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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 11.05.2008

Predigt zu Römer 8:1-11, verfasst von Michael Gese

Liebe Gemeinde!

Spektakuläre Ereignisse werden von Pfingsten berichtet: Flammen erscheinen auf den Häuptern der Apostel, Menschen verstehen sich über Sprachgrenzen hinweg, ein gewaltiges Wehen des Geistes versetzt die Gemeinde in Verzückung. Das klingt großartig!

Umso nüchterner wirken die Worte des Paulus. Man fragt sich: Wo ist da etwas zu spüren von Begeisterung, von Freude und Lebendigkeit? Was haben diese Worte denn mit Pfingsten zu tun: „Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Frieden." (Röm 8,5.6).

Geistlich und fleischlich - was für ein Gegensatz! Kommt da nicht die alte Leibfeindlichkeit zur Sprache?

Beim Wort Fleisch denken wir nicht bloß an den Sonntagsbraten. Wir denken an Fleischeslust, an Begierden, an Sexualität und daran, dass das alles angeblich Sünde sei. Hat Paulus das so gemeint? Im Gegensatz dazu wecken die Worte „geistlich gesinnt sein" Assoziationen an das Beherrschen der Triebe, an strenge Askese und tugendhafte Sittsamkeit. Das klingt ganz wie das Strickmuster herkömmlicher Moralvorstellungen.

Viele lehnen sich auf gegen diese Art von Moral - ganz zu Recht! Denn so fühlt man sich eingezwängt in ein Korsett. Alles, was mit dem Körper zu tun hat, scheint von vornherein abgewertet.

Die Leibfeindlichkeit hat eine lange Tradition, nicht nur in der Kirche. Sie reicht in vorchristliche Zeiten zurück. So bezeichneten die Griechen den Körper sogar als Gefängnis der Seele. Und in der Folge war alles, was mit dem Körper zu tun hatte, negativ besetzt. Bis heute bestimmt das unser Denken!

Vielleicht fragen Sie, ob wir inzwischen nicht doch über eine solche leibfeindliche Einstellung hinweggekommen sind. Schließlich gibt es eine neue Körperlichkeit. Die Lust am Körper wird entdeckt. Fitnesscenter florieren und das Geschäft mit der Wohlfühlkultur blüht. Aber ich glaube, wir haben damit den alten Gegensatz zwischen Körper und Geist noch nicht überwunden! Es scheint mir noch das gleiche Denken - nur unter veränderten Vorzeichen! Wie verbissen traktieren manche ihren Körper im Fitness-Studio! Ist das nun Körperkult oder Leibfeindlichkeit? In beidem wird der Körper wie ein Objekt behandelt. Und darum liegt beides oftmals nicht weit voneinander entfernt.

Die biblische Tradition denkt anders. Sie kennt keine Leibfeindlichkeit - und auch keinen Körperkult. Im Gegenteil! Die Verbindung von Körper und Geist spielt eine wesentliche Rolle. Denn beides gehört zusammen. Auch wenn es zunächst so leibfeindlich klingt: „Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Frieden."

Fleischlich gesinnt - damit meint Paulus eine Lebensweise, die sich nur auf das Fleisch bezieht und darum letztlich geistlos ist: Wenn sich alles nur um die eigene d.h. fleischliche Existenz dreht, wenn man ganz auf sich selbst fixiert ist, nur den eigenen Vorteil im Blick hat und keine anderen Werte kennt. In dieser Lebenseinstellung gibt es keinen Gott und auch nichts über den Tod hinaus. Und darum - so sagt Paulus - endet diese Art zu leben auch im Tod: „Fleischlich gesinnt sein ist der Tod, geistlich gesinnt sein ist Leben und Frieden".

Geistlich gesinnt sein ist die entgegen gesetzte Lebenseinstellung. Dass da ein Geist ist, der unser Leben beflügelt. Geist, das ist Atem und Hauch. Und ohne diesen Odem Gottes wäre das Fleisch tot. Geistlich gesinnt sein meint also lebendig sein, spüren, dass wir mehr sind als ein Klumpen Fleisch, weil der Atem Gottes uns beflügelt. Das geschieht nicht ohne Körper, nicht ohne Fleisch, aber alles ist vom Leben durchdrungen. Darum heißt „geistlich gesinnt sein Leben und Frieden."

