschneidung, Speiseregeln, Sabbatruhe, all das… Sollte man das von ihnen verlangen? Mussten sie also erst Juden werden, bevor sie Christen sein konnten? Wie gesagt: Für Jakobus und seine Leute bestand hier kein Widerspruch. Sie missionierten ja nur unter Juden. Aber für Paulus war es doch schon ein arges Hindernis, um neue Leute für Jesus zu gewinnen. Das befreiende Evangelium von der Liebe Gottes verkünden,… aber dann muss man sich an die 365 Verbote und 248 Gebote der Thora halten, und auch an all die Ausführungsbestimmungen: Haggada, Halacha und so weiter.

Um das Judentum wuchs ja im Laufe der Jahre eine Weißdornhecke von Regeln, die das Volk schützen, begrenzen, definieren sollte. Ein Zaun, der leistete, was er sollte: Nach innen - Klarheit. Nach außen - die Abgrenzung des heiligen Volkes, ha’am genannt, von all den anderen Völkern, die sie Gojim nannten. Die Gojim, die Heiden, die Fremden, die Welschen, die anderen. Ein Dilemma für Paulus: Wie sollte er unter denen mit etwas einladend werben, das zugleich abgrenzend und ablehnend daher kommt gegenüber ihnen und allen, die anders sind. Es ist als riefe man zugleich: Komm her!, und: Geh weg! Ich lade dich zu mir ein, aber bleib mal schön da, wo du bist!

Nun hat Paulus sich für den einen, den einladenden Teil entschieden, nicht für den abgrenzenden. „Panta exestin!“ hatte er der Gemeinde in Korinth fröhlich zugerufen: „Alles ist erlaubt!“ Und als die Korinther das dann allzu wörtlich nahmen und chaotische Zustände entstanden, musste er auf die Bremse treten: Halt! Halt Aber! Aber! Alles in Maßen und zum Aufbau der Gemeinde, bitte! Gegenüber den Römern, die er wie gesagt noch nicht kennt, versucht er diesen Schnitzer zu vermeiden. Er sagt jetzt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“

Paulus verteidigt damit zugleich die Heidenmission. Es ist nicht so wichtig, sagt er, ob einer als Jude Christ geworden ist, oder ob er vorher Heide war. Es ist nicht wichtig, ob ich vorher zu den Wissenden oder zu den Unwissenden gehörte. Ob ich Thora und Psalmen rauf und runterbeten kann oder ob ich vorher voll der tumbe Heide war. Egal! Denn: „Es sind nicht die vor Gott gerecht, die das Gesetz hören, sondern die das Gesetz tun, werden gerecht sein.“

Ja, aber, könnte man jetzt einwenden, woher sollten denn die unwissenden Heiden wissen, was richtig ist? Das ist doch nicht ganz fair, oder? Hierauf antwortet Paulus mit zwei Gedanken: Zum einen sagt er, dass die Unwissenden sich selbst Gesetz sind, sprich: sich an das Gesetz halten, auch wenn sie es nicht kennen, wenn sie auf ihr Gewissen hören. Und danach tun. Denn darauf kommt es an. Das ist wirklich ein kühner Gedanke des Paulus, ich komme darauf gleich nochmal zurück.

Zum anderen sagt er: Unwissen schützt vor Strafe nicht. Ein Mord bleibt ein Mord, eine Lüge eine Lüge, Gott wird die Menschen nach ihrem Handeln beurteilen. Und nur danach. Es ist kein Ansehen der Person. Nur weil jemand einen langen Stammbaum hat, einen guten Ruf genießt, oder viel Gutes für die Gesellschaft im Allgemeinen und – sagen wir – den FC Bayern im Besonderen getan hat, schützt ihn das nicht vor der gerechten Strafe.

Also: nicht nur Unwissen, auch das Wissen schützt vor Strafe nicht. Die, die meinen, etwas zu wissen, wissen die nicht auch, dass Gott die Menschen alle gleich und gerecht beurteilt nach dem, was sie tun? Also kommt es auf das Tun an, nicht auf das Wissen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Das gilt für Juden wie für Heiden, für Männer wie für Frauen, für Junge wie für Alte. Deshalb schreibt Paulus auch: „O Mensch!“ Nicht o Grieche, nicht o Jude, nicht o Mann, nicht o Frau, sondern: „O Mensch, du kannst dich nicht entschuldigen.“

Denkst du etwa, Mensch, du könntest dich über andere erheben? Andere beurteilen? Wenn du das tust, hast du dich selbst schon verurteilt. Wer ausgrenzt und abgrenzt, wer die Nase rümpft über die anderen, die Fremden, der hat sich schon selbst gerichtet.

