Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 11.05.2008

Predigt zu Römer 8:1-2.10-11, verfasst von Gunda Schneider

Liebe Gemeinde,

Pfingsten gerät alles in Bewegung, in stürmische Bewegung. Es braust vom Himmel her und Feuer zeigt sich. Pfingsten, das liebliche Fest, ist gar nicht so ruhig und beschaulich, es scheint eher so, als ob wir eine Sturm- und Unwetterwarnung bräuchten. Pfingsten ist das Fest der stürmischen Bewegung. Aber wo alles in Bewegung gerät, kann auch Neues geschehen.

 

Vor 10 Tagen haben wir mit dem Himmelfahrtsfest einen Abschied gefeiert, das Ende der Osterzeit, und nun geht es gerade wieder los: Bewegung, Sturm, Unruhe. Wie ist das zu verstehen? Geht es um festliche Unruhe, um Lebensfreude oder um Erschrecken? Man weiß es nicht so genau. Die vielen Feste zu Pfingsten, Kirchweihfeste, Motorradrennen, die großen Wanderungen und Gartenfeste sind vielfältiger Abglanz der Bewegung. Pfingsten, das Fest der Bewegung. Wie ist das zu deuten? Man konnte den Sturm, das Brausen vom Himmel her, die Feuerzungen nicht erklären. Was ist vom Himmel her zu erwarten, Heil oder Unheil und Verwüstung? Am Anfang herrschten Entsetzen und Ratlosigkeit. So ist das, wenn Gottes Geist kommt und alles in Bewegung bringt, da herrscht durchaus nicht stets fromme Gemütserregung. Die Bewegung kann nicht gleich erklärt werden. Fragen drängen sich auf. Was will das werden?

 

Einige aber wussten eine Antwort: Die Menschen sind betrunken von süßem Wein. Das ist die einfachste Erklärung, und sie ist gar nicht so abwegig: trunken vom Geist. Die Pfingstgeschichte erzählt, dass Menschen unterschiedlicher Sprachen versammelt waren. Sie waren sich fremd, hatten einen unterschiedlichen Migrationshintergrund und wahrscheinlich auch einen je anderen Sozialisationshintergrund und noch dazu eine je andere Religion, aber sie verstanden sich wunderbarerweise. Wenn Menschen, die einander fremd sind und nichts miteinander zu tun haben, sich verstehen, dann fallen Barrieren, trennende Grenzen brechen ein. Es entsteht Gemeinschaft, Menschen verbinden sich, sie gehen aufeinander zu. Vielleicht fallen sie sich gar um den Hals. Tanzen müssten sie und gemeinsam singen, vom Geist bewegt. Kann man da nicht trunken werden vor Begeisterung? Ginge es doch Menschen und Völkern so, die durch Mauern getrennt und verfeindet sind! Nur für Außenstehende ist das verrückt.

 

So geht es, wenn Gottes Geist kommt und alles in Bewegung bringt. Menschen verstehen sich. Unbegreiflich ist das. Nun hat allerdings der Geist unter Menschen eine lange Geschichte des Unverständnisses hinter sich, eine babylonische Sprachverwirrung. Dass auch einander fremde Menschen sich aufgrund des Geistes miteinander ganz schlicht verstehen können, kommt in dieser Geschichte nicht vor. Der Geist trennte, und er wurde vom Körper und den Sinnen getrennt. Auch heute noch wird der Geist als „extra" abgesondert. Er wird gleichsam akademisch verklärt wie ein allzu vergeistigter Universitätsprofessor, der so viel denkt, dass er darüber Körper und Sinne aus dem Blick verliert. Ein kraftloses geistiges Wesen ist das, ein Geist, der nicht einmal Körper und Sinne in Bewegung bringt. - Gespenstisch. Was für ein Körper und was für Sinne sollen das sein, die nicht vom Geist belebt und bewegt sind? Reiner Materialismus, Physis, Fleisch, nur Zellhaufen, mit denen man machen kann, was man will? Man kann diese Zellhaufen verwerten oder verwerfen, vermarkten und verbrauchen. Dass in dem Fleisch sich Geist bewegt - Geist eine Weise der Bewegung der Materie - können Hirnforscher heute bei der Untersuchung der grauen Zellen im Gehirn verfolgen. Der Geist bewegt den ganzen Menschen, Körper und Sinne und auch das Herz.

 

Doch was für ein Geist? Was ist Geist? Wie vieldeutig Geist ist, kann gegenwärtig an dem Weg der Fackel verfolgt werden, die mit dem Feuer den olympischen Geist über die Welt verbreiten soll. Begeisterung und Entrüstung liegen nahe beieinander. Begeisterung für den olympischen Sport, Entrüstung über die Gewalt gegenüber protestierenden, weinenden Mönchen in Tibet.

 

Es gibt vielerlei Geist. Der Pfingstgeist aber, der alles in Bewegung bringt, ist eindeutig lebensförderlich. Er unterdrückt nicht, sondern befreit. Er entzweit nicht, sondern schafft Gemeinschaft. Der Apostel Paulus spricht sogar davon, dass er Menschen in die Bewegung vom Tod zum Leben hineinzieht. Wo der Geist Gottes ist, ist Leben.

