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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. So n. Epiphanias, 12.01.2020

Können Worte so viel?
Predigt zu Matthäus 3:13-17, verfasst von Anita Christians-Albrecht

Dem Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf verdanken wir sie, liebe Gemeinde. Die täglichen Losungen. Die Bibelverse, die seit 1728 in Herrenhut für jeden Tag gezogen, also gelost werden. Losungen - Warum? Was soll das bringen?

 

Nun ja, wir haben das alle schon erlebt. Da sagt jemand etwas zu dir und es ist, als wenn dir ein nasser Lappen um die Ohren gehauen wird. Oder es sagt dir jemand etwas, und es ist, als ob die Sonne aufgeht. Ja, und so hat der alte Graf Zinzendorf sich das damals – vor fast 300 Jahren – gedacht: Ich will den Menschen ein gutes Wort aussuchen, das mit ihnen geht, einen Vers aus der Bibel – für jeden Tag. Das hat sich bewährt: Bis heute beginnen über eine Million Menschen allein in Deutschland ihren Tag mit der Tageslosung.

 

Wie gut freundliche und liebevolle Worte tun können! Wenn man hört, dass man einem anderen etwas bedeutet, dass er oder sie einem vertraut, einem etwas zutraut. Das ist dann wie Fahrrad-fahren mit Rückenwind. Alles geht plötzlich leichter, und man kommt fast ohne Mühe ans Ziel.

 

Wie gut Worte tun können! Ich habe dazu eine Geschichte gelesen, die mich sehr berührt hat. Eine Geschichte über Thomas Edison, den großen Erfinder: Der kommt eines Tages von der Schule nach Hause und überreicht seiner Mutter einen Brief. Mein Lehrer hat mir diesen Brief gegeben‘, sagt er. Ich soll ihn nur dir zu lesen geben.

 

Die Mutter hat Tränen in den Augen, als sie ihrem Sohn den Brief vorliest: Ihr Junge ist ein Genie! Unsere Schule ist viel zu klein für ihn. Sie verfügt nicht über die Lehrer, die gut genug wären, ihn zu unterrichten. Bitte, unterrichten Sie ihn von nun an selbst! So geschieht es dann auch. Die Mutter gibt ihrem Sohn Unterricht. Und das mit großem Erfolg. Aus Thomas Edison wird ein kluger Mann.

 

Jahre später – die Mutter ist schon lange tot – sucht Edison etwas in einer alten Schublade. Und findet ein Blatt Papier – den Brief, den sein Lehrer damals geschrieben hat. Edison fängt an zu lesen: Ihr Sohn ist geistig behindert. Wir können und möchten ihn nicht länger auf unserer Schule unterrichten. Es heißt, dass Edison nach dieser Entdeckung lange geweint hat. Das Vertrauen seiner Mutter hat den Ausschlag gegeben, dass er ein so großer Erfinder wurde.

 

An diese Geschichte muss ich denken beim Schluss unseres heutigen Predigttextes[1]: Jesus lässt sich taufen. Und als er wieder aus dem Wasser steigt, tut sich der Himmel auf. Eine Stimme ist zu hören: Das ist mein geliebter Sohn. An ihm habe ich Wohlgefallen. Wohlgefallen. Was für ein schönes Wort. Ein Wort, das Mut macht. Ein Wort, das das ganze Leben bestimmen kann.

 

Mit diesen Worten beginnt die Geschichte, die wir auch fast 2000 Jahre später immer noch erzählen. Von nun an redet und wirkt Jesus in der Öffentlichkeit. Jetzt – er muss so etwa 30 Jahre alt gewesen sein – geht es los. Und dafür wird Jesus von Gott ausgestattet. Mit guten Worten und dem Heiligen Geist. Mit dem Zutrauen und der Kraft, die er braucht für seinen Auftrag.

 

Wie soll sein Wirken aussehen? Darauf gibt die Geschichte von Jesu Taufe uns Antworten.

 

Schauplatz ist der Jordan, ein kleiner Fluss, der den See Genezareth und das Tote Meer verbindet. Hier – mitten in der Einöde – begegnen wir Johannes, dem Täufer. Er muss eine eindrückliche Persönlichkeit gewesen sein. Den Protest, den er verkündigte, scheint er auch zu leben – bis hin zu seiner Kleidung und Ernährung. Von einem Mantel aus Kamelhaar berichtet die Bibel und biologisch-dynamischen Lebensmitteln, Heuschrecken und wildem Honig.

