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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 11.05.2008

Predigt zu Lukas 22:32, verfasst von Friedrich Weber

Petrus und Paulus und die konstruktive Kraft des Streites

Liebe Gemeinde,

wir feiern Pfingsten, den Geburtstag der Kirche, das Kommen des heiligen Geistes und hier in Braunschweig auch noch das Turnfest - wir feiern die sichtbare gelebte Form unserer Kirche als das Miteinander von Menschen, die getauft sind und sich in die Nachfolge Jesu haben rufen lassen. Auf uns - so wie wir hier zusammen sind: mühselig und beladen, erfolgreich und kraftstrotzend, glücklich und traurig, jung und alt - hat Gott seinen heiligen Geist ausgeschüttet und uns zu seiner Gemeinde verbunden. Und nicht nur das: dass uns Gottes Geist an diesem Pfingstsonntag hier im Braunschweiger Dom zusammengeführt hat, bedeutet ja auch: wir teilen einen gemeinsamen Schatz an Geschichten und Liedern, Bekenntnissen und Gebeten. Vermutlich teilen wir auch ähnliche Werte und Ziele. Und ich hoffe, Sie fühlen sich wie ich dieser unserer Kirche verbunden - so wie sie uns heute im Mai 2008 - als braunschweigische Landeskirche entgegenkommt.

Wie ist das aber mit unserer Kirche, wie erleben wir sie? Und kann sie den enormen Ansprüchen und Erwartungen gerecht werden als das sehr menschliche Miteinander, das sie nun einmal ist? Ich weiß, dass viele Menschen hoffen und glauben, dass es hier unter uns - in unseren Gemeinden und Gremien, anders - anständiger, verantwortlicher, gerader - zugeht und dass sie von Schwäche und Scheitern bitterer enttäuscht sind, als anderswo, weil sie es eben hier weniger erwarten. Eine ganze Korrespondenz in meinem Büro spiegelt diesen Wunsch wider, der ja nicht abwegig ist, sondern nur illustriert, was wir uns vorstellen unter einem christlichen Entwurf für das Leben in unserer Welt. Ich teile diese Anspruch und ich gräme mich, wenn wir dahinter zurückbleiben - aber ich weiß auch, wie verflochten unsere Beziehungen sind und wie abhängig von unseren Bildern, Visionen und Möglichkeiten wir Kirche gestalten. Und schließlich erleben wir alle immer wieder, dass dies Miteinander nicht ohne Streit und Mühe, nicht ohne Konflikte abgeht.

Die Sonntage, an denen ich in diesem Jahr hier im Braunschweiger Dom predige, unterliegen einem gemeinsamen Thema: eben der Frage nach den Beziehungen in denen wir leben, nach den Konstellationen und Rollen, die wir auszufüllen haben und nach den Prototypen, die von all dem in den biblischen Geschichten erzählen. Über Pfingsten haben wir nun Petrus und Paulus gestellt, die beiden Urgesteine der frühen christlichen Gemeinde und die Frage danach, wieviel konstruktive Kraft unserem Streiten innewohnt. Möglicherweise suggeriert das Thema dieser Predigt ja, das Paulus und Petrus einander ständig in den Haaren gelegen hätten, dass ihre Gegensätzlichkeit und Verschiedenheit Triebkraft und Entwicklungsimpuls der Kirche gewesen seien. Das wäre ja auch nicht ganz abwegig, wenn man bedenkt, wofür die beiden uns vordergründig stehen:

Da ist Petrus der Fels, dessen Name sich mit Stabilität und Verantwortung, institutionalisierter Kirche und Tradition verbunden hat - hieße sonst der Petersdom nach ihm? Und andererseits haben wir Paulus, den Theologen und Briefeschreiber, den Christenverfolger und Missionar, der immer an die Grenzen gehen musste und unentwegt unterwegs war, der sich selbst immer wieder ändern musste.

