Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christi Himmelfahrt, 01.05.2008

Predigt zu Lukas 24:46-53, verfasst von Arne Simonsen

Halte mich nicht zurück - sagte Jesus am Ostermorgen zu der verzweifelten Maria Magdalena draußen im Gräbergarten, als sie ihn gerade wiedererkannt hatte und nach ihm greifen und ihn fühlen will.

Halte mich nicht zurück - nicht zornig, sondern milde abwehrend gegenüber dem, der noch nichts begriffen hat.

Selbst wünschen wir doch, so lange wie möglich an denen festzuhalten, die wir lieben und mit und von denen wir gelebt haben, und wir möchten so ungern von ihnen lassen, denn dann, so fürchten wir, werden wir sie nicht mehr sehen. So ging es auch Maria hier. Und den Jüngern. All denen, die ihn gekannt hatten. Jesus war mit ihnen gewandelt, hatte mit ihnen gesprochen, seine Taten getan, und sie hatten es gesehen und konnten nichts davon vergessen.

Aber mit der Kreuzigung ging alles kaputt für sie, und sie wurden in alle Winde zerstreut. Sie hatten alles auf diesen Menschen gesetzt, der einen so tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte, und so standen sie jetzt ratlos und verzweifelt da.

Wie es so oft im Lauf der Geschichte geschehen ist:Wir wollten so gern daran glauben, dass die Liebe und Aufopferung und die echte Mitmenschlichkeit endlich siegen würden. Aber die Erfahrung ist ein harter Lehrmeister: Macht und Brutalität behalten immer das letzte Wort.

An etwas Anderes zu glauben, ist naive Phantasterei.

Die Jünger glaubten das auch, bis Jesus einigen von ihnen "erschien": Er war nicht tot, wie sie geglaubt hatten.

Sie redeten mit ihm, aßen mit ihm, waren mit ihm zusammen, hörten seine letzten Worte von ihm. Er bereitete sie auf die Zeit vor, in der er nicht mehr dasein würde. Er sollte heimkehren zu seinem Vater im Himmel, sie aber sollten weiterleben und über ihn verkündigen: Ich sage euch die Wahreit: es ist am besten für euch, wenn ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, wird der Fürsprecher nicht zu euch kommen.

Heute: Himmelfahrt - weist sowohl zurück auf all das, was war - als auch voraus auf das, was kommen wird.

Es handelte von all dem, was die Jünger und die Frauen kannten, aber noch nicht mit dem vollen Namen benennen konnten.

Es ist, wie wenn man den Atem anhält, um zuzuhören und die schwächsten Töne auffassen möchte. Wie die Stille, die man so stark erlebt, wenn Donner im Anzuge ist - und alle Sinne gespannt sind: Jetzt kommt er gleich - der Knall.

Vielen heutigen Menschen fällt es schwer, etwas mit der Himmelfahrt Christi zu verbinden, und der Tag hat viele Spitznamen bekommen, er ist überhaupt Gegenstand des nachsichtigen Gelächters der Leute, während sie die schönen, wenn auch kurzen, freien Tage mitten im fruchtbaren Auftakt zum Sommer genießen.

Aber ich weiß etwas anderes: Ich weiß, dass Himmelfahrt in der Kirche und im Gottesdienst ein herrlicher Tag ist - ein Feiertag ganz wie die anderen großen Feste des Kirchenjahres. Und die Lieder für diesen Tag sind großartig und handeln alle von der unbegreiflichen Wirklichkeit, die nichts mit Phantasie, sondern mit dem Glauben zu tun hat.

Es gibt keine Worte, um die Himmelfahrt zu beschreiben, aber es gibt massenhaft Bilder. Wir können ohne weiteres vor uns sehen, was wir nicht erklären können.

Und was hat dann die größte Kraft in sich: die Worte oder die Bilder?

Was kommt der Wirklichkeit am nächsten?

Unsere technisch-wissenschaftliche Zivilisation ist nicht im Zweifel, aber alle menschliche Kunst sagt etwas anderes. Und der Gottesdienst tut es also auch.

Die Gemeinde kommt am Tag der Himmelfahrt zusammen, um mit großer Freude zu feiern, dass er uns in der Gestalt von Fleisch und Blut verließ. Denn diese Abwesenheit ist zugleich eine Voraussetzung dafür, dass er hier sein kann - jetzt und allezeit und unter allen Völkern und Sprachen.

