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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 11.05.2008

Predigt zu Römer 8:1-2. 10-11, verfasst von Alois Schifferle

Das Leben der Christen im Geist: „Weil Gott euch angenommen hat, schenkt sein Geist euch das Leben" (Röm 8,10)

Jeder von uns ist in die Hand des Geistes gegeben. Das erspart uns aber keineswegs eigenes Mühen und Nachdenken. Das nimmt uns nicht die Arbeit der „Unterscheidung der Geister" ab. Das heißt vielmehr, kritisch und offen sein gegen die Neigungen des eigenen Herzens; acht geben auf die Gedanken und Pläne des Verstandes; sehen und überprüfen, ob wir den Weg Christi gehen, ob wir NachahmerInnen seines Tuns sind oder nicht.

Gottes Geist verlangt, dass wir ihm und seinem Wirken Raum geben. Dem Leben im Geiste Gottes Raum geben bedeutet: sich einlassen, sich führen lassen, dem Nächsten helfen und der Gemeinde dienen. Hier wird jede(r) für sich überlegen müssen, was an diesem Tag und unter den ganz persönlichen Umständen Gottes Geist von ihr/ihm  möchte und wünscht. Wenn wir diesem Geist Gottes in uns Raum  geben, so bedeutet dies Vertrauen in seine Macht und Zutrauen in sein Wirken. Dann sehen wir in der Kirche unserer Tage, in den Diskussionen, Berichten, Protesten, Aktionen, Zeichen und Ausdruck von Gottes lebendigem Geist. Vertrauen wir darauf, dass Gottes Geist sich durchsetzen wird, dass Schwachheit, Versagen und Leid bei uns nicht das letzte Wort behalten wird.

Pfingsten ist nicht nur Erinnerung an Vergangenes, sondern das Fest des Geistes schlechthin, der uns ChristInnen - und allen Menschen guten Willens - verheißen ist; der in dieser Zeit, in unserer konkreten Gemeinde vor Ort und im eigenen Leben lebendig sein will; der uns in den Händen hält; der sich dem Glaubenden zu spüren und zu erfahren gibt. So feiern wir an Pfingsten immer auch das Fest unserer Hoffnung, unserer Berufung, unserer Verantwortung und unserer Liebe.

Heute sind wir zudem als Kirche - ob es uns gefällt oder nicht - einer Vielzahl von Denksystemen und Sprachen sowie einer fast grenzenlosen Kommunikationsvielfalt in der Gesellschaft ausgesetzt. Alternativ könnte das Leben der Christen im Geiste Jesu heute ein Zeichen von pfingstlicher Zuversicht sein, wenn wir in dieser Situation den Mut, das Gespräch und die Verständigung unentwegt suchen, und dieses Versuchen nicht aufgeben. Das Leben der Christen im Geiste Gottes versinnbildlicht auch für heute jenen Geist, der die Apostel aus ihrem Versteck heraus trieb. Und dieser Geist Gottes sollte uns davor bewahren, uns einzumauern hinter unseren eigenen Ansichten und Anschauungen. Er will uns öffnen und offen halten für die Vielfalt im Denken und Reden. Ein Leben als Christen in solchem Geist macht Verständigung und damit ein Miteinander erst möglich! Dadurch schaffen wir Raum, unvoreingenommen bereit zu sein auf das zu hören, was uns andere zu sagen haben. Messen wir es nicht immer gleich an dem, was wir für richtig halten.

Liebe Christen. Diejenigen, die die Wirklichkeit sehen wie sie ist, haben es oftmals schwer. Niemand will ihnen glauben, dass sie richtig sehen. Niemand will das, was sie sehen, hören. Gerade Seher, Propheten und Weise auch unserer Zeit sind meist unbequeme Geister. Sie sehen und ziehen aus dem was sie sehen Konsequenzen -  und die sind meistens nicht gefragt. Es ist doch zu einfach, vor sich hinzuleben und mit dem zufrieden zu sein, was man hat, sich abzufinden mit dem Leben, wie es ist, keine Sehnsucht mehr zu haben, nicht zu suchen, nicht zu fragen. Das Bedürfnis nach Ruhe, nach Sicherheit, Wohlstandserhalt und Bequemlichkeit ist groß. So schließt man gerne seine Kompromisse mit dem „status quo". Das alles ist zwar verständlich und menschlich zugleich, aber fragen wir uns ehrlich: ist das wirklich  menschlich?