Beide - Petrus und Paulus - hatte Konflikte durchzustehen: mit den anderen Jüngern, mit ihren Zeitgenossen, mit der Obrigkeit. All ihre Konflikte markierten Interessensgrenzen, abweichende Urteile und Meinungen, unterschiedliche Prioritäten - aber sie sind auch immer ein Weg gewesen, auf dem schwierige Prozesse vorankommen und eine Möglichkeit, deutlich zu machen, wofür man steht und kämpft, was einem eben nicht egal ist.

Lassen Sie uns also einen Moment in diesem Sinne auf Petrus und Paulus sehen:

Da ist zunächst Petrus, griech: der Fels, den wir auch als Simon oder eben Simon Petrus kennen und der wohl die herausragende Figur unter den Jüngern Jesu gewesen ist. Er ist es, den Jesus gemeinsam mit seinem Bruder Andreas als ersten in seine Nachfolge ruft, an ihm macht Jesus das Bild vom Menschenfischer fest (Mk1,16f). Petrus ist es auch, der über das Wasser läuft, seinen Glauben und seinen Gehorsam beweisen will und zu scheitern droht, weil er zweifelt (Mt 14,28ff) - der also weiß, was es bedeutet, wenn man fast untergeht in der Fluten der Angst. Und trotzdem: gerade dieser Petrus wagt es, das Bekenntnis „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn"(Mt 16,16) auszusprechen. Schließlich ist er es auch, der seinen Herrn dreimal verleugnet, noch ehe der Hahn kräht.

Aber er ist nicht nur der, der liebt und hofft und scheitert und versagt in solch normalem menschlichen Maß wie wir auch, er ist auch der Andere, der Besondere -

der, dem Jesus einen neuen Namen gibt, der, der dabei sein darf, als die Tochter des Jairus von den Toten auferweckt wird und als Jesus verklärt wird. Ihm erscheint schließlich der Auferstandene zuerst. Er wird ganz besonders zugerüstet, denn er soll ja ein Fels sein, ein Halt und eine Stütze.

Und noch etwas zeichnet diesen Mann aus - er muss von ungeheurer Emotionalität gewesen sein. Er wollte sich nicht die Füße von seinem Herrn waschen lassen - das ging ihm wohl viel zu nah und war ihm in dieser Konstellation nicht recht. Er konnte es auch nicht ertragen, Jesu Gefangennahme tatenlos zuzusehen und schlug dem römischen Soldaten das Ohr ab. Und er weint um sich und seine Schwäche und das elende Ende seines Herrn und seiner Hoffnungen - nicht leise, verhalten, sondern bitterlich.

Als solcher nimmt er Verantwortung in der christlichen Urgemeinde wahr und predigt nach der Ausgießung des Heiligen Geistes. Ihm ist es gegeben zu deuten, was andere offenbar nicht verstehen und für Trunkenheit halten.

Mit ihm - mit Petrus - verbinden sich Stolz und Scham, Hochmut und Tränen - in ihm erkennen wir uns wieder und zu ihm spricht Jesus, was uns allen gilt: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhört"(Lk 22,32).

Die Wege des anderen Großen der frühen Christenheit, des Paulus kreuzt Petrus erst spät. Stephanus war bereits hingerichtet worden, die Verfolgung der christlichen Urgemeinde hatte längst begonnen, als der nunmehr bekehrte Saulus, jetzt Paulus (auch er hatte einen neuen Namen, der sich mit dem Ruf in die Nachfolge Jesu verband) nach Jerusalem kam, um wie er selbst schreibt, den Kephas, den Petrus, kennenzulernen (Gal 1,18).

Paulus stammte aus Tarsus. Dort war er wohl in einem sehr strenggläubigen jüdischen Elternhaus großgeworden und hatte von seinem Vater das kostbare römische Bürgerrecht geerbt. Wie es die Thora vorschrieb, erlernte er ein ordentliches Handwerk und wurde Zeltmacher. Wir wissen, dass es ihm stets wichtig gewesen ist, von seiner eigenen Hände Arbeit zu leben.

