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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 11.05.2008

Predigt zu Römer 8:1-2.10-11, verfasst von Jochen Riepe


                                                                I

 

Sagt einmal : Gibt es etwas , was uns leicht macht  und zugleich wieder  - schwer ? Sozusagen ‚leichtschwer'?  Pfingsten, das Fest des Gottesgeistes,  hat wohl etwas damit zu tun : Wir stehen auf der Erde und sind erhoben zum Himmel. Wir sind erhoben zum Himmel und stehen auf der Erde   - ein bisschen  wie jener junge Mann , der nach einem verrückten Tauschgeschäft   ‚frei von aller Last'*  zur Mutter heimkehrte. -  Frei von aller Last !?

 

                                                                  II

 

‚Der-Hans-im-Glück-Komplex' oder warum ‚Mann'  es so schwer fällt, sich entlasten zu lassen: Weil ich nicht mit leeren Händen nach Hause kommen will. Weil ich mich nicht über's Ohr hauen lasse . Weil es mir dann langweilig ist. Weil ich mich dann nutzlos, überflüssig  und am Rande fühle. Weil ich dann sehen muß, was mit anderen los ist ... Als Kinder saßen wir auf einer Wippe. Auf und ab. Ab und Auf. Wenn einer oben blieb , weil der andere sich schwer machte , so rief er : Laß mich nicht verhungern.

 

                                                                   III

 

‚Wenn nun der Geist Gottes in euch wohnt ... , so wird er , der Christus auferweckt hat , auch eure sterblichen Leiber lebendig machen; durch seinen Geist , der in euch wohnt.' Dies , liebe Gemeinde , ist einer der Spitzensätze  oder eine der Spitzenfolgerungen im Römerbrief des Paulus . Was Gott an Christus getan hat , im Geist kommt es auch zu uns. Dieser wunderbar-schwere Brief ist gleichsam das literarische Dokument  einer grandiosen Befreiungs- und Entspannungsarbeit. Keine Verdamnis. Keine Verurteilung. Kein Druck mehr. Das Gesetz der Sünde und des Todes  ist überwunden durch das Gesetz des Geistes; und wir, ob nun Knechte oder Herren , wir sind Kinder Gottes. Lebendige Kinder Gottes.  Ich weiß : Das sind fremde Begriffe und Wörter, so fremd oder formelhaft, dass schon mancher kapitulierte. Wir aber ,

,denen Gottes Geist verheißen ist, wir wollen uns diesem Fremden aussetzen.

 

                                                                      IV

 

Gott wird euch lebendig machen...'   Man könnte ja zunächst so sagen : Lebendig fühle ich mich immer dann , wenn das Schwere erträglich  , wenn aber auch das Leichte erträglich ist ; wenn beides  in einem Rhythmus wechselt und meine Zeit gegliedert  ist. Sozusagen einmal oben und einmal unten auf unserer Lebenswippe. Ob man eben so die erste Frucht des Geistes Gottes , die erste Wirkung seines Gesetzes , beschreiben kann ?  Er überwindet das Einseitige.

Es gibt Menschen , die tragen, schleppen , stöhnen und machen Druck  und manchmal denkt man : Die größte Last sind sie sich selbst.  Es gibt Menschen , die träumen davon , alles abschütteln und schweben  zu können, wunderbar leichtsinnig, und werden dann erst recht schwermütig. Der Geist Gottes scheint das, was hier auseinander fällt  und was unsere Arbeitsgesellschaft auf die Spitze treibt , wieder aufeinander beziehen zu wollen. Sein Gesetz , ja, gleicht einem Rhythmus, der  zu unserem Leben gehört und doch immer wieder neu gelernt werden muß : Einatmen - sich anstrengen. Ausatmen - frei werden. Und das in Ruhe ! Mit Luft! Und eins belebt durch das andere.

                                                                   V

 
‚Der - Hans- im - Glück - Komplex'  oder warum ich mich nur ungern entlasten lasse : Nur wenn ich es selbst mache , ist es so , wie ich es mir vorstelle. Mit den Jahren ist ‚Mann' mit den Aufgaben verwachsen. Das kann nicht einfach ein anderer machen. Ich sehe Leute , die sind ungewollt entlastet worden. Was fangen wir mit unserer Zeit nun an ? fragen die.  So schwach und elend  möchte ich mich nicht fühlen. Noch nicht . Und außerdem : Ich habe meinen Klumpen Gold gepflegt , vermehrt ; ich kann ihn wohl noch stemmen . Wer ist so dumm, sein Gold gegen einen alten Gaul  oder eine Kuh oder eine Gans oder einen Stein zu tauschen ?  Der ‚Hans-im-Glück-Komplex' oder eben , liebe Gemeinde, die ‚Hans-im-Glück-Angst'.  ‚Mann' weiß und ‚Frau' auch : Es gibt  Möglichkeiten , daraus zu kommen . Alle reden davon : Den Druck ablassen, die Hände öffnen , das Leben teilen , sich um andere kümmern ... lauten die Vorschläge.  ‚Ich elender Mensch'** , was wird Mutter sagen , wenn ich mit leeren Händen nach Hause komme!?

