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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag, 24.11.2019

…Licht braucht Energie…
Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Reiner Kalmbach

Die Gnade Gottes, unseres Vaters, die Liebe Jesu, unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

 

…seit Stunden sitze ich am Steuer, unterwegs in Richtung Süden auf der berühmten „Ruta 40“, entlang der patagonischen Anden im Süden Argentiniens. Ich weiss es ganz genau: bald kommt die „letzte Tankstelle vor der Wüste“, die darf ich nicht verpassen. Aber im Tank habe ich noch Sprit für über 200 km. So höre ich eben in aller Ruhe ein spannendes Krimihörbuch. Langsam beginnt die Dämmerung und ich werde unkonzentriert. Plötzlich leuchtet die gelbe Reserveanzeige auf…, zu spät!, bin vor mindestens einer halben Stunde an der Tankstelle vorbeigefahren, ohne es zu merken. Panik kommt auf. Dieser Streckenabschnitt wird nachts kaum befahren und die Temperaturen sinken auf unter Null. Meine Wasserflasche ist fast leer und das letzte Sandwich ist auch schon längst gegessen. Wie kann man nur so bescheuert sein!

Handyempfang?, denkste!

Dieses Erlebnis liegt schon ein paar Jahre zurück, aber als ich den Predigttext für den heutigen Sonntag las, war alles wieder da, ganz frisch, und ja, die Lektion habe ich gelernt, das wird mir nie wieder passieren. Es hätte auch zu spät sein können, ich wäre nicht der erste gewesen…

 

Hören wir nun das Wort für heute, den letzten Sonntag des Kirchenjahres. Also auch so eine Art „letzte Tankstelle…“, aber nicht vor der Wüste, ganz das Gegenteil.

 

Textlesung

 

Alles hängt an einem kleinen Reservekanister

 

Es fällt mir nicht schwer mein Leben mit eben dieser Ruta 40 zu vergleichen. Sie ist von Nord nach Süd über 5000 km lang, führt durch wunderschöne Landschaften, durchquert aber auch weite Wüsten und Steppen. Müdigkeit und die Eintönigkeit mancher Streckenabschnitte können der Fahrt ein jähes Ende bereiten. Die Autowracks (die man ganz bewusst liegen lässt) sind stumme Zeugen menschlicher Tragödien.

Wachsam sein, vorbeugen, an alle Eventualitäten denken, das Auto tipp topp und der Fahrer gut ausgeruht. Eigentlich logisch, sollte man meinen. Wer ist schon so töricht und fährt gleich nach der Arbeit in den Urlaub…

Also, ich kann mich gut in die fünf törichten Jungfrauen hineinversetzen. Töricht sein ist menschlich. Das hätte mir auch passieren können. In meinem Glauben geht mir auch manchmal das Öl aus, zumindest aber schaltet sich das Reservelicht ein. Und dann werde ich wieder hell wach, schrecke aus meiner Trägheit auf, versuche mich neu zu orientieren und bin dann froh und dankbar, dass ich noch auf dem Weg bin, dass das Ziel ja noch vor mir liegt.

 

Wo liegt eigentlich das Problem? Der erste Abschnitt in unserem Gleichnis erzählt von zehn Jungfrauen, die alle das Gleiche tun: sie gehen hinaus, dem kommenden Bräutigam entgegen. Alle zehn Frauen haben Lampen dabei und, wie das manchmal so ist, der Bräutigam lässt auf sich warten, lange, sehr lange… Alle zehn werden von der Müdigkeit überwältigt (seltsam, schliesslich geht es ja um ein grosses Fest, da ist man doch voller Spannung und Erwartungshaltung…), aber sie schlafen trotzdem ein. Stille.

Und dann kommt er doch, der Bräutigam. Alles kommt in Bewegung, die lauten Rufe schrecken die zehn Frauen aus dem Schlaf. Und jetzt beginnt ein ganz neuer Abschnitt in der Geschichte, jetzt steht plötzlich ein kleiner Ölkanister im Mittelpunkt. Einen solchen haben nämlich fünf der Frauen nicht, sie rennen schnell zur nächsten Tankstelle, aber das dauert! Schliesslich leuchten ihre Lampen wieder und so rennen sie los, wir gehören auch dazu! Aber die Tür zum Festsaal ist bereits verriegelt. „Hallo, wir sind es!, lasst uns rein!“

„Wer seid ihr?, wir kennen euch nicht.“, das klingt hart, endgültig…, für die fünf „törichten“ Frauen ist das Fest vorbei, bevor es angefangen hat.

Wie gut, dass es sich nur um ein Gleichnis handelt, wie gut, dass Jesus es erzählt! Wenn Jesus warnt, wenn er den Zeigefinger erhebt, dann tut er es aus Liebe. Er will das Unheil verhindern. Sollten wir zu den fünf törichten Jungfrauen gehören, so soll dieses Gleichnis uns klug machen. Jesus hasst verschlossene Türen. Und diese hier ist eine ganz besondere Tür: hinter ihr ist das Leben.

 

Wenn dem Glauben das Öl ausgeht

 

„Ihr seid das Licht der Welt.“, sagt Jesus im gleichen Evangelium. Damit es Licht gibt, benötigt man Energie, das weiss jedes Kind. Wenn Jesus „ihr“ sagt, wen meint er?, natürlich seine Jünger. Und in gewissem Sinne bin ich ja auch ein Jünger, also gilt dieses Wort mir. Bin ich Licht?, sind wir, die wir hier und heute versammelt sind, Licht, wenn wir hinausgehen in die Welt?, und wenn ja, haben wir genug Öl dabei?

