Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 23.02.2020

Predigt zu Lukas 18:31-43, verfasst von Friedrich Seven

Text:

31) Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten und von dem Menschensohn.

32) Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden,

33) und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tag wird er auferstehen.

34) Sie aber begriffen nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie verstanden nicht, was damit gesagt war.

35) Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte,

36) Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre.

37) Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei.

38) Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner.

39) Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr:

Du Sohn Davids, erbarme Dich meiner!

40) Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn:

41) Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann.

42) Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.

43) Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

die bekannte Geschichte von der Blindenheilung und davor die Leidensankündigung  von Jesus an seine Jünger, die so gar nicht zu dem Wunder passt.

Wieso liegt uns aber beides als ein Predigttext vor. Wäre es nicht sinnvoller, nachdem wir doch gerade in der Lesung die Leidensankündigung nach dem Evangelisten Markus gehört haben, wir hätten jetzt als Predigttext  allein die so hoffnungsvolle Geschichte vom Blinden bei Jericho gehört.

Doch schauen wir genauer auf das, was auf dem Weg nach Jerusalem geschieht:

Jesus will seinen Jüngern erklären, warum sie jetzt nach Jerusalem hinaufgehen. Er muss dort Misshandlungen erleiden, wird getötet werden und wird am dritten Tage  von den Toten auferstehen. Die Jünger hören zwar, was er ihnen sagt, aber sie begreifen nichts. Der Sinn seiner Rede ist ihnen, wie es heißt, verborgen.

Danach kommen sie mit Jesus in die Nähe des kleinen Ortes Jericho, und offenbar schließt sich ihnen auf dem Weg in die Stadt eine große Menge Menschen an. Sie kommen an einem blinden Bettler vorbei und werden alle Augenzeugen, wie Jesus den Bettler von seiner Blindheit heilt.

Ein Zusammenhang zwischen beiden Geschichten, zwischen der Rede, die die Jünger nicht verstehen, und der Blindenheilung liegt auf der Hand: Blind ist nicht nur der Bettler, sondern auch die Jünger sind blind für das, was Jesus ihnen gerade angekündigt hat.

Aber dieser Zusammenhang liegt doch sehr an der Oberfläche, schließlich ist die Blindheit des Bettlers eine wirkliche und nicht eine Unfähigkeit, etwas zu verstehen.

Um vielleicht etwas tiefer den Zusammenhang zu erkennen, schauen wir doch noch einmal auf den Blinden. Wir erfahren nicht, ob er von Geburt an behindert ist, wir erfahren nur gleich etwas über seine Stellung in der Stadt. Er bettelt vor der Stadt. Anders als heute war einem Blinden damals die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft weitgehend versagt. Wir begreifen nicht viel, wenn wir ihn mit einem Blinden heute bei uns vergleichen.

Blinde nehmen heute bei uns am gesellschaftlichen Leben teil. Ich selbst habe einen blinden Mitstudenten kennengelernt, der späterhin sicher als Jurist irgendwo eine Anstellung gefunden hat. Nicht alle Bereiche des studentischen Arbeitens und Lebens waren ihm so zugänglich wie seinen Mitstudenten. Wissenschaftliche Literatur gab es kaum in Blindenschrift und Hörbücher für den kulturellen Bedarf  lange nicht wie heute. Doch in den Vorlesungen und Seminaren war er dabei und er hatte sein Gedächtnis sehr gut trainiert. So nahm er gerade besonders aufmerksam am schulischen Alltag teil und hatte mit uns und darüber hinaus guten Kontakt.

Dem Blinden in unserer Geschichte war es nur möglich, Tag für Tag ganz am Rande, da wo ein Bettler zwar gesehen, aber auch leicht übersehen werden kann, die wenigen Gaben zu erbetteln, die er für sein Überleben brauchte. Vielleicht hatte er Angehörige oder Nachbarn, die bereit waren, ihn morgens zu seinem Platz zu geleiten und abends von dort wieder abzuholen.

An seinem Platz hört er plötzlich, dass sich da eine große Menge nähert und er hofft, dass er nicht übersehen wird und auf die Almosen vieler rechnen kann.

