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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christnacht, 24.12.2019

Innehalten auf den Lebenswegen
Predigt zu Sacharja 2:14-17, verfasst von Suse Günther

Predigt zur Christnacht – 24.12.2019 – II –

Sach. 2,14-17

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

 

Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion, denn siehe ich komme und will bei dir wohnen. Und es sollen sich zu der Zeit viele Völker zum Herrn wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei dir wohnen. Und du sollst erkennen, dass mich der Herr Zebaoth zu dir gesandt hat.

Und der Herr Zebaoth wird Juda in Besitz nehmen als sein Erbteil im heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen. Alles Leben sei Fleisch sei stille vor dem Herrn, denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte.

 

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

 

Liebe Gemeinde!

Mit einem Teil meiner Stelle arbeite ich als Krankenhausseelsorgerin, mit einem anderen bin ich zuständig für die Trauungen im Klosterhotel Hornbach – Hochzeiten all inclusive, vom Standesamt bis zum Frühstücksbuffet  am nächsten Morgen, der sprichwörtliche schönste Tag im Leben perfekt gefeiert, wie viel Glück erlebe ich da mit!!!!

Und doch, wenn mich jemand fragen würde, wo ich mehr Freude zu spüren bekomme, so ist es tatsächlich im Krankenhaus. Denn nirgendwo sind Menschen fröhlicher, befreiter, unbeschwerter, als wenn man ihnen die Angst vor einer schweren Krankheit genommen hat oder sie als geheilt entlassen werden können.

Mit Verdacht auf Herzinfarkt eingeliefert werden und mit der Diagnose Rückenverspannung entlassen werden? Mit der Angst vor einem bösartigen Tumor operiert werden und dann gesagt bekommen, dass doch alles gutartig war? Da fällt das Jubeln leicht. Ja, wenn alles überstanden ist, dann dürfen und können wir Loblieder singen. Hinterher.

Und ja, auch dies: Nirgendwo fühlen sich Menschen Gott näher, als wenn alles noch einmal gut gegangen ist und deutlich spürbar ist: Es ist nicht alles selbstverständlich im Leben.

In einer solchen Situation befindet sich das Volk Israel in unsrem heutigen Predigttext.

Die Israeliten sind zurückgekehrt aus der Verbannung nach Babylon. Die, die da zurückkehren, die kennen die Geschichte gar nicht aus eigenem Erleben, sondern nur aus Erzählungen: Jahrzehnte des Krieges, der Trennung des Landes in zwei Hälften, der Vertreibung, des Exils liegen hinter den Menschen. Schlimme Zeiten. Zeiten der Angst, der Entbehrung, der Unsicherheit. Wer könnte das besser nachvollziehen als die Menschen in Deutschland:  Wie groß war der Jubel 1989. Hinterher.

Seitdem sind wieder 30 Jahre vergangen. Und nun wissen wir leider auch dies: Wir leicht kann diese wunderbare Rettung, dieser Grund zur Freude, in Vergessenheit geraten.

Wie leicht kann auch in Vergessenheit geraten, dass wir dieses unbegreifliche Wunder nicht allein uns selbst, vielleicht gar nicht uns selbst verdanken.

Es ist noch einmal alles gut geworden. An diesem Punkt befinden sich die Israeliten in unsrem Predigttext. Es ist nicht immer alles gut geblieben, auch das wissen wir aus der Geschichte. Aber: In diesem ganz besonderen Moment ist alles gut. Die Zeit steht still. Die Welt hält den Atem an.

In einem solchen Moment befinden wir uns gerade jetzt. Die Zeit steht still, die Welt hält den Atem an, es ist alles gut: An Weihnachten. Wir dürfen uns freuen. Wir können spüren, dass da mehr ist als das, was wir mit Händen greifen können: Gott ist nah. Morgen? Was morgen ist, wissen wir nicht. Jetzt sind wir hier, angekommen.

Es gibt historische Berichte aus den beiden Weltkriegen, dass Soldaten, die sich am Vortag und auch am nächsten Tag wieder nach dem Leben trachten mussten, an diesem einen Abend verbrüderten. Wird er deshalb Heiliger Abend genannt, weil die Menschen an diesem einen Abend im Jahr mehr erwarten und dann auch mehr möglich wird?

