Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. So n. Epiphanias, 12.01.2020

Macht die Augen auf!
Predigt zu Matthäus 3:13-17, verfasst von Rudolf Rengstorf

Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe.

Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt zu! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's ihm zu. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

(Matthäus 3, 13-17)

 

Liebe Leserin, lieber Leser!

Nach Weihnachten und dem Dreikönigstag haben wir es nicht länger mit dem Kind Jesus zu tun. Als erwachsener Mann begegnet er uns im Evangelium dieses Sonntags. Es ist sein erster öffentlicher Auftritt. Und den gestaltet er in einer völlig überraschenden Weise. Denn der Täufer Johannes, zu dem Jesus sich aus seiner Heimat Galiläa an den Jordan aufgemacht hat, verkörperte genau das Gegenteil von dem, was typisch war für Jesus.

Johannes war ein Asket, der sich ganz bewusst aus der zivilisierten Welt verabschiedet hatte. Mit Tierfellen bekleidet nährte er sich von Heuschrecken und wildem Honig dort unten in der Jordansenke am Rande der Wüste. Die von ihm verlassene Gesellschaft, so predigte er, war auf dem Weg ins Verderben. Vor allem deshalb, weil sie Gott nicht auf der Rechnung hatte. Deshalb sieht er ein verheerendes Strafgericht auf die Menschen zukommen, in dem Gott mit Stumpf und Stiel ausrotten wird, was seinem Willen widerspricht. In Angst und Schrecken versetzte Johannes mit dieser Drohbotschaft die kleinen Leute. In hellen Scharen kamen sie zu ihm, taten Buße, bekannten, dass sie an Gottes Willen vorbeigelebt hatten, gelobten neu anfangen zu wollen und ließen sich zum Zeichen dafür von Johannes im Jordan taufen.

Und mitten unter ihnen erscheint Jesus. Der Mann, der sich Gott und den Menschen gegenüber ganz anders als Johannes verhielt. Der nicht aus der Gesellschaft ausstieg, sondern den Menschen, wo sie lebten, nachging. Der sich nicht als Asket kasteite, sondern Freude hatte an Gastmählern und Festen. Und der die Menschen nicht mit Drohbotschaften auf die Knie zwang. Seine Sache war das Evangelium – die Frohbotschaft: Gott kommt seinen Menschenkindern – zumal den verlorenen – mit offenen Armen entgegen, und damit beginnt die Wende zum Guten, zum Reich Gottes auf Erden. Dieser Mann passte also überhaupt nicht in die Menge, die da zur Taufe drängte. Denn zum einen lebte er nicht an Gottes Willen vorbei. Und zum andern strahlte er offenbar eine so überzeugende Gottesgewissheit aus, dass dem Johannes sofort klar wurde: „Jesus, du musst m i c h taufen!“ Und nun hören wir die ersten Worte Jesu im Matthäus-Evangelium: „Lass es jetzt geschehen. Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“

Bei seiner Taufe geht es Jesus also darum, Gerechtigkeit zu erfüllen. Die Gerechtigkeit, die er im Sinn hat und die er von seiner Taufe an bis zum Ende am Kreuz ganz konsequent verfolgt, ist etwas ganz anderes als das, was wir normalerweise unter Gerechtigkeit verstehen. Gerechtigkeit, wie Jesus sie versteht, hat nichts zu tun damit, dass jeder bekommt, was er oder sie verdient. Was Gerechtigkeit für Jesus bedeutet, zeigt er in den Seligpreisungen, mit denen er seine im übernächsten Kapitel beginnende Bergpredigt eröffnet. Unter den acht Seligpreisungen kommt die Gerechtigkeit gleich zweimal vor. Zum einen ist sie das, wonach Menschen hungern und dürsten, weil sie selbst oder andere nicht haben, was sie zum menschenwürdigen Leben benötigen. Und zum andern werden Menschen um der Gerechtigkeit willen verfolgt.

Wer dafür ist, dass jeder Mensch bekommt, was er verdient, wird von niemandem verfolgt. Doch wer sich dafür einsetzt, dass Benachteiligte so ausgestattet werden, dass sie menschenwürdig leben können, wer Behinderte unter Nichtbehinderten ansiedelt oder sie Urlaub verbringen lässt, wer Strafentlassenen eine neue Existenz aufbauen hilft, wer Flüchtlinge aufnimmt und sie mit allem ausstattet, was sie zum Leben brauchen, der muss damit rechnen, dass ihm das übel genommen wird von denen, die ihren Besitzstand in Gefahr sehen.

Gerechtigkeit erfüllen heißt für Jesus also, sich um Gottes Willen den Menschen zuwenden, die es – aus welchen Gründen auch immer – schwer haben mitzuhalten. Das ist der rote Faden, der sein Leben durchzieht. Und damit begann er bei seinem ersten öffentlichen Auftreten bei der Taufe durch Johannes. Hier wird sichtbar, dass sein Weg nach unten führte. Nach unten stieg er ins heiße Jordantal und mischte sich unter die Menschen, die ihre Sünden bekannten, wollte nicht besser sein als sie, stieg hinunter in den Fluss, beugte sich unter die fremde Hand des Täufers. Und unten blieb er bei denen, die man dorthin gestoßen hatte – „am ha arez“, nannte man sie, Erdenvolk, die Niedrigen, die Unbedeutenden.

Und über diesem Mann tut sich der Himmel auf, zu ihm bekennt sich Gott als zu seinem lieben Sohn. Und genau an dieser Stelle, wo es um das besondere Verhältnis Jesu zu Gott geht, wo er den Geist Gottes auf sich herabkommen sieht und zu hören ist, dass Gott ihn zu seinem Sohn erklärt, da heißt es gleich zweimal: „und siehe!“ Denn was es heißt, Gottes Kind zu sein, das wird durch Jesus sichtbar gemacht: das Leben mit der Schlagseite zu den Benachteiligten, das Leben mit dem Drall nach unten.

Und gerade weil unser Leben von ganz anderen Normen bestimmt wird, davon, möglichst gut über die Runden zu kommen, sich sehen lassen zu können mit dem, was wir leisten oder geleistet haben und mit dem, was unsere Kinder und Enkelkinder so an Bemerkenswertem zustande bringen – gerade deshalb sind wir angewiesen darauf, dass uns immer von neuem vor Augen geführt wird, was Jesus zum Sohn Gottes und zu unserem Herrn macht.

Denn wir sind in der Tat mit einbezogen in das Geschehen zwischen Gott und Jesus, das da am Jordan sichtbar wird. Im Matthäusevangelium hören wir die ersten Worte Jesu bei seiner Taufe. Und mit seinen letzten Worten beauftragt er seine Jünger damit, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen und sie zu taufen. Da geht es also auch um uns. Darum, dass wir an der Gotteskindschaft Jesu teilhaben, die wir wie er Gott als unseren Vater anrufen und die ihre Augen und Herzen dafür aufmachen, wie er Gott und den Menschen gerecht geworden ist. Amen.

 



Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf
Hildesheim, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: Rudolf.Rengstorf@online.de

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