Damit sind wir schon ganz nah an Pfingsten. Gottes guter Geist, sein Schöpfergeist macht uns lebendig. Sein Geist wohnt in uns - wie Paulus zweimal betont (V 9.11). Er wirkt in uns und öffnet unser Herz für die Gegenwart Gottes in unserem Leben.

Gerade da spielt die Verbindung von Körper und Geist eine wesentliche Rolle. Ich denke an das Gebet. Das Gebet darf keine Flucht sein in eine geistliche Welt. Es muss seine Bodenhaftung behalten. Darum gehören beim Beten Körper und Geist eng zusammen. Der Leib ist deshalb der Wegführer auf dem inneren Weg des Gebets. Auf seine Signale zu achten, ist der beste Weg in die Stille. Ich kann spüren, wie der Atem gleichmäßig aus- und einströmt. Da ist ein Raum in meinem Körper, der immer neu von Luft gefüllt wird. Das zeigt mir, was Beten heißt: nämlich dass da ein Raum in mir ist, der ganz Gott gehört.

Es atmet in mir - ganz unabhängig von meinem Willen. Das kann eine wichtige Entdeckung sein. Denn der Atem des Körpers ist ein Bild für Gottes Odem, den Gott mir eingeblasen hat. Wie mein Körper ohne Willen und Anstrengung bewegt wird, so atmet Gottes Geist in mir - ganz ohne mein Zutun. Wie oft setzen wir uns unter Druck, weil wir meinen, alles hinge von unserem Willen, von unserem Einsatz, von unserem Durchhaltevermögen ab. Wie sehr hat uns das Leistungsdenken im Griff, gerade auch darin, vorbildlich im Glauben zu sein! Doch Gottes Geist weht eben, wo und wann er will.

Das hieße nämlich „Fleischlich gesinnt sein": das Leben wie eine Maschine ansehen, die ständig angetrieben werden muss und darum mit Verbissenheit arbeiten, Gutes zuwege zu bringen. „Geistlich gesinnt sein" heißt dagegen, im Leben die Wirksamkeit des Geistes wahrzunehmen und erkennen, dass alle Verbissenheit nichts nützt, wenn Gottes Geist nicht dabei ist, der einen beflügelt und beschenkt. Und dass es darum in so vielen Dingen nicht auf das Tun, sondern auf das Lassen ankommt: sich beschenken zu lassen, Gottes Geist wirken zu lassen und ihm nicht hinderlich im Weg zu stehen.

Auch diese Erkenntnis ist ein Geschenk. Ich kann mich von ihr nur beflügeln lassen. Denn dann merke ich auch: nicht ich vollbringe mein Gebet. Es ist keine menschliche Leistung. Sondern Gottes Geist betet in mir. Er macht, dass mein Herz sich Gott zuwenden kann. Er kennt die Tiefen meines Herzens und weiß, was mich im Innersten bewegt. Er kann mich öffnen und bereiten für Gottes Gegenwart. Er ist es auch, der mein Gebet empor trägt zum Herzen Gottes.

Vielleicht mag nun manch einer ängstlich fragen, ob ich selbst denn gar nichts beitragen könne. Aus eigenem Antrieb kann ich nichts dazu beitragen. Es ist vielmehr Gottes Geist, der in mir wirkt. Er will mich gebrauchen. Pfingsten heißt, dass Gottes Geist in uns wohnt. Und dass er jede Faser unseres Fleisches durchwirken und verwandeln will, dass alles, was wir denken und tun, von seinem Geist durchdrungen ist. Dann ist tatsächlich die Trennung von Körper und Geist überwunden! Dann ist auch deutlich, warum „geistlich gesinnt sein Leben und Frieden" ist.

Pfingsten geschieht nicht nur einmal im Jahr. Pfingsten, das sind all die Augenblicke, in denen der Geist Gottes Ereignis wird, in denen ich den erfahre, der allezeit schon um mich ist. Es müssen nicht immer spektakuläre Ereignisse sein. Es kann sich im Kleinen, im Stillen ereignen. Aber es ist durchweg ein Gewahrwerden der Wirksamkeit Gottes in meinem Leben.

„Ihr seid der Tempel Gottes", mahnt Paulus. Der Leib, ein Tempel des Geistes, der in uns wirkt und uns verwandelt. Wo wir uns davon beschenken lassen, da ist Pfingsten.

Amen.



Dr. Michael Gese
Esslingen-Sulzgries
E-Mail: michael.gese@gmx.de

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