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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 09.02.2020

Predigt zu Matthäus 25:14-30 (dänische Perikopenordnung) , verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

Wir haben heute gut begonnen. Mit einem Lied von der „Möglichkeit dieses Morgens“[1]. Die lebendigen und frohen jungen Leute. Die Frucht der Freude, die wir gesät haben, und alles, so steht da, freut sich munter. Bis wir dann die erste Lesung aus der Bibel gehört haben (Hiob 9,1-12), wo Hiob direkt mit unseren fröhlichen Gesichtern konfrontiert wird. Hiob, der da in der Asche sitzt ohne all das: Seine Kinder leben nicht mehr und könne sich nicht mehr freuen, sie sind tot. Früchte der Freude, die er einmal gekannt hat, gibt es nicht mehr. Alles, was er gesät hat, ist verwelkst und verloren. Sein Körper ist zerstört. Da gibt es nichts zu lachen. Hiob hat alles verloren. Sein Lied heißt „Unmöglichkeit dieses Morgens“.

 

Und wie der da so sitzt, Hiob, das Holocaustopfer, der syrische Vater, der seine Familie nicht beschützen konnte, der Rohingya-Mann, der vertrieben worden ist, oder der Geschiedene, der nie verstanden hat, warum es so enden musste – so wie er da sitzt – hier am Sonntagvormittag, zwingt er uns eben einmal kurz einzuhalten und noch einmal hinzusehen auf den drittem Knecht des Evangeliums. Ihn haben wir gerade zurückgelassen draußen in der Finsternis, draußen wo Heulen und Zähneklappern herrscht. Denn sie ähneln sich ja, die Hiobs aus aller Welt und der letzte Knecht, der auch alles verliert, was er bekommen hatte.

„Du böser und fauler Knecht“, steht da, so nennt ihn sein Herr. Aber das ist sowohl eine falsche Übersetzung des griechischen Wortes als auch ein ungerechter Vorwurf. Ein Versuch, den guten Ruf des Herren zu retten. Denn faule Knechte sollen natürlich gefeuert werden. Das ist nur gerecht. Aber das stimmt ja nicht, dass der Knecht faul ist. Im Gegenteil. Er arbeitet ja wie wild mit der Schaufel. Es ist nicht Faulheit, die ihn dazu veranlasst, ein großes Loch zu graben und das ihm anvertraute Vermögen darin zu verstecken. Unsere fleißigen Vorfahren haben ja dasselbe gemacht während der Kriege mit den Schweden, um ihr Silber vor den Feinden in Sicherheit zu bringen. Faulheit ist das nicht, was den Knecht antreibt. Es ist Furcht. Der Knecht hat Angst. Er sagt es selbst, als der Herr heimkehrt: Aus Furcht vor dir ging ich hin und vergrub dein Talent in der Erde. Und eine korrekte Übersetzung der Antwort des Herren ist denn auch eher: „Du schlechter und furchtsamer Knecht“.

  Also: Es ist die Furcht, die den Knecht treibt, und sie treibt ihn in die Finsternis und das Verderben.

  Er hat Angst vor seinem Herrn, sagt er. Ja, und deshalb hat er Angst, etwas zu verlieren. Angst davor, dass es ihm schließlich so geht wie Hiob, dem alles genommen wurde. Deshalb passt er gut auf das, was er bekommen hat. Wie das in einem dänischen Friedenslied aus den 70’er Jahren hieß über die furchtsamen Erwachsenen, wo der Kehrreim hieß: „Ich hab so viel, auf das ich achten muss, ich hab ja dich, auf den ich aufpassen muss“.

In Schweden haben sie einen Liedermacher, Oscar Danielson, der mit einem präzisen und sehr bildhaften Wort die Furchtsamkeit beschrieben hat, die den ergreifen kann, dem eine Verantwortung anvertraut ist. Er nennt es „Fahrradschutzhelmvortrefflichkeit“, und er beschreibt da einen Mann, der eben wie der dritte Knecht furchtbare Angst hat, das mit dem anvertrauten Vermögen – in dem Lied ist es die Familie des Mannes – etwas passieren könnte. Deshalb tut er alles um es zu sichern, zu beschützen, auf es aufzupassen. Als verantwortungsvolle Eltern hier in unserem skandinavischen Wohlfahrtsstaat tun wir das ja auch. Der Mann sorgt für Sicherheitsgurte, Alarm, ökologisches Gemüse, Apps, Reflexe und Schutzhelme. Aber so wie er da steht in seiner „Fahrradschutzhelmvortrefflichkeit“, wie Danielson das nennt, ist dennoch etwas verkehrt. Ganz verkehrt. Da kann nichts passieren. Nein es kann nichts passieren. Und eben das ist das Schreckliche. Nichts geschieht. Die Furcht hat die Macht ergriffen. Lähmende Furcht. Und Furcht, die blind macht.

So wie sie nun den dritten Knecht blind gemacht hat. Die Furcht vor dem Herren, der „erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, wo er nicht ausgestreut hat“, hat den Knecht dafür blind gemacht, dass dieses Verhalten Ausdruck einer vollkommen ungehörigen Großzügigkeit ist. Wer erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, wo er nicht ausgestreut hat, ist ja sowohl ganz ungehörig anspruchsvoll als auch großzügig in seinem Wunsch, alles haben zu wollen. Niemand und nichts darf verloren gehen. Alles will er sein eigen nennen können.

