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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 08.12.2019

Kopf hoch!
Predigt zu Lukas 21:25-33, verfasst von Christoph Kock

I. Kopf hoch

Wie gebannt starrt die Frau auf ihr Smartphone. Es fordert ihre ganze Aufmerksamkeit. Ihre beiden Daumen fliegen über die Oberfläche. Während sie textet, läuft sie mit schnellen Schritten den Gehweg entlang. Sie hat es eilig. Ein Junge kommt ihr auf einem Roller entgegen. Er kann der Frau gerade noch ausweichen. Aber dabei kommt er ins Trudeln, muss abspringen. Der Roller fällt hin. Die Frau ist längst weiter, hat davon gar nichts mitbekommen. Als der Junge seinen Roller aufhebt, hört er ein lautes Kreischen. Er dreht sich um und sieht die Smartphone-Frau an der nächsten Straßenkreuzung. Sie steht auf der Straße. Blickt umher, als sei sie gerade aufgewacht. Vor ihr ein Wagen. Das war knapp! Langsam geht die Frau zurück auf den Gehweg. Der Fahrer lässt die Scheibe herunter. „Kopf hoch, wenn du über die Straße läufst, du …“ Dieses Schimpfwort kannte der Junge noch nicht; er wird es sich merken.

 

Es ist zum Heulen. Wie hat sich Maike für diese Prüfung so angestrengt. Alles wiederholt. YouTube nach Erklärvideos durchforstet. Anna, ihre beste Freundin, ist in den letzten Wochen echt sauer gewesen: „Nie hast du Zeit. Immer nur lernen. Du brauchst mal ne Abwechslung.“ Jetzt sitzt Maike in der Klasse und lässt den Kopf hängen. Vor ihr liegt der ausgeschlagene Schnellhefter. Auf dem letzten Blatt steht rot auf weiß: „ausreichend“, danach eine Klammer mit einem Minus. So ein Mist! Dafür die ganze Arbeit! Das hat sich Maike anders vorgestellt. Sie spürt, wie ein paar Tränen über ihre Wange laufen und wischt sich schnell übers Gesicht. Hoffentlich hat das keiner gemerkt. Maike starrt vor sich hin. So kommt sie garantiert nicht auf den Notenschnitt, den sie für ihren Abschluss braucht. Sie hat gar nicht gemerkt, dass die anderen schon weg sind. Da steht Frau Meisner neben ihr und legt ihr die Hand auf die Schulter: „Kopf hoch, Maike, du darfst jetzt nicht aufgeben. Du hast schon viel geschafft.“ Erstaunt blickt Maike auf und sieht ihre Lehrerin an.

 

Gottesdienst in St. Lukas. Die Kapelle in der Senioreneinrichtung füllt sich. Ein Adventskranz steht vor dem Altar. Die LED-Leuchte auf einer der Plastik-Kerzen ist an. Wachskerzen sind auf dem Tannengrün verboten. Brandschutz. In der ersten Reihe sitzt ein Mann im Rollstuhl. Er ist eingeschlafen, sein Kopf auf die Brust gesunken. Müde nach einem langen Leben. In der Stille kann ich ihn atmen hören. Der Organist beginnt mit dem Vorspiel zum nächsten Lied. Eine bekannte Melodie. Die Gemeinde stimmt ein und singt kräftig mit. „Macht hoch die Tür“. Ich sehe, wie der Mann im Rollstuhl seinen Kopf hebt. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht als ob er genau weiß, wo er jetzt ist. In einem Lied, das er kennt. Dann höre ich seine Stimme: „der Heil und Segen mit sich bringt“. Wir sehen uns an und singen von einem sanftmütigen König, der kommt. Es ist Advent. Kopf hoch.