Weißt du nicht, dass alle Menschen gleich sind? Dass wir alle die Liebe Gottes brauchen? Und wenn Gott dir vergibt, meinst du, du hättest es verdient? Und all die andern etwa nicht? Hältst du dich für etwas Besseres? Dann geh nach Hause und denk noch mal darüber nach, bevor du wiederkommst und antwortest.

Die einen wie die anderen, sagt Paulus, werden vor Gott stehen und nach ihren Taten gefragt werden. Und haben sie etwas richtig gemacht, sei es aus Wissen, die einen, oder aus Gewissen, die anderen, dann wird Gott sein Gefallendaran haben. Wenn aber nicht, sei es wider besseres Wissen oder gegen das Gewissen geschehen, wird Gott auch das wahrnehmen und zu würdigen wissen.

Übrigens: Auch die werden nach ihren Taten beurteilt werden, die meinen, sie könnten sich dem Urteil Gottes entziehen, indem sie nicht in die Kirche gehen oder gleich ganz austreten, so nach dem Motto: Lass mich mit dem ganzen Quatsch in Ruhe! Ich habe mir nichts vorzuwerfen und will mir auch kein schlechtes Gewissen machen lassen. - O.K. Aber auch die werden vor dem Throne Christi stehen, und er wird sie fragen: „Jung, wat haste getan?“

Dann wird kein Ansehen der Person sein. Dann wirst du nicht gefragt nach Hautfarbe oder Geschlecht. Nicht nach Reichtum oder Macht. Nicht nach Schönheit oder Stärke. Dann wirst du nicht sagen können:

- „Aber, aber ich wusste doch nicht!“

- „Dass es mich wirklich gibt? Tja. Ist aber so“, wird Gott dann antworten.

- „Aber, wenn ich das gewusst hätte!“

- „Wirklich? Was dann? Wie kann es dann sein, dass andere, die auch nicht wussten, dennoch das Richtige taten?“

- „Vielleicht hatten sie einfach Glück.“

- „Ja, mag sein. Aber vielleicht haben sie auch einfach das getan, was ihnen ihr Gewissen geraten hat.“

Auf so einen Dialog zwischen Seele und Gott müsste es hinauslaufen, was Paulus da geschrieben hat an die Gemeinde in Rom. Die Heiden sind sich selbst Gesetz. Ein kühner Gedanke, wie gesagt, zumal für einen Juden. Sie sind sich selbst Gesetz, wenn sie hören – nicht auf die Worte der Thora, sondern auf die Stimme ihres Gewissens. Wenn sie darauf hören und danach handeln, dann sollen ihre Taten gelten vor Gott und bestehen bleiben am Tag des Gerichts. Wow, was für ein kühner, atemberaubender Gedanke! Und was für eine Chance für die, die eigentlich keine Chance haben.

Doch ist es auch eine Mahnung an uns: Seid nicht Hörer des Worts allein, sondern auch Täter des Worts; sonst betrügt ihr euch selbst, heißt es im Jakobusbrief. Und hierin stimmen also Paulus und Jakobus mal überein. Die Freiheit, die uns geschenkt ist, soll nicht verschwendet werden, um untätig zu bleiben. Kaufet die Zeit aus, heißt es im Epheserbrief, kaufet die Zeit aus, denn die Tage sind böse. Es ist schwer, ich weiß, nicht selber böse zu werden in einer bösen Zeit. Es ist schwer, warm zu bleiben, gefühlvoll, nah, wo doch alles vor Kälte schreit: Weg mit ihnen! Macht die Schotten dicht! Tür zu! Es zieht. Mir gäbet nix! Und sind uns selbst genug.

Bleibt offen! Und verschließt euch nicht den anderen, auch wenn sie fremd sind. Und ihr euch vor ihnen fürchtet. Ich weiß, dass ihr das tut. Ihr seid Menschen. Und der Mensch fürchtet sich immer: Vor diesem oder jenem, vor allem, was er nicht kennt, vor allem, was ihm fremd. Diese Furcht sitzt tief drin in uns. Wir haben sie „ab Werk“ mitgeliefert bekommen. Es ist eine Ausschließ- und Abwehr-Software, die uns helfen soll zu überleben.