Reicht ein solcher ganz besonderer Moment auch über die Zeit hinaus? Reicht es, wenn dann im Leben alles wieder schwer wird, sich daran erinnern zu können: Einmal war alles gut? Reicht, es, zu sagen: Gott war da, um später sagen zu können: Er ist da?

Vielleicht reicht es gerade deshalb, weil es immer wieder einen Heiligen Abend gibt, einen Moment, an dem wir innehalten, unser Leben Revue passieren lassen, unseren Gedanken nachhängen. Einen besonderen Moment, an dem die Zeit stillsteht, nicht nur an Weihnachten. Sondern zu den ganz besonderen Zeiten unseres Lebens. Diese Kirche, in der wir heute Abend feiern, hat viele solcher Momente gesehen. Und einige von Ihnen, die Sie sich heute hier versammeln, haben das miterlebt, hier in der Grenzregion, als alles evakuiert werden musste für eine Reise ins Ungewisse, Häuser und Tiere und aller Besitz zurückgelassen werden musste gleich zweimal. Und bei der Rückkehr kein Stein mehr auf den andren sich befand.

Wenige Gebäude standen noch. Eines davon diese Kirche, in den ersten Jahren noch ohne Fenster. Die wurden erst in den fünfziger Jahren von einem ungarischen Künstler gestaltet. Auch das ein Friedenszeichen. Und heute? Heute feiern wir in dieser Kirche ökumenische Gottesdienste mit den Franzosen zusammen, die damals ebenso evakuiert waren.

Und so sind es nicht nur die ganz besonderen Momente, die uns die Erinnerung wachhalten, sondern auch die Orte, die Räume. Jeder wird beim Anblick des Brandenburger Tores an die deutsche Geschichte denken. Und viele werden beim Anblick dieser Kirche an die Brenschelbacher Geschichte denken.

Denn all das ist noch nicht so lange her, dass es nicht Menschen gäbe, die sich erinnerten. Auch dies ein Erlebnis aus dem Krankenhaus, ganz kurz vor diesem Weihnachtsfest: Ein Mann, der am Ende seines Lebens, das 1925 begonnen hat, nur noch diesen einen Satz endlos wiederholt: „Es ist alles kaputt.“ Gemeint ist sein Haus, auf das eine Bombe fiel und das längst wiederaufgebaut ist. Aber dieser Schrecken, alles verloren zu haben, der bleibt tief haften.

Schön ist es, wenn auch die Freude, ein zweites Leben, einen neuen Anfang geschenkt bekommen zu haben, so tief haften bleiben kann. Manchmal geht diese Freude im Alltag verloren. Es fehlt der Grund und die Zeit, sich zu freuen.

Es kann helfen, ganz bewusst innezuhalten.

An Weihnachten oder zu ganz besonderen anderen Momenten. Es kann auch helfen, die Orte aufzusuchen. Diese Kirche zum Beispiel. Es kann auch helfen, das eigene Herz zu öffnen. Nicht nur an das eigene Erleben immer wieder zu denken. Sondern mitzufühlen mit denen, die in unseren Tagen Schreckliches erleben:

Immer noch und immer wieder sind Menschen auf der Flucht, sind Menschen Kriegen ausgesetzt und vertrieben, leiden Menschen unter Hunger und Angst. Immer wieder auch werden Menschen nicht gesund.

Und manchmal, zum Glück, gibt es dann auch die, die mitfühlen, ihr Herz öffnen und helfen, statt sich zu verschließen. Gehören wir dazu?

Immer wieder gibt es zum Glück auch Menschen, für die noch einmal alles gut wird, Frieden und Heilung möglich wird. Denen zum Jubeln zumute ist. Mit denen wir uns mitfreuen dürfen, statt mit ihnen zu leiden.

Menschliche, irdische Geschichte seit Jahrtausenden.