 

II. Sich erinnern

Als Jesus stirbt, ist das für seine Freunde eine Katastrophe. Hohe Erwartungen haben sie auf ihn gesetzt. Hoffnung für ihr Land und noch weit darüber hinaus. Gott und Menschen Hand in Hand. Himmel auf Erden. Kranke geheilt. Betrüger umgekehrt. Brot geteilt. Besitz ohne Gewicht. Was zählt ist die Verbindung, für die Jesus immer wieder gesorgt hat. Alles wird gut. Von wegen. Jesus stirbt am Kreuz wie ein Verbrecher. Endstation. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Dann ist alles tot. Seine Leute lassen den Kopf hängen. Die Zukunft verdunkelt sich. Mit den großen und kleinen Katastrophen geht es weiter wie gehabt. Aus der Traum von einer anderen Welt. Doch dann erzählen welche, dass Jesus lebt. Nicht einfach so weiterlebt, als wäre nichts geschehen. Sondern ganz anders. Als ob es den Tod nicht gäbe. Völlig verrückt, was Christinnen und Christen glauben. Und doch gerät ihre Katastrophenstimmung gehörig durcheinander. Weil sie hoffen, dass dieses Leben ohne Tod Kreise zieht und Jesus wiederkommt. Endlich alles gut wird. Sie erinnern sich. Hat Jesus es nicht selbst angekündigt?

Hören wir auf einen Rückblick, wie ihn das Lukasevangelium überliefert:

 

 

Jesus sagt:

»Zeichen werden zu sehen sein

an der Sonne, dem Mond und den Sternen.

Auf der Erde werden die Heiden zittern

und nicht mehr aus noch ein wissen

vor dem tosenden Meer und seinen Wellen.

Die Menschen vergehen vor Angst,

während sie auf das warten,

was über die ganze Welt hereinbrechen wird.

Denn sogar die Ordnung des Himmels

wird erschüttert werden.

Dann werden alle es sehen:

Der Menschensohn kommt auf den Wolken

mit großer Macht und Herrlichkeit.

Aber ihr sollt euch aufrichten

und euren Kopf heben,

wenn das alles beginnt.

Denn eure Rettung kommt bald!«

 

Dann erzählte Jesus den Leuten ein Gleichnis:

»Schaut euch doch den Feigenbaum an

oder alle die anderen Bäume.

Wenn ihr seht,

dass sie Blätter bekommen,

dann wisst ihr:

Der Sommer ist bald da.

So ist es auch mit euch:

Wenn ihr seht,

dass das alles geschieht,

dann wisst ihr:

Das Reich Gottes ist nahe.

Amen, das sage ich euch:

Diese Generation wird nicht sterben,

bevor dies alles geschieht.

Himmel und Erde werden vergehen,

aber meine Worte vergehen nicht.«

 

 

III. Weltuntergang

So spricht Jesus von sich selbst. Er wird wiederkommen. Katastrophen selbst mit kosmischem Ausmaß sind nur vorläufig. Geraten zum Zeichen für den, der kommt. Spürbar und sichtbar für alle. Aber nicht alle wissen, was sie bedeuten:

Es lohnt sich, auf den Weltuntergang zu warten. Je schlimmer es wird, desto näher ist die Rettung. „Wenn ihr seht, dass das alles geschieht, dann wisst ihr: Das Reich Gottes ist nahe.“

Darauf hoffen. Es herbeisehnen. Den ersten Christinnen und Christen blieb kaum etwas anderes übrig. Viele wurden wegen ihres Glaubens verfolgt. Sie warteten auf Jesus. Beteten darum, dass er bald kommt. Alles ein Ende hat. So schnell wie möglich.

Das ist nicht geschehen. Weder das eine noch das andere. Gott gibt der Welt viel mehr Zeit, als sie für möglich gehalten haben.

 

Mir ist das alles fremd. Ich will nicht auf den Weltuntergang warten. Weil ich gerne lebe. Weil ich daran glaube, dass Gott das Leben liebt und uns Menschen aufgetragen hat, die Erde zu bewahren.

Und doch umgeben mich bedrohliche Bilder. Etwa die Auswirkungen des Klimawandels: Der Sommer war wieder zu heiß. Die Talsperren sind jetzt immer noch nicht gefüllt. Australien brennt und Venedig ist überflutet. Dürre hier und Hochwasser da. Menschgemachte Zeichen. Oder hat Gott da doch seine Finger im Spiel?

