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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 20.04.2008

Predigt zu Offenbarung 15:2-4, verfasst von Hans-Hermann Jantzen

(2) Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen

(3) und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.

(4) Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

 

Liebe Gemeinde,

Kantate: Die Kirche singt! Wir haben es eben selber vielstimmig getan. Mit der Bachkantate „Lobe den Herrn, meine Seele" haben die Kantorei und die Solisten unser Herz erfreut. Das Singen gehört zur christlichen Gemeinde dazu wie das Amen in der Kirche. Jubelnde oder dankbare Freude hat ihren Platz im Lied der Kirche genau so wie Trauer und Klage, das übervolle Herz genauso wie das verzagte Gemüt. Und auch das erschrockene Stammeln oder Schweigen sind aufgehoben im Lied des Glaubens.

Natürlich singen wir nicht nur in der Kirche. Aber es ist kein Zufall, dass der Gemeindegesang gerade zum Markenzeichen der Christen geworden ist. Das finden Sie in keiner Moschee und in keinem buddhistischen Tempel, in diesem Maße auch nicht in der Synagoge. Indem wir als Gemeinde singen, bringen wir sinnlich zum Ausdruck, was wir glauben, worauf wir hoffen. Dabei schadet es gar nicht, wenn wir den Mund sehr voll nehmen. Voller, als wir es mit Worten sagen könnten. Unsere Lieder sind eben immer auch ein Angeld auf den Himmel.

So lese ich auch unsern heutigen Predigttext. Der Seher Johannes entführt uns mit seiner Vision in eine himmlische Szenerie. Das gläserne Meer ist in der antiken Vorstellungswelt der Apokalyptik ein Bild für das Fundament, auf dem Gott seinen ewigen Palast baut. Ein gläsernes Meer: Ruhe ist eingekehrt. Die aufgewühlten Gemeinden, die im römischen Reich des ausgehenden ersten Jahrhunderts schrecklicher Verfolgung ausgesetzt waren; die Wogen der Angst, die den Christen oft über dem Kopf zusammenzuschlagen drohten: sie sind zur Ruhe gekommen. Das Meer hat sich geglättet. Es herrscht ewiger Frieden.

Wer an einem Sommerabend am Meer steht, kann eine Ahnung davon bekommen. Vielleicht hat es am Tage noch gestürmt. Die Wellen sind wütend gegen den Strand gerollt und haben sich in weißer Gischt gebrochen. Doch nun hat sich der Wind gelegt. Das Meer ist ganz glatt. Und die untergehende Sonne spiegelt sich im Wasser. Fast schon kitschig. Und doch ein Bild tiefen Friedens.

Das gläserne Meer ist mit Feuer vermengt: das Blut der Märtyrer und des Lammes ist darin eingeschlossen. In seiner kristallenen Klarheit spiegelt sich die Sonne, das Feuer der göttlichen Liebe, der Glanz Gottes. Und an seinem Ufer stehen die, die die Schrecken überwunden haben; die ihrem Gott treu geblieben sind; die nicht das „Tier" und sein Bild angebetet haben. Damit ist der römische Kaiser Domitian gemeint, der sich in der Christenverfolgung besonders hervorgetan hatte. In ihm hatte die Selbstvergottung des Kaisertums einen Höhepunkt erreicht. Domitian hatte ein riesiges Standbild von sich - viermal lebensgroß - in Ephesus aufstellen lassen. Wer seine Knie nicht davor beugte und das Bild nicht anbetete, war sich seines Lebens nicht mehr sicher. Auch die „Zahl seines Namens", die apokalyptische Geheimzahl 666, deutet auf Domitian oder auf einen künftigen Schreckenskaiser. Ein Zeichen, das bis heute von satanistischen oder rechtsextremen Gruppen benutzt wird, um Angst zu verbreiten und die Herrschaft des Bösen zu verherrlichen.

Doch bleiben wir noch einen Augenblick im ersten Jahrhundert. Während die Gemeinde auf Erden, in Kleinasien, der Welt des Sehers Johannes, noch mitten in dem furchtbaren endzeitlichen Kampf mit dem Bösen steht, versammeln sich im Himmel bereits die Überwinder - und singen zu den zarten Klängen der Harfe! Und dieses Lied - so hört und sieht es Johannes - schallt bis herunter auf die Erde und stärkt die leidende Gemeinde, lässt die Angst für sie schon jetzt kleiner werden. Ein eindrückliches Zeugnis von der Kraft des Liedes.

Was singt sie, die Gemeinde der Überwinder? Das Lied des Mose und des Lammes. Mose, die alles überragende Gestalt aus der Frühzeit des Volkes Gottes. Das Lamm, Symbol für den gekreuzigten und auferstandenen Christus, den Weltenrichter der Endzeit. So weit spannt das Lied der Christengemeinde den Bogen! Und wir dürfen mitsingen: Kantate!

