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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Epiphanias, 26.01.2020

Predigt zu Lukas 17:5-10 (dänische Perikopenordnung) , verfasst von Peter Fischer-Møller

Der Glaube kann Berge versetzen, sagen wir. Ganz gleich woran wir glauben, kann der Glaube in der Tat viel bewirken. In der Welt und bei uns selbst. Aber es macht einen Unterschied, was für einen Glauben man hat und was die verschiedenen Formen von Glauben in der Welt und bei uns selbst bewirken.

Darum geht es heute.

Glaubt dran! So lautet der taktfeste Ruf des Trainers an die Ruderer, die mit den Riemen kämpfen. Glaubt daran, glaubt daran! So rufen die Ruderer sich selbst zu, während sie ihre letzten Kräfte mobilisieren, Kräfte, an die sie nicht glaubten, die aber dennoch da sind und die das Boot den Bruchteil einer Sekunde vor den Konkurrenten durchs Ziel treiben. 

Auch wenn wir keine Elitesportler sind, kennen wir das sehr wohl.

Wir haben wohl alle den Glauben als eine Stärke erfahren. Es kann darum gehen, dass man an seine eigenen Fähigkeiten glaubt, daran glaubt, dass man die Aufgabe bewältigen kann, die man sich gestellt hat, daran glaubt, dass das gut und richtig ist, was man sich vorgenommen hat. So ein Glaube kann einem wirklich überschüssige Kräfte verleihen und bewirken, dass einem Dinge gelingen, während man recht sicher sein kann, dass das Projekt misslingt, wenn man nicht richtig glaubt, dass man es schaffen kann, oder überhaupt daran zweifelt, dass es sich lohnt.

Der Glaube an eine Sache oder eine Idee können Menschen zusammenbringen, uns dazu bringen, zusammenzuarbeiten, er kann ein Gefühl der Gemeinschaft erzeugen, das Mut und Kräfte weckt, so dass die Dinge wirklich gelingen und wir etwas bewirken. Und die sichtbaren Ergebnisse wecken Aufmerksamkeit und mobilisieren noch mehr Kräfte. 

Ohne diese Form von Glauben hätten wir nicht die Gesellschaft, die wir heute haben. Ja ohne diese Form von Glauben würde es vielen von uns schwerfallen, morgens aus dem Bett zu steigen. Wir brauchen eine Frucht, der wir nachlaufen. Nicht notwendigerweise eine Weltmeisterschaft im Rudern oder große Bauvorhaben, aber dann vielleicht ein Examen, dass zu bestehen ist, Ferien, für die wir schon jetzt sparen, ein Haus, dass instandgesetzt werden soll. Ohne Überzeugung und Engagement wird das nichts. 

Die Ärzte haben ein Wort für diese Form von Glauben. Sie nennen das Placebo. Wenn sie uns eine weiße Pille geben und wir daran glauben, dass sie uns nutzen wird, dann geht es uns tatsächlich besser, auch wenn es nur eine Kalktablette war. Aber diese Trosttablette hat auch eine Schattenseite. Am 11. September 2001 bewirkte sie, dass die höchsten Gebäude der Welt, die beiden Zwillingstürme in New York, zusammenstürzten und tausende von Menschen unter sich begruben. Eine Gruppe von Fanatikern war so verblendet von dem Glauben an eine bestimmte Sache, dass sie bereit waren, ihr eigenes Leben und das vieler anderer auf dem Altars dieses Glaubens zu opfern. Das erschütterte unsere ganze Welt. Und das erschüttert sie noch heute. Denn es gibt noch immer verzweifelte und verblendete junge und alte Menschen, Männer und Frauen, die ein Auto mit Dynamit füllen oder einen Gürtel mit Sprengstoff um sich binden in einem abartigen und perversen Glauben daran, dass sie das Richtige tun, dass sie sich im Dienste einer höheren Sache opfern. Und hier geht es nicht darum, wie wir vielleicht versucht sind zu denken, woran sie glauben, ob sie vielleicht an den Koran glauben und nicht an die Bibel, ob sie sich Christen nennen oder Muslime. Denn der brennende Glaube an eine Sache ist in unserer Kultur mindestens ebenso

