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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag im Kirchenjahr, 24.11.2019

Predigt zu Matthäus 25:31-46 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Rasmus Nøjgaard

Der Richter

 

Im Mittelpunkt dieses Evangeliums steht der Richter, der seinen Sitz auf dem Richterstuhl einnimmt. Eine Predigt über diesen Text muss sich zwangsläufig mit der Eschatologie beschäftigen, mit Gott als dem Richter. In Dänemark wurde erst im Jahre 1992 ein „letzter Sonntag im Kirchenjahr“ mit dieser Perikope für jedes zweite Jahr eingeführt. Eigentlich war es in jeder Hinsicht früher eleganter; hier löste die Adventszeit die Trinitatiszeit ab, so dass das Jahr nicht mit einem Anfang und einem Ende eingegrenzt wird, sondern mit der Zeit fortschreitet. Das zyklische Erleben ist nicht sehr hilfreich, da Geburt, Tod und Auferstehung jeden Sonntagsgottesdienst prägen und das Leben an sich eine fortschreitende Bewegung und nicht eine Wiederholung darstellt. Das Kirchenjahr ist kein schnurrendes Rad, sondern jeder Sonntag spiegelt die große Erzählung wieder und ist deshalb immer genauso freudenreich, wenn die Kirchenglocken uns zur Feier des Gottesdienstes einladen. Das ist eine entscheidende Bedingung, wenn wir die Gerichtstexte verstehen wollen. Sie stellen keinen Abschluss dar, sondern sie sind eine erneute Reflexion über die frohe Botschaft. Wie können nicht bis zum nächsten Sonntag warten. 

Kapitel 25 des Matthäusevangeliums ist für das Verständnis von der Wiederkunft Jesu wichtig und ein zentraler Text für das Verständnis vom Gericht. Das Kapitel besteht aus drei Gleichnissen über das Jüngste Gericht mit der Wiederkehr des Menschensohnes. Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen schlägt das Thema an, auf die Wiederkunft vorbereitet zu sein: „Darum wachet, denn ihr wisst weder Tag noch Stunde“. Im Gleichnis von den anvertrauten Talenten geht es darum, dass man Rechenschaft ablegen muss, wie man die Botschaft Gottes verwaltet hat: „Du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein in deines Herrn Freude“. Das dritte Gleichnis, die Perikope dieses Sonntags, handelt vom Gericht, wo die Schafe von den Böcken getrennt werden, die Gerechten sollen ewiges Leben erben, während die, die Unrecht getan haben, zur ewigen Strafe gehen, die für den Teufel und seine Engel bestimmt ist.

 

Werke der Liebe

Die Texte sind spannend, weil sie einerseits ein Bild des Gerichts und der Strafe bieten, andererseits aber Glück und Segen. Als ein roter Faden zieht sich durch die Erzählung, dass dieser Abschluss vor aller Zeit bestimmt ist, nicht aber wer für welches Schicksal vorbestimmt ist. Deshalb werden die Texte zu einer Ermahnung. Wie bei allen Erzählungen und Gleichnissen dürfen wir uns nicht mit einer direkten Übertragung begnügen, sondern wir müssen verstehen, was das Bild uns sagen will. Es geht in diesem Sinne nicht darum, das Gericht in einer Hölle oder einem Himmelreich zu lokalisieren, sondern darauf hinzuweisen, dass das Gericht nicht unseres ist, sondern das Gericht Gottes. Wenn wir uns über die Einzelteile des Bildes erheben, bleibt eine klare Botschaft, dass Jesus keine heuchlerische Anbetung will, sondern eine ordentliche Lebensführung. Alles, was ihr einem meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan. Das ist der Inbegriff des neuen Gesetzes, durch das Jesus das alte Gesetz ersetzt. Den Herrn betet man nicht an durch leere Worte und Taten, sondern durch Nächstenliebe. Wenn das banal ist, dann ist das Christentum banal. Was für eine Befreiung! Die Taten der Liebe, die Jesus anweist, erfordern nicht unmögliche Macht und Willensstärke, wie dies bei Paulus durchaus der Fall ist, sondern sie sind je in ihrer

Weise erfüllbare Gebote: Gib dem Hungrigen zu essen, dem  Durstigen zu trinken, nimm den Fremden auf, gib dem Nackten Kleider, besuche den Kranken und die Gefangenen im Gefängnis. Es ist eine Lebensaufgabe in sich, entsprechende einfache Werke der Liebe zu finden. Sie sind nämlich überraschend einfach, es geht im Grunde darum, sich nicht in sich selbst einzuschließen, sondern sich für andere zu öffnen. In einer Zeit, in der es viel Einsamkeit gibt, ist das eine angebrachte Ermahnung.

