Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 01.12.2019

Predigt zu Römer 13:8-12, verfasst von Thomas-Michael Robscheit

Hinweis: Im Gottesdienst werden die neuen GKR eingeführt.


8 Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern
liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
9 Denn was da gesagt ist (2.Mose 20,13-17): »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du
sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem
Wort zusammengefasst (3.Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«
10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn
unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.
12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der
Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.
Friede sei mit Euch von Gott unserem Vater, Christus unserem Bruder und dem Heiligen Geiste.
Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!
Mit dem Erkennen der Zeit ist es meistens so eine Sache und wesentlich schwieriger, als man gemeinhin vermutet. Wieviele Politker wären in bester Erinnerung geblieben, wenn sie im richtigen Moment zurückgetreten wären! Oder denken sie an Sportler: es fällt schwer, den Höhepunkt zu erkennen und dann auch noch die Kraft für die richtigen Konsequenzen zu haben. Wie oft bequemen wir uns mit dem berühmten „Augen zu und durch!,, ; meinen damit: immer weiter so wie bisher und sind nicht bereit endlich die Augen zu öffnen und längst Offensichtliches zu akzeptieren und unser Verhalten darauf einzustellen. Das betrifft keineswegs nur die derzeit oft bemühte Klimaveränderung und die nicht damit einhergehende Veränderung unseres Lebensstils. Das betrifft uns oft auch im banalen Alltag: Die Arbeit macht keinen Spaß, ich quäle mich jeden Tag nur dorthin, aber nur wenige haben den Mut zu kündigen oder wenigstens ein ernsthaftes Gespräch mit dem Vorgesetzten zu führen. Wie viele leben in einer Beziehung, die dieses Wort schon gar nicht mehr verdient; aber es fehlt die Ehrlichkeit sich selbst und seinem Partner gegenüber, dies auch einzugestehen. Dabei ist das die Voraussetzung dafür, dass sich etwas ändert, egal in welche Richtung!
Oder denken Sie an unsere Kirchengemeinde. Wie viel sich in den letzten zwanzig Jahren verändert hat: aus zwei Pfarrstellen wurde eine, die acht Gemeinden haben sich zu einer zusammengeschlossen und schließlich ging die Pfarrstelle in einer größeren auf und entspricht nur noch einer halben Stelle. Obwohl das alles absehbar war, haben sich viele innerlich dagegen gesträubt, haben die Augen vor der Realität verschlossen und den vermeintlich guten alten Zeiten nachgetrauert. Auch der Gemeindekirchenrat hat sich nicht jubelnd über Kürzungen gefreut, hat aber auf die Zeichen der Zeit geachtet, hat nicht nur reagiert, sondern auch agiert und damit auch Einfluß auf die Entscheidungen genommen, teilweise lange bevor die überhaupt zur Abstimmung standen. So konnten Ideen gesät werden, die sonst vielleicht untergegangen wären.
Jetzt, rückblickend, kann man feststellen, dass dies alles funktioniert, insbesondere der beargwöhnte Zusammenschluß hat keine negativen Auswirkungen gehabt. Wer die Zeit erkennt, kann gestaltend auf die Zukunft wirken, oder sich zumindest leichter an Veränderungen anpassen.
Paulus weist in seinem Brief die Christen in Rom auf eine Zeitenwende hin. Er fordert sie auf, ihre ethischen Maßstäbe zu überdenken, nein, mehr noch zu ändern: seid menschenfreundlich, liebt und achtet einander! Das klingt gut. Was für ein wundervoller Ort unsere Erde wird, wenn sich alle daran halten! Es wird einem gleich ein bißchen weihnachtlich-heimelig ums Herz! Wie schön.
Leider halten sich die Menschen noch nicht so richtig an Paulus Aufforderung! Noch ist Advent, wir ersehnen das Licht, aber noch hat es die Dunkelheit nicht durchdrungen. Schade, es wäre so schön!