Er verzichtete auf seine göttliche Gestalt, um Menschen gleich zu sein. Und er verzichtete auf seine Menschengleichheit und wurde wieder Gott gleich.

Und die Gemeinde muss mit einem Halleluja auf den zweifachen Verzicht antworten.

Ohne ihn gäbe es keine Gemeinde.

Halte mich nicht zurück! - sagte Jesus zu der Maria, die ihn am allermeisten zurückhalten wollte, der ihr allen Sinn ihres Daseins und Lebens gegeben hatte.

Jetzt fürchtete sie, dass alles wieder zerstört würde - und dass sie nichts behalten würde: Wäre er nicht da, dann, so fürchtete sie, würde sie alles wieder verlieren.

Im Übrigen war das, was hier 40 Tage nach Ostern geschah, nicht so ganz neu. Man hatte schon davon gehört.

Im Alten Testament gibt es eine ähnliche Erzählung im 2. Buch der Könige, wo der Herr den Propheten Elias in einem Sturm in den Himmel aufnimmt.

Kurz bevor das geschieht, hören wir davon, dass Elias und sein ihm nahestehender Jünger Elisa von Gilgal weggingen, und Elias sagte zu Elisa:

Bleibe hier, denn der Herr hat mich nach Bethel gesandt.

Aber Elisa antwortete: So wahr der Herr lebt, und so wahr du lebst: ich verlasse dich nicht!

Da gingen sie hinab nach Bethel, und einige Propheten kamen hinaus zu Elisa und sagten zu ihm:

Weißt du, dass der Herr heute deinen Herrn von dir nehmen wird?

Und Elisa antwortete: Ja, ich weiß es, schweigt nur still!

Derselbe Auftritt wiederholte sich noch zwei Mal an anderen Orten - zum letzen Mal am Jordan, und genau dieselben Wendungen wechseln zwischen den beiden - aber da wendet sich Elias zum Schluss an den jungen Elisa und ruft: Sage mir, was ich dir tun soll, ehe ich von dir genommen werde.

Elisa antwortete: Lass mir zwei Teile von deinem Geist zufallen!

Das ist ein kühner Wunsch - sage Elias - aber wenn du mich sehen wirst, wie ich von dir genommen werde, so wird's geschehen, sonst nicht.

 

Kurz darauf wurde Elias auf einem Feuerwagen in den Himmel gerissen, und Elisa konnte ihn nicht mehr sehen; er hob Elias' Mantel auf und teilte damit das Wasser des Jordans, und die Menschen konnten sehen, dass Elisa etwas von dem Geist des Elias bekommen hatte.

Alle wollten nun nach Elias suchen, aber Elisa erzählte ihnen, dass das nichts nütze. Sie würden keinen Erfolg haben.

Und so geschah es.

Elisa war voll des Geistes von Elias, wie die Apostel es sein sollten.

Elisas Angst davor, von seinem geliebten Elias getrennt zu werden, ist wie wenn man die Angst Marias erlebt, Jesus zu verlieren.

Halte mich nicht zurück - wird zu ihnen gesagt, zu Elisa und zu Maria - und zu uns allen. Wenn du mich sehen wirst, wie ich von dir genommen werde, wirst du von meinem Geist bekommen - sonst nicht - hatte Elias zu Elisa gesagt.

Etwas Ähnliches, hören wir, geschah hier:

Er nahm sie aber mit hinaus aus der Stadt, in die Nähe von Betanien, und hob die Hände auf und segnete sie. Als er sie segnete, schied er von ihnen und wurde in den Himmel hinauf getragen. Sie beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude.

Eigentlich ist es merkwürdig, dass sie sich darüber freuten, dass er von ihnen schied. Normalerweise sollte doch das Gegenteil der Fall sein: sie hätten deswegen trauern sollen - wie wir selbst es getan haben würden.

Aber mit ihnen war dasselbe geschehen wie mit Elisa: anstatt sich an Jesus zu klammern, verstanden sie jetzt, dass sie nur Teil an ihm bekommen könnten, wenn sie ihn losließen.

Dass Jesus mit allem Reichtum seiner Liebe bei uns ist und dass er zum Himmel gefahren ist, das sind doch zwei Seiten ein und derselben Sache.

Es ist gleich wirklich und unwirklich.