 

In einer großartigen Vision schaut der Prophet Hesekiel, dass der Geist Gottes Leben in Totengebeine bläst. Der Prophet erzählt, dass er ein großes Feld mit Totengebeinen sieht, und er vernimmt die Verheißung, dass die Gebeine wieder lebendig werden sollen. Zuvor aber wird er gefragt: „Meinst Du wohl, dass die Gebeine wieder lebendig werden?" „Unmöglich" müsste er antworten, wenn er nach den Vorstellungen des zeitgenössischen Realismus antwortete. „Das widerspricht aller Erfahrung." - „Unmöglich" sagen wir, wenn wir auf Felder von Verwüstung sehen. Der schreckensvolle Anblick verschlägt alle Hoffnung. „Wie soll das wieder werden?" Aber der Prophet stellt die Antwort Gott anheim: „Herr, mein Gott, du weißt es." Und der Geist Gottes bläst Leben in die toten Gebeine.

 

Israel war verzweifelt gewesen. Die Krankheit zum Tode hatte es erfasst. „Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns." Es ist aus mit uns. So ist das, wenn der Geist fehlt. So ist das mit Menschen und ihrem Leben. Es ist aus mit uns. Von allen guten Geistern verlassen.

 

Kennen Sie das, liebe Gemeinde? Es ist aus mit uns. Es ist aus mit mir. Da ist keine Perspektive und kein Funke Hoffnung mehr. Es gibt Situationen, da packt einen dieses Gefühl, und es gibt Zeiten, da gibt man sich diesem Gefühl hin. Es zieht einen in die Tiefe. Alles erscheint sinnlos. Es lohnt nicht mehr. Es ist aus.

 

Da wird der Geist Gottes tätig. Er bringt die in Bewegung, die in Hoffnungslosigkeit erstarrt sind. Zunächst macht das oft nur Schmerzen, weil Erinnerung belebt wird, Erinnerung an die Verlorenheit eines Kindes, an die Verirrungen und Verfehlungen eines Lebensweges, an versäumte Chancen und an das Scheitern eines Lebenszieles, eines Friedensplanes etwa - aus. Alles wird schmerzlich erinnert. Aber der Schmerz ist schon erstes Lebenszeichen, er fühlt sich an wie Leben. Und mit dem Leben kommt der Mut. Der Heilige Geist ist der große Mutmacher. Da gibt es kein „aus", kein „sinnlos" und kein „es lohnt nicht". Es gibt die neue Chance. Der belebende Geist schenkt Möglichkeiten über die Vergeblichkeit hinaus. Deshalb kann weiter an Friedensplänen gearbeitet werden, deshalb können Landstriche und ganze Länder, die verwüstet darnieder lagen, wieder aufgebaut werden, deshalb gibt es eine Chance für den Gescheiterten. Du kannst neu beginnen an jedem Morgen. Der Sturm des Geistes Gottes wirkt Lebensmut. Deshalb wird der Geist auch Tröster genannt. Der Trost, das ist die Festigkeit, der Trotz, mit dem man der Mutlosigkeit widerstehen kann.

 

Der Apostel Paulus kennt diese Erfahrung. Er schildert einen Menschen, für den alles aussichtslos ist, weil er sich selbst im Wege steht. Er ist besessen von einer Macht, gegen die er sich verzweifelt wehrt, ohne Erfolg. „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich." Möglicherweise bekennt der Apostel das von sich selbst. Zerrissen in seinem Innern, gebunden von einer ihn sich selbst entfremdenden Macht ruft er: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?" Das ist der Schrei aus der Tiefe, das ist das Stöhnen eines Menschen, der vom Leben genug hat, weil er mit sich selbst und seinem Leben nicht zurecht kommt. Lieber nicht leben, als so wie ich, lieber kein Leben als so ein zerrissenes, gefangen im eigenen Selbst.

 

Der Geist Gottes befreit aus dieser Gefangenschaft. Gegen die Verzweiflung führt der Apostel die Kraft des Geistes ins Feld. In dem heutigen Predigttext legt er das mit theologischer Argumentation aus:

„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes."

 

Der große Befreier, der Geist, holt Menschen heraus aus dem Sog der Verdammnis. Und all das, was verdammenswürdig ist, und das ist in der Tat nicht leicht zu nehmen, versinkt in die Tiefe. Es hat da seinen Ort, wo Jesus Christus in der Tiefe war und alle Verdammnis auf sich genommen hat. Am Kreuz Jesu Christi ist der Ort alles dessen, was Sünde genannt werden muss, die Lebenszerstörung und die Selbstzerstörung, der Gotteshass und die Menschenfeindlichkeit, alle großen und alle kleinen alltäglichen Gehässigkeiten. All das kann hinter uns bleiben. Es wird nicht versteckt oder unter den Teppich gekehrt, wo es im Geheimen zerstörerische Macht ausüben kann. Es wird benannt und ans Kreuz dessen geheftet, der die Verdammnis durchlitten hat. Nur erkannte Schuld kann vergeben werden, nur von bekannter Schuld können Menschen frei werden.

