Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Totensonntag, 24.11.2019

Letzte Fragen
Predigt zu Johannes 5:24-29, verfasst von Jochen Riepe

                                                                                   I

‚Letzte Fragen‘: Was hat Gott mit mir vor? Was hat er mit der Welt vor? Was dürfen wir hoffen? Was müssen wir fürchten? Am jüdischen Neujahrstag wird der Schofar geblasen, das Widderhorn. Ein lauter, durchdringender Ruf, der einst die Mauern von Jericho einstürzen ließ: ‚O Mensch, gib acht…‘ Wie eine Sirene… Das Kind hält sich die Ohren zu.

                                                                                  II

Nicht wahr, man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Jedes Fest hat seine Zeit, und die kann man nicht beliebig ändern oder verschieben – wer weiß, was kommen wird. Gewiß, wir kennen Festmüdigkeit und Feiertags-Schlechte-Laune. ‚Ich bin nicht in der richtigen Stimmung, ich habe nichts anzuziehen, nächstes Mal…‘. Aber wenn man dann gegangen ist, begrüßt und willkommen geheißen wurde, wenn gesprochen, gesungen, getrunken wird, dann wird es doch noch ein ‚schöner Tag‘, ein ‚Stückchen Ewigkeit‘ mitten in der Zeit. ‚Ich wäre ja noch so gern geblieben. Schade, daß du gehen mußt‘.

Komm doch mit, heute ist ein Feiertag. Der Totensonntag. Besuchs- und Gedenktag der Verstorbenen. Ewigkeitssonntag. ‚Christkönig‘ sagt man in der katholischen Kirche.

                                                                                 III

Jesus ist ‚hinauf nach Jerusalem‘ gezogen – es ist Festzeit, Zeit der Gottesdienste, der Musik, des Wiedersehens mit Angehörigen, Zeit der Freude, des Streites und auch der – Trauer: Wer ist nicht mehr dabei? ‚Letztes Jahr noch konnten wir Vater mitnehmen‘. Die Schriftausleger wollen sich nicht festlegen, um welches Fest es sich hier im 5. Kapitel des Johannesevangeliums handeln soll*, das jüdische Neujahrs- oder auch das Wochenfest; aber der Autor Johannes nimmt gerade in dieser Offenheit seine Leser mit und stellt ihnen nach einer sehr streitbaren, aufgeregten Szene einen souveränen Jesus vor: ‚Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht…‘

Zeit und Ewigkeit. Gericht und Leben. So feierlich diese Worte klingen, so verstören sie uns auch und wollen nicht so recht zur Festlaune passen. Oder passen sie zu gut? Eine Art Aufmerksamkeitsruf an die Feiernden und die Leser des Evangeliums mit den sog. letzten Fragen, eine Konfrontation mit Jesu Wort und – seiner Person: Wer die Ohren nicht verschließt, der erfährt das, was wir einen ewigen Augenblick in der Zeit nennen.

                                                                                IV

Wahrlich, wahrlich…‘ Ewiges Leben. Ein Leben aus Gott. Ein Leben, das nicht mehr unter der Herrschaft des Todes steht und ‚schon jetzt‘, ja, lebendig, lebens- und liebenswert ist, wenn man so will: Fest im Alltag, im grauen Alltag , in all den Mühen, Widerfahrnissen und Konflikten, in der Erfahrung der Vergänglichkeit und des Nicht-Festhalten-Könnens: ‚Es ist (ja), als flögen wir davon‘(Ps 90, 10). Eine Erfahrung, die jeder auf seine Weise macht, verdrängt oder annimmt: ‚Wieder ein Jahr vergangen. Wieder gehen wir durchs Laub und schmücken die Gräber. Sollen wir denn Opas Grabstelle im nächsten Jahr noch einmal erwerben?‘

Johannes, der Evangelist, stellt diese ‚Alljahresmelancholie‘ in und unter das Hören von Jesu Wort, und er betont immer wieder, daß sein Wort zum Verweilen und zum ‚Bleiben‘ (1, 39) einlädt. Ja, man kann es regelrecht wie eine ‚Wohnung‘ (14,2) betreten, hier wie Jesus selbst ‚offen und frei heraus‘ (7, 26) sprechen, das Brot brechen, einander ‚dienen‘ (13,15) und in seinem Schutz sein Leben – jenseits der Angst – in Liebe leben. Das wäre ja ‚Glauben‘: Diesem Wort als Gottes Wort folgen, ihm vertrauen und damit ‚vom Tode zum Leben‘ ‚hindurch dringen‘, getröstet, gestärkt , gehalten, ein Lachen unter Tränen. ‚Ich möchte so gern noch bleiben‘, das ist fast so etwas wie eine Formel für das – ewige Leben.

