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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 15.12.2019

Kritisch mit Humor?
Predigt zu Lukas 3:3,3-14.18, verfasst von Sven Keppler

  1. Sonntag im Advent, 15.12.2019

Kritisch mit Humor?

Predigt zu Lukas 3,3-14.18, verfasst von Sven Keppler

 

[Vorab lesen: Lk 3,3-14.18]

I.

„Walking back to happiness.“ 1961 war das ein Nummer-Eins-Hit in England. Das heißt soviel wie: „Ich geh zurück ins Glück.“ Heute ist das Lied die Hymne einer politischen Bewegung. In England gibt sie mittlerweile den Ton an. Und diese Bewegung hat ein unglaubliches Programm: Wer etwas kauft, bekommt nicht nur das Produkt. Sondern er bekommt zusätzlich den Kaufpreis ausgezahlt. Und noch verrückter: Alle Geldflüsse sollen umgekehrt werden. Wer arbeitet, bekommt keinen Lohn. Sondern er muss dafür bezahlen.

Was verrückt klingt, ist inzwischen Wirklichkeit. Der britische Premierminister hat den so genannten „Reversalismus“ durchgesetzt. Zumindest in dem neuen Buch von Ian McEwan. Es heißt „Die Kakerlake“ und ist seit Ende November auf dem Markt. Ich musste allerdings noch neunzehn Euro dafür bezahlen.

Der „Brexit“ kommt in dem Buch nicht vor. Aber ihn hatte Ian McEwan natürlich im Blick, als er seine Satire geschrieben hat. Denn dieser Autor hält den Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union für vollkommenen Unsinn. Um seinen Landsleuten die Augen zu öffnen, hat er einen vergleichbaren Unsinn erfunden: die Sache mit der Geldumkehrung.

Vordergründig funktioniert das Ganze sogar. Denn das Geld, das man beim Einkaufen bekommt, darf man nicht behalten. Zuerst soll es Strafzinsen auf Geldbesitz geben. Und später wird es sogar unter Strafe gestellt, Geld zu sparen. Man muss es also ausgeben. Und das kann man nur, indem man arbeitet. So wird einerseits der Konsum angekurbelt. Und andererseits gibt es immer genügend Arbeitende. Der kurzsichtige Egoismus als Triebfeder, wie beim Brexit.

Auf diese einfache Logik sind die Briten reingefallen. Deshalb haben sie in einem Referendum für das Projekt gestimmt. Zuerst war der Premierminister dagegen. Er hatte die Volksabstimmung nur angesetzt, um Schluss mit dem verrückten Reversalismus zu machen. Dass das Ganze dann anders ausging, ist nur eine der vielen Parallelen zum echten Brexit. Ian McEwan hält seinen Landsleuten den Spiegel vor und zeigt ihnen, auf was für einem irrsinnigen Weg sie sind.

 

II.

McEwan geht sogar noch einen Schritt weiter. Er dreht nicht nur den Geldfluss um. Sondern auch eine Erzählung von Franz Kafka. Sie kennen vielleicht Kafkas „Verwandlung“. Die Geschichte des Tuchhändlers Gregor Samsa, der eines Morgens als ein Ungeziefer aufwacht.

Bei McEwan ist es umgekehrt: Eine Kakerlake erwacht als Mensch. Und nicht als irgendein Mensch. Sondern als der britische Premierminister Jim Sams. Und schnell zeigt sich, dass fast das gesamte Kabinett aus ehemaligen Kakerlaken besteht. Sie hatten zuvor hinter der Holzvertäfelung im Parlamentsgebäude gewohnt. Als das Projekt des Brexit – nein, der Geldumkehrung natürlich – ins Stocken geriet, haben sie die Sache selbst in die Hand genommen.

Dahinter steckt ein aberwitziger Plan. Die Kakerlaken wollen die menschliche Gesellschaft zum Zusammenbruch bringen. Alles soll im Chaos und im Müll versinken. Dann nämlich werden die idealen Lebensbedingungen für Kakerlaken herrschen. Letztlich ist der Brexit – pardon: der Reversalismus – ein Projekt für Kakerlaken! Hinter allem steht der Eigennutz, der Egoismus von Kakerlaken!

Liebe Gemeinde, ich habe diese Geschichte mit gemischten Gefühlen gelesen. Auf der einen Seite fand ich sie wirklich witzig. Viele bekommen ihr Fett weg. Nicht zuletzt der gierige, vulgäre US-Präsident Tupper und seine fatale Twitterei.

Auch für rückwärtsgewandte Ideen in unserem Land ist der Reversalismus ein treffendes Bild. Wenn zum Beispiel der neue Vorsitzende der populistischen Rechtspartei ungestraft von „Umvolkung“ redet. Diesem Schlagwort, dass aus dem Verfolgungswahn der Nazis entstanden ist. Und dann noch im ZDF behauptet: Der Begriff sei nicht rechtsextrem.

Auf der anderen Seite: Ist es wirklich in Ordnung, die politischen Gegner als Kakerlaken darzustellen? Ist damit nicht die Grenze des Respekts überschritten? Sicher, es ist eine Satire. Und da gilt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber ist das auch hilfreich?