Jesus von Nazareth ist da anderer Meinung. Für ihn beginnt das wahre Menschsein da, wo der Mensch sich auf die Suche nach dem Ganzen begibt, wo ihn die Frage nach Gott wach hält, wo er Gott sucht. Für ihn fängt der Mensch da an, Mensch zu sein, wo er etwas von dem erlebt, was Gott ist, nämlich Liebe! Für ihn fängt das Menschsein da an, wo einer hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, nach Freiheit, Offenheit, Verständnis, Erbarmen und Frieden, einfach nach der neuen Welt Gottes, die er sein Reich nennt, wie wir es im Gebet des Herrn - im Vaterunser - herbeisehnen.[1]

Jesus meint, dass das menschliche Leben, das nur aus sich selbst lebt und keinen Platz hat für Gott, seine Liebe und Gerechtigkeit, sein Erbarmen und Frieden unter der Hoffnungslosigkeit des menschlichen Egoismus zu Grunde geht. Er sieht das sehr deutlich, er sagt es, er lebt es und wird deshalb ans Kreuz geschlagen, weil so wenige diese Botschaft verstehen (wollen).

Nach Ostern offenbart sich aber, dass seine Sicht von Gott, Welt und Mensch nicht „vergebens" ist. Vielmehr wird er zur Hoffnung für die Menschen, die sich auf Seine Sicht einlassen: auf seine Jünger, seine Gemeinde, seine Kirche. Er nimmt sie in seinen Dienst und sendet sie: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch." Er spricht denen, die sich auf sein Angebot einlassen seinen Beistand zu, den Heiligen Geist, dass sie aus seiner Kraft sein Werk fortsetzen und verkünden.

Und diesen Geist hat Jesus den Jüngern eingehaucht. Dieser Geist ist es, der die Gemeinden der Jünger belebt und Raum für ein neues Miteinander und eine neue, auf das Reich Gottes hin- und ausgerichtete Lebensperspektive schafft.

Wo aber ist bei uns in der zeitgenössischen Jüngerschaft Jesu, die wir seine Kirche sind, dieser Geist erkennbar? Es wäre dringend nötig, dass wir diesem Geist mehr Raum geben. So müsste ein Leben in seinem Geiste Versöhnung, Gerechtigkeit und Liebe zum Lebensprinzip deklarieren.

Allerdings, liebe Christen, diesen Geist können wir nicht machen, nicht beschließen. Er weht, wo er will. Ein Leben im Geiste des Herrn kann nur erbeten und erbittet werden, und wir müssen diesem Geist vor allem in unseren eigenen Reihen Raum geben, denn er ist dem ganzen Leib der Kirche, den vielen Gliedern mit ihren verschiedenen Aufgaben verheißen, ja schon gegeben. Dieser Geist ist es, der uns, wie schon so oft in der Kirchengeschichte, immer wieder neu überrascht und auf immer neue Weise „das Antlitz der Erde verändert".

Das Leben der Christen im Geist (Röm 8,1-17) bewirkt daher die Lebenskunst, sich offen, liebend und helfend den Mitmenschen zuzuwenden. Wo Menschen füreinander da sind und an dem Schicksal anderer teilnehmen, kann dies nicht verborgen bleiben.

Der Geist Gottes legt uns aber nicht auf ein bestimmtes Bild von Christsein fest. Er drängt uns nicht eine traditionelle Form der Frömmigkeit auf. Auch ist er nicht gebunden an eine unveränderliche Gestalt von Kirche. Er weht, wann und wo er will. Und doch gilt die Verheißung Christi dass da, wo sein Wort laut wird, wo Menschen um die Gabe des Heiligen Geistes bitten und wo sie in Gottesdiensten zusammen sind, Gottes Geist wirksam wird. Er teilt seine Gaben reichlich aus, jedem seine Gabe. Gott ist wahrlich nicht kleinlich. Er lässt uns an seiner Fülle teilhaben. Er nimmt natürliche Begabungen in den Dienst, schenkt aber auch neue Fähigkeiten. Alles soll dazu dienen, dass Gemeinde im Geist Christi auferbaut werden wird. Die Vielfalt der Begabungen, der Interessen, der Erwartungen und Hoffnungen kann zu einem spannungsvollen Miteinander in der Gemeinde führen, ja zu Konflikten und Auseinandersetzungen. Es kann sein, dass manchmal Selbstgenügsamkeit, Geltungsdrang, Selbstüberschätzung die Gaben Gottes missbrauchen. Eine solche Vielfalt kann und muss aber nicht zur Last werden. Nein, sie ist Ausdruck des Reichtums und wird die Gemeinschaft bereichern, wenn die Liebe das Miteinander bestimmt!

