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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buss- und Bettag, 20.11.2019

Mit der Buße beginnt eine zweite Halbzeit
Predigt zu Römer 2:1-11, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

ein Fußballspiel wird von einem Schiedsrichter geleitet. Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten. Er hat ständig Uhr und Trillerpfeife griffbereit sowie eine gelbe und eine rote Bestrafungskarte. Er ist es auch, der das Ergebnis feststellt. Als ich jedoch das erste Mal sah, wie ein Schiedsrichter vom Spielfeld rannte, um kurz in einen Fernseh-Monitor zu gucken, war ich irritiert. Alle Spieler standen stumm herum, ich hatte Mitleid, dass sie zu frieren beginnen. Aber dann kam der Schiedsrichter zurück mit einer Tatsachenentscheidung, für die er einen externen Videobeweis bekommen hatte. - Wird Gott auch Tatsachenurteile fällen? Werden wir nach dem Schlusspfiff ein glückliches Ergebnis feiern? Vielleicht helfen uns diese Bilder aus dem Sport, die Vorstellungen des Paulus einzuordnen. In seinem Brief an die Römer schrieb er:

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen… Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest… (Oder) Warum verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? - Du aber, mit deinem … unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn an für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken antreten… Zorn und Grimm aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen… Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die das Gute tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. (Römer 2,1-11 in Auswahl)

 

Liebe Gemeinde,

die Ewigkeit wird kein Ballspiel sein, hoffentlich ist sie viel mehr. Doch wie ein irdischer Schiedsrichter wird Gott Urteile fällen, darin vergleichbar und doch sehr anders. Sehr anders könnte Gottes heftiges Temperament dabei sein, sein Zorn und Grimm. Paulus behauptet das so wuchtig, dass wir seine positiven Gewissheiten schnell überhören. Die sind in den Fragen versteckt: „Was verachtest du den Reichtum seiner Geduld und Langmut? Weißt du denn nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Und auch in der Zusage klingen sie an: „Gott zollt Respekt und Würdigung denen, die das Gute tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen!“ - Mit seiner Anrede: „Du Mensch!“, meinte Paulus ja wohl generell alle, Juden und Christen. Auch die, die dazwischen sind oder beides kombinieren. Auch die Atheisten. Egal, ob sie ihre Glaubenspraxis nur sportlich angehen oder zu Allem lieber Zuschauer bleiben.

Wir aber wünschen, dass sich Zorn und Grimm einerseits, und andererseits Güte und Respekt nicht ständig in die Quere kommen, weder bei Gott noch bei uns. Wir fordern Klärungen auf beiden Seiten. Mit welchen Gefühlen wird Gott meine Taten und eventuell auch meine Absichten bewerten? Greift er auf Vorurteile zurück (zB dass wir Sünder seien von Kindheit an) oder bleibt er konsequent kreativ - auch über den Abschluss hinaus? Ohne Klärung bleiben wir misstrauisch und blockiert. Wären die letzten Dinge aber offener, könnten wir die Zeit bis dahin mit mehr Mut gestalten. Was kann uns helfen?

 

Liebe Gemeinde,

zwei Erlebnisse machen mir die pessimistischen wie die optimistischen Dogmen des Paulus anschaulicher.

Ein Erlebnis war so: Den Schulsport machten wir im Sommer auf einem Sportplatz, an dem mehrere Tennisfelder angrenzten. Eines Tages war das Tor nur angelehnt, und da niemand zu sehen war, sind wir auf mehrere dieser weißlackierten Hochsitze geklettert. Wir haben uns gegenseitig vernichtende Urteile zugebrüllt, mit wüsten Beleidigungen; wir spielten die unfehlbaren Richter.

Das zweite Erlebnis war im Handballtraining. Wir bildeten 2 Mannschaften, die gegeneinander spielten. Reihum war jeder mal Schiedsrichter. Als Spieler fühlte ich mich schikaniert, als Schiedsrichter fanden sie meine Entscheidungen völlig daneben. Das ramponierte manchmal unsere Kameradschaft. Ich machte keine gute Figur, innerhalb einer Gruppe beides zu sein: Richter und Betroffener.

