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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 08.12.2019

Ankomme Freitag, den 13.
Predigt zu Lukas 21:25-28, verfasst von Manfred Gerke

Liebe Gemeinde, „Ankomme Freitag, den 13., um 14 Uhr, Christine!“ Vielleicht hat es mancher unter uns noch im Ohr, das Katastrophenlied von Reinhard Mey. Zuerst das Telegramm, er freut sich, will alles schön für die bevorstehende Ankunft seiner Freundin vorbereiten – und dann nimmt das Unglück seinen Lauf.

Der Kühlschrank ist leer. Er will einkaufen, bleibt im Fahrstuhl stecken. Endlich befreit, hastet er durchs Geschäft. Dann zerreißt seine Tüte, und sein Dackel beißt den Polizisten. Er muss mit aufs Revier.

Um die Zeit müsste die Ente schon seit zehn Minuten braten,
Und vielleicht wär‘ mir der Kuchen ausnahmsweise geraten.
Und ich sitz‘ auf der Wache, und das ausgerechnet heut‘.
Dabei hab‘ ich mich so unverschämt auf das Wiedersehen gefreut!
Vielleicht ist sie schon da, und es öffnet ihr keiner?
Jetzt ist‘s 20 nach vier, jetzt ist alles im Eimer!
Da fällt mein Blick auf den Kalender, und da trifft mich der Schlag:
Heute ist erst der 12. und Donnerstag!

Ja, Ankünfte gibt’s, da geht alles schief. Manche Ankünfte versetzen einen in Panik – die Ankunft eines Unwetters oder eventuell die der Schwiegermutter. Andere Ankünfte sind beglückend: der Freund, die Freundin. Manche Ankünfte sind legendär: Neil Armstrong auf dem Mond. Manche Ankünfte stürzen in Mutlosigkeit: wenn die gefürchtete Diagnose mitgeteilt wird oder die Kündigung.

Was aber geschieht, wenn Christus wiederkommt? Genau darum geht es in unserem heutigen Predigttext. Ich lese Lukas 21,25-28: Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Vielleicht denkt mancher: Muss das sein – heute am 2. Advent Katastrophenstimmung verbreiten? Gibt es nichts Netteres zu sagen? Langsam. Advent heißt nun mal Ankunft. Und gerade am 2. Advent geht es um die Ankunft des wiederkommenden Herrn. Und damit auch um die Begleitmusik.

Kinder sind da viel unbefangener. Da kommt die 12jährige Tochter aus der Schule und überfällt ihre Mutter mit einem Redeschwall: „Rate mal, was wir heute in der Schule gemacht haben! Wir haben gewettet, was zuerst kommt und uns kaputt macht: das Waldsterben, der Klimawandel, ein Atomkrieg oder...“ „Aber hör mal“, unterbricht die Mutter, „so könnt ihr doch nicht wetten! Das ist kein Spiel, sondern bitterer Ernst.“

Aber haben die Kinder nicht recht? Müssen wir uns nicht fragen: Was kommt von all diesen schrecklichen Dingen zuerst? Die Bedrohungen sind doch da. Und unsere Ängste auch. Und wurden bereits in vielen Katastrophenfilmen wirksam in Szene gesetzt. Der Countdown läuft.

Das sagen auch die Wissenschaftler. 10.000 bis 15.000 Objekte schwirren durch das Weltall, könnten mit der Erde kollidieren, gigantische Feuerstürme und Tsunamis auslösen. – Möglich ist auch, dass sich die Sonne in der Endphase ihres Verglühens ausdehnt und die Erde zum Lavaplaneten macht. – Zu einem schnellen Ende könnten auch Gen- und Virenmutationen führen.

Allerdings sagen Wissenschaftler auch, dass bei optimalem menschlichen Verhalten diese Erde auch noch 80 Millionen Jahre bestehen könnte. – Trotzdem, die Geschichte unserer Welt ist endlich. Und die Geschichte unseres Lebens auch.

Auch da gilt: Der Countdown läuft. Ist es bei Ihnen auch so: Wenn Bekannte sterben, dann schaut man auf das Alter. „Oh, schon wieder jemand, der nicht wesentlich älter ist als ich. Und hier, da ist jemand, der war jünger als ich.“ Man sagt dann etwas flapsig: Die Einschläge kommen näher.