Vor Kurzem hat die westfälische Präses zum respektvollen Umgang im Wahlkampf aufgerufen. Zum Verzicht auf Sprache und Symbole, die ausgrenzen und herabsetzen. Daran gemessen verdient McEwan die rote Karte.

Und doch hilft mir sein Humor. Sein trockener, britischer Sarkasmus. Wenn schon alles so schlimm ist. Wenn er uns allen den Spiegel vorhalten muss. Dann tut es gut, wenigstens auch mal herzhaft lachen zu können!

 

III.

Liebe Gemeinde, eben haben wir von Johannes dem Täufer gehört. Seine Rede war keine Satire. Johannes war frei von Humor. Aber voll von heiligem Zorn! Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? […]  Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Johannes hätte es vermutlich frivol gefunden, darüber auch noch Witze zu machen. Die Lage ist einfach zu ernst. Johannes war überzeugt: Alle Menschen haben ihr Leben falsch ausgerichtet. Nicht nur in der Politik. Sondern überhaupt. Denn sie haben Gott vergessen. Sie leben, als ob es Gott nicht gäbe.

Das ganze Leben läuft ohne Gott in eine falsche Richtung. Das Ergebnis ist ganz ähnlich wie in McEwans Satire: Es regiert die Selbstsucht. So eine Welt kann letztlich nur untergehen. Letztlich sind wir tatsächlich wie McEwans Kakerlaken: Wir haben die Welt so verdreht, dass sie unseren vermeintlichen Bedürfnissen dient. Anstatt, dass wir nach Gottes Willen leben und ihm dienen.

Deshalb ruft Johannes dazu auf, dass jeder Mensch sein Leben ändern muss. Umkehr ist auch seine Parole. Aber nicht die Umkehr des Geldflusses. Sondern eine Umkehr zu Gott. Und dadurch zur Mitmenschlichkeit. Güter und Nahrung zu teilen. So, wie Gott es will. Wie er es in Jesus vorgelebt hat. Das ist der Ausweg aus dem drohenden Untergang.

 

IV.

Aber wenn ich ehrlich bin: Auch die Botschaft von Johannes höre ich mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite berührt mich sein heiliger Ernst. Seine Kompromisslosigkeit. Seine Klarheit. Wenn es um Gott geht, ist kein Platz für Gags und Satire. Schließlich steht für uns alles auf dem Spiel!

Auf der anderen Seite: Hätte das Auftreten von Johannes heute Erfolg? Werden ernste, humorlose Mahner gehört? Haben wir nicht eine intuitive Abwehr gegen alles, was wir als moralistisch verdächtigen? Und noch wichtiger: Ist es nicht einfach nur lähmend, wenn mir immer wieder das drohende Ende vor Augen geführt wird? Wenn ich nur auf meine Schwächen und Fehler angesprochen werde? Woher soll ich die Kraft nehmen, ganz neu anzufangen? Diese Fragen stelle ich auch an die „Fridays for Future“-Bewegung.

Jesus macht das anders. Wenn er Menschen begegnet, dann beginnt er nicht mit einer Drohpredigt. Jesus macht seinem Gegenüber nicht erst einmal ein schlechtes Gewissen. Erst das Ich zerbrechen, um es dann neu aufzubauen – das ist nicht sein Weg. Sondern Jesus startet liebevoll. Ermutigend. Er nimmt einen Menschen an. Er macht ihn gesund. Und erst dann sagt er: Sündige hinfort nicht mehr!

In der berühmten Geschichte von der Ehebrecherin wollen alle die ertappte Frau steinigen. Jesus sagt: Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Daraufhin verlässt einer nach dem anderen die Bühne. Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.  – Erst die Ermutigung, die liebevolle Annahme. Dann die Aufforderung zur Umkehr.

 

V.

Von dieser Reihenfolge weiß auch der Evangelist Lukas. Deshalb beginnt er den Abschnitt über Johannes positiv. Er fängt an mit der Verheißung aus Jesaja: Was krumm ist, soll gerade werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.

Dadurch bekommt der Auftritt von Johannes ein positives Vorzeichen. Die Drohungen erscheinen von Anfang an in einem anderen Licht. Nicht verdunkelt von Gottes Zorn. Sondern im hoffnungsvollen Licht seines Wohlwollens. Wie Jesus, der mit Wertschätzung beginnt und nicht mit Verdammung.

Natürlich gibt es dabei ein Risiko. Wir hören auf die liebevollen Worte. Und überhören die folgende Ermahnung. Deshalb muss eine gute Ermahnung vielschichtig sein:

Sie braucht den heiligen Ernst. Den Blick auf die Gefahr. Und klare Erwartungen an unser Handeln. Aber sie muss getragen sein von Liebe und Ermutigung. Und um verdaulich zu sein, kann auch etwas Humor nicht schaden. Nicht gallig und verbittert. Sondern leicht und entkrampfend, im menschenfreundlichen Geist von Jesus. Amen.

 

  

Sven Keppler, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2010 Pfarrer in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Versmold. Autor von Rundfunkandachten im WDR.

 

Quelle: Ian McEwan, Die Kakerlake, Zürich 2019



Pfr. Dr. Sven Keppler
Versmold, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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