Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 18.05.2008

Predigt zu Matthäus 28:16-20, verfasst von Bent Arendt

Die Verkündigung Jesu enthält zahllose Befehle - ja, man kann fast sagen, sie lautet wie ein einziger großer Befehl: "Geht hin und macht alle Völker zu meinen Jüngern, tauft sie und lehrt sie alles halten, was ich euch befohlen habe," wie es hieß. "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" -  "Lasst die kleinen Kinder zu mir kommen" - "Wenn ihr betet, sollt ihr sagen 'Unser Vater'" - "Folgt mir nach" - Befehl auf Befehl ergeht von ihm, als wäre er eine Art General.

Als einmal ein römischer Offizier zu Jesus kam und ihn bat, seinem kranken Knecht mit nur einem Wort zu helfen, so wie ein Offizier seine Befehle gibt, da antwortete Jesus nicht einfach: "Geh hin, es soll dir geschehen, wie du geglaubt hast" - sondern er sagte geradezu, dass er in einer solchen Haltung "in ganz Israel solchen Glauben nicht gefunden habe". Das Gesagte könnte nun darauf hindeuten, dass Jesus an seinen Befehlen erkannt werden will; dass wir ihm in seinen Befehlen glauben können und dass er "mit ihnen ist alle Tage bis an der Welt Ende".

Das kann Menschen wohl irritieren - als wären wir ein Haufen Soldaten oder als könnten wir nicht selbst für unser Leben sorgen. Wie es natürlich auch verlockend war, die Befehle Jesu als Macht zur religiösen Unterdrückung zu gebrauchen, vor allem in früheren Zeiten. Heutzutage gibt es ja nicht viele, die Befehlen gern gehorchen wollen; bei uns stehen Selbstbestimmung und freie Wahl über allem anderen. Es ist ein Menschenrecht, sein Leben "selbst zu wählen", wie man so sagt, und je mehr Wahlmöglichkeiten man hat, desto besser das Leben, sagt man dann. Man kann fast sagen, dass uns Demokratie in dem Maße ins Blut übergegangen ist, dass fast alles, was nach freier Wahl riecht, vom Guten ist, und alles, was uns zwingt oder uns geradezu Befehle erteilt, vom Bösen ist.

Das ist gut so. Aber es genügt nicht. Denn das Leben bietet nicht sehr viel freie Wahl. Wenn wir leben, hängt alles zusammen, Leib und Seele, Schuld und Schicksal, freie Wahl und das, was das Leben uns zu tun auferlegt; wir können nicht von selbst so weit Abstand von dem Leben nehmen, in dem wir mittendrin leben, dass sich wirklich freie Wahl ergibt. Im Gegenteil: Sich das Leben "nehmen", wie man eine Ware vom Regal nehmen kann, bedeutet sterben; das Leben "wählen" bedeutet eigentlich bloß, das Leben "annehmen", das wir schon bekommen haben. Ein Wunschkind bekommt man nicht dadurch, dass das Kind wird, wie man es sich wünscht oder "wählt", sondern vielmehr dadurch, dass man sich das Kind wünscht, das man bekommt. Die entscheidenden Lebensverhältnisse, die wirklich Veränderung oder Möglichkeit enthalten, sie geschehen für uns, und die freie Wahl dem Leben gegenüber besteht nur darin, "ja" zu sagen und anzunehmen, was schon gegeben ist. - Das ist ein Grund, dass wir die Verkündigung Jesu in der Form von Befehlen bekommen - nicht um des Befehls willen; nicht wie eine Weltordnung, nach der sich alle zu richten hätten; nicht in der Form von Scharia oder Utopie, die unerreichbar ist; sondern als etwas Gegebenes, um des Lebens willen. Damit mehr dazu gehören kann als wir selbst und alles, war wir uns an freier Wahl und an Möglichkeiten vorstellen. Auch um der Freiheit willen, um die Fessel der freien Wahl zu lösen, die uns erzählt, dass es deine eigene Verantwortung ist, ob die Wahl des Lebens gelingt oder misslingt; und um uns zu befreien aus dem Netz, in das uns alle unsere eigenen Wahlentscheidungen und Vorstellungen vom Leben immer wieder verwickeln.