Zimperlich ist er nicht, auch nicht in seinen Predigten. Unmissverständlich fordert Johannes die Menschen auf, Buße zu tun und endlich wieder so zu leben, wie es für sie gut ist und Gott gefällt. Ihr Schlangenbrut, ruft er den Leuten zu. Ihr tut nur so, als ob! Damit könnt ihr vor Gott nicht bestehen. Sein Zorn wird euch treffen! Ihr zerstört euch selbst.

 

Harte Worte. Aber die Menschen begreifen: Ja, er hat recht. Es läuft so vieles verkehrt. Wir müssen unser Leben ändern.

 

Einfach ist das nicht. Sein Leben ändern. Manchmal zwingt uns ja eine Krankheit dazu, eine Diagnose. Ich muss an einen Kollegen denken, dem es schon lange nicht mehr richtig gut ging. Immer war er müde, schleppte sich durch den Tag, hatte kaum noch Freude am Leben. Als er schließlich zum Arzt ging, war er schockiert: Sie müssen Ihr Leben ändern, sagte der zu ihr. Sie haben Diabetes!

 

Sein Leben ändern. Einfach ist das nicht. Wir erkennen es auch in der gegenwärtigen Diskussion über Umwelt und Klima. Mal hier und da auf die Plastiktüte verzichten, etwas häufiger das Fahrrad nehmen, ja, klar. Aber wirklich das Leben ändern? Wie soll das gehen?

 

Die Leute damals am Jordan nehmen Johannes ernst. Sie lassen sich von ihm den Kopf waschen und dann taufen, die Sünde symbolisch abwaschen. Tausende müssen es gewesen sein, die fasziniert sind von seiner Rede und seiner Konsequenz.

 

Wer wieder aus dem Jordanwasser auftaucht, ist erst einmal frei und hat die Chance, neu auf das zu achten, was für ihn und andere gut ist. Wie lange das wohl vorgehalten hat? Ist es so gelaufen wie bei uns mit den Fitnessstudios, die im Januar übervoll sind und sich spätestens im März wieder leeren?

 

Zu diesem Johannes kommt nun auch Jesus. Er will sich von ihm taufen lassen – und Johannes versteht die Welt nicht mehr: Warum willst du dich taufen lassen? Johannes stellt diese Frage, weil er Jesus kennt. Er ist mit ihm verwandt. Er weiß: Dieser Jesus ist kein gewöhnlicher Mensch. Er muss nicht zu Gott umkehren, weil er immer schon bei Gott ist. Er hat es doch gar nicht nötig! Johannes ist komplett irritiert: Ich müsste mich von dir taufen lassen, sagt er. Das würde Sinn machen!

Nein, sagt Jesus. Das ist genau richtig so. Lass es jetzt zu! Denn so erfüllt sich das, was Gottes Gerechtigkeit fordert! Was hat das denn nun zu bedeuten? Was meint Jesus damit?

 

Für Johannes ist die Sache klar. Und für uns häufig auch: Gott ist ein gerechter Gott. Er sagt uns, was wir zu tun und zu lassen haben. Und wenn wir uns nicht daran halten, werden wir schon sehen, was wir davon haben. Johannes tauft die Sünder, damit sie wieder Gerechte werden. Bevor es zu spät ist. Denn mit dem Messias wird der kommen, der mit starker Hand aufräumt und das Böse endgültig besiegt.

 

Jesus sagt und tut etwas anderes. Die Gerechtigkeit Gottes erfüllen, das geht nur dadurch, dass jemand einen Überschuss an Liebe in die von Bosheit bestimmt Welt hineinbringt. Und deshalb stellt Jesus, der es ja eigentlich gar nicht nötig hätte, sich zu den Menschen, die auf die Taufe warten. Zum betrügerischen Zöllner, zum gehetzten Geschäftsmann, zum verlogenen Heuchler, zu dem, der ‚down‘ ist und ohne Perspektive, zu dem, der alles hat und dem doch alles fehlt. Er stellt sich an ihre Seite und wird einer von ihnen.

 

Gott bleibt nicht hoch oben auf seinem Thron, bedeutet das. Nein, er kennt die Verletzlichkeit der Menschen, ihre Ohnmacht, ihren Kummer und ihre Sehnsucht. Zu diesem Gott kann ich hin, kann mich bei ihm ausheulen, ihm meine Angst, Verzweiflung oder Wut erzählen. Immer wieder.

 

Jesus weiß: Die Menschen brauchen keine Apelle und keine guten Vorsätze. Sie brauchen jemanden, der an ihrer Seite bleibt, der sie trägt und begleitet in ihrer Schwachheit und Schuld. Der ihnen wieder aufhilft, wenn sie fallen.