Was würden Sie tun, wenn Sie noch einen Tag zu leben hätten? In einer Zeitschrift las ich interessante Antworten. Ein Schauspieler meint: Spontan würde ich mich beim lieben Gott bedanken für all das, was mir das Leben geschenkt hat! – Eine junge Frau möchte dem zuvorkommen und sagt: Ich würde mich selbst umbringen.

Ein Arzt sagte: Diese Frage setzt ein Todesurteil voraus. Zuerst würde ich mir einen schriftlichen Zeitplan machen. Nach der Kontrolle meines Testaments würde ich unter anderem folgendes tun: Abschiedsbrief an alle meine Freunde, großes Festmahl mit meiner Frau in einem exklusiven Restaurant, nach einer Flasche Champagner mit meiner Frau engumschlungen ins Bett legen.

Ein junger Mann: Ich würd mir einen Revolver besorgen, mein Konto plündern, ordentlich einen draufmachen und mir dann in Marburg auf dem Schloss ‘ne Kugel geben... – Ein pflichtbewusster Mann meinte: Weiterarbeiten, damit es unseren Frauen gutgeht…

Und was würden Sie antworten? Sind Sie ruhig und gelassen? Oder herrscht Panik und Furcht. Die Vorstellung des Endes hat etwas Bedrohliches. – Aber die Vorstellung, dass Jesus wiederkommt, ist anders.

Deshalb spricht Jesus auch nur kurz von den Zeichen an Sonne, Mond und Sternen, von der Angst unter den Völkern, ihrer Hilflosigkeit, davon, dass Kräfte des Himmels ins Wanken geraten – wie ein kleines Boot, das in den Wellen hin- und hergeworfen wird.

Und dann heißt es: „Sie werden den Menschensohn kommen sehen in der Wolke mit großer Macht und Herrlichkeit.“ Der Menschensohn, geboren in Bethlehem, gestorben am Kreuz vor Jerusalem, gelebt und gekämpft für uns Menschen, seine Liebe ausgeströmt und verschenkt. Dieser – und kein anderer – wird kommen und das letzte Wort behalten.

Denn er kommt mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke, uraltes Zeichen der Gegenwart Gottes. Auf dem langen Weg durch die Wüste zog sie dem Volk voran. Und der Auferstandene entschwindet den Augen der Jünger in einer Wolke.

Und wenn er kommt, dann können wir uns aufrichten. Wie jene Frau, die Jesus heilte. Achtzehn Jahre war sie krank, gekrümmt, verbogen. Sie kann geradestehen, aufschauen. Ein großartiges Bild: Normalerweise stand man in der Antike nicht vor einem König. Man fiel vor ihm nieder auf die Knie und senkte den Kopf. Wenn der Herrscher dem Menschen Gunst erwies, durfte er aufstehen und den König ansehen.

Wenn er kommt, dann können wir uns erheben und ihm ohne Furcht ins Angesicht schauen. Es kommt kein Fremder, sondern er, der Menschensohn. „An einem Vormittag,“ so erzählte jemand, „im April 1945 standen meine Eltern zusammen mit Jules, dem französischen Kriegsgefangenen, am Zimmerfenster, um nach dem Wetter zu sehen und die Arbeit auf dem Hof einzuteilen. Doch was hörten sie da? Ein heraufziehendes Frühlingsgewitter?

Nein, nun vernahm man es ganz deutlich: Es war der Geschützdonner des herannahenden Krieges. Die französischen Truppen hatten den Schwarzwald überschritten und näherten sich nun unserer Gegend.

Wie verschieden war doch das Empfinden der drei Menschen, die hier beieinanderstanden. Meine Eltern erschraken sehr: ‚Nun kommt der Krieg auch zu uns. Was wird aus uns werden?‘ Jules dagegen wurde ganz aufgeregt vor Freude, auch wenn er sie mit Rücksicht auf meine Eltern nicht zeigen wollte. Er wusste: ‚Nun kommen meine Landsleute. Nun werde ich frei. Nun darf ich heim.‘“

So werde ich mich freuen, wenn Christus wiederkommt. Deshalb ist der zweite Advent wichtig, die Gewissheit, ja, die Freude, dass der Gekommene wiederkommt. Mit dieser Gewissheit will ich leben.

