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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach dem Christfest, 05.01.2020

Predigt zu Matthäus 2:1-13 (dänische Perikopenordnung, Heilige drei Könige), verfasst von Jens Torkild Bak

Ein gutes Neues Jahr! Der Bericht von einem Stern, der erst im Osten aufgeht, sich dann über Jerusalem zeigt und dann sich nach Süden wendet und in Bethlehem über einem bestimmten Haus still steht, das ist der Bericht über ein Himmelsphänomen ohne Parallelen in der Geschichte der Astronomie – schreibt der Århuser Forscher Ole Davidsen in seinem großen Kommentarwerk über die biblischen Texte von der Geburt Christi.  

Mit anderen Worten: Wir sollen uns nicht vorstellen, dass die Erzählung von Dingen handelt, die in der wirklichen Welt stattgefunden haben. Darin ist der Patriarch von Konstantinopel Johannes Chrysostomos einig, der von 350 bis 407 gelebt hat. Er sagt in einer seine Predigten, dass der Bericht des Matthäus sich nicht auf ein Naturphänomen bezieht. Die Erzählung von dem Stern und dem Besuch der Weisen in Bethlehem ist eine Legende.

Und, muss man zugleich sagen, eine Legende, die im Laufe der Zeit immer neue bunte Details erhielt. Das ist ja bemerkenswert – vor allem wenn wir an den Namen dieses Sonntages denken, den Sonntag der Heiligen drei Könige - dass Matthäus scheinbar nichts weiß weder von der Heiligkeit der Weisen noch von ihrem königlichen Status. Warum nicht? Weil das Ding e sind, die aus einer späteren kirchlichen Tradition stammen. 

Es ist somit erst einer der großen Kirchenväter des dritten Jahrhunderts, der Alexandriner Origines, der in einer Diskussion autoritativ festlegt, dass es drei Könige waren. In einem Text aus dem elften Jahrhundert von einem unbekannten Autor hören wir schließlich auch, dass die drei Namen bekommen haben. Ich zitiere nach der Wiedergabe bei Ole Davidsen: Der erste, ein Greis mit weißem Haar und langem Bart, hieß Melchior. Er opferte dem Herrn als seinem König Gold. Der zweite mit dem Namen Kaspar war ein bartloser und rotbackiger Jüngling. Er opferte Weihrauch für Jesus als Zeichen seiner Gottheit. Der dritte, dunkelhäutig und bärtig, hieß Balthasar. Myrre war die Gabe, die er brachte, sie kündet davon, dass der Menschensohn sterben wird. Soweit das Zitat.

Ich verhehle nicht, dass es mir etwas peinlich ist, die Predigt zum Fest der Heiligen drei Könige mit der Feststellung zu beginnen, dass man zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden muss, und damit daran zu erinnern, dass diese Erzählung „nur“ eine Legende ist, die als Legende nicht mit der Wirklichkeit zu tun hat.

Eine mehr komplizierte, weniger direkt politische Gestalt war zweifellos Herodes der Große, der eine entscheidende Rolle spielt in unserem Text als der, der den Gang der Ereignisse bestimmt. Dass er in der Jagd nach dem neugeborenen Kind alle männlichen Kinder bis zum Alter von zwei Jahren umbringen ließ, ist durch andere historische Quellen nicht bezeugt. Es erinnert aber an König Pharao und legt die Auffassung nahe, dass die Geschichte Jesu eine Wiederholung der Geschichte des jüdischen Volkes ist.

Was anderes kann eine solche freudlose Pedanterie bewirken als die Erzählung kaputtzumachen? Ihr alles Leben und alle Freude zu nehmen? Als genüge es nicht, dass Herodes ein Schurke ist! Das wiederum scheint historisch gesichert zu sein, er war wirklich ein Schurke, ein Tyrann, dessen Persönlichkeit geprägt war von einer gefährlichen Mischung aus Verfolgungswahn und krankhafter Eifersucht. Er scheint vor keiner Grausamkeit zurückgescheckt zu haben, um seine Macht zu erhalten. Reihenweise liquidierte er seine politischen Gegner, und dasselbe tat er mit seinen eigenen Kindern, wenn sie zu starke Ambitionen zeigten. Er wusste sehr wohl, dass sein Tod, wenn er eintraf, kein Anlass ein würde für Staatstrauer, sondern für ein Volksfest. Deshalb erdachte er einen Plan, von dem der Historiker Josephus erzählen kann: Herodes ließ die vornehmsten Männer aus jeder einzelnen Stadt in Judäa sich in dem sogenannten Hippodrom versammeln,

und befahl, sie dort einzusperren. Zu seiner Schwester Salome und ihrem Mann Alexas sagte er: Ich weiß sehr wohl, dass die Juden meinen Tod mit Festen feiern werden, aber es steht in meiner Macht, andere dazu zu bringen über mich zu trauern, so dass ich ein prächtiges Begräbnis erhalten kann, wenn ihr nur tut, was ich euch jetzt befehle: Lasst Soldaten die Männer umringen, die unter Bewachung gestellt sind, und lasst sie töten, sobald ichentschlafen bin; dann wird ganz Judäa und jede Familie gegen ihren Willen über mich weinen.

 

Aber zurück zum Ausgangspunkt: Warum darauf bestehen, dass man im Umgang mit den biblischen Erzählungen zwischen Fakten und Fiktion, zwischen Legende und Geschichtsschreibung unterscheiden soll? Das muss man um des Evangeliums willen, oder besser um des Glaubens willen!

