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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. So n. Epiphanias, 12.01.2020

Nicht nur zur Weihnachtszeit
Predigt zu Matthäus 3:13-17, verfasst von Christoph Gamer

Begrüßung:

Guten Morgen und herzlich willkommen – gerade noch rechtzeitig, bevor Weihnachten endgültig vorbei ist! Zum Glück dürfen wir in Schweden eine Woche länger feiern als anderswo. „Knut driver julen ut“, sagt eine alte Volksweisheit. „Knut“, das ist morgen, 13. Januar, der Namenstag des heiligen Knut.

In neuerer Zeit kennen wir auch den Spruch: „Tjugondag Knut kastas granen ut“. So wollen wir es – ganz schwedisch – auch heute tun: Nach der Predigt seid ihr eingeladen, den Weihnachtsbaum mit abzuschmücken, bevor wir ihn hinterher rauswerfen.

Unsere „Sonntags-Entdecker“ werden nach dem Kirchcafé dann die Krippe einpacken. Schließlich haben die Hirten und die Weisen dem Stall ja schon den Rücken gekehrt und sich wieder auf den Heimweg gemacht!

 

Und dann? Was bleibt von dem Fest, auf das wir uns so lange vorbereitet und gefreut haben – mehr als die Geschenke, die unterm Baum lagen?

Dem wollen wir heute in unserem Gottesdienst nachgehen.

 

Feiern wir im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.

 

 

Predigt:

Liebe Gemeinde,

eben war er noch ein Kleinkind, plötzlich ist Jesus erwachsen geworden! Da lässt er sich auf eigenen Wunsch taufen. Wir haben es vorhin gehört. So abrupt ist Weihnachten im Evangelium vorbei.

In der Kirche auch. Am Montag noch sind die Sternsinger von Haus zu Haus gezogen. Sie haben an die drei Weisen erinnert, die lange nach den Hirten endlich auch an der Krippe angekommen sind.

Heute begegnen wir Jesus im Alter von 30. Nicht leicht, da mitzukommen!

 

In dem Jahr, als Lars zehn wurde, war Weihnachten für ihn schneller vorbei, als es ein Kind begreifen kann. Oder war es einfach nur anders als die Weihnachten, die er bis dahin gekannt hatte?

Lars heißt mit Nachnamen Lamberg und ist der Sohn des damaligen Hauptpfarrers Jonas Casten hier an der Christinenkirche. Jedenfalls ist er das in Evert Lundströms historischem Roman über Göteborg im 19. Jahrhundert.

Die Pfarrfamilie wohnte damals an der Straße auf der Nordseite unserer Kirche. Dort befand sich auch die Deutsche Schule.

In den Tagen vor Weihnachten war Lars wie alle Kinder hingerissen von dem Duft von Pfefferkuchen, Schmalzgebäck, Hafergrütze, Stockfisch und Weihnachtsschinken, der damals schon das ganze Stadtviertel durchzog. Eins aber war im 19. Jahrhundert anders als heute, erzählt Evert Lundström: Weihnachtsbäume waren selten. Denn nur wenige – die Pfarrersfamilie gehörte dazu! – konnten sich einen Baum leisten!

Aber genauso wie zu allen Zeiten freuten sich die Kinder auf das Fest und auf die Geschenke. Diesmal hatte sich Lars Schlittschuhe gewünscht. Die Idee dazu hatte er von seinem Klassenkameraden Franz. Deutsche Schlittschuhe würden ihm vollauf genügen, hatte der in der Schule erzählt. Das waren nämlich die billigsten auf dem Markt, klobig und unbemalt. Evert Lundström schreibt:  „Nur in seinen wildesten Träumen wagte er die deutschen Schlittschuhe gegen englische auszuwechseln oder – gebe Gott – Schlittschuhe aus Eskilstuna, die vermutlich die Engel im Paradies anzogen, so wunderbar waren sie.“ (S. 41)

 

Was war nun für Lars an diesem Weihnachtsfest anders als davor?

Seine Schlittschuhe bekam er; das war nichts Ungewöhnliches. Der Pfarrerssohn war es gewohnt, dass seine Eltern ihm seine Wünsche erfüllten. An Geld mangelte es nicht.

Nein, diesmal hat Lars auch seinen Freund Franz bedacht: Ein Paar extra Lederriemen für die Schlittschuhe, die auch er sich gewünscht hatte, sollte er bekommen! So macht Lars sich mit dem Päckchen unter dem Arm auf den Weg zu Franz nach Hause. Da ist er bislang noch nie gewesen, obwohl die Familie nicht weit weg auf der Haga Östergata wohnt.

Und doch ist es, als ob zwischen den Stadtvierteln Welten liegen. Nicht nur, dass die Lichtkegel der Gaslampen mit einem Mal weniger werden, als Lars den Södra Hamnkanalen überquert. Nein, anders als Lars es von zu Hause gewohnt ist, wird er bei Franz nicht mit offenen Armen, sondern mit Erschrecken empfangen. In der Stube, in die Franz‘ Mutter ihn hineinbittet, sieht es ganz anders aus als in dem duftenden, geschmückten Wohnzimmer im Pfarrhaus. Hier kein Weihnachtsbaum, stattdessen Dämmerlicht von nur wenigen Kerzen. Dazu drei kleine Geschwister, die umherspringen; auf einer Pritsche der Onkel, der seinen Rausch ausschläft, und im Nachbarzimmer – nur durch einen Vorhang abgetrennt – das Röcheln der bettlägerigen Großmutter. Weil sie just am Heiligen Abend neue Medizin brauchte, haben die wenigen Öre, die Franz‘ Vater sich durch das Umschlagen von Eisen verdient, nicht auch noch für Weihnachtsgeschenke für die Kinder gereicht.