Es gehört mehr dazu als unsere eigene Wahl: Gott - oder die Verheißung in den Befehlen Jesu, die uns einen anderen Ort schenkt, von dem aus wir das Leben sehen. Wenn wir hier in der Welt nur uns selbst und einander hätten, dann wären wir wirklich all der menschlichen Willkür und Ohnmacht ausgeliefert, die uns so ungeheuer leicht tyrannisieren kann. Das Leben zu leben und nach dem zu streben, worin Leben und Möglichkeit enthalten sind, ist eigentlich, Gott auf diejenige Art und Weise vorauszusetzen, wie ein kleines Kind ohne Weiteres seine Eltern voraussetzt und deshalb ihre Nähe erst bemerkt, wenn es die Eltern als abwesend erlebt. - Es gibt noch einen anderen Grund als die Freiheit dafür, dass wir die Worte und Verheißungen Jesu in seinen Befehlen haben. Ein Befehl verlangt doch Handlung, er ist ein Wort, das zu verwirklichen ist. Wenn wir also Jesus an seinen Befehlen erkennen, erfahren wir zugleich, dass sein Wort sich an das konkrete Leben wendet, das wir leben, wo es immer etwas gibt, was getan werden muss - um sich in das Leben hinausführen zu lassen und zu etwas Konkretem in dem Leben, das wir haben, zu führen.

Wir brauchen nicht besonders "geistlich gestimmt" zu sein, um das Wort Jesu zu erfahren, dass er "mit uns ist alle Tage bis an der Welt Ende". Das Geistliche im Christemtum ist nur in dem Sinne geistlich, das es eine Wirklichkeit ist, die über all unsere Schwierigkeiten hinausragt - um zu uns zu gelangen als eine Möglichkeit im konkreten Leen - als Befehle Jesu. Es ist ganz einfach. Halte den Fluss deiner Gedanken für einen Augenblick an und bleibe bei dem, was ist: Warum sind wir jetzt hier - in der Kirche an diesem Vormittag? Was hat uns hierher gebracht? Ja, das ist ja eben unser konkretes Leben, mit all den Erfahrungen, die wir im Leben gemacht haben und die wir gern beleuchtet haben möchten, so dass wir ein klareres Verhältnis zu ihnen bekommen und auf eine mehr lebensnahe und relevante Weise leben und handeln können als bloß, wie wir es nur allzu sehr gewohnt sind.

Es ist doch all das, was wir geschenkt bekommen haben, und das Teuerste, das wir besitzen, unsere Kinder, die wir zur Taufe bringen, und denen wir alles geben möchten, was für ihr Leben nötig ist, und mehr als das - die Verheißung der Teilhabe an der Möglichkeit Gottes, die wir in der Taufe erhalten. Deshalb ist immer etwas Konkretes und Lebensnahes verbunden mit den Handlungen, die wir im Gottesdienst auf den Befehl Jesu vornehmen: das Wasser bei der Taufe, das Brot und der Wein beim Abendmahl, Erde beim Begräbnis usw.

Und wenn alles bei einem Gottesdienst so langsam geht, dann geschieht das nicht nur, damit wir mit unserer Seele dabeisein können, sondern vielleicht eher, damit wir auch körperlich dabeisein können, wo alles doch sehr viel langsamer vor sich geht als im Gemüt und in Gedanken. In der Ruhe des Gottesdienstes können wir für eine kurze Zeit das rastlose Gemüt mit dem langsameren Rhythmus des Lebens in einer Lebensführung und einer Nähe vereinen, die uns dazu bringen können, etwas zu tun, und wäre es nur, mit einem mehr erleuchteten Herzen und einer aufrechteren Hanldung von hier wegzugehen. So konkret will Gott sich wirklich machen, und zwar in den Befehlen Jesu. Angesichts der Befehle Jesu werden wir immer zu unserem konkreten Leben zurückgeführt, um zu erfahren, was wir können. Wenn wir "in die Welt hinausgehen und alle Völker zu seinen Jüngern machen" sollen, bedeutet das ja nicht, dass wir umherlaufen und allerorten vom Christentum erzählen sollen, es sei denn, dass unser Leben uns genau dahin führt. Sondern dass wir tun können, was wir zu tun haben, in der Welt, die die unsrige ist, wie Jesus "die Jünger nach Galiläa", wo sie herkamen, "auf den Berg" beschied, bildlich gesprochen über ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen hinausgehoben. Einige Jünger "beteten ihn an, und einige zweifelten", wie wir hörten.

Diese Mischung aus Gebet und Zweifel gehört mit zum Gottesverhältnis, wie sie zum Leben gehört; aber sie ist ein Teil der Freiheit des Glaubens. Denn an Gott in seinem Leben glauben oder Jesus an seinen Befehlen erkennen, das ist kein Zustand, den wir erreichen könnten. Der Glaube ist die Begegnung, zu der Jesus uns "bescheidet" und bei der er mit seinen Befehlen kommt, um Gott und seine Möglichkeit für uns an unser konkretes Leben zu knüpfen - "alle Tage bis an der Welt Ende". Amen.



Pastor Bent Arendt
Århus (Dänemark)
E-Mail: brar(a)os.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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