Sonst verstehen wir nicht, was es heißt, dass Gott Mensch wurde in Jesus von Nazareth, und man stellt sich dann leicht den Glauben vor eine unmögliche Aufgabe. Dass Gott Mensch wurde, dass das Wort Fleisch wurde und unter uns wohnte, kann man nicht an Sternen und Planeten oder irgendwelchen Himmelszeichen ablesen. Das ist keine Aussage, die durch historische Studien oder archäologische Funde bewiesen werden kann. Wenn der christliche Glaube auf diesem oder anderen Wegen einen objektiven Beweis für seinen Inhalt sucht, stellt er sich selbst eine unmögliche Aufgabe, oder besser: dann missversteht er sich grundlegend selbst.

Dass Gott Mensch wurde in Christus, existiert nicht als eine Wirklichkeit, die wir vor uns halten und objektiv betrachten können. Gottes Menschwerdung existiert nur als eine Wirklichkeit, die in unser eigenes Leben hineingespiegelt ist, wo sie in der Gestalt der biblischen Erzählungen lebt, in der Gestalt von Liedern und Gesängen, Ritualen und Gebeten. So gesehen ist die Legende nicht „nur“ eine Legende. Sie ist viel mehr als das. Sie ist der Versuch von Menschen, mit eigenen – gewiss unzureichenden und kritisablen – Worten den Umfang und die Tiefe der Wirklichkeit wiederzugeben, die sie ergriff, als sie Jesus von Nazareth begegneten. Ein Versuch, den Durchbruch einer göttlichen Wahrheit in gewöhnlichen, mutigen, suchenden Menschenworten wiederzugeben. Dass Gott in Christus Mensch wurde, wissen wir, wenn es zu einer Erzählung wurde, die uns ergreift und dies letztlich tut, weil wir das als eine menschliche Erzählung wiedererkennen. Dass Gott in Christus Mensch wurde, wissen wir, wenn es zu einer Erzählung wird, die uns an die Hand nimmt (oder mit der wir und in die Hand nehmen). Wenn es die Erzählung wird, aus der wir heute Hoffnung und Trost holen für unsere gefährdete Existenz, und Freude für das wechselnde Schicksal. 

Die eigentliche Botschaft der Erzählung als eine aktuelle Botschaft, die wir heute miteinander teilen, fängt Grundtvig hervorragen ein in den letzten beiden Versen des Liedes „Herrlich ist der Himmel blau“: … uns ist auch ein Stern gegen, folgen dem wir gern im Leben, kommen wir zu Jesus Christ. Dieser Stern mit hellem Licht, der uns führt und trüget nicht, ist sein göttlich Wort, das klare, das er uns ließ offenbaren, uns zu leuchten auf dem Weg.1

 

Was eine Erzählung bedeutet, was es bedeutet, eine Erzählung miteinander zu teilen, daran werden wir – ohne jeden Vergleich mit der sonstigen Heilsgeschichte – jedes Jahr im Zusammenhang mit den Erwartungen erinnert, die sich auf die Neujahrsansprache unserer Regierungschefin beziehen. Selbstverständlich wird von verschiedenen Interessengruppen eine Reihe von Wünschen zu bestimmten Themen geäußert, die die Ministerpräsidentin aufgreifen sollte. Aber vor allem erwarten man traditionell,

dass sie den Dänen eine Erzählung bietet, die niemanden vor anderen favorisiert, sondern alle gleichermaßen einbezieht. Dass sie mit anderen Worten nicht parteipolitisch redet, sondern als eine Ministerpräsidentin, deren Aufgabe es ist, die Nation zu einen und eine Zukunft zu formulieren, in der sich alle wiederfinden und für die alle Verantwortung übernehmen können. 

Der Wunsch nach einer alle einbeziehenden Erzählung, mit der wir als Bürger einander in die Hand nehmen können, hat natürlich nichts mit dem christlichen Glauben zu tun, aber er teilt dennoch mit dem Glauben die Erkenntnis, dass die materielle Lebensgrundlage nicht ausreicht für ein Leben. Die materielle Grundlage ist mehr oder weniger notwendig, aber nicht ausreichend. Es muss auch etwas für die Seele geben. Es muss einen Stern von Bethlehem geben, der den Weg zeigt. Ganz gleich wie säkularisiert und rationalisiert wir in der modernen Gesellschaft geworden sind, wir sind noch immer getrieben von einem unbändigen Wunsch nach einem Sinn in unseren Tun und einem Ziel für unser Dasein. Einem geistigen Leitstern.

Ich sprach anfangs von der Unterscheidung zwischen Fiktion und Tatsache, zwischen der Legende und der offenkundigen Wirklichkeit. Es soll der Legende nicht zum Nachteil gereichen, dass sie nicht in der offenkundigen Wirklichkeit enthalten ist. Je mehr wir heute bereitwillig und möglicherweise sogar ehrgeizig unser Leben auf dem Altar der zweckgerichteten, rationalen Wirklichkeit opfern, desto größer wird der Bedarf für ein Asyl, wo das Selbst, das Individuum, das Ich existieren und sich selbst erkennen kann. Nicht um der Welt der Wirklichkeit zu entfliehen, sondern um nicht von ihr zerquetscht zu werden. Dafür ist der Stern von Bethlehem für und aufgegangen und die Botschaft vom Heiland verkündet. Amen.



Dompropst Jens Torkild Bak
DK-6760 Ribe
E-Mail: jtb(at)km.dk

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