 

Evert Lundström schreibt: „Aber in dem immer noch ungeöffneten Päckchen, das Lars seinem Freund mitgebracht hatte, befand sich ein Lederriemen. Ein extra Schlittschuhriemen. Lars verstand: Er hätte Franz alles schenken können, nur nicht einen Schlittschuhriemen.

‚Einen Riemen kann man immer gebrauchen‘, sagte er verlegen, ohne Franz dabei anzusehen.

‚Einen Riemen?‘, entgegnete dieser unverständig.

‚Ja, wenn du einen Riemen geschenkt bekämest, könntest du ihn wohl zu etwas verwenden, oder?‘

In dem Augenblick verstand Franz die sonderbare Frage. Sein Blick glitt für einen Moment hinüber zu dem Päckchen und schnell wieder zurück. ‚Ja, einen Riemen kann man immer gebrauchen‘, sagte er. ‚Ich hätte gerne einen Lederriemen. Man muss ihn ja nicht für Schlittschuhe verwenden.‘“ (S. 53)

 

Mit einem Schlag ist da für Lars Weihnachten vorbei. Jedenfalls ist seine kindliche Freude nicht mehr ungetrübt, über die sein Vater doch unlängst erst gepredigt hatte. Alles fühlt sich plötzlich anders an – erwachsener vielleicht? Wie soll man da mitkommen?

 

Als sich der erwachsene Jesus von Johannes taufen lässt, macht er damit deutlich: Ich bin einer von euch. Ich stelle mich nicht als unbeteiligter Zuschauer daneben, wo Menschen täglich für ihren Lebensunterhalt kämpfen müssen; wo es nicht einmal für Geschenke für die Kinder reicht. Nein, ich bin den Widrigkeiten des Lebens genauso ausgesetzt wie ihr. So sagt es Jesus nicht nur, so handelt er auch. Er lässt sich taufen, als ob er einen Neuanfang genauso nötig hätte wie wir.

So geht in der Taufe weiter, was zu Weihnachten angefangen hat: Gott kommt dir und mir ganz nah. Er macht sich uns gleich. Als Kind in der Krippe genauso wie als Erwachsener verbindet er sich mit uns und stellt uns an die Seite derer, die Zuwendung brauchen. So geht Weihnachten weiter.

 

Evert Lundström erzählt in seinem Roman: In dem Jahr hört Lars nicht nur der Weihnachtspredigt seines Vaters hier in der Christinenkirche zu. Nein, in der ärmlichen Stube bei seinem Freund Franz erfährt er durch dessen Vater von Robert Dickson, einem schottischen Industriellen, der sich Anfang des 19. Jahrhunderts in Göteborg niederließ. Er war beruflich erfolgreich und hatte ein großes Vermögen angehäuft. Das verwendete er dazu, in Haga und Majorna kostengünstige Wohnungen für Menschen aus der verarmten Arbeiterklasse zu bauen.

Bis heute ist in Haga die „Robert Dickson Stiftung“ ansässig.

„Wenn mehr es ihm gleich täten, würde es in der Welt anders aussehen. Er vergrub sein Pfund nicht und legte sein Geld auch nicht auf der Bank an. Nein, stattdessen tat er etwas für die Armen und baute Häuser für uns Arbeiter. Das war in gewissem Sinne auch eine Predigt!“ (S. 55), findet Franz‘ Vater.

 

Dieses so andere Weihnachten hat bei dem kaum zehnjährigen Lars einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Seitdem jedenfalls verbindet die beiden ungleichen Kameraden in Evert Lundströms Roman eine tiefe Freundschaft. Als Jugendliche und auch als Erwachsene noch stehen Lars und Franz einander bei und nicht immer ist klar, wer die Unterstützung des anderen gerade mehr braucht.

 

So wirkt Weihnachten weiter in den vielen Tagen, die danach kommen; ja selbst in den Jahren, in denen die kindliche Freude daran der Vergangenheit angehört, tut es das noch.

 

Gottes Friede ist größer als die Vernunft. Er bewahre eure Herzen und eure Gedanken bei Jesus Christus. Amen.

 

 

Lieder:

EG 52; EG 73,1-5; EG 42,1-6; EG 410; EG 200,1-2; EG 66,1+8

 

 

Aktionsphase nach der Predigt:

Station 1: Abschmücken des Weihnachtsbaumes

Station 2: Tauferinnerung

 

 

Zitate aus: Evert Lundström, Kära Lilla London 2008; Übersetzung: Christoph Gamer

 

Christoph Gamer, geb. 1974, Pfarrer der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Seit 2013 als Pfarrer an der Deutschen Christinenkirche in Göteborg, Schweden tätig.

christoph.gamer@svenskakyrkan.se



Pfr. Christoph Gamer
Göteborg, Schweden
E-Mail: christoph.gamer@svenskakyrkan.se

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