Ob er ein Hardliner war? Es klingt nicht so, als hätte ihn emotionaler Wirrwarr ins Wanken gebracht. Im Gegenteil: er kämpfte entschlossen und unnachgiebig für seine Überzeugungen und verfolgte darum mit aller Konsequenz die junge Christenheit, weil sie aufweichte, was er in einem gottesfürchtigen Leben für unabdingbar hielt: das mosaische Gesetz. Es brauchte eine Wandlung seiner Identität im Bekehrungswunder vor Damaskus, um mit derselben Vehemenz davon zu predigen, dass Jesus tatsächlich Gottes Sohn ist, dass Gott sich uns in ihm offenbart. Paulus schließlich ist es, der in theologische Lehre zu fassen wusste, was Gottes Heilstat an Karfreitag und Ostern tatsächlich für alle Welt bedeutet. Dennoch ist sein Weg in die christliche Gemeinde hinein mühsam gewesen - man hat ihm nicht getraut und ihm seine Verfolgungen lange nicht verziehen. Trotzdem hat man ihn ausgesandt und auf Missionsreisen bis an die Enden seiner damaligen Welt geschickt. Am Ende gerät er in Gefangenschaft und stirbt vermutlich, wie Petrus wahrscheinlich auch, eines gewaltsamen Todes.

Dass Petrus und Paulus miteinander gestritten haben müssen, ist sicher unvermeidlich gewesen. Beide standen ja mit Haut und Haar für ihren Glauben. Berichtet wird vom Apostelkonzil in Jerusalem und ihren Auseinandersetzungen darüber, ob Heidenchristen die jüdischen Religionsgesetze zu befolgen hätten.

Ich will die Inhalte dieser Konflikte nicht detaillierter beschreiben - mir kommt es auf etwas anderes an: Beide - Petrus und Paulus haben in den Auseinandersetzungen ihres Lebens ihren Glauben gestärkt und sind darüber sprachfähig geworden. Beide haben überragend deutliche Bekenntnisse formulieren können. Beide haben vorgelebt, was ich eben beschrieb: Konflikte markieren zwar Interessensgrenzen, verschiedene Urteile und Meinungen aber sie sind in ihrer besten Form auch immer ein Weg, auf dem schwierige Prozesse vorankommen und eine Möglichkeit, deutlich zu machen, wofür man steht und kämpft, was einem eben nicht egal ist.

Es ist Pfingstsonntag, wir feiern das Kommen des heiligen Geistes und unser Miteinander als Gemeinde Jesu Christi. Wie die aussehen kann und lebensfähig ist und bleibt, was für die Existenz unserer Kirche unerlässlich ist und worauf wir verzichten sollten - darüber sind wir sicher immer wieder verschiedener Meinung - aber es kommt darauf an, einander teilhaben zu lassen, an dem, was uns wichtig ist, uns prägt und treibt. Es kommt darauf an, auszusprechen, was wir glauben und woran wir verzweifeln. Es kommt darauf, unsere Konflikte mit offenem Visier und ohne alle Taktiererei auszutragen, damit wir erkennbar werden und andere an uns ablesen können, dass es Gottes Geist ist, der uns leben lässt.

Zu Petrus hatte Jesus gesagt:

„Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhört."

Denn er kannte ihn und wusste, wie mühsam das manchmal ist. Heute feiern wir die Einlösung dieser Bitte. Jesus hatte seinen Vater für seinen Freund, für Petrus gebeten und er bittet für uns. Und Gott antwortet und schenkt uns seinen Geist, der nicht einer der Verzagtheit ist und der Feigheit, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Amen

 

Lied: Da berühren sich Himmel und Erde .....

 



Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
Braunschweig-Wolfenbüttel
http://www.landeskirche-braunschweig.de
E-Mail: landesbischof@lk-bs.de

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