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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 15.12.2019

Bitte wenden!
Predigt zu Lukas 3:1-18, verfasst von Paul Wellauer

Predigttext Lukas 3,1-18 Das Auftreten des Täufers [Die Zürcher Bibel (Ausgabe 2007)]

Im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius - als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war und Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene, 2 unter dem Hohen Priester Hannas und Kajafas - erging das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste. 3 Und er zog durch die ganze Gegend am Jordan und verkündigte eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden, 4 wie es geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja: Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Strassen. 5 Jede Schlucht soll aufgefüllt und jeder Berg und jeder Hügel soll eingeebnet werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben, zu ebenen Wegen werden. 6 Und schauen wird alles Fleisch Gottes Heil.
7 Und er sagte zu denen, die in Scharen hinauszogen, um sich von ihm taufen zu lassen: Schlangenbrut! Wer machte euch glauben, dass ihr dem kommenden Zorn entgehen werdet? 8 Bringt also Früchte, die der Umkehr entsprechen! Und fangt nicht an, euch zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. 9 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird gefällt und ins Feuer geworfen. 10 Und die Leute fragten ihn: Was also sollen wir tun? 11 Er antwortete ihnen: Wer zwei Hemden hat, teile mit dem, der keines hat, und wer zu essen hat, tue desgleichen. 12 Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sagten zu ihm: Meister, was sollen wir tun? 13 Er sagte ihnen: Treibt nicht mehr ein, als euch vorgeschrieben ist! 14 Und es fragten ihn auch Soldaten: Was sollen wir denn tun? Und ihnen sagte er: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden und begnügt euch mit eurem Sold.
15 Da nun das Volk voller Erwartung war und alle sich über Johannes Gedanken machten, ob er am Ende gar der Messias sei, 16 wandte sich Johannes an alle: Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber einer, der stärker ist als ich; mir steht es nicht zu, ihm die Schuhriemen zu lösen. Er wird euch mit heiligem Geist und mit Feuer taufen. 17 In seiner Hand ist die Wurfschaufel; er wird seine Tenne säubern und den Weizen in seine Scheune einbringen, die Spreu aber wird er verbrennen in einem Feuer, das nie erlischt. 18 Mit diesen und andern Mahnungen verkündigte er dem Volk das Evangelium.

Selig ist jeder Mensch, der Gottes Wort hört, in seinem Herzen bewahrt und danach handelt. Amen

 

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder

Die meisten Fahrzeuge sind heute mit einem Navigationsgerät, kurz «Navi» ausgerüstet. Für jene, die es nicht kennen: Man gibt die Adresse des Reiseziels ein, und das Gerät zeigt einem mit Bild und Ton den kürzesten und schnellsten Weg an. Oft ist es eine sanfte Frauenstimme, die knappe und klare Anweisungen gibt: «In 100 Metern rechts in die Hauptstrasse einbiegen!» Und sollte man den Befehlen des Navis nicht Folge leisten, tönt es früher oder später aus dem Lautsprecher: «Bitte wenden! Bitte wenden!»

Johannes der Täufer war für die Menschen seiner Zeit ein «Navigationsgerät Gottes», ein «Navi auf zwei Beinen». Statt «bitte wenden!» rief er den Menschen seiner Zeit zu: «Kehrt um und lasst euch taufen, denn Gott will euch eure Schuld vergeben!» [Lukas 3,3 Gute Nachricht Bibel 2000]

 

Liebe Gemeinde, ich will mit euch die Predigt von Johannes dem Täufer unter drei Gesichtspunkten betrachten:

1. Bitte wenden

2. Drohbotschaft und Frohbotschaft

3. Das Ziel vor Augen

 