Ich bin seit vielen Jahren Pfarrer und habe es mehr als einmal erlebt, dass die Gemeinde ihre Leuchtkraft verloren hat. Gottesdienst und Gemeindeleben werden zur Routine, es fehlt „Würze“ (Salz, würde Jesus sagen), wir existieren, aber wir leben nicht mehr, wir sind getaufte Christen, aber man sieht im täglichen Leben immer weniger von der Taufe, wir machen uns immer mehr der Welt gleich… Und die Welt ist kalt, dunkel, voller Hass und Gewalt, an vielen Orten hat die Ungerechtigkeit schon längst das Zepter übernommen. Was können wir da schon ausrichten?, ich habe genug eigene Probleme.

War die Welt jemals besser?, das ist eine rhetorische Frage, weil wir wissen, dass auch die Welt zur Zeit Jesu nicht besser war, in jenen Breiten eher noch schlimmer. Jesus hat aber gerade in diese zerrissene Welt seine Jünger gesandt: Licht sein in der Dunkelheit. Und diese Sendung ist Aktion.

„Jesus ist Verb und nicht Substantiv.“, heisst es in einem Lied. Und hier spüren wir es ganz deutlich: in den Verben liegt die Kraft der Sprache. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt geschieht gar nichts. Alle Frauen schlafen. Dann ertönt der Ruf und alles gerät in Bewegung. Während die einen weggehen, kommt der Bräutigam, die anderen, die „klug“ handelten, gehen mit ihm „hinein“. Wer in die Hochzeit hineingehen darf und wer nicht, hängt also nicht, wie Glück und Pech bei Goldmarie und Pechmarie bei Frau Holle, von Fleiss und Faulheit ab. Die Törichten waren nicht weniger fleissig. Sie hätten nur Öl mitnehmen müssen. Das ist kein grosses Werk – und doch ein „Tun“. „Herr, Herr“ zu sagen, genügt allein nicht, es muss das Tun des Willen Gottes hinzukommen.

Die Torheit besteht in erster Linie in der Kurzsichtigkeit. Sie blickt nicht über den eigenen Zaun hinaus. Sie sieht nur das Unmittelbare, das Vorläufige und nicht (mehr) das Verheissene. Ihr fehlen die Aussicht und Weitsicht, die die Sehnsucht am Leben hält.

Die Gefahr ist nicht, dass wir die Ankunft des Erlösers verschlafen, sondern dass unsere Hoffnung ermüdet. In anderen Worten, dass wir als Christen das „Handtuch“ werfen, aufgeben, es zulassen, dass das „ihr seid das Licht der Welt“ verlöscht. Wenn wir die Hoffnung verlieren, sind wir nicht nur töricht, sondern wir hören auf, uns selbst zu sein. Und wenn die Erkenntnis noch so bitter ist, bewahrt sie uns doch davor, mit der Hoffnung auch noch uns selbst zu verlieren.

 

Immer genug Sprit im Tank

 

Das Gleichnis schaut auf Künftiges voraus. Die Geschichte spielt zwar in der Vergangenheitsform, aber wir sehen, was in der Zukunft geschehen kann. Die Hörer Jesu sollen spüren, sehen, hören, wie es enden kann, eben damit es nicht so enden muss.

Aber noch ist es nicht – wie im Gleichnis geschehen – zu spät, noch ist Zeit, uns die Wahrheit über unser Leben sagen zu lassen.

 

Was wäre nun die wirkliche Klugheit? Jene Sicht, für die das Gleichnis uns gewinnen will, und die „grössere Hoffnung“, zu der Ilse Aichinger in ihrem gleichnamigen Roman ermahnt: „Erwartet das Unerwartete. Erwartet nicht, dass eure Uhr ganz genau geht und euer Kragen richtig sitzt. Erwartet nicht, dass es still wird draussen hinter den Läden, wenn der Sturm nachlässt. Erwartet, dass er zu singen beginnt.“

Ist die Fackel der Hoffnung noch am Brennen?

 

Ja, man kann an der letzten Tankstelle vorbeifahren. Nicht absichtlich, auch nicht aus Faulheit. Vielleicht aus Gedankenlosigkeit, vielleicht, weil wir vom Leben auch nicht mehr viel erwarten.

Deshalb ist es gut, dass wir Sein Wort haben: an diesem Wort bleiben, heisst an Ihm bleiben, Seinem Geist alles zutrauen, auch und vor allem das „Unerwartete“. Die Sehnsucht am Leben halten…, welchen anderen Sinn hätten die brennenden Lampen?

 

Am Ende dürfen wir hören und sehen, ja, auch sehen!, dass etwas so Zartes und Zerbrechliches wie unsere Sehnsucht gesegnet ist.

 

Amen.

 

Geboren im württembergischen Gaildorf. Nach dem Theologiestudium 1990 über die EKD in die Evang. Kirche am Río de la Plata (EKalP) nach Argentinien entsandt. Seit 1997 in San Martin de los Andes (Patagonien). Pfarrer im ökumenischen Gemeindeaufbauprojekt „gemeinsam auf dem Weg“ der Vereinigten Lutherischen und der La-Plata Kirche.



Pfr. Reiner Kalmbach
San Martin de los Andes, Argentinien
E-Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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