   Und diese Großzügigkeit und diese Ungehörigkeit lässt den Herren an den Gott des Ostermorgens erinnern. Denn am Ostermorgen handelt Gott an uns gegen alles, was recht und billig ist, und verlangt die ganze Ernte. Selbst den Teil, der eigentlich die Beute des Todes war, beansprucht Gott als sein rechtmäßiges Eigentum. Das eine verdammte und vergrabene und vertane Talent des obdachlosen Sohnes eines Zimmermannes nannte Gott seinen einzigen eingeborenen Sohn und nahm in zu sich, als wäre er Gott selbst.

Da sind drei Knechte in dem Gleichnis. Zwei mutige und ein furchtsamer. Sie spiegeln Seiten in uns selbst wieder – wie wir uns verhalten. Und das ist wichtig. Die drei Knechte sind nicht verschiedene Menschen oder Typen von Menschen. Sie sind verschiedene Seiten von uns selbst. Denn Jesus spricht immer zu und von einem jeden einzelnen. Die Trennlinie, die er setzt, verläuft nicht zwischen Menschen, sondern mitten durch uns hindurch, durch jeden von uns. Was uns interessieren soll, das ist nie, inwieweit jemand verloren geht, während sich andere in die „Freude des Herrn“ retten. Das was wir hören und uns zu Herzen nehmen sollen, ist dies, dass da etwas ist – etwas in jedem Menschen, etwas in uns, das nur Heulen und Zähneklappern wert ist. Heute ist es die Furcht, die zum Tode verurteilt wird und in die Finsternis und das Vergessen verweisen wird. „Fürchtet euch nicht“, sagte der Engel in der Weihnacht zu den Hirten. In zwei Monaten am Ostermorgen ist es dieselbe Botschaft, die die Frauen mit den Salben-Krügen empfangen. Und wie der dritte Knecht hier zwischen Weihnachten und Ostern da in der Finsternis steht ohne irgendetwas, steht er als Bild für die Furcht, die Kontrolle über das zu verlieren, was uns anvertraut ist, eine Furcht, von der sich niemand von uns freisprechen kann, die aber dennoch niemals Recht bekommt.

Denn der anspruchsvolle Herr vertraut seinen Knechten sein ganzes Vermögen an. Alles. Nichts hält er zurück in Sicherheit bei sich selbst. Man denke nur, dass er das wagt. Man denke nur, was er von den Knechten hält. Man denke nur, welche Macht er ihnen gibt. Vollmacht, mit dem zu handeln, was ihm gehört.

  Wir haben nicht nur etwas, auf das wir aufpassen müssen, als wären wir nur die Aufseher für die Welt und für einander. Wir haben vor allem etwas, was wir und weiterreichen können. Trotz unserer ängstlichen „Fahrradschutzhelmvortrefflichkeit“ oder unserer entsetzliche Hiob-Erfahrungen ist dies das, was wir können: Das Leben, was uns gegeben ist.

  Wir können in dem leben, was uns gegeben ist: Der Trauer, den Ungerechtigkeiten, den fröhlichen Kindern und denen, die wir vermissen, den Unmöglichkeiten des Tages und seinen Möglichkeiten, leben in dem, weinen und uns freuen, verstehen und nicht verstehen.[2]

  Wir haben nicht etwas, auf das wir aufpassen müssen. Wir haben etwas, das wir loslassen sollen und weggeben: Unsere Zeit, unsere aufmerksamen Ohren, unsere Hände können die der anderen erreichen, und unsere Phantasie reicht aus, weiter zu denken als unsere eigene Haustür.

An der Wand in unserer Kirche hängt ein großes Stück Holz. Ein Kreuz. Groß wir das Moor, in dem das Holz gelegen hat. Hängt da jemand an dem Kreuz? Da ist kein Gesicht, kein Körper ist zu sehen. „Für einen unbekannten Gott“, stand auf den Altären auf dem Areopag im antiken Athen. Aber auch wenn das Kruzifix des dänischen Künstlers Erik Heide weder ein Gesicht hat noch die Erkennbarkeit eines Körpers, besteht kein Zweifel. Das Kreuz ist nicht leer. Und wir erkennen ihn wieder und wissen, was er von uns will. Wir spüren es deutlich. Die waagerechte Linie – die Arme, die ausgebreitet sind. Sie umarmen alles und jeden – und uns. Großzügig. Segnend.

Ob Kinder das immer so getan haben, weiß ich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, ich habe es neulich erst bemerkt. Aber wenn der Pastor die Arme ausbreitet zum Segen, dann tun die meisten Kinder, die das sehen, dasselbe. Sie erheben die Arme und segnen auch. Geben die Großmut und natürlich das weiter, was sie eben bekommen haben. Setzten furchtlos alles ein, so wie sie es eben bei unserem Herrn gesehen haben.

Wir anderen, die wir nicht freimütig sind, können etwas anderes tun. Hinaufgehen und neuen Mut zum Leben empfangen, Wein und Brot empfangen, Brot, das die Form eine Münze hat, des Talents, und uns das Beste antrinken und anessen: Auferstehung und die neuen Investitionsmöglichkeiten dieses Tages. Amen.

 

____________

[1] Neues Lied im dänischen Gesangbuch von Johannes Møllehave: Denne morgens mulighed, Lied Nr. 814.

[2] Mogens Lindhardt hat in seinem Buch: ”Trinitatis”, Kopenhagen 2015, auf den Unterschied zwischen leben „von” und leben „in” dem, was uns gegeben ist, aufmerksam gemacht.



Pastorin Margrethe Dahlerup Koch
Ringkøbing, Dänemark
E-Mail: mdkoch(at)mail.dk

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