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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 11.03.2007

Predigt zu Lukas 11:14-28, verfasst von Marianne Christiansen

Das große leere Haus, wo die Fensterläden klappern und der Wind durch die geprungenen Scheiben pfeift - Regen und Gewitter. Man sieht eine Gestalt näher kommen mit hochgestelltem Kragen und einem ins Gesicht gezogenen Hut. Eine Faust pocht dreimal an die alte Tür. Es ist eine dunkle und stürmische Nacht.

                Das Böse als etwas, das in dem leeren Haus wohnt, ist das eine Bild, das Jesus uns heute vom Verhältnis des Menschen zu den Geistern gibt. Es ist ein Sinnbild. Deshalb ist es so furchtbar unheimlich für uns, jedesmal wenn sich die Geschichten und Filme, die wir lesen oder sehen, in einem leeren Haus auf ächzenden Fußböden abspielen. Zutiefst empfinden wir, dass das Haus für uns selbst steht, für unser Inneres, und dass die tiefste Angst die Angst vor dem Finsteren und Bösen ist, das sich unseres Sinnes bemächtigen will. Die Geister des Sinns. Alles, was Grauen vor der Dunkelheit heißt, Furcht vor der Stille oder vor der Einsamkeit, das alles ist Furcht vor der Leere, weil wir nicht selbst bestimmen, was die Leere füllen soll: Ein gekehrtes und geschmücktes Haus, das bereitsteht, sieben Geister aufzunehmen.

                Das einzige Hausmittel gegen die Angst besteht darin, zu singen und sein Vaterunser zu beten, und allein dadurch an etwas anderes zu denken als an sich selbst.

                Das leere Haus ist das eine Bild. Der Zweikampf zwischen den beiden bis an die Zähne bewaffneten Kriegern ist das zweite Bild.

                Auch hier ist der Mensch oder derjenige, der vom Bösen besessen ist, das Schlachtfeld, bis einer kommt, der stärker ist, nämlich die Kraft Gottes, und den Satan übewindet und den Menschen befreit.

                Das Bild vom Zweikampf kennen wir auch aus der Geschichte und von Filmen. Die gewöhnlichen Menschen, Frauen und Kinder müssen ohnmächtig zusehen, während ihr Schicksal von den Großen entschieden wird, die um die Macht kämpfen. Die Kleinen und Schwachen können nur hoffen, dass der Sieger der Befreier und nicht der Tyrann sein wird.

                Der Mensch als das Schlachtfeld oder als ein Haus, das vom Bösen oder den bösen Geistern, den Dämonen, besetzt sein kann. Es gibt keinen Grund zu sagen, dass wir das nicht glauben. Denn obgleich wir die Geister der Bosheit nicht mit unserer Vernunft erkennen, so erkennen wir sie doch mit unseren Herzen und unserer Erfahrung. Früher hat man versucht, all das "Gerede" von Geistern und Dämonen aus dem Neuen Testament wegzuwischen als Überbleibsel des Aberglaubens alter Tage. Damals, in den vergangenen Jahrhunderten, da man noch so großes Vertrauen zum Menschen besaß, damals war man ganz und gar davon überzeugt, dass der Mensch, wenn es ihm nur wirtschaftlich und sozial einigermaßen gut ginge, nicht mehr böse sein würde. Das Böse würde, so meinte man, mit politischen Mitteln ausgerottet werden.

                Schön und fromm, aber leider falsch. Reicher als heute ist die Welt nie gewesen, und dennoch sind die Menschen keinen Deut besser geworden. Die bösen Geister wüten im Innern der Menschen und auf den Schlachtfeldern der Welt.

                Dämonen sind keine törichten oder betrügerischen Vorstellungen von kleinen unterhaltsamen Poltergeistern, vom "Geist in der Flasche", von Gespenstern oder, was sonst noch von der okkulten Industrie benutzt werden mag, um an Phanatasie und Geldbeutel zu appellieren.

                Dämonie ist das, was Menschen besessen macht und das gute, gottgeschaffene Leben zerstört; das, was Menschen einander entfremdet, sie blind und taub und stumm füreinander macht. Dämonie ist in der Angst, die einen Menschen verkrüppeln kann. Dämonie kann Menschen und ganze Gesellschaften besessen und zu Krüppeln machen, so dass sie ohne Mitgefühl töten und misshandeln. Wir brauchen keine Beispiele dafür über das hinaus, was wir täglich in Fernsehen und Presse serviert bekommen. Tortur- und Terrorfälle sind so handgreifliche Beispiele, dass sie wehtun. Und es tut auch weh, dass sie uns so faszinieren. Die Dämonen ergreifen Besitz. Bequem, wenn sie bei den anderen wüten.

                Aber wir alle kennen auch die kleine, alltägliche Bosheit, und zwar sowohl als ihre Opfer wie auch als ihre Werkzeuge - die Lust daran, wehzutun, zu verletzen, den anderen mit Worten oder mit Fußtritten zu treffen, Dinge zu tun und zu sagen, von denen wir mit unserer Vernunft und unserem Gewissen sehr wohl wissen, dass sie verkehrt sind, aber wir können es nicht lassen - es kam über mich. Dämonie nimmt den Menschen aus der Gemeinschaft mit Gott und anderen Menschen heraus, so dass wir nichts anderes mehr fühlen können als uns selbst.

                Dämonie lebt von der Leere und dem Stillschweigen. Wir sagen am liebsten gar nichts, solange die Bosheit nur die anderen trifft, solange wir so tun können, als wüssten oder sähen wir es nicht. Aus Furcht oder um des eigenen Vorteils willen.