1. Bitte wenden

Johannes der Täufer ruft die Menschen seiner Zeit zur Umkehr. Wer umkehren soll, war bisher auf einem falschen Weg unterwegs, auf einem Weg, der nicht ans erwünschte Ziel führt. Die Menschen seines Volkes verlassen sich auf ausgetretene und vertraute Pfade, folgen damit aber gemäss Johannes einer falschen Fährte, die sie nicht automatisch an den richtigen Bestimmungsort bringt: «Und fangt nicht an, euch zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater.» Den richtigen Pass oder Familiennamen zu besitzen, kann einem bis in die heutige Zeit Vorteile verschaffen. «Vitamin F» kann es hinter vorgehaltener Hand heissen, wenn ein Mitglied der Besitzerfamilie ohne die entsprechende Ausbildung ins Kader der Firma aufsteigt. Und es ist kein Geheimnis, dass Personen mit dem «richtigen» Pass leichter eine Wohnung oder einen Job erhalten.
Allen seinen Volksgenossen, die sich auf ihre Herkunft etwas einbilden, ruft Johannes zu: «Bitte wenden! Deine Abstammung allein wird dich am Ende nicht retten, über ein gerechtes und gelingendes Leben entscheidet Gott auf Grund anderer Faktoren.» Und er macht auch deutlich: Mit einer halbherzigen oder oberflächlichen Umkehr erntet man keine Belohnung. «Bringt also Früchte, die der Umkehr entsprechen!» Auf die konkreten Rückfragen der Zuhörer, wie diese «Früchte der Umkehr» den auszusehen hätten,  gibt Johannes jeder Personengruppe passende Ratschläge, mit welchen Taten sie die Ernsthaftigkeit ihrer Umkehr belegen können. Den zuerst Fragenden befiehlt er Grosszügigkeit, Barmherzigkeit und Spendenbereitschaft. In christlichen Kreisen wird vom «Zehnten» gesprochen, den wir spenden und Bedürftige damit unterstützen sollen, das heisst 10% unseres Geldes. Johannes erwähnt eines von zwei Hemden, das wären 50% des Besitzes und auch unser Essen sollen wir teilen. Johannes hat demnach sehr hohe Erwartungen an die Zuhörenden. Auch den fragenden Zöllnern und Soldaten gibt er klare Anweisungen: In unseren Ohren wohl selbstverständliche Forderungen an diese Berufungsgruppen. Sie sollen sich an die Vorschriften halten, gerecht, fair und bescheiden sein. Wer die Macht und Legitimation hat, von anderen Menschen Geld einzutreiben oder kriegerische Aufträge auszuführen, steht leicht in der Gefahr, diese Macht auszunutzen. «Bitte wenden!», ruft Johannes auch diesen zu. «So grosszügig ihr mit euren Besitztümern sein sollt, so zurückhaltend sollt ihr in der Ausübung von Macht sein!»

Mir fallen beim Nachdenken über heutige Lebenszusammenhänge eine ganze Reihe von Bereichen ein, in denen ein «Bitte wenden!» angezeigt ist: In den Medien besonders präsent sind alle Themen, die mit dem Klimawandel zusammenhängen. Wenn uns nach Johannes unser Besitz vor allem zum Teilen anvertraut ist, sind es auch die Fragen des gerechten Welthandels, in denen uns eine «Bitte wenden!» zugerufen wird.
Johannes sieht seine Mahnungen in noch grösserem als globalem Zusammenhang: Er hat die Heilsgeschichte Gottes mit der Welt und den Menschen im Blickfeld. Dazu zitiert es aus dem Prophetenbuch von Jesaja Sätze, die auf den kommenden Messias, den Heiland und Erlöser hinweisen. «Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Strassen. Jede Schlucht soll aufgefüllt und jeder Berg und jeder Hügel soll eingeebnet werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben, zu ebenen Wegen werden. Und schauen wird alles Fleisch Gottes Heil.» (Nach Jesaja 40,3-5)

Grosszügigkeit, Gerechtigkeit ein verantwortungsvoller Umgang mit Macht sind auch eine Vorbereitung für Gottes neue Welt, die am Kommen ist. Johannes sieht sich als dieser Rufer in der Wüste, der das «Neue» ankündigt, das mit Jesus Gestalt annehmen wird.

Um seinen Worten das nötige Gewicht zu verleihen, verwendet Johannes markige Worte: Er nimmt kein Blatt vor den Mund spielt sein Lied der zukünftigen Welt in Dur und Moll: Er predigt Frohbotschaft und Drohbotschaft.

 

 

2. Drohbotschaft und Frohbotschaft

«Schlangenbrut! Wer machte euch glauben, dass ihr dem kommenden Zorn entgehen werdet?», so poltert Johannes den Menschen entgegen, die zu ihm in die Wüste hinausgezogen sind. Gut möglich, dass eine Pfarrperson, die heute ihre Gottesdienstgemeinde so begrüsst, morgen eine Anzeige wegen Beleidigung und Ehrverletzung im Briefkasten hat. Oder sie bekäme zumindest Besuch vom Journalisten einer Boulevardzeitung, der sich über eine fette Schlagzeile freut: «Pfarrperson beleidigt Predigthörer». Skandalös, unverantwortlich, übergriffig würde es heute wohl wahrgenommen, wenn von der Kanzel so ausgeteilt würde, wie Johannes der Täufer es tat. Von Martin Luther wird berichtet, dass er in seinen Gottesdiensten gerne Tacheles predigte und auch vor Kraftausdrücken nicht Halt machte. Müssten wir uns an Johannes und Luther ein Beispiel nehmen? Heiligt der Zweck die Mittel? Möglicherweise wird in unseren Kirchen wirklich zu sanft, zu harmlos und zu lieblich gepredigt: So friedlich und höflich, dass es am Ende nur noch friedhöflich daherkommt.