Auch dafür steht unsere Bibel: sie erzählt über Jahrtausende hinweg vom menschlichen Dasein in den Höhen und Tiefen des Lebens, vom menschlichen Dasein in der Vorläufigkeit dieser Erde und an Gottes Seite trotz allem

Für die Israeliten steht die Zeit still, als sie zurückkehren in die Heimat. Und dann geht sie weiter. Als erstes wird der zerstörte Tempel wiederaufgebaut. Menschen brauchen einen Ort, an dem sie innehalten, sich besinnen und Gott begegnen können.

Später wird der Tempel erneut zerstört. Heute steht davon nur noch die Westmauer, genannt die „Klagemauer“ in Jerusalem: Der heiligste Ort des jüdischen Glaubens, ein Symbol für die Geschichte des Judentums. Und eben auch dies, ein Ort, an dem Menschen Gott suchen und finden, immer wieder neu.

Wie es für uns weitergeht nach diesem ganz besonderen, diesem heiligen Abend? Ich weiß es nicht. Aber ich vertraue darauf, dass die Wege, die kommen, Wege an Gottes Seite sind. Dass es Aufgaben wird, die sich anzupacken lohnen. Dass es wieder Grund zur Freude geben wird.

Und auch schwere Tage, die wir am besten bestehen können, indem wir füreinander offene Herzen, offene Ohren, offene Augen und offene Hände haben.

In unserem Ort, in unserem Land und in unserer ganzen Welt.

Viele sollen Grund zur Freude haben.

Und deshalb wollen wir heute Abend still sein vor unserem Gott, der sich aufgemacht hat, um uns zu begegnen.

AMEN

 

Anmerkung zum Verständnis

Ich halte diese Predigt am Heiligen Abend in Brenschelbach/Saarland. Dieser Ort liegt unmittelbar an der französischen Grenze, an manchen Stellen sind es nur 10 Meter bis dorthin.

Ein 20 km breiter Streifen an der deutsch-französischen Grenze, Saarland, Pfalz, Lothringen wurde 1939 und 45 evakuiert, die sogenannte rote Zone. 1939 geordnet nach Thüringen und Franken (mit Pferd und Wagen mehrere hundert Kilometer!) 1945 nur noch mit dem Befehl: „Alles raus“. Den Leuten in der Kirche ist aus unmittelbarem Erleben und aus Erzählungen bewusst, was es heißt, exiliert zu sein und wieder zurückzukommen. Der Glaube als Überlebenskraft spielte dabei eine große Rolle.

 

 Lied 37, besonders Strophe 3, sind daher unbedingt mit im Gottesdienst.

 

Gebetsvorschlag, Fürbitte (aus der Pfälzischen Agende):

Gott, Du wirst Mensch und teilst unser Leben.

Du setzt Dich unserer Welt aus

und gehst den Weg in den Tod.

Keine Liebe kann größer sein.

Mit ihr schenkst Du uns Frieden und Gerechtigkeit,

Licht und Leben, Freude und Hoffnung.

Alles, was Jesus Christus verkörpert,

alles was wir brauchen.

Darum bitten wir für die Kirche,

dass sie Licht ist für Suchende und Fragende,

dass sie Hoffnung anstiftet,

dass sie überall für Frieden und Gerechtigkeit eintritt.

Lass Dein Licht in dieses Fest hineinstrahlen,

in unsere Gesellschaft

und in das Miteinander der Menschen und Völker.

 

Gott, Du lässt uns erfahren,

dass Dein Frieden und Deine Gerechtigkeit

ein Leben in Gemeinschaft möglich machen.

Darum lass das Wort Jesu Christi sich ausbreiten

Und Menschen gewinnen, dem Leben zu dienen.

 

Lass Christus in uns geboren werden,

damit wir Kinder des Lichts werden

und andern zu Leben und Freude verhelfen.

Lass Dein Licht leuchten über das Weihnachtsfest hinaus

Für uns hier in dieser Kirche

 und die Menschen auf der ganzen Welt.

Schenke uns weihnachtliche Freude

 heute und an jedem Tag unseres Lebens,

bis wir Dir von Angesicht zu Angesicht begegnen.

AMEN

 

 

 

 

 

 



Prn. Suse Günther

E-Mail: Suse-guenther@posteo.de

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