In der Kirche ist oft die Haltung des Bewahrens und des Festhaltens am Gewohnten und Vergangenem vorherrschend. Der Heilige Geist aber duldet keinen Stillstand, denn wir sind befreit durch das Gesetz der Liebe, das mit Hilfe des Geistes und in Verbindung mit Jesus Christus zum Leben führt. Sein Geist schenkt uns das Leben. Er will Bewährtes bewahren und Neues wagen. Die Kirche Jesu Christi besteht auch aus uns. Darin wird Gottes Geist wirksam und trägt das Kennzeichen der Bewegung, des Wachsens. Das fängt beim einzelnen an. Der Glaube lässt sich aber nicht auf Teilbezirke menschlichen Lebens beschränken, sondern will in alle Bereiche des Menschseins hineinwachsen, in die Bereiche der Ortskirche (oder eben der vom Geist Erfüllten) wie in die Bereiche der am Rande Lebenden, der Zweifelnden, der Angefochtenen und der Gleichgültigen. Der Geist Gottes drängt demzufolge den Menschen über die Grenzen der Kirche hinaus in die Welt, denn diese Welt soll Gottes Welt bleiben! Dies fordert nur heraus, seine Schöpfung zu bewahren!

Und dieser Geist Gottes ist dann in uns, wenn statt Gemeinheiten die Liebe und Treue zählen, wenn statt der Lüge die Wahrhaftigkeit siegt, statt des Streites und der Rache die Versöhnung - überall da weht der Geist Gottes im Leben der Christen - ja im Leben eines jeden Menschen guten Willens. Dann dürfte ein solches Mühen im Leben eines Menschen keinen Abend haben und münden ins redliche Beten und Bitten schlechthin! Und so dürfte das christliche Leben zum Gebet werden, zu einer Haltung und einem Vertrauen auf Gott kurz, zu einem Sich-Geborgen-Wissen in Gott[2].

Leben im und aus dem Geist Gottes kann heute auch bedeuten, Abstand zu gewinnen aus der „geschwätzigen" Welt des Alltags, des Verrats, und stärkt dahingehend sich zu besinnen auf die Sprache die allen Menschen zur Verfügung steht: Die Sprache des Schweigens! Es ist die moderne Sprachwissenschaft die herausgefunden hat, dass durch Schweigen oft viel mehr vermittelt wird als durch Worte. Wenn wir daher einen Menschen verstehen wollen, dann müssen wir eher sein Schweigen schätzen lernen als seine Worte. Die „Grammatik des Schweigens" ist eine Kunst, die viel mehr Geduld erfordert als die gesprochene Grammatik. Wie oft teilen Menschen einander das Größte nur durch Schweigen mit: angefangen bei den „stillen Schreien" leidender Menschen bis hin zum Miteinander-Schweigen-Können unter Menschen sowie mit Gott im gottesdienstlichen Geschehen. Sie kennen aus Ihrem Leben sicher zahlreiche Beispiele. Es gibt so viele wortlose Gesten und Taten, welche Dinge mitteilen, die nie den langen Weg vom Herzen auf die Zunge gefunden hätten. Die Blume auf dem Schreibtisch erzählt vielleicht mehr von einem Menschen als ein handgeschriebener Lebenslauf. Umso schlimmer ist es, wenn eine solche Sprache nicht mehr verstanden - oder fehl interpretiert wird.

Es waren zuerst die Apostel, die das Wunder einer geistgeschenkten Verständigung erfuhren und, dadurch angetan, die Großtaten Gottes, die „Magnalia Dei", verkündeten.  Deshalb wurden sie von allen verstanden. Für uns heißt das ganz einfach: Wenn wir unser Leben als Geschenk Gottes verstehen und aus seinem Geist heraus zu Reden und Handeln versuchen, dann wird unser Leben für andere Menschen zur „Grammatik" des Geistes Gottes und daher zum Gewinn!

Oder mit Worten des Apostels Paulus gesprochen: Es entsteht neues Leben aus Gottes Geist, „weil Gott euch angenommen hat, schenkt sein Geist euch das Leben." (Röm 8,10)

 


[1] Siehe hierzu Schifferle A., „Dein Reich komme", in: ders., Himmelwärts geerdet. Betrachtungen zum Vaterunser, Freiburg/Schweiz 2006, 95 - 110.

[2] Vgl. Schifferle A., „Herr lehre uns beten", in: ebd., 52.



Prof. Dr. Alois Schifferle

E-Mail: alois.schifferle@ku-eichstaett.de

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