Auch Jesus hat ja durchaus harte und herausfordernde Worte gebraucht, insbesondere wenn ihm selbstgerechte und stolze Menschen gegenüberstanden. Der Klimawandel in der Natur treibt die Menschen auf die Strassen, lässt sie aufstehen und protestieren. Der Klimawandel in der Kirche wird in Kommissionen und Ausschüssen ausgesessen. Der Stille Protest manifestiert sich in Kirchenaustritten.   
«Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird gefällt und ins Feuer geworfen.» Es wäre den Versuch wert, eine Besprechung zur Zukunft der Kirche mit diesen Worten zu beginnen, alle Herausforderungen offen und ehrlich auf den Tisch zu legen und auch jene «Bäume» zu bezeichnen, die «keine Frucht» bringen und zu fällen sind.
Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen: Jeden Winter gab es Obstbäume, die zu fällen waren. Dazu gehörte auch, den Wurzelstock auszugraben und die Hauptwurzeln zu durchtrennen, denn ein Baumstrunk mitten in der Wiese würde über Jahre hinweg stören: Eine ebenso schweisstreibende wie unausweichliche Arbeit! Doch damit wurde auch Platz geschaffen für neue, fruchtbare Bäume.
Die Frohbotschaft besteht darin, dass Johannes bereits diese neuen Pflanzen aufwachsen sieht, die der Prophet Jesaja später beschreibt: «Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, deren Wasser nicht trügen.» (Jesaja 58,11b) In seinem Jesaja-Zitat gipfelt die Verheissung in den Worten: «Und schauen wird alles Fleisch Gottes Heil.» Was heute noch verborgen und bruchstückhaft ist, wird einmal allen Menschen einleuchten: Sie werden Gottes Rettung und Hoffnung erkennen.  
Jesus hat noch keine Predigt gehalten und noch keinen Menschen geheilt, er ist noch nicht gestorben und auferstanden, doch Johannes sieht mit Gottes Hilfe bereits, wie Jesu Frohbotschaft auf der ganzen Erde Verbreitung und Verständnis findet. Johannes führt uns in seiner Predigt in die Zukunft, er weiss, dass er nur der Vorbote von weit grösseren und bedeutsameren Ereignissen ist. Er weiss um seinen Beitrag, hat aber dabei das höhere Ziel vor Augen.

 

 

3.Das Ziel vor Augen

«Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber einer, der stärker ist als ich; mir steht es nicht zu, ihm die Schuhriemen zu lösen. Er wird euch mit heiligem Geist und mit Feuer taufen.» - So kündigt Johannes der Täufer Jesus an. Dieser wird zwar zunächst nicht machtvoll und feurig zu Johannes kommen, sondern demütig und leidensbereit. Jesus wird sich von Johannes taufen lassen: Nicht um seine Schuld abzuwaschen, sondern im Gegenteil die Schuld der Welt auf seine Schultern zu laden wie das Kreuz, das er nach Golgatha tragen wird.
Die Taufe mit dem Heiligen Geist erleben die Jünger Jesu an Pfingsten: Wie Feuerzungen und ein Sturmwind wird die verschüchterte Schar vom Heiligen Geist belebt, begeistert und für ihren Dienst ausgerüstet.

Das Feuer des Gerichts, das Johannes auch ankündigt, ist noch ausstehend. Johannes der Täufer hat dieses zweifache Ziel vor Augen: Auf der einen Seiten werden Menschen mit dem Heiligen Geist erfüllt und die Frucht ihres Glaubens und Lebens wird Jesus wie «Weizen in seine Scheune einbringen». Auf der anderen Seite wird er Gericht halten über jenen, die Gottes Botschaft ablehnen und «die Spreu aber wird er verbrennen in einem Feuer, das nie erlischt.»
Für alle, die es hören wollen, verkündigt Johannes «eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden». Er ruft uns zu wie ein «Navi» im Auto: «Bitte wenden!»

Und dabei wenden wir uns nicht einfach nur um, sondern wir wenden uns dem Gott zu, der sich uns schon lange und immer neu zugewendet hat. Im Advent und an Weihnachten feiern wir, wie Gott sich dieser Welt in Jesus Christus zuwendet:
An seiner Seite und mit seiner Hilfe lernen wir, wie wir uns den bedürftigen Menschen zuwenden können.

An seiner Seite und mit seiner Hilfe lernen wir, Drohbotschaft richtig einzuordnen und seine Frohbotschaft weiterzutragen.

An seiner Seite und mit seiner Hilfe lernen wir, was vergänglich ist und verbrennen wird und was als Frucht ewig Bestand hat.

Amen

 

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Fotos von Pixabay

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Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in den Sozialwerken Pfr. Ernst Sieber, Zürich



Pfr. Paul Wellauer
Bischofszell, Thurgau, Schweiz
E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

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