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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Weihnachtstag, 26.12.2019

Predigt zu Matthäus 10:32-42 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Poul Joachim Stender

Kränkungen

Mein jüngster Sohn Samuel hat einen Leserbrief an das Christliche Tageblatt geschrieben. Er hat an der Süddänischen Universität amerikanische Studien studiert, und er kritisiert die Kultur von Kränkungen, die sich an dänischen Universitäten eingebürgert hat. Zurzeit dürfen die Studenten sich bei besonderen Kostümfesten nicht als Indianer und Mexikaner verkleiden. Das kränkt die Angehörigen dieser Völker und fördert Rassismus. Aber vielleicht kränken wir diese Minoritäten mehr, wenn wir uns einbilden, dass sie es nicht ertragen können, dass wir uns als einer von ihnen verkleiden. Auch wurden an den Universitäten neue sprachliche Richtlinien eingeführt. Hier wurde beschlossen, dass unanständige Geschichten, Witze und Kommentare über das Aussehen als ein reeller sexueller Übergriff gewertet werden. Männer reden über Frauen und Frauen über Männer, und da kann es sehr wohl deftig zugehen. Aber bedeutet das, dass es böse gemeint ist, wenn eine schräge Bemerkung im öffentlichen Raum fällt.  Seit der Metoo-Bewegung meiden wir Männer galante Bemerkungen Frauen gegenüber, um nicht als Mannschauvinisten kritisiert zu werden.

Letztes Jahr vor Weihnachten entschuldigte sich ein Professor an der Copenhagen Buisiness School dafür, dass man das Lied Das dänische Lied ist ein junges blondes Mädchen1 gesungen hatte. Eine Frau anderer ethnischer Herkunft als dänisch hatte sich gekränkt gefühlt, weil da von einer hellblonden Frau die Rede war. Kurz gesagt, wie leben in einer Zeit der Kränkungen, und das kann bedeuten, dass sich viele nicht öffentlich über kontroversielle Themen äußern, um keinen Anstoß zu erregen. 

Im Strafgesetzbuch gab es bis zum Juni 2017 einen besonderen Paragraphen, der Blasphemie unter Strafe stellte, § 140. Wer öffentlich die Glaubenslehren oder die Religionsausübung hier im Lande legal existierender Religionsgemeinschaften verspottet, wird mit einer Geldstrafe oder Gefängnis bis zu vier Monaten bestraft.  Gut, dass dieser Paragraph abgeschafft wurde. Warum sollten wir Christen oder andere Gläubige es nicht ertragen können, dass sich jemand beleidigend über unseren Gott oder unseren Glauben äußert? Der Prophet Mohammed muss es sich gefallen lassen, beleidigt zu werden wie der Sohn Gottes Jesus Christus. Denn Jesus, der am Kreuz hängt hier in der Kirche, ist eine starke Kränkung für und uns Christen. Aber wir wissen, dass Jesus die Kränkung überwand, als er Ostermorgen von den Toten auferstand. Wir sehen ihn nicht als Opfer, sondern als den, der sich für uns um der Liebe willen hingab. 

Es gehört mit zum Menschenleben, dass man Kränkungen ausgesetzt wird. Die Universitäten haben sozusagen Schutzräume eingerichtet mit Bilden von süßen Hundewelpen. Hier kann man als Student Schutz suchen, wenn man Leuten aus dem Weg gehen will, die anders denken als man selbst. Aber es ist unmöglich, die ganze Welt zu einem großen Schutzraum zu machen, und die Frage ist, ob die Studenten nicht ungeeignet sind, in einer Welt zu leben, die kein Schutzraum ist. Keiner von uns entgeht Kränkungen, weil wir Menschen nun einmal Sünder sind. Während wir damit beschäftigt sind, Leuten zu verbieten, sich als Indianer und Mexikaner zu verkleiden und die Männer Angst haben zu flirten, und während Schutzräume an Lehranstalten und Arbeitsplätzen eingerichtet werden und Lieder aus dem Hochschulgesangbuch kritisiert werde als Kränkungen, übersehen wir ganz andere Dinge. Nämlich

Christenverfolgungen, die in weiten Teilen der Welt stattfinden und von Nordkorea und islamischen Gruppierungen und vielen anderen ausgeführt werden und die man wirklich Kränkungen nennen kann. Es ist infolge korrekter politischer Tonart unangebracht, solche Verfolgungen zur Sprache zu bringen. Denn damit können wir z.B. die muslimische Minorität in Dänemark kränken.

Die Geschichte wiederholt sich. Heute ist Sankt Stephans Tag. Mein Messgewand ist blutrot zum Gedenken an den ersten christlichen Märtyrer Stephan, der am Löwentor in Jerusalem hingerichtet wurde.  Man sollte meinen, die Zeit sei vorbei. Aber es gibt noch immer Christenverfolgungen. Vielleicht schlimmer als je. Wo sind Schutzräume für diese verfolgten Christen? Wir sind mehr damit beschäftigt, dass Studenten keine unanständigen Witze machen als dass ein Christ wegen seines Glaubens getötet wird. Und wir regnen uns mehr darüber auf, dass wir einen Indianer kränken, indem wir gefärbte Federn im Haar tragen, als dass Christen gekränkt werden, indem sie verstümmelt und getötet werden wie Stephan, nach dem dieser zweite Weihnachtstag benannt ist. Er opferte sich für uns und die Liebe. Und damit wird deutlich, was wir im Rest des Jahres 2019 und im Neuen Jahr tun sollen. Wir sollen uns für einander opfern! Sich zu Christus bekennen bedeutet sich klar zu machen und auszusprechen, woran wir glauben, was wir für richtig und falsch halten. Dafür verspricht Gottes Sohn uns, dass er sich auch zu uns bekennen will.

Das sollte man nicht an einementspannten und gemütlichen Weihnachtstag sagen. Aber das Christentum kostet Zeit, Engagement, Mitgefühl. Zugleich aber schenkt es uns alles. Stärke, Hoffnung, Mut, Freiheit. Und dann noch eine Sache, den Mut sich zu opfern, anstatt uns selbst zu betrachten als Opfer oder Gegenstand von Kränkungen. Hier am zweiten Weihnachtstag wird deutlich, dass das Jesuskind, das zu Weihnachten geboren wurde, sich 33 Jahre später für uns opferte. In einer Opferhandlung auf Golgatha, die wir überhaupt nicht begreifen, gab er sich selbst, damit wir mit ihm leben und sterben und von den Toten auferstehen können. Gott befohlen. Amen.



Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
E-Mail: pjs(at)km.dk

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