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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Totensonntag, 24.11.2019

Die Liebe Gottes ist das (ewige) Leben
Predigt zu Johannes 5:24-29, verfasst von Rainer Kopisch

Liebe Gemeinde,

die Internationale Gesellschaft für Tiefenpsychologie, die frühere Gemeinschaft Arzt und Seelsorger feierte mit ihrer diesjährigen Arbeitstagung in Lindau am Bodensee ihr 70-jähriges Bestehen.

Das Tagungsthema war „Respekt, Von Grenzen, Gräben und Brücken“.

Wie häufig hat die Gesellschaft ein aktuell brennendes Thema gewählt.

Der Vorsitzende der Gesellschaft, Dr. Konstantin Rößler wies auf Gräben zwischen Menschen hin und schrieb im Vorwort zum diesjährigen Tagungsprogramm:

„Gerade die Achtung vor dem Anderen, die aus tiefenpsychologischer Sicht nur mit der Achtung vor sich selbst beginnen kann, scheint Antworten auf diese Fragen zu haben.“

Aus seelsorgerlich-theologischer Sicht ausgedrückt:

Gott liebt mich und nimmt mich an, so kann ich mich selbst annehmen und auch die anderen Menschen.

Der Begriff Tiefenpsychologie erinnert an eine für die Seelsorge nicht unbekannte Betrachtung tiefer Schichten der Seele, in denen auch unser Vertrauen zu Gott und unser Glaube ihren Grund finden.

 

Wir Christinnen und Christen haben von unserer Berufung her leicht,

anderen Menschen die Achtung entgegenzubringen,

die ihnen als Geschöpfe Gottes zusteht,

denn Gott liebt alle Menschen.

Er liebt die Juden und die Muslime, die ihn in anderen Traditionen verehren.

Er liebt die Menschen, die ihre Selbstachtung verloren oder nicht gefunden haben.

Er liebt die Menschen, die auf der Suche nach Anerkennung und Nähe in die Abhängigkeit von Gruppen geraten sind, die Menschen außerhalb der Gruppe Achtung und Respekt versagen.

Aktuelle Beispiele dafür sind bekannt.

Hass und Todeswünsche werden immer häufiger und aggressiver ausgedrückt.

Die Gräben zwischen arm und reich, zwischen links und rechts, zwischen jung und alt, zwischen fremd und vertraut, werden in seit Jahren immer tiefer und warten auf Brücken.

Wir Christinnen und Christen sind zum Brückenbauen geeignet und aufgerufen.

Dazu gehört Gottvertrauen, Geduld und Liebe.

Auf uns warten Herausforderungen für Menschen diesseits und jenseits der Gräben.

Heute am Totensonntag, geht es um die Grenze zwischen Lebenden und Toten.

 

In diesem Gottesdienst am Ende des Kirchenjahres denken wir besonders an die Menschen, die im vergangenen Jahr gestorben sind.

 

Wenn unsere Seele um einen lieben Menschen trauert,

der aus unserem täglichen Umkreis ausgeschieden ist,

wenn sein Platz in unserem Leben leer ist,

dann schmerzt der Verlust der Nähe und des vertrauten Umgangs.

 

Wenn wir uns dann dem Trauerprozess überlassen,

durch den unsere Seele uns führt,

werden wir nach und nach zu neuen inneren Erfahrungen geführt.

Dabei werden wir immer wieder an der Grenze des Todes stoßen,

die uns von den Gestorbenen trennt.

Schmerzlich wird sich das solange wiederholen,

bis der Respekt in unsere Gedanken und unser Gefühl einzieht.

Neben dem Respekt vor dieser Todesgrenze

steht der Respekt vor dem Schicksal der Verstorbenen.

Wenn wir sie auch in dem würdigen, was sie in ihrem Leben für uns getan haben,

das würdigen, was wir von ihnen für unser Leben bekommen haben,

dann haben wir Brücken zu ihnen gebaut.

Totenverehrung anderer Religionen und Völker können wir als exotisch ansehen,

niemand hindert uns aber, innerhalb unserer eigenen christlichen Vorstellungen den Gestorbenen einen würdigen und angemessenen Platz in unserm Leben zu geben.

 

Die Liebe Gottes hilft uns,

innere Brücken über die Grenze des leiblichen Todes zu bauen.

 

Ja, es ist möglich, diesseits und jenseits der Todesgrenze zu leben.

Diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen,

hilft uns der Predigttext des heutigen Totensonntags.

Er macht uns auf eine andere Grenze aufmerksam.

Sie ist eine Grenze zwischen uns und Gott, zwischen Tod und Leben.

 

Jesus selbst spricht zu uns in der Überlieferung des Johannes-Evangeliums.

Ich lese im fünften Kapitel die Verse 24 bis 29:

 

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt,

dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes, und die sie hören, die werden leben.

26 Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber;

27 und er hat ihm Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

28 Wundert euch darüber nicht. Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden,

29 und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.

 

Liebe Gemeinde,

 

Jesus sagt heute zu uns:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:

Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat,

der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht,

sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

 

Deutlicher können wir den Willen Gottes nicht erfahren und verstehen.

Gottes Wille ist, dass wir mit ihm leben sollen.

Er allein hat und ist das ewige Leben und er will es uns schenken,

wenn wir der Botschaft Gottes durch seinen Sohn Jesus Christus glauben.

 

An der Schwelle des Übergangs vom Tod ins Leben steht ein entschlossener Schritt.  Ein Mensch, der die Botschaft hört, entschließt sich im Glauben, ihn zu tun.

Damit tritt er aus dem Tod in das Leben.