Dieses Programm war gut in der Vergangenheit, in der Steinzeit. Aber es hilft uns nicht, wenn wir die Zukunft gewinnen wollen. Und es hilft uns nicht, wenn wir Christinnen und Christen sein wollen, mit Paulus zusammen dem auf der Spur bleiben wollen, der gesagt hat: Liebt nicht nur die Familie und eure Freunde, liebt auch die Fremden und eure Feinde!

Grenzt nicht ab, grenzt nicht aus, verurteilt nicht vor! Damit ihr selbst nicht verdammt werdet danach.
Bleibt offen und bleibt einladend, werbend, liebend, hoffend. Mit dieser Haltung werdet ihr Christus auf der Spur bleiben. Und den Willen Gottes dadurch erfüllen. Dem Gewissen gehorchen - und nicht der Not.
Euch nicht gefangen nehmen lassen von den Vorurteilen, den vorgefassten, vorgestanzten.
Nicht der Not euch verschließen, nicht der Not des Nächsten noch der Not aller anderen.
Die Taten tun, die Angst überwinden, den Schatten überspringen, den eigenen, zum Nächsten hin.
Und so den Weg gehen, den Jesus ging, den Weg, der zum Leben führt. 

Wenn wir uns heute Abend hier versammeln als Evangelische, Katholische und Freikirchliche, dann mühen wir uns darum, auf diesem Weg einen Schritt voran zu kommen. Es ist eine Mühe, ja. Aber sie ist es wert. Wenn wir einander zuhören, nicht gleich ins Wort fallen. Dann kommt vielleicht doch etwas von dem zur Sprache, was Jesus wollte. Und was Paulus lehrte. So lange. So lange haben wir auf unseren Positionen beharrt. Haben gesagt, geschrieben und in unseren Herzen gedacht: „Wir haben aber doch Recht. Und die nicht. Die machen das nicht richtig. Die glauben nicht richtig. Die glauben eigentlich gar nicht, wenn sie nicht so glauben wie wir. Und die sind dann auch gar keine Brüder und Schwestern im Herrn.“ Einige von uns denken das noch immer, sagen und schreiben das noch immer. Aber es werden weniger. Und wir haben gerade erst begonnen damit, uns zuzuhören. Uns wahrzunehmen, ernst zu nehmen. Uns einzufühlen in die fremde Frömmigkeit des anderen. Das Fremde fürchten wir. Und lehnen es deshalb schnell ab. Kann nicht alles so bleiben, wie es war? Können die nicht einfach so werden wie wir?

Aber das Bild einer verklärten Vergangenheit ist nur ein Traumbild. Wir alle haben uns entwickelt, weiter- und fortentwickelt. Wir hier haben vielleicht mehr miteinander gemein als mit Christinnen und Christen aus anderen Zeiten. Auch wenn sie - dem Namen nach - die gleiche Konfession hatten. Es gibt da nichts zu verklären. Früher war nicht alles besser. Es gibt genug dunkle Flecken in unserer Geschichte, für die wir uns heute schämen und die wir lieber verschweigen. Wenn wir aber anfangen uns zuzuhören, uns einzufühlen in das Herz des anderen, vielleicht haben wir dann einmal die Kraft, uns zu entschuldigen. Und den anderen um Vergebung zu bitten. Heute ist Buß- und Bettag. Vielleicht ein Tag, um damit anzufangen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

 

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Diese Predigt wird am kommenden Mittwoch in einem ökumenischen Gottesdienst gehalten werden. Seit einiger Zeit feiern wir Evangelischen-Landeskirchlichen Gemeinden (ekir) gemeinsam mit der Römisch-Katholischen und Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (feg). Letztes Jahr war eine von unseren Geminden Gastgeberin. Dieses Jahr ist es die feg Gastgeberin und ich habe die Ehre, die Predigt zu halten.

 

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Liedvorschläge:

Eingang: „Meine engen Grenzen“ (EG.E 12 / EG RWL 600)

Lied vor der Predigt: „Aus tiefer Not“ (EG 299),

Lied nach der Predigt: „Hilf, Herr meines Lebens“ (EG 419),

oder: „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn“ (EG.E 30 / EG RWL 675)

Schluss: „Bleib bei mir Herr“ (EG 488)

 

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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.



Pfarrer Udo Schmitt
Wülfrath (Düssel), Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: udo.schmitt@ekir.de

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