So soll er wirken in unserer Welt. So will es Gott, sagt er. Und die Bestätigung kommt sofort: Das ist mein geliebter Sohn. An ihm habe ich Wohlgefallen. Dieser Satz wird für Jesus zur Quelle seines Lebens und Handelns.

 

Und – er gilt auch für uns: Noch heutigen Tages ist der Himmel offen über die ganze Welt, hat Martin Luther zur Taufe Jesu gesagt. Merke, dass diese Geschichte nicht zu Ende ist.[2] 

 

Das ist mein geliebter Sohn / meine geliebte Tochter. An ihm / ihr habe ich Wohlgefallen.

Mir hilft dieser Satz im Umgang mit mir selbst. Mir hilft die Vorstellung, dass Gott so ist wie die Mutter von Thomas Edison. Er vertraut uns, er traut uns zu, dass wir in seinem Sinne wirken und arbeiten können und dass dabei etwas Gutes herauskommt. So wie Eltern es tun. Sie sind da. Sie lieben ihr Kind, sie stärken und ermutigen es.

Oft genug zweifle ich an meinen Möglichkeiten. Was kann ich schon ausrichten? Was können wir schon tun – beispielsweile gegen die sinkenden Mitgliederzahlen in den Kirchen? Wenn ich Gottes Zusage höre, schaue ich neu auf meine Gaben und Möglichkeiten. Ich bin keine, die die Welt retten wird, aber eine, die es für andere heller machen kann, zumindest hier und da. Gott traut mir das zu. Lasse niemand den Glauben fahren, dass Gott durch ihn eine große Tat tun will. Auch diese Ermutigung stammt von Martin Luther.[3]

 

Das ist mein geliebter Sohn / meine geliebte Tochter. An ihm / ihr habe ich Wohlgefallen.

Mir hilft dieser Satz auch im Umgang mit anderen. Ganz viel Wertvolles und Besonderes hat Gott auch in die Menschen hineingelegt, die meinen Weg kreuzen. Es ist schön, wenn man sich immer wieder positiv überraschen lässt.

 

Das ist mein geliebter Sohn. An ihm habe ich Wohlgefallen.

Gottes Stimme kommt aus dem ‚Off‘, wie es die Theatersprache nennt. Den, der da spricht, sieht man nicht. Und so stellt sich zuletzt natürlich die Frage: Kann allein Gottes Wort uns zum Leben helfen? Können Worte wirklich so viel? Ja! Zwei Beispiele haben mich einmal mehr überzeugt:

 

Eine Schule hat sich ein besonderes Projekt überlegt: Mitte Oktober zieht – ähnlich wie beim ‚Wichteln‘ – jede/r Schülerin den Namen eines/r Mitschülers/in. Niemand weiß, wer welchen Namen gezogen hat. Die Aufgabe besteht nun darin, diese Person bis zu den Weihnachtsferien mit guten Worten zu stärken, ohne dass der oder die andere merkt, wer ihr da Gutes tut. Eindrücklich haben die Lehrer und Lehrerinnen berichtet, wie glücklich oder berührt und manchmal auch verwundert die Schüler waren, wenn da jemand merkte, wenn sie traurig waren oder Angst vor der Mathearbeit hatten oder das Gefühl, dass keiner sie leiden konnte. Und wie sehr gute Worte helfen können.  

 

In den Werken des berühmten Psychologen Sigmund Freud heißt es an einer Stelle: Ein Kind, das sich in der Dunkelheit fürchtete, hörte ich ins Nebenzimmer rufen: ‚Tante, sprich doch zu mir, ich fürchte mich.' Die Angeredete antwortete: 'Aber was hast du davon, du siehst mich ja nicht'; darauf das Kind: 'Wenn jemand spricht, wird es heller.'

 

So stelle ich mir das vor mit den vielen Worten und Verheißungen der Bibel. Wir dürfen auch Gott ruhig etwas zutrauen. Sie kennen ja das Synonym für ‚jemandem etwas zutrauen‘, oder? An jemanden glauben. Amen.

 

 

Anita Christians-Albrecht

Burgdorf

Pastorin / Beauftragte für Altenseelsorge in der ev.-luth. Landeskirche Hannovers

 

[1] Mt. 3, 13-17 bitte in der Lesung oder an dieser Stelle.

[2] Martin Luther in einer Predigt im Jahre 1544

[3] Martin Luther: Magnifikatauslegung 1520/21



Pastorin Anita Christians-Albrecht
Burgdorf, Niedersachsen, Deutschland
E-Mail: anita.christians-albrecht@evlka.de

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