                Es ist ein stummer Geist, den Jesus austreibt.

                Das Schweigen und die Leere sind Nährboden und Wirkung der Dämonie. Wir kennen sie - sowohl aus der Geschichte als auch unter uns. Vom Mobbing auf dem Schulhof bis zur Unterdrückung und Vertreibung derer, die anders sind, lebt die Dämonie davon, dass wir unsere Stimme nicht erheben und nicht Nein sagen. "Nein, da will ich nicht mitmachen" - das ist eine der mutigsten Aussagen in der Welt. Sie kann das Leben kosten, oder sie kann zumindest die Anerkennung kosten in der Gruppe, zu der man gern gehören möchte. Aber das Nein ist ein kleiner Teil eines großen Kampfes.

                Haben wir denn überhaupt etwas zu sagen in dem Kampf zwischen dem Starken und dem Stärkeren? Können wir uns von unseren eigenen Dämonen frei machen? Haben wir einen freien Willen, um dem Bösen eine Absage zu erteilen?

                Ja und nein. Es gibt eine Doppelheit in den beiden Bildern Jesu. In dem Bild vom Zweikampf, wo Jesus gegen den Satan kämpft und der Stärkere den Starken überwindet, müssen wir sagen: Nein, wir können das Böse nicht ausrotten. Der Kampf zwischen Gott und Satan geht gerade jetzt in der Welt und in jedem von uns vor sich. Wir können uns nicht selbst vom Bösen befreien.

                Aber das bedeutet nun nicht, dass es uns egal sein kann. Das wäre eine falsche Unterscheidung zwischen Aktivität und Passivität. Niemand, der jemals in einem Fußballstadion gewesen ist, wird behaupten wollen, dass das Publikum passiv sei, nur weil es das Ergebnis der Auseinandersetzung nicht bestimmt. Und niemand wird behaupten wollen, dass einem besetzten Volk, das in den Ruinen Schutz sucht, der Ausgang des Kampfes egal ist. Man nimmt an dem Kampf auf einer Seite teil, auch wenn man ihn nicht entscheidet. Jesus sagt: "Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich" - es gibt keine Neutralität im Kampf zwischen Gott und dem Satan.

                Wer glaubt, man könne sich zwischen Gut und Böse neutral verhalten, wird ja gerade zu dem gekehrten, geschmückten Haus, das Jesus als Bild für den Sinn des Menschen verwendet. "Wer nicht wählen will, / welchen Weg er gehen will, / endet als Stein in der Treppe, / auf die die Großen treten werden" (der dänische Dichter Carl Scharnberg). Neutral sein bedeutet, keine Stellung beziehen wollen, solange das Böse nur die anderen trifft:

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich nicht protestiert;
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie die Juden holten,
habe ich nicht protestiert;
ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten,
gab es keinen mehr, der protestierte.

                                               Frei nach Martin Niemöller.

 

Haben wir etwas zu sagen? Ja, wir haben ein Ja und ein Nein. Es ist wahr, wir sind nur Empfänger gegenüber den großen Kräften des Lebens, aber entgegennehmen und passiv sein ist nicht dasselbe wie, dass einem alles egal ist. Briefkästen sind die einzigen, die entgegennehmen, ohne sich selbst zu bewegen und etwas zu sagen. Wir sind keine Briefkästen.

                Wir haben etwas zu sagen, denn wir können uns öffnen oder verschließen, aufsuchen oder ablehnen.

                Das ist der grundlegende Sinn des Glaubensbekenntnisses und der Taufe - dass wir ein Nein und ein Ja haben, wir wenden der Tyranni des Bösen den Rücken und wenden uns der Kraft Gottes zu in der Hoffnung, von ihr erfüllt zu werden. Am schlimmsten ist es, leer zu sein und alles gleichgültig sein zu lassen, ein gekehrtes und geschmücktes Haus zu sein, klar zum Einzug für sieben wilde Dämonen. Das Beste, was man tun kann, ist darum: zu beten, vom Heiligen Geist Gottes erfüllt zu werden, von dem Geist Gottes, der wie ein sommerlicher Windstoß in dem alten, verlassenen, knarrenden Haus plötzlich die Tür aufbläst und es mit Licht und Leben und Freude erfüllt.

                "Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe", sagt Jesus, "so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen." Gottes Finger ist der Heilige Geist, der Geist Jesu, die Kraft der Liebe Gottes, und sie ist wie die Kraft des Windes und des Wassers: An sich weich und durchsichtig, nahezu unsichtbar, aber mit einer langsamen, beharrlichen Kraft, die das Harte und Starke umformen kann. Das ist auch die Kraft der Taufe - an sich unsichtbar, aber mit einer Kraft, das Haus des Sinns mit Heiligem Geist, Wahrheit, Mut und Liebe zu füllen.

                Wir sind keine leeren Häuser, verheert von Gespenstern und bösen Geistern. Wir haben den Geist Gottes und das Wort Gottes erhalten, Gottes Finger, der das Zeichen des Kreuzes über Stirn und Brust gemacht und das kleine Menschenleben zu einem Haus Gottes gemacht hat. Wir brauchen die Leere nicht zu fürchten.

                "Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, an denen du gesogen hast", rief eine Frau zu Jesus - selig der, der dir Herberge gab. Und Jesus antwortet: "Ja, selig sind die, die Gottes Wort hören und bewahren." Das ist hinreichende Fülle. Das füllt das gesamte Haus.

Amen



Pastorin Marianne Christiansen
Asylgade 22
DK-7700 Thisted

E-Mail: mch@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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