Es war vor mehr als hundert Jahren. In einem baltischen Pfarrhaus wird Taufe gefeiert, es geht hoch her. Ein später Gast, der gegen 22 Uhr eintrifft, wird mit lautem Hallo begrüßt. Er muss alles nachholen, was es tagsüber an Essen und Trinken gab. Dann feiert er kräftig mit den anderen weiter und schläft nach Mitternacht auf seinem Stuhl ein. Wo soll man ihn unterbringen? Zimmer, Betten und So­fas sind längst belegt.

Doch der Hausherr weiß Rat. Er hat die Scheune seines Hauses dem Sargmacher als Werkstatt überlassen. Da ist Platz, es stehen nur leere Särge herum. Man packt reichlich Kissen und Decken zusammen und staffiert ihm eine gemütliche Bettstatt aus. Gemeinsam legt man ihn hinein, und er fällt sofort in einen tiefen Schlaf.

Am späten Vormittag erscheint er mit düste­rer Miene am Frühstückstisch, wortlos rührt er in seinem Kaffee. „Hast du nicht gut geschlafen?“, fragt ihn einer besorgt. „Geschlafen habe ich tief und fest“, antwor­tet der Gast verzweifelt, „aber das Aufwachen! Ich richte mich auf und sehe, ich liege in einem Sarg. Links von mir: lauter leere Särge! Rechts von mir ebenfalls nur leere Särge! Um Himmels willen, denke ich, jetzt hast du in deinem Suff auch noch die Auferstehung verschlafen!“

Warum ich das erzähle. Auch wenn dieser Gast zu tief ins Glas geschaut hat – er lebt mit der Gewissheit, dass der Gekommene wiederkommt. Und das will er auf keinen Fall verpassen. – Wer mit dieser Erwartung lebt, dem wird auch eine ganze Menge Angst genommen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts tagte in einem Staat des nordamerikanischen Mittelwestens das Parlament. Es zog ein fürchterliches Unwetter auf, ein Orkan, und verdunkelte den Himmel. Die Parlamentarier woll­ten voll Entsetzen die Sitzung abbrechen.

Darauf sagte der Sprecher des Parlaments: „Meine Herren. Entweder die Welt geht jetzt nicht unter und unser Herr kommt noch nicht, dann ist kein Grund vorhanden, die Sitzung abzubrechen. Oder unser Herr kommt jetzt – dann soll er uns bei der Arbeit finden. Die Sitzung geht weiter!“ Das ist die neue Hoffnungsdimension, die der zweite Advent in unser Leben bringt.

Hoffnung und Freude. Eine Freude, die durch nichts kaputtzumachen ist. Samuel Koch, Sie wissen schon, der bei „Wetten, dass“ verunglückt ist, der erzählt in seinem lesenswerten Buch „Rolle vorwärts“ auch von Leidensgenossen. Und das ist das Erstaunliche: Was sie auch Schlimmes erfuhren – sie haben für sich das Leben und die Freude wiederentdeckt.

Nicole, schreibt er, lief 2001 in Vietnam barfuß durch einen Fluss. Dabei ist sie wohl mit Rudimenten des dort im Krieg eingesetzten Giftes Agent Orange in Kontakt gekommen. Seitdem versteinert sie langsam innerlich. Es ist für mich bewundernswert, wie sie das Leben und die Schönheit der Schöpfung feiert und dankbar ist.

„Nun wird es endlich wieder wärmer und länger hell“, schrieb sie mir auf einer Postkarte. „Der Frühling zeigt mir jedes Mal aufs Neue das Wunder, wie schön Gott die Welt erschaffen hat!“ Sie liegt die meiste Zeit auf der Intensivstation und kann sich kaum noch rühren, trotzdem ist ihre Lebensfreude ansteckend.