                                                                                 V

Was dürfen wir hoffen? Was müssen wir fürchten? Bei aller Feierlichkeit – der innehaltende Leser, der zum Festteilnehmer geworden ist, hakt noch einmal nach. Solche ernsten Fragen sind wichtig, aber verderben sie uns nicht – kopflastig wie sie sind – die Stimmung und nerven uns, weil sie letztlich keiner beantworten kann? Ich sagte: An Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrstag, erschallt der Ruf des Schofar. Er geht durch Mark und Bein, ähnlich wie die heulende Sirene beim Fliegeralarm, damit die ganze Gemeinde wachgerüttelt würde und sich in der Festtagsfreude dem Ernst des Gerichts stellt, das gelebte Leben selbstkritisch bedenkt und das göttliche Gebot neu verbindlich macht.

Ein Festpsychologe oder ein Festtheologe könnte feststellen: Das verdirbt nicht die Freude, sondern gibt ihr eine ernste Grundlage, festliche Tiefe. Mitten im Trubel nämlich lauert das ‚schwarze Loch‘, der Kater, eine schwermütige Trauer oder auch ein bissiger Zynismus, der von dem Wissen zehrt: ‚Es ist (war) alles eitel… Haschen nach dem Wind‘ (Koh 1,14), und eh‘ wir uns versehen, ‚ist alles egal‘ und ‚morgen sind wir tot‘ (1.Kor.15, 32). Wie viele Feste endeten in Streit, gar Schlägerei, oder übler Laune, ein falsches Wort, Gereiztheit, ‚weil ich wieder einmal nicht das bekommen habe, was ich suchte‘… ‚weil sowieso alles vertan ist, und der Mensch, der meine Ewigkeit war, nicht mehr ist…‘ und der Wein alles noch schlimmer macht.

                                                                                   VI

Johannes, der Autor, würde jetzt vielleicht ergänzen: Eben darum sollen wir Jesu Wort hören, mitten im Fest. Es rüttelt wach wie das Widderhorn und ‚übersetzt‘ dessen durchdringende Töne, indem es ihnen Sprache gibt. Darum: Kommt mit nach Jerusalem! Dort spricht er ‚mit hellem Munde‘ (eg 147.1), und ihr könnt heute dabei sein. Sein Wort begleitet uns, hält uns sozusagen sprechend über dem Abgrund des Festes, und am Ende werden wir mit den Jüngern (6, 68) bekennen: ‚Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens‘.

Ewigkeit in der Zeit – das ist ja er selbst, der Logos, der Gottessohn, der Christkönig, und wer ihm hörend und lesend begegnet, der hat gleichsam den Tod hinter sich, er ist ‚hindurch gedrungen‘… Der Tod liegt hinter ihm und sein sterbliches Leben wird ‚in sich umgewendet‘** und somit zu wahrer Festfreude eingeladen. Die Mauern der Zeiten sind eingestürzt: Der ‚jetzt‘ und heute Glaubende blickt zurück und zugleich in die Zukunft. ‚Ich will euch wiedersehen‘, sagt der scheidende Jesus seinen Jüngern, ‚und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen‘(16,22).

Das ‚schwarze Loch‘, das mitten im Fest lauert, die archaische Gewalt, die in ihm ausbrechen kann, oder auch die lähmende Trauer, die unser ständiger Begleiter geworden ist, sie werden auf diese Weise nicht zugeschüttet oder verdrängt, sondern bekommen ihren Ort und ihre – Öffnung: ‚Ja, du darfst mit in die Zukunft gehen. Dort geht es weiter…‘ Und wer um die offene Tür weiß, der kann traurig-gelassen vor Ort ‚bleiben‘, sich ‚mit Tränen niedersetzen‘, des Vergangenen gedenken und dann doch ‚fröhlich seine Straße‘ ziehen (Apg 8, 39).

