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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 04.05.2008

Predigt zu Römer 8:26-30, verfasst von Ulrike Voigt

Liebe Gemeinde!

Wir feiern heute, zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, den Sonntag „Exaudi", das heißt: „Höre!" Wer ruft hier wen? Der Ruf, der diesem Sonntag seinen Namen gab, stammt aus dem Psalm, den wir vorhin gemeinsam gelesen haben: „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe". Hier will ein Mensch mit Gott Kontakt aufnehmen, weil er Hilfe braucht. Ob diese Bitte um Gehör zuversichtlich geäußert wurde oder ob sie unsicher und voller Zweifel klang? Der Psalm legt nahe, dass da jemand in großer Not, sehr drängend, gerufen hat. „Not lehrt beten", sagt der Volksmund etwas zweideutig. Doch in diesem Psalm wird deutlich, dass da einer nach Gott ruft, der Gottes Hilfe in seinem Leben schon erfahren hat. Der erfahren hat, dass das Rufen nach Gott beantwortet wird, und der sich daher voll Vertrauen auf Gott beruft.

Die jüdischen Psalmen sind auch für die Christen Gebete für alle Zeiten. Beim Vorbereiten dieser Predigt wurde ich auf ein Buch aufmerksam, das genau diesen Untertitel trägt: „Gebete für alle Zeiten". Der Haupttitel lautete allerdings nicht: „Höre, Herr", sondern: „Ich hab dir was zu sagen, Herr". (von Jörg Müller). Darüber bin ich gestolpert, das kommt mir zu selbstbewusst daher, zu egozentrisch für ein Gebetbuch. Ist der Sinn des Gebetes denn, dass wir Gott etwas zu sagen haben; ist der Sinn nicht vielmehr der, dass Gott uns etwas sagen soll und will, dass wir von ihm Rat und Hilfe erbitten? Dass es mit dem Beten nicht ganz so einfach ist, bringt der Autor in seinem Werbetext selbst zum Ausdruck: „Beten bedeutet Hören auf Gott. Deshalb wollte ich zuerst ein Buch schreiben mit dem Titel: Rede, Herr, dein Diener hört. Das Buch hätte aber nur leere Seiten gehabt, um das Gehörte darin niederzuschreiben.... Beten heißt schließlich auch Reden mit Gott. Und weil so viele Christen nicht wissen, wie und worüber sie mit Gott reden sollen, formuliert das Buch 50 Gebetsvorschläge.".

Aber ich bin mir doch ganz sicher: wenn wir jetzt hier Anliegen für ein Gebet sammeln würden, dann würde doch einiges zusammenkommen an Fürbitte, Dank, Lob und Klage. Viele Gebetsanliegen und Menschen, für die wir beten sollen, fallen uns ein. An Dingen, die wir Gott sagen wollen, fehlt es nicht. Und falls uns nichts einfällt, könnten wir uns immer noch auf das Gebet berufen, das Jesus seine Jünger lehrte mit den Worten: „so sollt ihr beten". Auch im heutigen Predigttext geht es um das Gebet. Ich lese Röm 8, 26-30:

Desgleichen hilft auch der Geist unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.
Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist, denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.
Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht." (Luther)

Der Apostel Paulus war ohne Zweifel ein großer Beter. Jeden seiner Briefe beginnt er mit einem Dankgebet. Er betet allezeit für die Gläubigen, und selbst im Gefängnis lobt und preist er Gott lauthals. Aber auch Paulus drückt hier in seinem Schreiben aus, dass es mit dem Beten schwierig ist. Paulus stellt fest, die Christen, (und damit schließt er sich selbst ein) wüssten ja gar nicht, worum sie beten sollen. Und wie es sich gebührt zu beten, wüssten sie auch nicht! Das fällt auf und erstaunt.

An Anliegen, die wir vor Gott bringen könnten und sollten, fehlt es uns wahrlich nicht. Aber was soll das heißen: „beten, wie es sich gebührt"? Darf man nur nach bestimmten Regeln beten, damit das Gebet auch bei Gott ankommt? Das kann doch nicht die Absicht des Paulus sein, dem es immer in allem um die Freiheit der Kinder Gottes geht.

