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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 01.12.2019

Predigt zu Lukas 4:16-30 (dänische Perikopenordnung) , verfasst von Kræn Christensen

Das Kommen Gottes – und unsere Erwartungen

Traditionell beginnen wir das neue Kirchenjahr mit dem Lied „Sei willkommen, Jahr des Herrn!“1. Und es ist gut, dass sowohl das Kirchenjahr als auch der liebe Gott wiederkommen. Das ist so, wie wenn wir unsere Kinder empfangen, damals, als sie in die Welt kamen oder als sie von einer Weltreise zurückkehrten oder von einer feuchten Nacht in der Innenstadt. Das war ein Tag bzw. eine Nacht der Freude! Das Leben hat gesiegt – die Freude kehrte zurück.

Das Jahr willkommen heißen bedeutet das empfangen, was es bringt, und zugleich die Hoffnung bewahren. Man kann vielleicht sagen, dass wir hierzulande im Verhältnis zu vielen anderen Ländern privilegiert sind und eben deshalb umso mehr zu danken haben, aber das kann zuweilen so wirken, je mehr wir haben, desto mehr Sorgen machen wir uns. Die Erwartungen an das Leben werden nicht weniger, je mehr man hat. Also, um Gottes willen, wir leiden weder unter Krieg noch Pest, auch nicht unter Missernten. Wir haben warme Heizungen, warmes Wasser und reichlich zu essen. Wir trinken Rotwein, essen Sushi und unternehmen noch immer trotz Klimakrise Flugreisen in warme Länder, wenn der Herbst uns frieren lässt. Werden wir krank, kommen wir ins Krankenhaus und werden wieder gesund gepflegt. Wir leben im Wohlstand und mit der Erwartung, dass alles besser wird. Wir haben ein Vaterland und Institutionen, die unseren Kindern beistehen, wenn sie aus dem Haus sind. Wir baden in Kunst, Kultur und Unterhaltung. So wissen wir, wenn wir hart und lange genug gearbeitet haben, dann ist alles für uns und unsere Lieben gesichert, und ich kann mich in Ruhe zurücklehnen in meinem Antistress-Sessel, der eben das bewirkt, was er heißt. Ich kann dann den Fernseher anschalten und mich von Eindrücken von nah und fern bombardieren lassen mit Eindrücken von Klimakrise, Kriegen, Revolutionen, Überschwemmungen in Venedig, während ich zugleich meine Steuererklärung für das nächste Jahr 2020 vorbereite. Keine Angst, Vater Staat sorgt für mich – ich bin ja Teil der Gesellschaft! 

Ich glaube im Grunde, dass wir in vielem denen gleichen, mit denen Jesus an diesem Tage zusammen ist. Die Leute, die ihn so freundlich empfingen, aber dann bereit waren, ihm den Rücken zuzukehren oder ihn in den Abgrund zu stürzen, weil er etwas anderes wollten als das, was sie wollten. Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich. Wenn du nicht dasselbe meinst wie ich, kann es auch egal sein. Wenn du nicht meinen Erwartungen entsprichst, lehne ich dich ab! Ich zappe nur weiter zum nächsten Programm über Immobilienpreise und lehne mich zurück. So bin ich!

Advent ist Erwartung. Und einige fügen hinzu: Die Freude der Erwartung ist die größte Freude. Das ist unangenehm, denn wenn man so spricht, dann stellt man sich darauf ein, egal was kommt, es kann sich nicht mit dem messen, was wir erwarten. Da nimmt man dem, was kommen wird, seinen Glanz. Damit zerstört man natürlich auch die Erwartung, die ihren Glanz aus dem Licht des erwarteten Ereignisses enthält. Wenn wir davon ausgehen, dass die Freude der Erwartung die größte Freude ist, nehmen wir

sowohl dieser Erwartung als auch dem, was kommt, seinen Glanz. Da ist dann überhaupt keine Freude mehr. Das Licht braucht eine Quelle, die größer ist als sein Schein.

  Wir dürfen deshalb, ganz gleich, was uns widerfährt, die Freude, die Hoffnung und die Erwartung nicht aufgeben. Wenn die Freude verschwindet oder die Hoffnung stirbt, dann hat man auch auf den Knopf gedrückt, der das Leben auslöscht – den Delete-Knopf. Das Bild verschwindet – die Erwartung wir zunichte gemacht. Und wenn man sich nichts mehr vom Leben erwartet, legt man sich hin zum Sterben. Es ist wichtig, dass man sich in Gang hält – es ist wichtig, die Erwartungen am Leben zu erhalten und nicht nur zu glauben, dass andere Menschen alles für uns am Leben erhalten, indem sie dasselbe meinen wie wir selbst. Eines sind die Menschen – etwas ganz anderes ist Gott. Mit ihm kehren die Erwartungen zurück – wieder und wieder. Gewiss nicht so, wie wir es erwarten, sondern so wie Gott es will! Und das kann für uns schwer zu ertragen sein. 

