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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag, 24.11.2019

Das Öl der Hoffnung
Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Thomas Muggli-Stokholm

 

Mit der Geschichte der klugen und törichten Jungfrauen hatte ich lange meine liebe Mühe. Heute, am Ewigkeitssonntag, sollen doch Zuspruch, Trost und Hoffnung im Zentrum stehen, für alle unter uns, die in den vergangenen zwölf Monaten von einem lieben Menschen Abschied nehmen mussten. Dazu passt der harte Schluss der Geschichte wie die Faust aufs Auge: Mitten in der Nacht kommt der Bräutigam, und die Hälfte der Jungfrauen, die auf ihn warteten, realisiert mit Schrecken, dass sie kein Öl mehr für ihre Lampen hat. Als sie die anderen um Hilfe bitten, werden sie schnöde und in egoistischer Weise zurückgewiesen: Unser Öl reicht niemals für alle. Geht und kauft euch selbst, was ihr braucht. Als die unglücklichen dann endlich mit Öl beim Hochzeitssaal ankommen, ist die Tür zu. Auf ihr verzweifeltes Anklopfen reagiert der Bräutigam knallhart: Ich kenne euch nicht. Die Tür bleibt verschlossen, endgültig, für immer und ewig.

Diese Geschichte inspirierte wie kaum eine andere die mittelalterlichen Vorstellungen vom Jenseits als Himmel und Hölle: Die eine Hälfte der Menschheit ist klug, gläubig und gut. Sie darf eingehen in den Hochzeitssaal des Paradieses und die Gemeinschaft mit dem Bräutigam Jesus Christus geniessen. Die andere Hälfte ist dumm, ungläubig und böse. Sie landet verdientermassen in der Hölle, wo Heulen und Zähneklappern sind. Unsere Geschichte gehört darum zu den beliebtesten Motiven mittelalterlicher Kunst. In vielen gotischen Kathedralen finden wir Darstellungen des Jüngsten Gerichts mit Skulpturen der klugen und törichten Jungfrauen als plastische Mahnung, wachsam zu sein und den richtigen Weg zu wählen.

Was aber sollen wir modernen, aufgeklärten Menschen damit anfangen? Zum Glück gibt es heute das Internet. So konnte ich Hilfe suchen in Predigten meiner Kolleginnen und Kollegen. Tröstlich war zunächst, dass ich nicht der einzige bin, der seine liebe Mühe hat mit dieser Geschichte. Beinahe alle Auslegerinnen und Ausleger nehmen Anstoss am harten Schluss. Die einen gehen dabei so weit, dass sie den Text, der nur bei Matthäus vorkommt, als bedauerlichen Ausrutscher in Schwarzweissmalerei bezeichnen, der unmöglich Jesus selbst zugeschrieben werden kann[1]. Sie fügen dem trostlosen Schluss spekulativ ein Happyend hinzu, das besser zu Jesus passt. Gerne greifen sie dabei zurück auf den griechischen Schriftsteller Nikos Kazantzakis, der die Geschichte in seinem umstrittenen Roman «Die letzte Versuchung» abändert und Jesus tröstliche Schlussworte in den Mund legt: «Der Bräutigam rief den Dienern zu: ‚Öffnet das Tor, dies ist eine Hochzeit, alle sollen essen und trinken und fröhlich sein! Lasst die gedankenlosen Jungfrauen hereinkommen und sich die Füsse waschen, denn sie sind weit gelaufen.‘»

Andere Ausleger lassen die Geschichte stehen wie sie ist, bemühen sich aber nach Kräften, den Fokus möglichst auf das Positive zu richten: Dass am Ende fünf von zehn Jungfrauen vor geschlossenen Türen stehen, erscheint zwar hart. Es darf aber nicht vergessen werden, dass Gott in seiner Liebe und Barmherzigkeit jedem Menschen unzählige Chancen für einen segenvollen Weg schenkt. Doch einmal ist halt die letzte Chance gekommen, und die Tür geht zu[2].

