Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 04.05.2008

Predigt zu Römer 8:26-30, verfasst von Friedrich Seven

26) Desgleichen hilft auch der Geist unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

27) Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.

28) Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind.

29) Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.

30) Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

 

Liebe Gemeinde,

von allen Übungen beim Einsingen ist mir das Seufzen die liebste. Immer wenn der Kantor, nachdem er unsere Stimmen zu den höchsten Tönen und in die tiefsten Tiefen geschickt hat, am Schluß ruft: „Jetzt noch ausseufzen!", bin ich von ganzem Herzen dabei. Die Stimmübungen verhelfen dazu, daß ich singen kann, der Seufzer sorgt dafür, daß ich singen möchte.

Da wundert es mich nicht, daß der Apostel Paulus  vom Seufzen spricht, wenn er über das Beten schreibt. Mehr als ich in ganzen Sätzen, ja überhaupt mit Worten  herausbringen kann, vermag oft ein einziger Seufzer zu sagen. Der Seufzer  sagt auf jeden Fall etwas von mir, hinter ihm kann ich mich nicht verstecken, mit meinem Ausatmen gehe ich vielmehr aus mir selbst heraus.

Paulus hat mit dem unaussprechlichen Seufzen wohl eine bestimmte Gruppe in der Gemeinde im Blick, nämlich Ekstatiker, die an ihrem Zungenreden erkannt werden können und auffallen. Aber in deren religiöser Extravaganz geschieht etwas, das auch uns alle beim Beten, also im Gespräch mit Gott, angeht.

Es geht darum, daß wir beim Beten nicht in uns verschlossen, nicht bei uns bleiben, sondern den Schritt in den Raum wagen, in dem wir vor Gott stehen und bestehen können.

Paulus ist dieser Schritt so wichtig, daß er ihn von mir unterscheidet, und den, der da  schreitet, Geist nennt. Ich lasse mich im Schritt nach vorne selbst zurück und werde frei für das, was ich tun möchte, ja für den, der ich sein möchte. In meiner Schwachheit müßte ich ganz in mir verschlossen bleiben, wenn nicht der Geist mir aus dieser Schwachheit heraushelfen und mich zum Seufzen und unter Seufzen herausführen würde. So wird aus einem Helfer der, der für mich handelt.

Paulus geht an anderer Stelle sogar weiter, und schreibt im Brief an die Galater von dem anderen in mir, der ich nicht bin, aber der in mir am Werk ist. Wenn Paulus so spricht, dann spricht er von dem Christus in mir, dem Sohn Gottes, den er hier den Erstgeborenen und unseren Bruder nennt.

Dem Apostel ist bei allem Unterschied unsere Ähnlichkeit mit Gott doch wichtig, so wichtig, daß er sogar schreibt, daß wir auf unsere Verherrlichung nicht erst warten müssen, sondern bereits verherrlicht sind, ja er nennt uns gar die Heiligen.

In dieser Herrlichkeit und Souveränität kann uns  alles zum Guten dienen. So wie ich nach dem Seufzen singen kann, fühle ich mich mit dem Beten frei, die Dinge zum Guten zu gebrauchen, also Gott durch mein Tun die Ehre zu geben. Der Wert der Dinge bemißt sich für mich an dem, was ich mit ihnen tun oder lassen kann für Gott. Aus der bangen Frage, was für mich zu tun gut ist, wird die Frage nach den Dingen, an denen Gott gefallen hat. Der Horizont meines Tuns und Lassens ist weiter geworden.

Beten weitet den Horizont, ja ich vermag gar, mit den Augen des anderen zu sehen.

Freilich ist hier von einer Souveränität die Rede, die nur im Eingeständnis unserer Schwachheit wirklich wird. Der Betreten des Raumes bei Gott ist immer der Schritt zu einem Starken, der ich nicht bin. In diesem Schreiten kann ich leben, im Übergang von dem, was uns in den Gemeinde heute bedrückt, aber nicht erdrücken kann, zu dem, der uns zur Hoffnung berechtigt.

Es bedrückt  uns, daß inzwischen die wirtschaftliche Armut, von der wir lange Zeit glaubten,  sie käme nur als Durchreisender an unsere Türen, nun mitten unter uns wohnt. Die eigene Armut aber kann uns auch einen Schritt näher bringen an die, vor denen wir uns in unsere Fürsorge eher zurückgehalten haben.

Es bedrückt  uns, daß der geistliche Reichtum, die Vielfalt an religiösen Angeboten, oft genug die geistliche Armut verbirgt, an der doch unsere Seligkeit hängt. Gelingen kann uns im Hören auf Gottes Wort der Schritt aus dem Vielerlei in die Konzentration darauf, was mir wichtig wird.

Es bedrückt uns, daß der Raum des friedlichen Miteinandes immer mehr zu einem Rückzugsraum wird. Obwohl der Raum des Gebets ja nur ein Innenraum zu sein scheint, kann ich doch den Schritt hinein wagen und aus diesem Raum- zum Frieden fertig- in die Kampfzonen zurückkehren.

Es bedrückt uns, wie schnell im Leben Jäger und Gejagte die Rollen tauschen, wie aus Herren Knechte und aus Knechten wieder Herren  werden können, und wir sind dankbar, daß wir den Schritt aus der Schwachheit zu unserem Herrn in Augenhöhe tun dürfen.

Es bedrückt uns, wie wenig die ständigen Vergleiche, ja gar die Gleichmacherei in der Gesellschaft die Gerechtigkeit herstellen kann, und mit tiefem Seufzen sehnen wir uns nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.

Unser Kantor weiß, daß seine Aufforderung zum Seufzen eigentlich unangemessen ist.

Seufzen kann keiner auf  Kommando, Seufzen kann ich nur, wenn ich seufze.

So scheint es mir auch mit dem Beten zu sein. Gott fordert uns nicht dazu auf, sondern lädt uns dazu sein; und Beten kann ich nur, wenn ich bete, wenn der Geist meiner Schwachheit aufhilft.

Amen!



Dr. Friedrich Seven
Scharzfeld
E-Mail: friedrichseven@compuserve.de

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