In meiner Vorbereitung habe ich mir verschiedene andere Übersetzungen angesehen, um den Text besser zu verstehen. Ich möchte noch einmal den ersten Vers vorlesen, in einer neueren erklärenden Übersetzung, der „Neuen Genfer Übersetzung":

„Und auch der Geist Gottes tritt mit Flehen und Seufzen für uns ein; er bringt das zum Ausdruck, was wir uns mit unseren Worten nicht sagen können. Auf diese Weise kommt er uns in unserer Schwachheit zu Hilfe, weil wir ja gar nicht wissen, wie wir beten sollen, um richtig zu beten."

So lässt sich das, was Paulus meint, eher nachvollziehen. Das kommt mir bekannt vor, dass ich mich nicht richtig ausdrücken kann, dass die angemessenen Worte fehlen oder ich nicht das sagen kann, was ich meine, auch gegenüber Gott. Jeder von uns kennt Situationen, in denen man nicht beten kann. Entweder, weil wir keine Lösung und keinen Ausweg wissen, oder weil wir uns fragen, wie wir Gott und die Verheißung seiner Liebe mit dieser Situation überhaupt zusammenbringen können. Wir zweifeln, ob der große Gott sich für unser Problem interessiert. Oft können wir uns selbst oder andere nicht durchschauen und wissen nicht, was zu tun und zu sagen ist. Vielleicht schämen wir uns auch vor Gott oder fühlen uns unendlich weit weg von ihm. Es kann uns auch einfach schlicht die Sprache verschlagen. Es gibt Erlebnisse und Erfahrungen, die wir mit Worten nicht erfassen können, in denen wir wie gelähmt sind, einschließlich unserer Zunge. Das kann unser persönliches Geschick betreffen oder Mitmenschen, oder auch die Zustände in der Welt. Ich will nur stellvertretend für vieles zwei kleine Beispiele nennen.

·    Letzte Woche habe ich gehört, dass es einem schon länger schwer kranken Verwandten schlechter geht. Nun ist auch noch der einzige Sohn dieses Mannes schwer an Krebs erkrankt und man weiß nicht, wer von beiden eher sterben wird.

·    Die Industrienationen wollen mit alternativem Bio-Diesel die Umwelt, also Gottes Schöpfung, besser schützen. Dafür wird Mais und Raps benötigt. Gleichzeitig hören wir, dass immer mehr Menschen sich diese Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können.

„Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie es sich gebührt..." Und doch möchten wir uns an Gott wenden. Aber wie?

Und neben den Situationen, die uns keine Worte finden lassen, gibt es auch Zeiten, in denen wir intensiv beten - aber die Antwort steht aus. Wir fühlen uns ohnmächtig und zweifeln daran, ob Gott uns hört und ob er helfen wird. Es ist schwer zu vertrauen, wenn man sehr lange auf eine Antwort warten muss.

Paulus will diejenigen ermutigen und entlasten, die sich an Gott wenden wollen und nicht wissen wie. Es geht hier nicht um eine Anleitung für gute oder richtige Gebete. Ausschlaggebend ist für Paulus das Handeln des Geistes im Gebet. Für die Wirksamkeit und den Erfolg des Redens mit Gott, wenn man von Erfolg sprechen will, sind nicht die gewählten Worte entscheidend. Die entscheidende Kraft für das Gebet ist der Heilige Geist. Dieser Geist baut eine Brücke zwischen Gott und denjenigen, die mit ihm in Kontakt kommen wollen. Der Abstand zwischen Menschen und Gott wird überbrückt. Der Geist bewirkt das, was wir aus eigener Kraft nicht können. Wenn die Worte fehlen, dann tritt er im Gebet vor Gott für uns ein mit „wortlosen Seufzern". Denn der Geist weiß, was Gott gefällt.

Diesen Geist Gottes muss man sich nicht abstrakt vorstellen, sondern man kann ihn sich ganz konkret, wie eine Person, vorstellen, wie einen Stellvertreter, einen Beistand, einen Tröster, wie ihn Jesus vor seinem Weggang verheißen hat. Diese Vorstellung finde ich sehr hilfreich.
Beim Beten braucht man also nicht die Worte auf die Goldwaage zu legen, es gibt einen Vermittler und Dolmetscher zwischen unseren Anliegen und Gott. Unser Rufen verhallt nicht ungehört, sondern kommt bei Gott an. Gott ist nicht der unendlich entfernte Gott, sondern kommt uns durch den Geist nahe. So können wir in das vertrauensvolle Bekenntnis von Tolstoj einstimmen und es uns zusprechen: Ich kann nicht beten. Seine Sprache ist eine andere als meine, aber Er wird sie verstehen und sie in die Seinige übertragen, wenn ich sage: Hilf! Komm zu mir! Verlass mich nicht!"