Beim Lesen all dieser Deutungen fragte ich mich je länger je mehr, ob sie dem gerecht werden, was die Geschichte wirklich meint. Geht es hier überhaupt um das Jüngste Gericht im mittelalterlichen Sinn? Wenn dem so wäre, sähe ich schwarz für meine Zukunft: Denn bin ich ehrlich mit mir selbst, kann ich niemals behaupten, dass ich stets klug, wachsam und vorausschauend lebe. Vielleicht gibt es den einen oder anderen lichten Moment in meinem Dasein. Nur zu oft aber muss ich bekennen, dass ich ziemlich töricht war und mein Öl entweder irgendwo liegen liess oder am falschen Ort verschwendete. Ich gehe davon aus, dass ich kein Einzelfall bin. Niemand von uns handelt stets klug und gottgefällig. Doch es gilt auch das Gegenteil: Kaum ein Mensch ist durch und durch töricht und böse. In jedem von uns stecken sämtliche Jungfrauen, kluge und törichte Absichten, konstruktive und destruktive Kräfte. Mal sind wir einsichtig für das Gute, mal traben wir verblendet in die Finsternis. Jesus erzählt seine Geschichte denn auch nicht einer anonymen Weltöffentlichkeit, sondern seinen Freunden, ganz persönlich, auf den Einzelnen bezogen. Er stösst keine apokalyptischen Drohungen aus, sondern mahnt seine Freunde und uns alle, uns wachsam und klug zu verhalten: Uns ist unendlich viel gegeben. Gott erklärt uns in Jesus Christus zu seinen geliebten Kindern. Und er verheisst uns festliche Hochzeitsfreude bei sich. Die Geschichte der zehn Jungfrauen mahnt uns, diesem Schatz im garstigen und dunklen Alltag, wo wir so schnell töricht, müde und unachtsam werden, Sorge zu tragen.

Wenn wir die Geschichte so aus dem starren Schema von Himmel und Hölle lösen, beginnt sie, in unsere Alltagserfahrungen zu sprechen, gerade auch in jene von Trauernden:

Was die fünf Jungfrauen, welche zu spät kommen, erleben, spiegelt sich in der Erfahrung von Hinterbliebenen. Die geschlossene Tür zum Festsaal ist ein Bild für die Endgültigkeit des Todes. Stirbt ein geliebter Mensch, geht gleichsam eine Tür zu. Es gibt keine Zukunft mehr mit ihm, nichts, was noch geplant und ins Auge gefasst werden könnte. Es gibt nur noch Erinnerungen. Und leider verhält es sich so, dass zu Beginn das Schöne und Gute, was wir mit Verstorbenen zusammen erlebten, vom Schmerz des Verlusts übertönt wird und darum vor allem das, was fehlt, Lücken und Versäumtes im Vordergrund stehen.

Auch der Egoismus der klugen Jungfrauen, die ihr Öl nicht teilen wollen, gehört zu den Erfahrungen von Trauernden. Sie erleben ihre Umgebung bisweilen als unsensibel, ja abweisend. Sie fühlen sich manchmal alleine gelassen und verraten. Unbedachte Worte können sie zutiefst verletzen und noch mehr in die Isolation treiben.

Und niemand kann ihnen am Ende ihre Last abnehmen: Den Weg der Trauer müssen wir selbst gehen, ebenso wie in der Geschichte jede Jungfrau selbst für ihr Öl verantwortlich ist.

Die lange Nacht, das Ausbleiben des Bräutigams, die endlose Warterei. Diesen Herausforderungen ist keine der zehn Jungfrauen gewachsen. Alle schlafen ein und sind total überrascht, als der Bräutigam doch noch kommt. Das Leben macht müde. Trauernde erfahren dies in besonderem Mass, ebenso wie den Umstand, dass der Schlaf oft nicht zu rechten Zeit kommt. Durchwachten Nächten stehen endlos scheinende Tage gegenüber, wo sie am liebsten nur schlafen würden.