                                                                               VII

Was darf ich hoffen? Was hat Gott mit mir vor? Und was ist mit denen, die nicht mehr sind? Ihr habt die letzten Verse noch im Ohr: ‚Wundert euch darüber nicht. Denn es kommt die Stunde , in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und werden hervorgehen zur Auferstehung…‘

Vergangenheit. Gegenwart. Zukunft. Muß nicht das Fest, zu dem ich und wir eingeladen sind, für alle Menschen gelten – und schließlich für alle Geschöpfe, die auf Gottes Erde waren und sind? *** Was ich jetzt erfahren darf, dürfen das am Ende nicht alle erfahren? Verweilen in Gottes Ewigkeit – das kann doch niemals eine egoistische Unternehmung oder eine Sache der glücklichen Überlebenden irgendwann in der Zukunft sein! ‚Wundert euch nicht‘, mahnt der feierliche Jesus, das Wort, das am Anfang war, das Wort wird auch am Ende stehen. So wie es am Anfang ruft, so ruft es auch an jenem Tag, da Gott diese Welt zum Ziel bringt.

Doch, nicht wahr, wir wundern uns schon, denn das übersteigt unsere Gedanken, Bilder und Vorstellungen… ‘Es ist aber noch nicht offenbar geworden, wer wir sein werden‘ (1.Joh.3, 2), schreibt einer aus der Schule des Evangelisten. Aber wir nehmen die Verheißung mit und bitten, Gott möge uns zu einem guten Ende führen… auch die, die nicht hören konnten oder wollten, auch die, die verstorben sind… er möge an seinem Tag alle auf seine Weise ernstnehmen, unser Leben gnädig bedenken und weiter an uns arbeiten, indem er uns mit seiner ‚aufbauenden Liebe‘ ‚konfrontiert‘.****

                                                                                VIII

Den Schofar, das Widderhorn, das ‚Ur-Horn‘ vielleicht, haben wir im christlichen Gottesdienst nicht übernommen. Die Posaune ist an seine Stelle getreten, und vielerorts, auf den Friedhöfen und in den Kirchen, auch heute hier, spielen die Bläser. Wir sagen: zur Ehre Gottes und zu seinem Lob. Sie rufen zum Gottesdienst, begleiten den Gesang, erfreuen uns und mahnen uns: ‚O Mensch, gib acht‘.

Heute ist Totensonntag. Ewigkeitssonntag. ‚Man soll die Feste feiern, wie sie fallen‘. Auch an den Gräbern.

 

(Gebet nach der Predigt:)

Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Erhalte uns in deinem Wort, dem Wort, das Jesus sprach, und das in der Kraft des Geistes bei uns ist. Schenke uns Festlichkeit in diesem Leben, Festlichkeit auch an den Gräbern unserer Lieben, und laß uns die Verheißung nicht vergessen: Daß an deinem Tag wir mit der gesamten Schöpfung deine gute Stimme hören und dich loben werden.

Liedvorschläge: eg 147 (Wachet auf…)    eg 526 (Jesus meine Zuversicht)       eg 652(65)  (Von guten Mächten)              

_______________________________________

*D. Felsch, Die Feste im Johannesevangelium. Jüdische Tradition und christologische Deutung, 2011, S. 51ff **J. Ringleben, Das philosophische Evangelium, 2015, S. 529  ***H. Thyen, Das Johannesevangelium, 2005,S. 317f (‚Heil des Kosmos‘)  ****Chr. Gestrich, Die Seele des Menschen und die Hoffnung der Christen. Evangelische Eschatologie vor der Erneuerung, 2009,S. 243 . Eindrücklich die Bemerkung der Schriftstellerin S. Lewitscharoff : ‚Ich kann mir … also eine Form der Erlösung nicht vorstellen, ohne daß die Sünde hart besprochen und vielleicht auch gestraft werden muß‘  (https://www.deutschlandfunkkultur.de/schriftstellerin-sibylle-lewitscharoff-von-oben-schreibend.1270.de.html?dram:article_id=460914).

                                                                   



Pfr. i. R. Jochen Riepe
Dortmund, Deutschland
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

(zurück zum Seitenanfang)