Seht auf die Zeichen der Zeit: Die Veränderungen, die Paulus beobachtet, hängen natürlich mit Christus zusammen. Ganz gewiss erwartete Paulus wie fast alle Christen der ersten und zweiten Generation die baldige Wiederkehr Christi, den Jüngsten Tag und das Leben in einer neuen Welt. Darauf gilt es sich einzustellen, sein Leben nicht nur ethisch und moralisch einwandfrei zu führen, sondern darüber hinaus menschenfreundlich zu sein. Liebt einander! In den Evangelien finden sich ganz ähnliche Vorstellungen und Forderungen; dort aus dem Munde Jesu.
Das Ende der Zeit, das ist offensichtlich nicht so gekommen. Sind dann auch die Forderungen des Paulus gegenstandslos? Laufen seine Überlegungen ins Leere?
Wenn man sich die Protokolle der vergangenen GKR-Sitzungen anschaut, wird man auch dort manche Vorstellung finden, die sich später so nicht eingestellt hat. Sorgen darüber vielleicht, wie es weitergehen wird. Was wird aus der Arbeit mit Kindern, wenn der Pfarrer das nicht mehr machen kann? Wie soll das mit dem Chor weitergehen, wenn unser Chorleiter mal eine richtige Anstellung hat und damit keine Zeit mehr für einen kleinen Dorfchor? Diese und weitere Fragen und Sorgen waren alle mehr als berechtigt! Man hat nichts weiter getan, als ernsthaft auf mögliche Zukunftsszenarien zu schauen. Eine Krise zeichnet sich ab - wie können wir damit
umgehen? Eine Krise ist nicht das Ende, sondern auch eine Chance. In unseren beiden Beispielen ist der GKR verschiedene Wege gegangen. Für eine anspruchsvolle Arbeit mit Kindern fehlten damals nicht nur die personellen Ressourcen, sondern vor allem auch die Kinder. Selbst der Kindergarten stand einige Zeit vor dem Aus. Zwar traurig, aber auch mit Gottvertrauen haben wir dieses Feld der Gemeindearbeit in Kapellendorf aufgegeben. Und, das wissen Sie, einige Jahre später keimte ein neues Pflänzchen, zaghaft, aber nun ist daraus ein respektabler Kinderchor geworden. Gott hat Wege und Möglichkeiten gezeigt und sie sind ergriffen worden. Ganz andere Wege, als man vor 20 Jahren gedacht hätte!
Und bei dem großen Chor? Es wäre schade gewesen, ihn aufzulösen, also haben sich die Mitglieder selber um einen anderen Chorleiter gemüht und auch dieser Chor ist stabil.
Die Zeichen der Zeit zu erkennen, liebe Gemeinde, heißt nicht, sich auf eine feststehende, unveränderbare Zukunft vorzubereiten! Die Zeichen der Zeit zu erkennen, bedeutet, die Zukunft zu beeinflussen. Das ist auch die Aufgabe eines GKR, es betrifft letztlich uns alle in unserem ganz persönlichen Leben und Glauben.
Ja, aber was ist nun mit Paulus, mit den Evangelisten, mit Jesus? Die ersten Christen haben sich auf das Ende der Zeit eingestellt, ihr Leben danach versucht auszurichten und dieses Ende kam gar nicht!
Stimmt, bisher nicht; aber eine Zukunft kam dennoch. Diese Zukunft ist bis heute durch diese Menschen und ihre Hoffnung geprägt. Ihre Ideale sind zu unseren Idealen geworden. Oft genug scheitert die Menschheit an dem hohen Anspruch, dass ein Mensch dem anderen ein Freund sein soll; oft genug wird die Würde des Menschen mißachtet; aber uns ist bewußt, dass das ein Mangel ist, ein Scheitern.
Das Reich Gottes ist nicht so gekommen, wie man das vor 2000 Jahren erwartet, erhofft und erträumt hatte. Aber es ist bereits angebrochen, ein zartes Pflänzchen, das heute unserer Pflege bedarf! Es ist immer wieder an der Zeit, vom Schlaf aufzustehen und zu wachen, denn auch unsere Zukunft ist offen. Darum, weil die Zeit gekommen ist: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst! 

Und der Friede Gottes, der größer ist als alle menschliche Vorstellungskraft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

 



Pfr. Thomas-Michael Robscheit
Kapellendorf, Thüringen, Deutschland
E-Mail: thm@robscheit.de

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