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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 15.12.2019

Es liegt an mir!
Predigt zu Lukas 3:(1–2)3–14(15–17)18(19–20), verfasst von Wibke Klomp

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.

 

Heute, liebe Gemeinde, wird aufgeräumt! Mit Johannes, dem Täufer, geht es ans Eingemachte und kaum einer wird sich rausreden können. Hören wir auf das dritte Kapitel des Evangelisten Lukas und seine Worte über das Wirken Johannes des Täufers:

 

Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da  geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben steht im Buch der Reden des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. Und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.« Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Otterngezücht, was hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken? Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir denn tun? Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. Es kamen auch die Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold! In seiner Hand ist die Worfschaufel, und er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen. Und mit vielem andern mehr ermahnte er das Volk und predigte ihm. Herodes aber, der Landesfürst, der von Johannes zurechtgewiesen wurde wegen Herodias, der Frau seines Bruders, und wegen all des Bösen, das er getan hatte, fügte zu dem allen noch dies hinzu: Er warf Johannes ins Gefängnis.

 

Tja, liebe Gemeinde, oder sollte ich es mit Johannes halten und sagen: liebes Otterngezücht!?

Wohl kaum – adventlich oder wenigstens höflich geht es bei Johannes, dem Täufer, nicht zu. Von wegen: Zimtduft, warmes Kerzenlicht und sanfte Musik. Heute leuchtet und blitzt es, denn der Täufer will seine Hörer und Hörerinnen selbst aufrütteln. Und sie wach machen für das, was um sie herum geschieht und bereit machen für den, der kommt. Darum fragt er: „Seid ihr vorbereitet auf den, der kommt?“ Da geht es ans Eingemachte: „Habt ihr ein reines Gewissen wie ihr euer Leben führt?“ Johannes ist kein Mensch für Kompromisse. Er versteht sich dabei in der Tradition der Propheten. So wie Jesaja fordert er realen, spürbaren Wandel im gesellschaftlichen Alltag – hier und jetzt -ein.

Und ich frage mich, ob wir wirklich so viel weiter sind als zu Jesajas oder Johannes‘ Zeiten.  Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden.

Gesellschaftliche wie auch persönliche Täler und Hügel sind uns immer noch allzu vertraut.

Täler voller Krankheit, Leid, voller Kriegstreiben, Armut und Not. Täler als Durststrecken des Lebens,

die dunkel hinter uns liegen und zugleich ihre Schatten voraus werfen. Über diese Täler spricht man lieber nicht. Wie es war, als die Kündigung ausgesprochen wurde. Oder der Verdacht auf eine Tumorerkrankung im Raum stand. Wie grausam es im Krieg war. Wie es ist, im Flur eines Krankenhauses zu sitzen. Momente im Leben, in denen man sich ganz schön einsam fühlen kann.  

Dagegen feiern wir die Höhepunkte des Lebens voller Euphorie im Privaten wie im öffentlichen Leben. Ein neuer Job, der Erfolg des Teams, … Täler und Hügel – sie machen das Leben aus. Nicht selten stellt sich dann die Frage, ob die Dinge so wie sie sich ereignet haben, eigentlich gerecht waren. Die Frage danach, wie viel Anteil wir selbst an den Dingen tragen. Und, ob es nicht anders besser wäre oder mit Worten der Bibel:  Krummes soll gerade werden, unebenes eben:

Krumm und schief war nicht nur damals zu Zeiten des Tiberius und des Pontius Pilatus manches, sondern ist noch heute im dritten Jahr des António Guterres als Generalsekretär der Vereinten Nationen, im dritten Jahr des Frank Walter Steinmeiners als Bundespräsident, im fünfzehnten Jahr der Bundeskanzlerin Merkel - als XY Landesbischof von Y war.

Krumm und schief ist gewiss unser Umgang mit sozial Schwachen, Kranken und Pflegebedürftigen. Die Kosten der Pflege sind oft höher als das, was Krankenkasse und Pflegeversicherung zahlen – sodass sich womöglich die Frage stellt: „wie viel Hilfe gönnen wir unserer Oma“ – und da haben wir noch gar nicht die Frage bedacht, ob das, was die Pflegekräfte als Lohn erhalten, nicht viel zu wenig ist.  Krumm und schief sind immer noch die Chancen für Kinder, die von zu Hause nicht die besten Startvoraussetzungen haben. Die letzte Pisa-Studie zeigte gerade wieder, dass Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern in unserem Land einen viel geringeren Zugang zu Bildung haben als die aus Reicheren. Krumm uns schief ist der Blick mancher auf Menschen, die ihre Heimat verlassen, weil dort Krieg und Not herrscht und sie ein Leben in Frieden und Freiheit suchen. Krumm und schief, dass die Rüstungsausgaben wie es Anfang dieser Wochen in die Nachrichten hieß, weltweit steigen.