 

Es ist eine eigenartige Bewegung vom Tod zum Leben, in die uns der Geist Gottes hineinzieht. Durch die Verbindung mit Jesus Christus wird alles Tödliche abgetan und das, was dem Leben gut tut, wird uns zugetan. Auch das, mit dem wir uns selbst verdammen und verwerfen, können wir hier abtun. Es ist, als ob der Geist, der mit Jesus Christus verbindet, sich wie ein Schutzwall um die herum lagert, die verurteilt oder verdammt werden von anderen und auch von sich selbst. Der Geist schützt vor aller Verdammung und fängt all das auf, was Menschen gegen sich selbst und gegen das Leben sagen und fluchen, und er richtet die Gedanken und Sinne auf Leben. Du kannst wieder leben, die Erstarrung ist gelöst, du bist frei.

 

Dem Sog in die Tiefe der Verdammnis entspricht der unendlich viel stärkere Auftrieb zu Freiheit und Gerechtigkeit. Martin Luther hat das den fröhlichen Wechsel genannt. Wir können das abgeben, wirklich weggeben, all das, von dem wir selbst und andere dachten, da kommt er nicht mehr raus, das haftet ihr an ein Leben lang. In der Verbindung mit Christus gilt neue Gerechtigkeit. Gott wird uns gerecht, so werden wir frei. Das ist der Grund des Pfingstjubels, der stürmischen Pfingstfreude. Da kann man in der Tat singen und tanzen, erleichtert und befreit: Ich kann wieder anfangen.

 

Die freudige Fanfare: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind", weist schon hin auf das Bekenntnis des Apostels, mit dem er dieses Kapitel im Brief an die Römer abschließt: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten ... noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn." Der Heilige Geist, der große Mutmacher, der Tröster und der große Befreier ist auch der Geist der Liebe.

 

Man hat den Heiligen Geist das Band der Liebe, vinculum caritatis, genannt. Das Band, das Gott den Vater und den Sohn verbindet, das Menschen unter einander und mit Jesus Christus verbindet und das Himmel und Erde verbindet. Die Verbindung führt aber nicht zu einer unklaren Vermischung. Vom Wein Verwirrte mögen sich das so vorstellen und wünschen. Aber Himmel und Erde bleiben unterschieden, und Menschen werden nicht zu kleinen Göttern, auch nicht durch die Liebe. Der Geist erhebt niemanden in den siebenten Himmel, damit er anschließend umso tiefer abstürze, und er schickt uns nicht im Traumschiff auf Himmelsreisen, so dass wir nach dem Höhenflug zu Tode betrübt zurückfallen. Der Geist der Liebe macht uns ganz nüchtern und ganz gegenwärtig, präsent. „Geistesgegenwärtig" sagen wir, wenn jemand so präsent ist.

 

Der Heilige Geist, von dem gesagt wird, er sei der beste Freund des gesunden Menschenverstandes, macht uns so gegenwärtig, dass wir sensibel werden dafür, wo Liebe gebraucht wird. Und wo ist das nicht der Fall! Liebe kann erkennen, wo es am täglichen Brot mangelt und an der täglichen Fürsorge oder nur an einem Wort. Es bedarf keiner Himmelsstürmer, sondern nüchterner irdischer Dienerinnen und Diener, die im Geist der Liebe die Verteilungsprobleme in unserer Gesellschaft und weltweit ín Angriff nehmen. Es kann nicht sein, dass der Kraftstoff für die einen den anderen das tägliche Brot wegnimmt. Aber Liebe sensibilisiert auch für die Nähe und sogar für vermeintlich Unscheinbares. Das Band der Liebe, das mit Christus verbindet, verbindet uns auch mit denen neben uns, die wir so leicht übersehen.

 

Es ist Trägheit, die uns übersehen lässt, wo liebevolles Eingreifen notwendig ist. Aus Bequemlichkeit will man sich nicht bewegen und sich nicht bewegen lassen. Aber es gibt noch eine andere Trägheit. Die Trägheit, mit der man sich auf sich selbst zurückzieht und bitter feststellt: „Es wird mir nichts geschenkt." Man sieht nur Negatives und übersieht alles, was einem alle Tage geschenkt wird. Trägheit bricht Beziehungen ab. Man will sich nichts schenken lassen, es könnte ja verpflichten. „Die Menschen sind schlecht, sie sorgen für sich", konstatiert die Trägheit und folgert: „Nur ich sorg' für mich." Das ist die Sünde der Trägheit, die nicht wahrnimmt, was uns alle Tage geschenkt wird.

 

Der Geist der Liebe öffnet unsere Augen für die Liebe und die Lebensfülle, die uns alle Tage zukommen, die wir genießen können, all Morgen neu.

 

Der Heilige Geist, der große Mutmacher, der Tröster, der Befreier von Schuld, die wir hinter uns lassen dürfen, und der Geist der Liebe, der unsere Trägheit überwindet. Mit dem alten Pfingsthymnus, der Pfingstinvokation, bitten wir um diesen Geist: Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe. Amen.



Prof. Dr. Gunda Schneider
Leipzig
E-Mail: dr.gunda.schneider@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)