sehr eine Plage gewesen wir in der arabischen. Man denke nur an die Kreuzzüge. Man denke an den perversen Glauben der Nazis an eine arische Rasse, die ganz Europa in eine bessere Zukunft führen soll. Man denke an den jahrelangen Kampf zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland. Man denke an die Schreckensherrschaft Pol Pots in den70er Jahren.

So ist es mit unserem Glauben. So bedeutend er für uns ist, genauso gefährlich kann er auch für uns und andere sein.

„Stärke uns den Glauben“, hören wir die Jünger, wie sie Jesus im heutigen Evangelium bitten. Wir verstehen sie gut. Sie kannten das schöne sichere Erfolgserlebnis, das dem Glauben an eine Sache entspringt. Aber jetzt waren die Jünger offenbar in eine Lage geraten, wo die Dinge nicht richtig gelingen wollten, wo die Erfolge ausblieben und wo der Mut und die Kräfte nachließen. In dieser Situation wenden sie sich an Jesus und bitten um mehr Glauben, neuen Brennstoff, einen Schuss neue Energie, damit wir die Dinge wider in den Griff bekommen. 

Und Jesus antwortet: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und verpflanze dich ins Meer, und er würde euch gehorsam sein“. 

Was kann er nur damit gemeint haben? Ja, das könnte ja unmittelbar so klingen, als würde er sagen: „Liebe Jünger, ihr habt vollkommen Recht. Es geht wirklich darum, dass man einen absolut sicheren Glauben an die Sache hat. So einen Glauben habt ihr nicht. Den Glauben müsst ihr finden, den Glauben müsst ihr euch verschaffen, dann werdet ihr sehen, dass ihr Unglaubliches bewirken könnt“.

Aber meint Jesus wirklich das mit dem merkwürdigen Bild, das er uns mit dem Maulbeerbaum vor Augen stellt, der mit der Wurzel ausgerissen und ins Meer gepflanzt wird?

Liegt nicht in diesem Bild eine klare Distanzierung von diesem kraftvollen Glauben? Denn, ehrlich gesagt, was soll ein Maulbeerbaum eigentlich im Meer? Steht er nicht viel besser da, wo er nun einmal gepflanzt ist, mit den Wurzeln in der Erde?

Ich denke, Jesus will mit seiner Antwort den Glauben infrage stellen, nach dem sich die Jünger sehnen und um den sie bitten, Glaube als einer Fähigkeit oder einer Eigenschaft, über die wir Menschen selbst verfügen. Glaube als Placebo.

Warum nun das? Was ist falsch an diesem Glauben?

Ja, das ist dies, dass sich der Glaube von Menschen an eine Idee oder Sache sehr leicht in eine Welle von sich selbst bestätigender Machtentfaltung verdichten kann, die alles zerstört, was nicht von demselben Glauben beseelt ist – und dafür gibt es wie erwähnt viele traurige Beispiele in der Geschichte. Der brennende Glaube an eine Idee oder an eine Sache bringt leicht einen ebenso brennenden Hass gegen die hervor, die anderer Meinung sind oder die nur zufällig im Wege stehen. 

Und wir denken dann so leicht: Wenn wir doch nur die verblendeten Fanatiker in aller Welt loswerden könnten!

Aber ist das wirklich ein gangbarer Weg? Glauben wir wirklich, dass wir eine bessere Welt schaffen können, indem wir alle die loswerden, die von einem anderen Glauben verblendet als dem unseren? Geht die Trennlinie zwischen Gut und Böse hier in der Welt nicht an einer anderen und viel schwerer zu handhabenden Stelle als der zwischen uns und einigen anderen, nämlich quer durch Sinn und Seele in jedem von uns?