 

Das Gericht dogmatisch

Es ist wie beim Abendmahl. Hier kommen wir nicht um das Wunder der Verwandlung herum, wir müssen vielmehr glauben, dass wir wirklich an Christus teilhaben, ansonsten wird das Abendmahl rein symbolisch (Calvin) oder mechanisch (Thomas von Aquin) und hat nicht den Rang des wahren Mysteriums des Glaubens. Genauso sollten wir die Alternative vermeiden, das Gericht entweder symbolisch oder mechanisch zu verstehen. Ich würde behaupten, dass das Evangelium weder von einem doppelten Ausgang (Luther), noch von der Erlösung aller (Karl Barth) redet. Es handelt sich nicht nur um ein Bild, auch nicht um eine Anweisung zu einem mechanischen Gericht, und dann auch nicht eine Vorstellung von der Erlösung aller, eine Vorstellung, die genauso mechanisch und eindimensional ist wie die Vorstellung vom doppelten Ausgang. Auch die Gnade wird nur im Glauben empfangen, weder nur symbolisch noch mechanisch. Vielleicht erfordert es Mut als Prediger, seinen Kirchgängern keinen Platz im Himmel zu garantieren, dafür braucht man aber auch niemanden in die Hölle zu schicken. Das Gericht müssen wir in Demut Gott überlassen, und entsprechend müssen wir es vermeiden, selbst Richter sein zu wollen. Jesus verweist allein auf die ewige Strafe als die Folge fehlender Barmherzigkeit und der aufgeblasenen Heuchelei, selbst Richter spielen zu wllen. Das ist der Kern der Botschaft Jesu: Das Urteil wird nicht im Voraus gefällt, und Menschen haben nicht das Recht, es zu fällen. Wir müssen vielmehr jeder für sich hören, dass Jesus unser Verhältnis zum Mitmenschen als Ort des entscheidenden Gottesverhältnisses hervorhebt. Die Akten der Sache befinden sich in unserer eigenen Beziehung zu anderen Menschen. Man kann es auch so sagen: Das gnädige Gericht Gottes muss in der Barmherzigkeit des Christen und dem Willen zur Versöhnung seine Entsprechung finden. Die Ermahnung gilt in dem Sinne allen, besonders aber dem Christen, der sich ansonsten als Heuchler versündigt. Die Ermahnung steht in der lutherischen Tradition umso stärker, wo wir uns selbst als Sünder und Gerechtfertigte sehen, berufen und dennoch Heuchler. 

 

Der Richter

Anfang der 1960er Jahre befand sich der amerikanische Autor Arthur Miller in einer Krise. Einige Jahre zuvor war er geschieden von seiner berühmten Frau Marilyn Monroe, und er wurde von dem Untersuchungs-Komitee von MacCarthy wegen unamerikanischer Aktivität angeklagt. Sein Werk kündigt in vieler Hinsicht von dem Gefühl, dass sich alles in Auflösung befindet. In dieser Stimmung schreibt er sein berühmtes autobiographisches Schauspiel „Nach dem Sündenfall“, das im Januar 1964 am Broadway uraufgeführt wurde. Die Hauptperson des Stückes Quentin beginnt im ersten Akt mit einem längeren Monolog, wo er davon erzählt, wie er in vielen Jahren das Leben als einen Prozess betrachtete, wo es darum ging, die Beweise parat zu haben. „Wenn man jung ist, will man beweisen, wie tapfer man ist, wie tüchtig, und was für ein guter Liebhaber, was für ein guter Vater, wie klug man ist und wie mächtig“. Und Quentin fährt fort: „Aber bei all dem sehe ich nun, dass da eine Voraussetzung existierte. Dass man sich auf einem Pfad nach oben bewegte zu einer Höhe, wo ich, Gott weiß wie, gerechtfertigt oder verurteilt werde. Ich meine nun, dass mein Unglück in Wirklichkeit begann, als ich eines Tages hinaufsah, und der Richterstuhl war leer. Da war kein Richter zu sehen. Und alles, was blieb, war die endlose Diskussion mit einem selbst, dieser sinnlose Prozess über die Existenz vor einem leeren Richterstuhl. Was eine andere Art ist, von Verzweiflung zu reden“.

Deutlicher kann man es wohl nicht verkündigen, dass der Mensch in einer Wirklichkeit ohne Gott als Richter der Zufälligkeit der Welt ausgeliefert ist, wo jede Meinung den gleichen Wert hat und wo der Starke gnadenlos Recht hat. Lasst uns Gott auf dem Richterstuhl bleiben und preisen wir uns glücklich darüber, dass der Herr des Evangeliums nicht ein Gott des „Gebens und Nehmens“ ist, sondern Christus, der gnädige Herr und Erlöser. Amen.



Pastor Rasmus Nøjgaard
DK-2100 København Ø
E-Mail: rn(at)km.dk

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