Deswegen fragt er in die Menge hinein, was da los sei, und er bekommt sogar eine Antwort. 

Jesus von Nazareth kommt, wird ihm berichtet.

Da schreit er aus der vollen Kraft, zu der er noch fähig ist: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!

Sogleich wird ihm und uns deutlich, was er von seinen Mitmenschen zu erwarten hat.

Sein Hilferuf ist seine einzige Möglichkeit.

Die Menge will ihm auch und gerade jetzt keine Chance geben, er soll stumm und ergeben bleiben

Doch er weiß um seine Chance, er hat begriffen, wer da vorbeikommt, und schreit nur umso kräftiger: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!

Jesus muss ihn hören und er hört ihn. Der Herr steht still, sieht den Blinden und lässt ihn zu sich führen.

Eigentlich müsste er doch gleich erkennen, was der Mann von ihm will, und könnte das Wunder schnell wirken, dann hätte er wieder Zeit für all die anderen.

Doch er will nicht einfach handeln an diesem Mann, wie man einem Bettler etwas zuwirft, ohne ihn weiter zu beachten. Jesus spricht mit ihm, fragt ihn, was er für ihn tun soll.

Dass ich sehen kann. antwortet der Blinde und will endlich aus dem Leben heraus, dass er bis jetzt leben musste.

Das Handeln Jesu liegt in den Worten: Sei sehend. Dein Glaube hat dir geholfen.

Der Blinde sieht und er sieht den, mit dem er fortan in Gemeinschaft leben will.

Er preist und lobt Gott und geht mit hinauf nach Jerusalem.

Die Jünger haben gedacht, sie führen Jesus mit sich, ihren Schatz, der Wunder wirken und sie in die Nähe Gottes führen kann. Sie waren blind, hätten wohl auch gar nicht glauben können, dass der Weg zu Gott Jesus bis hinauf auf Golgatha führen wird.

Ihr Herr, der doch den Sturm stillen, Kranke heilen und einen Jüngling gar von den Toten auferwecken konnte, der sollte dem Spott seiner Mitmenschen ausgeliefert sein und von ihnen ermordet werden.

Der Blinde weiß nur, dass Jesus ihm helfen kann.

Er glaubt nicht an ein Wunder, sondern an den, der das Wunder wirkt. Er liefert sich mit seinem erbarme dich meinerganz dem Herrn aus.

Die Jünger dagegen haben nicht verstanden, dass sich im Gang nach Golgatha Gott dem Bösen der Welt ausliefern muss, um dessen todbringende Macht endgültig zu überwinden. Sie sind blind für seine Liebe, die stärker sein wird als der Tod. Sie meinen, sie haben in Jesus von Nazareth den Heilsbringer gefunden und wollen damit ihre Heilung doch nicht aus der Hand geben. Dass ihr Herr verspottet, geschlagen und getötet werden könnte, davon können und wollen sie gar nichts wissen. So bleiben sie auch blind für den letzten, den österlichen Teil der Rede Jesu, in dem er von seiner Auferstehung spricht.

Dem Blinden aber, der doch die Ankündigung gar nicht gehört hat, ist der Osterglaube schon geschenkt worden, der Glaube an Christus als den Sohn Gottes.

Er hat seine Verlorenheit gespürt, er hat sich in die Nähe Gottes hineinbegeben, an den Ort, an dem wir nur noch rufen können Herr, erbarme Dich.

Dieser Ruf beschreibt unsere Stellung vor Gott. In unserem Gottesdienst haben wir ihn gerade gesungen: Kyrie eleison- Herr, erbarme dich, Christe eleison- Christus, erbarme dich- Kyrie eleison- Herr, erbarm' dich über uns.

Wenn ich aus vollem Herzen und mit ganzer Kraft einstimme in diesen Ruf, bin ich dabei in der Gemeinschaft der Glaubenden.

Dann, lieber Gott, lass leuchten dein Antlitz über deinem Knecht; hilf mir durch deine Güte.

 

Amen!



Pastor i. R. Dr. Friedrich Seven

E-Mail: friedrichseven@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)