                                                                  VI

 Sagt einmal : Gibt es etwas , was uns leicht macht  und doch auch wieder schwer ? Was uns nimmt  und entlastet , und doch auch wieder gibt ? Als Kinder saßen wir auf  der Wippe , und wer zu lange oben blieb, rief :'Laß mich nicht verhungern!' Auch dies  kann man bei Paulus lernen und mit ihm vertiefen. Wer erhoben wurde, wer herausgehoben   wurde , muß durch diese  Entsicherung  hindurch : Ich bin leicht. Ich bin schwach. Ich habe nichts vorzuweisen. ‚Mit Christus begraben  und mit ihm auferstanden' so heißt es im Römerbrief wenig vorher. ‚Leichtigkeit'  , auch und eben pfingstliche Leichtigkeit, ist von daher nicht einfach : sorgloses Schweben über den Dingen ... ‚Laß mich nicht verhungern!' - die Leere und Ungewißheit , dieses ‚In-der-Luft-Baumeln' und nicht wissen , was wird  , es  bleibt keinem Kind Gottes erspart . Paulus weist , was seine Person betrifft , immer wieder darauf hin . Dem Auferstehen mit Christus und dem  Einwohnen des Geistes in mir  geht das Sterben mit ihm voran . Der Erlöste ist immer auch ein Verwundeter.

                                                                    VII

 Zugleich aber , und dies ist der Rhythmus , das Gesetz oder  die Verlässlichkeit des Geistes , ist dieses Sterben  der Durchgang zu einer neuen Stärkung  und einer neuen , lebendigen Belastung.  Nicht wahr, die Wörter drehen sich und werden neu !? Eben noch herausgehoben, entsichert , kehren wir zurück und werden geerdet. In der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern , mehr : in der Gesamtheit der Kreatur, der Schöpfung Gottes. Das Leichte wird erträglich, wenn  es wieder ‚Schwere' bekommt,  wie umgekehrt das Schwere erträglich wird, wenn wir wieder leicht werden dürfen. Dieser Rhythmus des Lebens , des in Christus geschenkten Lebens , soll in seiner Gemeinde erfahrbar werden. In der Sympathie mit allem Lebendigen, im Mitleiden des einen mit dem anderen, auch im Ertragen des bleibend Unerträglichen. Ich sagte es schon : Unsere Gesellschaft driftet auseinander. Die einen haben Arbeit  und Geld und können darüber verfügen. Sie werden schwerer und schwerer. Die anderen verlieren eins wie das andere . Freigesetzt  tragen sie  an einer unerträglichen Leichtigkeit.  Wir , liebe Gemeinde , sollten im Geist Gottes ein anderes Modell versuchen : Die Lasten und Entlastungen so verteilen , dass beides  ja:  ausgewogen  bleibt : Anstrengung und Entspannung ... Einatmen ... Ausatmen.

                                                               VIII

 
Der  ‚Hans-im-Glück-Komplex' oder warum es mir langsam leichter fällt , mit leeren Händen ‚freudig'*  nach Hause zu kommen :   Ich mache ein verrücktes Tauschgeschäft und erlerne den bekannten Satz : Weniger ist mehr. Was ist der erste Platz gegen die Freiheit des zweiten? Ich lerne das Atmen neu  . Ich lese den Römerbrief wieder einmal ganz . Ich öffne die Hände  und  nehme die Hand des anderen. Ich feire Pfingsten und wir gehen  tanzen  . Oder auf einen Spielplatz - wippen.  Am meisten aber und immer wieder  : Der Geist lehrt mich beten und ich nehme diese Lehre an.

Komm , Heiliger Geist , und kehre bei uns ein.
Kehre das Haus , reinige die Herzen,
entzünd'in uns das Feuer deiner Liebe. 

ER wird uns erheben. ER wird uns erden. ‚Leichtschwer' -  ein bisschen  eben vom ‚Hans- im - Glück'.   Amen .

 
Anmerkungen:

*  Grimms Märchen, Gesamtausgabe. Gesammelt von den Brüdern Grimm, Erlangen  o.J., S.298

**  Röm. 7,24

 



Pfarrer Jochen Riepe

E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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