Eben dies war es wohl, was damals geschah, als Jesus in die Synagoge von Nazareth ging und die Prophezeiung von Jesaja vorlas – eine Prophezeiung, die die Leute freudig annahmen. Alles sollte neu werden. Die Gefangenen sollten befreit werden, die Blinden wieder sehen können. Die Wüste sollte wie ein Rosengarten blühen. Die Leute waren ganz begeistert – und als der das Buch zumachte mit den Worten „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Augen“, da wollte der Jubel kein Ende nehmen. Er brachte ihnen Hoffnung, und sie erwarteten sich kurz gesagt alles!

  Bis ihnen also aufging, dass die Prophezeiung nicht ihnen galt, sondern den Fremden, einer Witwe in Sarepta, dem Syrer Naaman. Da war es aus mit der Hoffnung – die Erwartungen verschwanden, und alles wurde grau wie ein Novembertag in Dänemark, wenn es am allerschlimmsten ist. Und wenn die Hoffnung enttäuscht wird, setzt die Logik der Enttäuschung ein. Die Logik der Enttäuschung ist die Wende, die eintritt, wenn jemand, zu dem wir aufgesehen haben, den wir bewundert und geliebt haben, nicht so will wie wir, nicht unserem Muster folgen will. Dann wenden sich unsere Gefühle in das Gegenteil. Wenn der umjubelte Volksführer und nicht dorthin führt, wo wir wollen, wenn er sich nicht so aufführt, wie wir es für richtig halten, dann erkennen wir ihn nicht mehr an, dann wird er gelyncht, in die Ecke getrieben und abgewatscht. Das kennen wir nur allzu gut. Wenn z.B. jemand, den wir lieben, von uns geht, und wir ihm kein freies und glückliches Leben gönnen. Er muss für seine fehlende Liebe abgestraft werden, und niemand anderes darf ihn bekommen. Zum Abschied geben wir einander die Schuld. Und Schuldgefühle, das sind die niederträchtigsten Waffen, die es gibt.

Auch Jesus bekam die Schuld. Ihre Erwartungen wurden nicht erfüllt, und deshalb musste er heruntergemacht werden. Gerade da fällt der Hammer, und der Hass auf die Güte Gottes schlägt zu. Und nun zitiere ich wörtlich, damit niemand glaubt, dass ich da etwas erfinde: „Und alle, die in der Synagoge waren, wurden von Zorn erfüllt, das sie das hörten. Und sie standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt gebaut war, um ihn hinabzustürzen“. So geht es gewöhnlich dem, der sich zu weit vorwagt. Du sollst dir nichts einbilden … es sei denn, du kannst unsere Erwartungen erfüllen, unsere Hoffnung unsere Träume. Sobald wir einsehen, dass es sich mit Gott anders verhält, als es uns lieb ist, kommt die Reaktion prompt. Die Reaktion will töten – wie auch immer. Es braucht kein Holzkreuz zu sein, an das er geschlagen wird. Das Kreuz des Denkens ist genauso effektiv, Gleichgültigkeit und Vergessen haben dieselbe Wirkung wie die Hinrichtung in Jerusalem.

  Und dann geschieht das Merkwürdige und Rätselhafte. Lukas beschreibt es so: „Aber er ging mitten durch sie hinweg“. Er ging – ließ sie zurück in ihrem Zorn. Er ging, er musste gehen, denn er sollte wiederkommen! Er starb, um das Grab zu leeren – um uns mit sich zu vereinen, die Lebenden und die

Toten. Nun ist er wieder hier! Nun begegnet er uns wieder. Sollen wir aus der Haut fahren und all unsere Wut gegen ihn richten? Sollen ihn wir mit all unserer Macht und unseren Erwartungen an ihn hinabstürzen, oder sollen wir auf ihn hören, niederknien und unser Leben in seine Hände legen? Ja, ich weiß es nicht, aber in Anbetracht meines Lebens kann ich nur seine Einladung annehmen und mich mit ihm an einen Tisch setzen.

Auf sein Wort und seinen Befehl können wir einem neuen Kirchenjahr entgegengehen mit dem Glauben daran, dass wir teilhaben an seiner Geschichte, die mehr ist und größer als alle unsere Erwartungen. Amen.



Propst Kræn Christensen
6710 Esbjerg V
E-Mail: pkch(at)km.dk

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