Das Lied des Mose ist das Lied der Befreiung. Als das Volk Israel durchs Schilfmeer zieht, türmen sich die Wogen der Angst meterhoch. Ross und Reiter des Pharao, Sinnbild unbesiegbarer militärischer Macht, sitzen den Flüchtenden im Nacken. Und dann erreichen sie das rettende Ufer! Und sie singen das große Loblied auf Gott, der so wunderbare Taten vollbracht hat. Genau in diesen Tenor stimmen unsere Predigtverse ein: „Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!"

Und das Lied des Lammes? Es nimmt das Lied des Mose auf, setzt es fort, vollendet es. Nicht mehr nur Befreiung aus einer konkreten Gefahr, sondern endgültige Überwindung des Todes. Lied des ewigen Lebens. Vollkommenes Lob Gottes. Unter diesem großen Bogen also erklingt unser Glaubenslied. Kantate!

Wie hört es sich heute an, das Lied des Mose, das Lied des Lammes? Wir sind nicht die verfolgte Gemeinde in Kleinasien. Wir sind keine Märtyrer. Und die, die sich in ihrer wahnwitzigen Verzweiflung in die Luft sprengen und dabei viele Menschen mit in den Tod reißen, sind es nach christlichem Verständnis auch nicht. Das christliche Lied der Befreiung und des Lebens ist das Lied der Überwindung von Hass und Gewalt, von Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit. Und das nicht erst im Himmel - dort sicherlich in vollkommener Reinheit -, sondern schon jetzt hier auf Erden. Wir werden nicht auf später, nicht auf das Jenseits vertröstet, sondern werden ermutigt, schon hier anzufangen zu singen, auch wenn es noch zaghaft und schräg klingt. Das Loblied der Überwinder im Himmel wird zu unserm Hoffnungslied auf der Erde.

Zur Zeit wird wieder einmal über ein Verbot der NPD diskutiert. Wenn ihre Hilfstruppen durch unsere Dörfer und Städte marschieren, macht das vielen Angst. Auch Christen geraten zunehmend ins Visier der Rechten. Kirchen werden beschmiert. Pastoren, die öffentlich Position gegen Rechts bezogen haben, werden bedroht. Da fliegt auch schon mal ein Stein durchs Wohnzimmerfenster. T-Shirts mit der Aufschrift „Odin statt Jesus" machen Front gegen den christlichen Glauben.

Mit „Zehn Thesen gegen Rechtsextremismus" hat der Kirchenkreis Lüneburg am Reformationstag vorigen Jahres den cantus firmus gegen Angst und Gewalt vorgegeben.[1] Da heißt es z.B.: „Rechtsextremismus grenzt Fremde aus. Als Christen laden wir alle Menschen zur Gemeinschaft ein." Oder: „Rechtsextremismus verachtet die Schwachen. Als Christen erkennen wir gerade in den Schwachen unsere Nächsten." Wenn wir in diese Melodie einstimmen, dann reicht es nicht aus, den Kopf einzuziehen und wegzuschauen, wenn wieder einmal Ausländer gejagt oder Alte und Behinderte halbtot getreten werden. Die Gemeinde, die dieses Lied mitsingt, schaut hin und mischt sich ein. Sie stellt sich den Verfolgern in den Weg und gibt den Verfolgten Asyl. Wir Christen sind aufgefordert, laut und energisch gegen alles, was Gewalt verherrlicht oder verharmlost, anzusingen - in der Schule oder auf der Straße genauso wie in der U-Bahn oder am Stammtisch.

Die christliche Gemeinde tut gut daran, mutig und offen gegen die dunklen Mächte anzusingen und das Böse beim Namen zu nennen. Sie braucht sich weder von menschenverachtenden Parolen noch von Drohungen oder offener Gewalt ins Bockshorn jagen zu lassen. Mit dem Lied des Mose und des Lammes im Rücken können wir mutig das Lied der Befreiung und des Lebens singen.

Kantate! Lasst uns in dieses Lied einstimmen und uns in die Gemeinde der Überwinder einreihen. Es ist nicht das Lied der Sieger dieser Welt, das andere klein macht und Leben zerstört. Gott siegt anders, durch Liebe und Hingabe. Er bewahrt und eröffnet Leben. Das Lied des Lammes nimmt vorweg, was noch im Werden ist. Aber indem wir es mitsingen, wachsen schon jetzt Frieden und heilsame Gemeinschaft in der Welt.

Das ist unsere Hoffnung, die uns durch das Meer der Bedrohung und der Angst hindurch führt an das gläserne Meer der Klarheit und des Friedens. Darum können wir schon jetzt singen: „Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig!" Amen.

 



[1] Die vollständigen Thesen sind als Anlage beigefügt.



Landessuperintendent Hans-Hermann Jantzen
Lüneburg
E-Mail: hans-hermann.jantzen@evlka.de

Zusätzliche Medien:
thesen-gegen-rechts.pdf


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