Der Tröster, der Heilige Geist, bewirkt auch, dass gläubige Menschen selbst im Leiden nicht den Glauben an Gottes Güte und Liebe verlieren. Das formuliert Paulus in einem Wort, das häufig als Trostwort für Trauernde zitiert wird:
„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind."
Wie ein Ausleger treffend anmerkte, kann es leicht trostlos oder erbarmungslos wirken, wenn dies als Regel missverstanden oder vorgehalten wird: Sollen hier leidvolle Erfahrungen schöngeredet werden? Muss man Unglück oder Unrecht gottergeben hinnehmen? Muss man als Christ im Unglück auch noch ein schlechtes Gewissen haben, wenn man leidet?

Nein, das ist nicht gemeint. So sehr ich Luther schätze, hier hilft eine modernere Übersetzung weiter: „Wir wissen aber, dass Gott denen, die ihn lieben, alles zum Guten ausgehen lässt" (U. Wilckens). Gott wirkt durch seinen Tröster-Geist in allem, was geschieht, so dass unser Leben ein gutes Ziel hat. Gottes Geist schenkt die Gewissheit, dass Gott es gut mit uns meint. Gottes Geist richtet unseren Blick aus der Hoffnungslosigkeit auf die Hoffnung eines Lebens in der Gemeinschaft mit Gott. Nichts kann uns mehr von Gott trennen, selbst der Tod nicht. Gott hat uns ausersehen, vorherbestimmt, berufen; gerecht gemacht und verherrlicht. Das bleibt die unverrückbare Basis unseres Lebens.
Dass Gott alles zum Guten ausgehen lässt, betrifft nicht nur das persönliche Geschick, sondern bezieht sich auch darauf, dass wir als Glaubende erwarten und erhoffen, dass Gottes Heil einmal für die gesamte Schöpfung sichtbar und endgültig da sein wird. Diese Hoffnung nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn es auf der Welt eben nicht so zugeht, wie es Gottes Willen entspricht, ist auch ein Verdienst des Geistes.

Noch ein weiterer Aspekt des Betens ist hier wichtig. Die Zusage, dass der Geist im Gebet vor Gott für uns eintritt, gilt jedem Einzelnen. Aber wir sind als Gemeindeglieder, als Christen, keine Einzelkämpfer. Wir können auch füreinander eintreten und damit das Wirken des Geistes sichtbar machen, indem wir uns gegenseitig trösten, füreinander oder gemeinsam beten, wenn jemand keine Worte mehr findet. Für andere zu beten, ist auch eine Form des Eintretens für sie. Die Fürbitte kann auch in einem Seufzen Ausdruck finden. Wir müssen Gott nicht schon die Lösung eines Problems vorschlagen. Auch einem wortlosen, seufzenden Gebet gilt die Verheißung, dass Gott es durch die Vermittlung seines Geistes hört und darauf antworten wird. Gerade im gemeinsamen Gebet ist nach meiner Erfahrung dieser Geist oft sehr konkret spürbar.
Die gemeinsame Fürbitte kann dann auch dazu führen, dass wir anfangen zu handeln, zu helfen, uns zu engagieren. Wenn der Geist unserer Schwachheit aufhelfen kann, dann kann er uns auch zum Handeln befähigen. Dann kann das Gebet sogar die Welt verändern, im Kleinen und im Großen.

Komm, o komm du Geist des Lebens
wahrer Gott von Ewigkeit,
deine Kraft sei nicht vergebens,
sie erfüll uns jederzeit,
so wird Geist und Licht und Schein
in dem dunklen Herzen sein.

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Pfingstzeit und für jeden Tag viel Geistesgegenwart. AMEN

 



Dr. Ulrike Voigt
Stuttgart
E-Mail: dr.u.voigt@web.de

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