 

Das wird uns im nächsten Vers deutlicher:

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch‘:

Es kommt die Stunde und ist schon jetzt,

dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes,

und die sie hören, die werden leben.“

 

Die gegenwärtige Auferstehung zum Leben und die zukünftige Auferstehung am Jüngsten Tag erscheinen ineinander geschoben.

Das ist mit unserem Verstand nicht zu erfassen.

 

Es gehört zu den Geheimnissen des Glaubens,

dass die Grenzen der Zeit aufgehoben sind,

wenn wir in Verbindung mit Gott kommen.

 

Schon jetzt, deutlich gesagt: sofort, unverzüglich,

ereignet sich die Auferstehung von den Toten im Glauben der Offenbarung Gottes.

 

Diese Auferstehung ist sofortige Vergewisserung des Glaubens,

als Lebende durch das Gericht Christi am jüngsten Tage zu kommen,

so wie es Jesus verkündet hat.

 

Johannes schreibt in den nächsten beiden Versen,

was wir auch heute noch glauben:

„Denn wie der Vater das Leben hat in sich selber,

so hat er auch dem Sohn gegeben,

das Leben zu haben in sich selber;

und er hat ihm Vollmacht gegeben,

das Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist.

 

Ein Redakteur des Evangeliums, der den Text an dieser Stelle bearbeitete,

fügte später die Verse 28 und 29 hinzu:

 „Wundert euch darüber nicht.

Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind,

seine Stimme hören werden,

und es werden hervorgehen,

die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens,

die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“

Sie werden sich nicht über den Inhalt wundern, liebe Gemeinde.

Wir sehen in diesen Versen bestätigt,

was wir aus unserer jüdisch-christliche Tradition glaubend wissen.

 

Diese beiden Verse verstärken unseren Eindruck,

den wir vom Inhalt der Eingangsverse haben:

Gott lässt uns nicht im Tode.

Gott hat diese Botschaft in der Vergangenheit durch Jesus ausrichten lassen.

Aber da Gott von Zeiten unabhängig jetzt bei uns ist,

ist diese Botschaft gegenwärtig und wird im Glauben sofort wahr.

 

Liebe Gemeinde,

 

was machen wir mit unserem neuen Leben, das sozusagen todessicher ist?

 

Im zweiten Korintherbrief, Kapitel 5 schreibt Paulus im Vers 20:

„So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt uns;

So bitten wir nun an Christi Statt: Lasst Euch versöhnen mit Gott.“

 

 

Ich sprach vorhin davon,

dass wir Christinnen und Christen als Brückenbauer aufgerufen sind.

 

Machen wir uns also auf den Weg und an die Arbeit.

 

Die Steine für die Brücke finden wir,

wenn wir achtsam sind.

 

Wir werden unser Leben mit den anderen Menschen teilen,

in dem wir uns Zeit für sie nehmen.

 

Wir werden Gespräche führen,

bei denen wir anteilnehmend zuhören.

 

Die Liebe Gottes wird in unser Gespräch kommen können,

wenn wir bereit sind,

sie durch unser Herz hindurch wirken zu lassen.

 

Wir werden auch erleben können,

wie sich diese Liebe bemerkbar macht,

nämlich durch Freude,

die wir in den Augen unseres Gegenübers sehen können.

 

So einfach das auch klingen mag;
Sie können das zuhause vor einem Spiegel üben:
Sehen Sie sich in die Augen und sagen laut oder leise:

„Gott liebt mich!“ oder Gott liebt Dich!“

Probieren Sie aus, was besser für Sie ist.

Bald werden Sie die Liebe Gottes in Ihren Augen sehen können.

 

Ich hatte gestern das Erlebnis,

im Spielbild meines eigenen Gesichtes für einen Moment

die Augen meiner Frau zu erkennen.

Erst heute bin ich darauf gekommen, was der Grund für dieses Phänomen war.

Es war die Liebe.

 

Vielleicht kennen Sie eine Gemeinde, in der es einen seelsorgerlich begleiteten Besuchsdienst gibt. Das könnte auch ein Weg für Sie sein.
Lernen Sie ein unaufdringlicher Botschafter der Liebe Gottes zu sein.

 

Machen Sie sich auf den Weg, die Liebe Gottes weiter zu geben,

sie zu sehen und zu erkennen.

 

Ich wünschen Ihnen Mut zum Brückenbauen im Segen und der Liebe Gottes.

 

Amen

 

Hilfsmittel:

Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich benutzt:

das Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament „den Kittel“ in der ersten Auflage und

die Interlinearübersetzung von Ernst Dietzfelbinger in der dritten Auflage

Den historisch-kritischen Kommentar von Rudolf Bultmann zum Johannes Evangelium zu Vers 28 und 29

Zur Absicherung habe ich mit Gewinn hineingesehen in:

Wilhelm Stählin, Predigthilfen I

 

Rainer Kopisch,

Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig, Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz,

Mitglied der igt 

letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

in der Vergangenheit: langjähriger Vorsitzender der Vertretung der Pfarrer und Pfarrerinnen in der Landeskirche,

Mitglied in der Pfarrervertretung der Konföderation der Landeskirchen in Niedersachsen,

Mitglied in der Pfarrvertretung der VELKD,

Mitglied in der Fuldaer Runde.

Mit meiner Predigt zum Gottesdienst anlässlich meiner Entpflichtung aus dem aktiven Dienst, die im Predigtportal der Göttinger Unipredigten erschien, aber nicht im Gottesdienst selbst gehalten werden durfte, wurde ich Internetprediger.

 



Pfr. Rainer Kopisch
Braunschweig, Niedersachen, Deutschland
E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de

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