Das können auch alle ihre Krankenschwestern bestätigen. Nicole ist sich ganz sicher: „Nicht mehr lang, und wir werden nur noch auf der Sonnenseite des Lebens stehen, denn wir haben uns entschieden, das Geschenk Jesu anzunehmen. Ich freu mich schon so sehr und weiß: Das Beste kommt zum Schluss!“

Liebe Gemeinde, mit Reinhard Meys Katastrophenlied habe ich begonnen: „Ankunft Freitag, den 13., 14 Uhr, Christine“. Er freut sich, seine Christine kommt. Auch wenn so vieles schief läuft – er will sie angemessen empfangen! – Und auch wir müssen nicht voller Angst und Sorge nach vorn schauen, den Gedanken an unser Lebens- oder Weltende verdrängen.

Im Gegenteil, wir können uns freuen! Er kommt! Seht auf und erhebt eure Häupter! Das macht nicht gleichgültig. Nein, wie die Abgeordneten im amerikanischen Mittelwesten damals soll er uns bei der Arbeit treffen: für seine Sache, für diese Erde, für unser Land, für unsere Gemeinde. Voller Freude und Erwartung können wir jeden Tag beginnen und wie Nicole sagen: „Das Beste kommt zum Schluss!“

Einmal für immer ohne Angst,
ohne Krankheit, ohne Traurigkeit – wenn er kommt.
Einmal für immer ohne Missverständnis,
ohne Hass, ohne Misstrauen – wenn er kommt.
Wenn er kommt, wird alles neu.
Dann atmet die Erde Lachen und
Gott zeigt sein wahres Gesicht.
Amen.

 

Liedvorschläge:

EG 1,1-3           Macht hoch die Tür
EG 9,1.5.6        Nun jauchzet all, ihr Frommen
EG 18               Seht, die gute Zeit ist nah
EG 1,5              Komm, o mein Heiland (als Schlussstrophe)

 

Gebet mit EG 18,1

Gott, wir heben die Häupter und schauen aus nach dir –
wir warten auf dich, warten, dass du deine Hand regst
und unsere Seelen heilst,
warten, dass du dich einmischst und deine Welt rettest.
Wir schauen auf, weil wir glauben:
Seht, die gute Zeit ist nah … (EG 18,1)

Gott, wir heben die Häupter und machen den Blick weit –
und wir sehen all die, die zu schwer tragen,
deren Herzen betrübt sind, die schwermütig durch ihre Tage gehen,
die keine Hoffnung haben.
Wir machen den Blick weit, weil wir glauben:
Seht, die gute Zeit ist nah … (EG 18,1)

Gott, wir heben die Häupter und richten uns auf –
und wir denken an die, denen das Rückgrat gebrochen wurde,
die missachtet und geschnitten werden,
die keine Freunde haben.
Gott, wir richten uns auf, weil wir glauben:
Seht, die gute Zeit ist nah … (EG 18,1)

Gott, wir heben die Häupter und öffnen die Augen –
und wir sehen, wie du heilst und wirkst,
wie du leise unter uns bist,
und gerade bei denen, die von dir nichts spüren.
Gott, wir öffnen die Augen, weil wir glauben:
Seht, die gute Zeit ist nah … (EG 18,1)

Gott, wir heben die Häupter und sind voller Zuversicht.
Du kommst – und dann wird alles neu.
Schenk heute schon Frieden und Gerechtigkeit,
und wenn Du willst, gebrauche uns dabei.
Amen.

(nach Th. Weiß, Beglänzt von seinem Lichte, S.31ff)

 

Pastor i.R. Manfred Gerke,
Immanuel-Kant-Straße 5,
26789 Leer

Seit Juni 2017 bin ich Pastor i. R. und wohne in Leer. Von 1977 bis 2017 war ich aktiv in der Ev.-ref. Kirchengemeinde Stapelmoor, zunächst als Vikar, dann als Pfarrer. Verschiedene Schwerpunkte kennzeichneten meinen Dienst: Zunächst war ich im Synodalverband ehrenamtlich Jugendpfarrer, dann zehn Jahre verantwortlich für die Ausbildung und Begleitung von Lektoren und Ältestenpredigern in der Ev.-ref. Kirche und achtzehn Jahre Präses in unserem Synodalverband. Im Auftrag der EKD habe ich in den Jahren 2017 bis 2019 fünfzehn Monate in der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde auf den Balearen mitgearbeitet.

 



Pastor i. R. Manfred Gerke
Leer, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: manfred.gerke@ewe.net

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