Und ging es Jesus eben darum?

Unmittelbar vor dem Wortwechsel über den Glauben in unserem Text heute hat Jesus gerade die Selbstgerechtigkeit verurteilt und von der Pflicht der Jünger gesprochen, sich miteinander zu versöhnen und einander zu vergeben.

Ich bin deshalb davon überzeugt, dass der Glaube, von dem Jesus hier spricht, ein anderer Glaube ist als der, um den die Jünger bitten.

Es geht nicht um den Glauben an eine Sache oder eine Idee, nicht um einen Glauben, den die Menschen in mehr oder weniger großer Menge in sich haben. Nein, der Glaube, von dem Jesus spricht, ist gar keine menschliche Fähigkeit. Er ist nicht etwas, was wir haben, sondern etwas, was wir bekommen, nämlich die frohe Botschaft, die an die Jünger erging, und an uns, in allem, was Jesus gesagt und getan hat: die Botschaft von der grenzenlosen, bedingungslosen Liebe Gottes zu seiner Welt und seinen Menschen.

Das Wort zu hören, als ein Wort an mich und dich, das nennt Jesus Glauben, und den Glauben vergleicht er mit einem Senfkorn, das zwar nicht nach sehr viel aussieht, das aber wachsen und zu einem ganzen Baum werden kann, mit der Wurzel fest in der Erde verankert, aber mit Zweigen, die in den Himmel reichen.

Das ist nicht der taktfest marschierende Glaube, sondern der Glaube, den wir ansatzweise in der Liebe eines anderen Menschen finden, der Glaube daran, dass es angeht, dass wir so sind, wie wir sind und tauglich für dieses Leben. Der Glaube daran, dass wir uns den Weg im Leben nicht verdienen sollen, indem wir besonders mutig oder tüchtige oder erfolgreich sind, sondern das dort für uns Platz ist und wir gebraucht werden so, wie wir sind. 

Das sieht nicht nach so viel aus, fast so unansehnlich wie ein Senfkorn. Aber daraus kann eine neue Zukunft erwachsen. Nicht eine Zukunft, die wir nach unserem Kopf gestalten, sondern die Zukunft, die aus seinem Wort erwachsen kann, der sein Leben am Kreuz für uns gegeben hat, damit jeden einzelne von uns erreicht – auch die die etwas anderes glauben als wir, ja selbst die, die wir für total verschrobene Fanatiker halten – mit der Botschaft von der grenzenlosen Liebe Gottes.

Und das ist dann die Zukunft, die uns Jesus mit dem kleinen Gleichnis öffnet, das er an seine Rede vom Glauben knüpft, dem Gleichnis von dem Diener, der einfach tut, was seine Aufgabe ist, ohne besonderen Dank oder Lohn dafür zu erwarten.

So, sagt Jesus, geht es nicht darum, einen Glauben zu haben, sondern treu zu sein. So sind wir alle von Gott in Dienst gestellt, so braucht er jeden einzigen von uns hier in der Welt, so ist jeder Tag eine besondere Aufgabe für dich und mich. Nicht notwendigerweise eine besonders große und auffällige Aufgabe, aber die wichtigste Aufgabe hier im Leben, die Aufgabe, die kein anderer als du lösen kann, nämlich dass du dein Leben mit deinen Mitmenschen teilst, dass du die Liebe, die Gott dir erzeigt hat, denen weitergibst, denen du begegnest.

Und ist das nicht im Grunde etwas viel Größeres und Phantastischeres als bei einer Weltmeisterschaft die Goldmedaille im Rudern zu gewinnen oder Maulbeerbäume auszureißen und sie ins Meer zu pflanzen? Amen.



Bischof Peter Fischer-Møller
Roskilde
E-Mail: pfm(at)km.dk

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