Aufgrund dieser Erinnerungen verstehe ich einige Aussagen des Paulus sehr wohl. Zum Beispiel:

„Worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du genau das tust, was du richtest.“ Oder auch: „Zorn und Grimm komme über die, die streitsüchtig sind, weil sie der Ungerechtigkeit gehorchen.“ Vor allem aber: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Das sind schmerzhafte Erfahrungen, die Paulus bei seinen Adressaten anspricht. Gut zwei Jahrzehnte nach Jesu Kreuzigung, nach seiner Himmelfahrt und dem Pfingst-Ereignis, gab es in Rom offensichtlich aggressive Lagerkämpfe. Zwischen den Juden und den Christen, mit selbst ernannten Richtern in der Glaubens-Arena und Fanatikern rundum. Sie zückten einander „Rote Karten“ und verdammten sich gegenseitig ins Fegefeuer, wobei sie sich Gottes Parteilichkeit einbildeten. Wir ahnen, worauf Paulus abzielte mit seinem Zwischenruf: „Es gibt kein Ansehen der Person vor Gott.“

 

Liebe Gemeinde,

schnell würden wir denken: „Bloß gut, dass bei Gott ja alles verzeiht, auch unsere gelegentliche Überheblichkeit Andersdenkenden gegenüber.“ Paulus aber erwartet die wohlabgewogene „Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken antreten.“ Paulus wollte Streit schlichten, dafür inszenierte er das Weltgericht. Er wagte sich viel zu emotional in die Emotionen Gottes hinein. Dennoch sind ihm Gottes Prinzipien klar und eindeutig geblieben - gemäß den Worten Jesu, der in der Bergpredigt sagte: „Gott läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5,45) Heute können wir das auch so hören: Gott kann Gegensätzliches sehr wohl auseinanderhalten und es dann lebensförderlich austeilen.

Seine Güte leitet unsere Umkehr ein, und aufgrund der Buße blüht unser Leben auf - das Leben innerhalb seiner Gerechtigkeit und seines Gesamtüberblicks. Wir aber, auf unserer Seite, bleiben oft konfus. Wir sind Richter und Betroffene in eins, wir handeln gerecht und ungerecht zugleich. Weil uns Zorn und Grimm, Güte und Zuversicht arg durcheinandergeraten, orientieren wir uns besser ähnlich wie Paulus an den Ankerzentren unseres Glaubens: „Alles aus Gnade“ und „Allein durch Christus“.

Noch mangelt es uns an dem Ruhm, den wir bei Gott haben können; aber wir arbeiten daran. Dazu gehört auch ein wachsendes Qualitäts-Bewusstsein auf unserer Seite. Denn die wirklich guten Taten, die uns gelungen sind und noch gelingen werden, kommen nicht aus uns, sondern aus den Maximen des irdischen Jesus. Aus seiner Bergpredigt, aus seiner Parteinahme für die Abgehängten, aus seiner Standfestigkeit gegen die Lynchjustiz, aus seiner Auferstehungskraft an Ostern.

Und da, wo wir uns Urteile zutrauen und uns zum Unrecht zornig querstellen, tun wir es, weil uns schon jetzt Mut zuwächst durch Gottes Gerechtigkeit und durch seine emotionale Zielstrebigkeit. Jesus handelte so mutig, weil er seine Rechtfertigung vor Gott schon einpreisen konnte und die Kraft des Heiligen Geistes ihm über Zweifel hinweghalf. Darin ist er uns Vorbild, jetzt und auch, wenn wir abschließend bewertet werden.

 

Liebe Gemeinde,

Gott ließ es zu, dass wir aus niederen Motiven mit Jesus umgesprungen sind nach der Devise: Bevor er uns besiegt, verpassen wir ihm eine Niederlage. Doch Gott hat uns mit unserer kalten Wut einfach stehen lassen und hat sich im Grab Jesu erst einmal ein eigenes Urteil gebildet. Er hat sowohl bei Jesu Kreuzigung wie bei dessen Auferweckung sein Richteramt und seine Betroffenheit neu ausgerichtet.

