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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 15.12.2019

Predigt zu Lukas 1:67-80 (dänische Perikopenordnung) , verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Der dunkle Winter – und das Licht der Hoffnung

 

Nuancen von grau. Mitten am Tage wechselt das in hellgrau, dann wird es wieder dunkler. Der Morgen und der Abend liegen in einem dunklen Velourteppich der Winternacht. So vergehen viele Tage – bis zu einem Morgen, wo das Licht der Sonne endlich hervorbricht. Nicht in dem ganz großen Sonnenaufgang, aber die Welt erhält doch wieder Farbe – und was für schöne rote, goldene und dunkelblaue Nuancen!

Die Farben und das Licht machen den Unterschied für sehende Menschen. Die lange Dämmerung nimmt etwas von uns, es ist als würde die Dunkelheit den Raum um uns verschließen. Für einige mehr fatal als für andere – es kann lebensnotwendig sein, hinauszukommen in das Tageslicht an jedem Tag und es in sich zu saugen. Täglich muss aufgetankt werden mit allem, was aus der Dunkelheit heraus Hoffnung, Sinn, Richtung festhalten kann.

Einige von uns haben die Sehnsucht und die Hoffnung, dass die Richtung auf hellere Zeiten und neue, weite Horizonte weist. Es braucht ein wenig Licht, um sich zu orientieren – manchmal ist Dunkelheit notwendig, um das wenige Licht sehen zu können, das zu sehen ist – das weiß jeder Sternkucker. Die klaren Nächte des Winters laden zu einem Spaziergang ein – sich im Sternenlicht zu baden und daran zu denken, wie enorm viel Licht da draußen ist in der großen Dunkelheit. Nicht nur eine Sonne, sondern Myriaden von Sonnen, nur so weit weg, dass unsere Sinne es kaum fassen können.

Wie man aus dem Dunkel des Winters in das Licht und die Farbe des Sonnenaufgangs kommt. Vielleicht hat Zacharias es so empfunden, als er das lange erwartete Kind sah und in Gesang und Dank ausbrach, nach neunmonatigem Schweigen, der Wartezeit. Stumm aus Zweifel und Unglauben, vielleicht geradezu Verzweiflung. Worauf warte ich? Was kommt? Was aber, wenn nicht passiert? Wenn es sich wieder um eine vergebliche Illusion handelt, etwas, was eben nie eintrifft.

Sich der Sehnsucht und Hoffnung hinzugeben, ohne zu ahnen, wie das ausgeht, dass erfordert Glauben. Eine Zuversicht, dass es einen vorgegebenen Sinn gibt, dass da eine Richtung ist, die vorgegeben ist, ohne dass ich das Ziel kenne. Das Wort eines Engels von einem Namen, der noch nie in der Familie verwandt wurde, reichte, um Sinn im Unbegreiflichen und Unmöglichen zu vermitteln. Das, was nie geschehen war, was nicht mehr eintreffen konnte, war auf dem Wege. 

Es erfordert Phantasie, um zu hoffen, die Fähigkeit, sich das vorzustellen, auf das man hofft. Die Erfüllung. Und es erfordert Erfahrung, um zu hoffen, nämlich ein gewisser Sinn für den Stoff, aus dem die Hoffnung gemacht ist. Die Erfahrung und die Phantasie nehmen einander in die Hand und werden ein Transportmittel. Denn die Hoffnung ist ein Transportmittel, das Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart zusammenbringt. Ich reise in der Phantasie mit meiner Erfahrung der Zeit voraus und stelle mir das vor, was kommen soll. Zacharias und Elisabeth hoffen auf das Kind und die Zukunft, die das Kind mit sich bringt, und sogleich ist die Gegenwart voller Licht und all dem Neuen, was geschehen kann. Die Hoffnung hat die Farbe des Neuen in die Gegenwart hinein transportiert. Sonnenaufgang im Dezember.

Wir halten sonst nicht besonders viel von der Phantasie, die Gegenwart insistiert vor allem auf Wissen, Erkenntnis, Erleuchtung. Wir aber? Erleuchtung und Erkenntnis, das sind Worte, die wir aus dem Brief des Apostel Paulus heute gehört haben (2. Kor. 4,5-10). 

  Kann man überhaupt Glaube, Erkenntnis und Erleuchtung, Herz und Intellekt, im selben Atemzug nennen? 

  Man ist blind, wenn man glaubt, dass man das trennen kann. Kein Erlebnis, keine Wahrnehmung ohne Gefühl, keine Erkenntnis ohne Vorstellungsvermögen und Phantasie, die die Dinge zusammenhalten können für den inneren Blick. Keine Erfahrung und keine Reflexion ohne gefühlsmäßige Erkenntnis und die Fähigkeit, sich in die Dinge hineinzuversetzen.