„Die Menschen vergehen vor Angst,

während sie auf das warten,

was über die ganze Welt hereinbrechen wird.“

Für manche erschreckend hautnah. Ein Kommentar zu den Nachrichten? Für andere sind solche Zeichen Schnee von gestern. Wieder andere leugnen selbst den Klimawandel. Doch irgendwo dazwischen lauert sie schon, die Angst vor der Zukunft. Wie viele werden fliehen, wenn das Meer ihr Land holt? Das kann doch nur Mord und Totschlag geben. Am Ende sind die alten apokalyptischen Bilder aus der Bibel aktueller und realistischer, als ich es mir eingestehe.

 

 

  1. Genau hinsehen

Dein Blick klebt an katastrophalen Zeichen wie sonst nur am Smartphone. Sie saugen Aufmerksamkeit aus dir heraus. Sie machen dir Angst, sobald du sie im Kopf hast. Sie haben Macht über deine Seele.

Die Kraft schwindet und das Leben lastet auf deinen Schultern. Immer weniger ist möglich. Es tut dir weh, diese enger werden Grenzen zu spüren. Immer wieder und immer mehr Abschied zu erleben. Eine stille Katastrophe. Keiner nimmt sie wahr. Nur du, weil sie dich betrifft.

Die Enttäuschung wiegt schwer und drückt dich nieder. Du bist fixiert auf das, was in deinen Augen nur Versagen sein kann. Ohnmächtig dem ausgesetzt, was du nicht geschafft hast.

„Aber ihr sollt euch aufrichten

und euren Kopf heben,

wenn das alles beginnt.

Denn eure Rettung kommt bald!“

„Kopf hoch!“, sagt Jesus. Klar, um sicher über die Straße zu kommen. Das leuchtet ein. Aber sonst? „Kopf hoch, denn eure Rettung bald kommt“, sagt er. Entscheidend ist, was du siehst, wenn du seinen Rat beherzigst. Wenn du weitersiehst, über persönliche und globale Katastrophen hinaus.

Worauf fällt dein Blick, wenn du dich aufrichtest und den Kopf hebst?

Wonach lohnt es sich, Ausschau halten?

Nach den angekündigten Zeichen, weil mit ihnen auch die Rettung naht?

Nach Jesus, der wie Superman vom Himmel kommt und seine Macht vor aller Augen unter Beweis stellt?

Jesus selbst gibt noch einen anderen Hinweis, indem er sagt:

Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.“

 

„Schaut nach meinen Worten. Weil sie bleiben.“

Aber Worte wollen doch gehört werden. Wie kann man sie sehen?

Vielleicht dann, wenn Jesu Worte wirken.

Weil Menschen tun, was Jesus am Herzen liegt.

Wenn sie in einem Fremden in Not ihren Mitmenschen entdecken

und ihn achten wie sich selbst. So wie Gott es geboten hat.

Wenn sie jemandem eine zweite Chance geben,

auch wenn sie ihn nicht leiden können.

Denn Gott freut sich über jeden, der umkehrt.

Wenn sie das andere lehren

und sie in Gottes Namen taufen.

Nächstenliebe üben, Vergebung ertragen, Taufe feiern.

Wo das geschieht, wirken Jesu Worte.

Da gibt es etwas zu sehen.

Da gibt es etwas zu erleben.

Und Jesus ist da.

Gerade in und trotz der Krisen und Katastrophen.

Kopf hoch!

Was Jesus gesagt hat, das gilt.

Egal, was passiert.

Was Jesus gesagt hat, das bleibt.

Auf jeden Fall.

Jesus hat es versprochen:

„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Amen.

 

 

Liedvorschläge: EG.E 8 (Es kommt die Zeit); WL 19 (Durch das Dunkel hindurch)

 

Sündenbekenntnis:

Barmherziger Gott,

unbegreiflich wie du bist

kommst du in die Nähe.

Groß wie du bist

verbirgst du dich im Kleinen.

Dein Bild der Liebe,

in jedem Menschen.

Immer wieder fängst du an.

Kommst in die Welt.

 

Vor Augen bist du,

doch wir sehen nicht hin.

Sondern weg.

Darin sind wir gut.

So schwindet uns der Mut,

die Kraft,

die Zärtlichkeit.

Hilf uns, Gott.

Erbarme dich.

 

Gnadenzusage:

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht! (Lk 21,28)



Pfr. Dr. Christoph Kock
Wesel, Deutschland
E-Mail: christoph.kock@ekir.de

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