 

Wir müssen vermutlich mit kritischen Strafen rechnen, da wir die Lebensregeln Gottes oft außeracht ließen. Minus Strafnachlass durch seine Güte - das wäre optimal; plus seines Zorns und Grimms als Zuschlag - das wäre katastrophal. Es aber darauf ankommen lassen, wäre fatal. Dann hätten wir Jesus Christus als Mittler ignoriert und unsern Glauben verdunkelt. Jesus Christus hat aber seine Mittler-Qualitäten in seinem Leiden und Auferstehen schon angedeutet. Ich möchte das an zwei Zitaten verdeutlichen.

 

Das eine Zitat lautet: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5) Mit diesem Prophetenvers haben schon die ersten Christen ihre Gewißheit formuliert: Gott hat als Richter gehandelt, wobei uns sein Urteil heilt und uns in seinen Frieden einbindet.

 

Das zweite Zitat lautet: „An Ostern, o Tod, war das Weltgericht!“ Diese junge Liedzeile meint dasgleiche wie die alte Liedzeile, in der es heißt: „Sein Raub der Tod muß geben her, das Leben siegt und ward ihm Herr, zerstöret ist nun all sein Macht. Christ hat das Leben wiederbracht.“ (Nikolaus Herman in EG 106, 3) Gott hat im Ostersieg alles in seinem Sinn geklärt und hat seine Regeln wieder in Kraft gesetzt: Alles aus Gnade, alles durch Christus, alles als Neue Schöpfung.

 

Das sind die Tatsachenurteile, die unsern Glauben fröhlich machen. Uns bleibt zwar ein Rest-Risiko, wie es sein wird im großen Finale Gottes mit seinen Menschen. Doch indem wir uns auf Christus gründen, beginnt mit dem Osterereignis und jedem Buß- und Bettag für unsere Welt eine zweite Halbzeit. Amen.

 

zitiert aus Jörg Zink „Wir stehen im Morgen/Tanzlied“ in: tvd 416,3

 

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Vorschlag für Fürbitten:

(nach: Gottesdienstpraxis Bd. IV/3, Gütersloh 2000, S. 153 f.)

Du unser Gott. Gib uns Zuversicht durch deine Verheißungen. Entkräfte unsere Überheblichkeiten und lass uns gnädiger miteinander umgehen. Sei mit uns, wenn die Ewigkeit uns Angst macht. Begleite uns durch deine Güte, wenn wir Buße wagen und auch die Schritte danach. Miteinander rufen wir: Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für alle Furchtsamen, dass ihr Glaube gestärkt wid; für alle Leidenden an Leib und Seele, dass sie ihr Leid annehmen; für alle Helfer und Helferinnen, für Pfleger und Ärztinnen, für Eltern und Kinder, für Erzieherinnen und Lehrer, dass sie die Geduld nicht verlässt.  Miteinander rufen wir: Herr, erbarme dich.

Wir bitten dich für uns alle in diesem Land, dass wir uns unserer gegenseitigen Verantwortung und dem gemeinsamen Auftrag zu Recht und Gerechtigkeit stellen, dass wir  nüchtern nach Ursachen von Leid und Elend suchen und uns mutig für ihre Überwindung einsetzen.  Miteinander rufen wir: Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für deine Kirche, dass sie Selbstgerechtigkeit und Besserwisserei meidet, dass sie nicht ihr eigenes Heil sucht, dass sie vielmehr hilft, in Liebe handeln zu können, und dazu beiträgt, den Teufelskreis menschlicher Fehlleistungen zu durchbrechen.  Miteinander rufen wir: Herr, erbarme dich.

Wir bitten dich für uns alle, dass wir nicht aufhören, nach deinem Willen zu fragen und in deinem Namen zu reden und zu mahnen, zu trösten und zu helfen. Miteinander rufen wir: Herr, erbarme dich. 

 

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Vorschläge für Lieder:

EG 299 Aus tiefer Not schrei ich zu Dir

EG 352 Alles ist an Gottes Segen

EG 358 Es kennt der Herr die Seinen

EG 592 Wort, das lebt und spricht

EG 106 Erschienen ist der herrlich Tag

 

tvd 207 Warum betrübst Du dich

tvd 192 Herr, unser Herr, wie bist Du zugegen

tvd 51 Wir wissen nicht, wann diese Zeit

tvd 418 Glauben heißt wissen: es tagt

tvd 416 Wir stehen im Morgen/Tanzlied

 

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Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.



Pfarrer i.R. Manfred Mielke
Alpen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: Manfred.Mielke@ekir.de

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