Es ist ganz unwirklich für den Verstand, aber für den Glauben ist es mehr als wirklich. Hier ist es das Leben.

Sie ließen ihn los und sie bekamen eine neue Seite von ihm zurück.

Das Leben wurde größer - ihre Erfahrungen waren nicht mehr rückwärtsgewandt und wiederholend - jetzt war ihr Leben nach vorn gerichtet und voller Hoffnung und Gesichte.

Der Himmel öffnete sich - und sie brauchten nicht mehr nach ihm zu suchen.

Von jetzt an war er überall und bei ihnen allezeit.

Er hob seine Hände auf und segnete sie - steht da über Jesus.

Die erhobenen Arme waren zugleich ein Zeichen des Abschieds - wie wenn man lebewohl winkt - und ein Symbol für die offenen Arme Gottes, für den Himmel, der sich ihnen jetzt öffnete, und von dem seitdem die Kraft Gottes frei strömen sollte.

Der Himmel wird ein so großes Wort durch alles, was wir hier antreffen.

Der Himmel wird zu einem Ort, auf den wir unsere Augen richten.

Er ist auch der blaue Himmel, der einfach nur schön ist an einem Sommertag, wenn die Wolken über uns an ihm dahinziehen.

Der Himmel kann dunkel und bewölkt sein, und wir werden dadurch beeinflusst und suchen nach innen und zueinander.

Der Himmel ist so viel mehr, als wir begreifen.

Er ist weit weg und gerade hier um mich herum: wie das Nächste von allem - wie die Luft, die ich atme. All das, was ich damit verbinde, gerade jetzt zu leben und zu fühlen, dass ich existiere.

Der Himmel ist das Unendliche, das Ewige und Unbegrenzte im Verhältnis zu der Welt, in der das Leben durch Zeit und Tod begrenzt ist.

Der Himmel ist sichtbar und unsichtbar.

Der Himmel ist all das, was wir mit Gottes Licht und Liebe verbinden, die uns umschließen, und das wird so klar für uns, dass etwas, weil es nicht sichtbar ist, dennoch sehr wohl existieren kann. Das wissen wir auch aus unserem eigenen Leben - von der Liebe z.B.

Der Himmel ist auch der Ort, an dem wir unsere Toten haben können, damit sie dort sein können, wo es gut sein ist.

Der Himmel ist der Ort, nach dem wir uns sehnen können - und der Ort, von dem alle Freude und aller Lebensmut kommt.

Der Himmel ist so unendlich viel Verschiedenes, und würde dieses eine Wort aus unserer Sprache verschwinden, würde uns etwas fundamental Wichtiges fehlen: ein Wort, das alle unser Sehnsüchte, unser Träume und unseren Glauben fassen kann.

Die Jünger kehrten nach Jerusalem zurück voller Freude - hören wir.

Wir kehren auch zurück mit großer Freude, jedesmal wenn das Himmlische, das unendlich Hohe und das unendlich Tiefe, uns berührt hat.

Wahre Himmelssehnsucht ist nicht Verachtung des Menschenlebens, ganz im Gegenteil. Die Freude, die die Himmelfahrt Christi in den Jüngern hervorrief - und bei uns weckt - ist eine Freude, die für das Ganze gilt,auch den ganz gewöhnlichen Alltag.

Himmelssehnsucht ist zugleich Zeichen des Rufens Gottes und unseres frohen Antwortens.

Denn auch wir feiern die Himmelfahrt Christi mit Freude im Heiligtum, wo der Gottesdienst für einen Augenblick der Friede von allem Grübeln ist - wo nichts davon abhängt, was ich tun kann, sondern wo alles davon abhängt, was Gott geben wird.

Jegliche Erklärung ist unmöglich und auch gar nicht wünschenswert.

Aufgefahren gen Himmel,sitzend zur rechten Hand Gottes, des Vaters, des Allmächtigen, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten - das ist das Einzige, was die Gemeinde zu sagen hat. Unbegreiflich ist das für die Welt und für uns selbst, aber darüber kann man Gottesdienst halten, und die Erfahrung dieser Freude im Gottesdienst ist das, wovon wir als Gemeinde leben.

So licht der heutige Tag ist - so licht die Töne des Gesangs sind, so leicht wird einem das Herz. So froh.

Amen



Pastor Arne Simonsen
Silkeborg (Dänemark)
E-Mail: asi(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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