Viele, vieles mehr könnte man benennen, was krumm und schief ist und fragen, an wem all dies liegt. Die Antwort ist oft schnell gefunden: „Die“ da oben, die Herrschenden sollten etwas tun. Die Politiker, die Firmenchefs, die… Wir könnten uns nach einem eingehenden und lautstarken Appell an sie angenehm zurücklehnen und den Chor der ewig Nörgelnden um unsere Stimme erweitern.

Doch genau das will Johannes gerade nicht – und darum, finde ich, tun uns seine Worte heute gut:

Johannes will uns selbst die Augen und Ohren öffnen, uns zu einem Blick auf uns selbst bringen.

Kehrt um – bekehrt euch zu Gott! Es sind nicht immer die großen Dinge, es liegt nicht immer alles an den Strukturen, an denen da oben… Es liegt zu großen Teilen auch an dem, was wir selbst tun und lassen. Es geht um dich! Es liegt an dir! An dir als Menschen, als Mann, als Frau, als Jugendlicher, der selbst entscheidet, ob er lieber auf dem Sofa, vor dem Fernseher oder mit dem Tablett oder Smartphone in der Hand die allgemeine Lage beklagt und kommentiert.

„Ja“, ist die Frage des Johannes an mich heute, „bin ich bereit, auf mich selbst zu schauen? Wie sieht es mit mir und meinem Engagement aus? Bin ich bereit, selbst etwas zu geben?“ Ein Krankenbesuch, der die Angehörigen entlastet? Mithelfen beim Adventsfest für Senioren? Die Förderschule sucht Lesepatinnen – wäre das was für mich? Der Kinderförderfonds ermöglicht Jugendlichen die Teilnahme an Freizeiten. Was ist mir wichtig – und wie mache ich das deutlich? Es liegt an mir!

Johannes rief zur Veränderung auf: Mit Zorn und mit Drohung. Auch er hat sich ändern müssen,

denn sein erwarteter Herr kam nicht mit Zorn und Drohung, so wie Johannes sich das eigentlich vorgestellt hatte. Jesus kam mit Liebe und mit Verständnis, mit Aufmerksamkeit und Vergebung. Weil Jesus wahrgenommen hat, dass niemand nur auf den Bergen und an den geraden Wegen lebt, aber auch niemand nur im Tal, und in „Schieflage“. So wandte sich der Sohn Gottes nicht nur den Armen und Kranken zu, sondern auch den Wohlhabenden und offensichtlich Sündigen.

Hinter dieser gelebten Liebe steht der Grundsatz, dass die Erwartung an einen anderen, mit der eigenen Erwartung an sich selbst, mit der eigenen Haltung, beginnt. Eben: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Wer erwartet, dass der Wieder - Kommende Ungerechtigkeiten ausgleichen wird, der kann,

darf und soll damit schon jetzt selbst beginnen, weil der, der kam, uns bereits zu eigenem Handeln aufgefordert hat. Wer erwartet, dass unter dem Kommenden niemand mehr Gewalt leiden muss,

der kann, darf und soll schon jetzt mit eigenen Handeln Gegenakzente setzen, damit so der Weg für den bereitet ist, der schon einmal bei uns war. Und dabei muss nicht jeder alles tun, sondern einfach das, was er besonders gut kann, und was ihm oder ihr liegt. Es liegt an uns, an mir vom bequemen Sofa aufzustehen und in Bewegung zu kommen. Die Gaben, die in uns liegen, sind vielfältig und bunt. Und anstatt lautstark die Verantwortlichkeit anderer einzuklagen, könnte man vielmehr – gerade in der Adventszeit - in sich Hineinhorchen und überlegen: Wo ist mein Platz und meine kleine Aufgabe: Wo und wie kann ich dem Herrn den Weg bereiten? Möge uns bei diesem Überlegen der Friede Gottes begleiten und dazu uns selbst dazu bringen, uns selbst auf einen Weg des Friedens zu begeben.

Amen

 

Wibke Klomp, Jg. 1975 ist Pfarrerin in einer Dienstgruppe in Walldorf/Baden. Walldorf ist der Firmensitz der SAP. In den letzten Jahrzehnten hat die Stadt dadurch einen enormen Wandel von einem Bauernort hin zu einem führenden Standort der IT-Branche erlebt. Walldorf gilt als eine der reichsten Kommunen Deutschlands.

 

Liedvorschläge:

Wo wir dich loben: Gegen den Wind soll ich rennen, 40, 1-4

Wo wir dich loben: Da wohnt ein Sehnen tief in uns, 116, 1-4

Wo wir dich loben: Schenke mir Gott, ein hörendes Herz, 190, 1-3

Evangelisches Gesangbuch: Kam einst zum Ufer,  312, 1-4

Evangelisches Gesangbuch: Brich dem Hungrigen dein Brot, 418, 1-5

 

 

 

 



Pfrn. Wibke Klomp
Walldorf, Baden-Württemberg, Deutschland
E-Mail: klomp@eki-walldorf.de

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