So stellt sich in der Trauer die Frage nach dem Öl besonders drängend, die Frage nach dem, was uns Energie gibt, Kraft, Zuversicht und Durchhaltevermögen – all das, was die fünf klugen Jungfrauen bereit für den Bräutigam macht. Unsere Geschichte beantwortet diese Frage nicht. Einen Hinweis finden wir aber am Schluss der Bergpredigt im 7. Kapitel des Matthäusevangeliums. Hier sagt Jesus: Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird ins Himmelreich hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut (Mt 7,21).

Wenn wir den Willen Gottes tun, werden wir bereit für den Bräutigam, bereit für den Einzug in den himmlischen Hochzeitsaal. Das erscheint nun wieder sehr anspruchsvoll, ja unmöglich, gerade für Trauernde: Für sie ist der Wille Gottes fragwürdig geworden. Das gilt besonders dann, wenn ein geliebter Mensch viel zu früh sterben musste. Was ist das für ein Gott, der einem das Liebste zur Unzeit nimmt? Warum handelt er so? Was ist überhaupt sein Wille?

Wer den Willen Gottes tut, kommt ins Himmelreich – das ist eine Bedingung, welche das Menschenmögliche übersteigt. Niemand kann sie je erfüllen, niemand als jener, der sie stellt. Jesus ist der einzige durch und durch kluge Mensch, der den Willen Gottes bis am Ende tut. So betet er in der Nacht vor seinem Tod im Garten Getsemani: Nicht wie ich will, sondern wie du, Gott, willst (Mt 26,39).  

Den Willen Gottes tun: Jesus lehrt uns mit seinem Weg ins Leiden und Sterben, dass dies weniger eine menschliche Aktivität ist als ein Geschehen-Lassen. Jesus fügt sich ins Unabänderliche. Er lässt sich ausliefern, verhaften, foltern und geht den Weg durch die schwärzeste Finsternis, im Vertrauen, dass nichts im Widerspruch zum Willen Gottes, seines Vaters, geschehen kann.

Das ist das «Öl» in unseren Lampen: Wir stellen uns unserem Leben, auch dem Schweren, im Vertrauen darauf: Gott ist uns auch in der Finsternis nahe – und die Mitte der Nacht ist der Beginn eines neuen Tages. Es bleibt nicht beim Karfreitag, bei Leiden, Tod und Trauer. Gott schafft an Ostern das Leben neu. Und er ist mit seinem ganzen Wollen und Wirken auf die vollkommene Freude am Ende der Zeit aus. Der Bräutigam kommt, auch wenn er jetzt noch ausbleibt.

Diese Hoffnung schenkt uns Kraft und Durchhaltevermögen. Sie ist unser «Öl», das uns stets neu zufällt, wenn wir wegschauen von unserer eigenen Schwachheit und Beschränktheit, hin auf den Gott, der uns und seine ganze Welt liebt und am Ende nichts als das Gute für uns will.

In dieser Sicht ist die Trennung zwischen den törichten und den klugen Jungfrauen am Ende der Geschichte keine Drohung mehr, sondern vielmehr eine Verheissung – besonders dann, wenn wir um Verstorbene trauern oder mit den eigenen Grenzen hadern: Am Ende sperrt der Bräutigam alles Versäumte und Verpasste aus. Es ist bei ihm vergeben und vergessen. Stattdessen setzt er die Momente ins Recht, wo wir Gottes Willen Raum gegeben haben:

Zeiten des Friedens, Taten der Liebe, Werke der Barmherzigkeit. Wir haben teil an der vollkommenen Freude und an der versöhnten Gemeinschaft mit Gott und unseren Nächsten im Festsaal des Himmels. Amen.

 

[1] so Pfr. Andreas Fischer aus Zürich, vgl.: https://www.saatlenschwamendingen.ch/content/e7742/e7958/e8002/

[2] So Willibald Sandler in seinem Aufsatz „Ihr seid die Lampen, die ihr tragt – Lasst euch mit Heiligem Geist füllen!“, vgl.: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/1217.html



Pfr. Thomas Muggli-Stokholm
Wolfhausen ZH, Schweiz
E-Mail: thomas.muggli@zh.ref.ch

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