Hoffnung hat mit den inneren Bildern und der Phantasie zu tun. Es erfordert Phantasie, zu glauben, zu erwarten. Keine Wünsche für morgen, wenn wir kein inneres Bild haben. Von einem Sonnenaufgang, einem Tag mit Sonnenschein, dem Kommen des Lichts, den Möglichkeiten.

Weihnachten geht es vor allem um Hoffnung, Erwartung, die Fähigkeit, Möglichkeiten zu sehen, auch wo es mit der Kunst des Möglichen nicht zu Besten bestellt zu sein scheint. Aber wehe uns, wenn wir in der Hoffnung die Erfahrung ganz ausschließen. Denn dann fallen die Illusionen alle zusammen. Hoffe ich naiv auf das große Familienidyll, wenn alle Erfahrungen etwas anderes sagen, ja dann werde ich sicher auch dieses Mal enttäuscht. Vor allem, wenn ich glaube, dass sich das Idyll ganz von selbst einfindet. Dann gebe ich mir Mühe, bereite mich vor wie ein kleiner Esel, backe, koche, schmücke und was noch? 

Aber all diese Äußerlichkeiten tun es nicht, auch wenn sie noch so perfekt sind und funkelnd. Es bedarf auch innerer Vorbereitungen. Phantasie, Einfühlung, Vorstellungen. Ich muss das Idyll vorbereiten, indem ich es mir rechtzeitig vorstelle, es mit ausmale und mir nicht zuletzt die Voraussetzungen klarmache. Sicher muss ich mich auch selbst ändern, die Vergangenheit auf sich beruhen lassen, mich entwaffnen, meine Drang ablegen, Recht zu bekommen, bestätigt zu werden, Märtyrer zu spielen. Die Idee aufgeben, dass die anderen etwas anderes sein sollen als sie sind. Ich muss sie im wahren Licht sehen und sie von unserem Verhältnis zu einander bestimmt sein lassen, von all den Gefühlen, die wir in einander investiert haben.

Dann sehe ich vielleicht in das Licht des Sonnenaufgangs aus der Höhe. Sehe sie als Menschen Gottes, von Gott geliebt und auserwählt. Dann lerne ich vielleicht die Freude über die Vergebung der Sünden kennen. Dass eine Freude darin liegt, loszulassen, und selbst auf Offenheit und neue Möglichkeiten zu stoßen statt der hoffnungslosen Rechnung aus der Vergangenheit. 

Das Idyll ist auf dem Wege – das Licht kommt, aber es ist noch immer frostig in der Welt. Denn da sind ja Dinge zwischen uns, die wir nicht vergessen oder ignorieren können. Da sind Schuld und Brüche, Versagen – was wir nie loswerden. Wie Staub und Unrat, die nie verschwinden und schließlich die Aussicht auf Gemütlichkeit versperren. Wenn wir uns nicht verändern und verändern lassen, blockiert die Vergangenheit jeden Weg zu Frieden und Versöhnung. 

Wenn wir hoffen, hoffen wir von der gegenwarft aus, in der wir stehen, und der Erfahrung, die wir mit uns aus der Vergangenheit mitbringen. Ohne Gegenwart und Vergangenheit keine Zukunft. Ohne Erfahrung und Geschichte keine Vorstellung von der Hoffnung. 

Wenn wir auf dem bestehen, was wir allein wissen, dann ist das einzig Sichere, was wir über die Zukunft wissen, dass sie einmal ein Ende findet. Dass das „Morgen“ zu einem „Nie mehr“ wird und alle Möglichkeiten unmöglich werden. Und dass die, mit denen wir leben, die werden, ohne die wir leben müssen. Der Sonnenaufgang aus der Höhe zeigt uns etwas anderes, nämlich dass da eine Zukunft und Hoffnung ist jenseits aller Zukunft und jenseits von Gegenwart und Vergangenheit. Die Hoffnung, die das Jesuskind bringt, ist genauso gigantisch wie die Myriaden von Sonnensystemen gigantisch sind im Vergleich

zu dem bisschen Licht, das wir in den Sternen sehen. Johannes bahnt den Weg, bereitet uns vor und macht uns aufmerksam auf den Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Lehrt uns, dass die Hoffnung unendlich größer ist als das, was wir bestimmt zu wissen und zu kennen meinen.

Die Art und Weise der Hoffnung zu leben ist die, stets in einer schwangeren Zeit zu leben, stets an der dem Bersten nahen Kante der kommenden Freude. Selbst in dem finstersten, dichtesten Dunkel des Winters – in der Finsternis des Winters oder des Lebens unter dem Himmel der Weihnacht zu sein, ehe es losgeht. Siehe der Himmel ist dem Bersten nahe voller Licht, und die Luft ist nur einem Atemzug entfernt von dem Jubelgesang der Engel. Amen.



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm(a)km.dk

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