Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Predigtreihe: Die Antithesen in der Bergpredigt

28.2.1999
Text: Matthäus 5, 27-30
Verfasser: Helmut Liersch

Liebe Gemeinde,

I.

"Ihr habt gehört, daß gesagt ist (2. Mose 20,14): »Du sollst nicht ehebrechen.«

Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen." Originalton Jesus.

Ehebruch! Das Thema ist aktuell. Gerade ist es Titelthema von "Focus": "Treue, Sex und Seitensprung". Der Artikel verheißt "Die Wahrheit über das Liebesleben der Deutschen". "Der Spiegel" hat schon Anfang des Jahres mit einer Spezial-Ausgabe vorgelegt: "Volk ohne Moral", "Sexualität – Das Ende der Tugenden", so wird auf dem Titel festgestellt. Vor vier Jahren bereits hatte dasselbe Magazin – ebenfalls auf dem Titel – die "Natur der Untreue" beschrieben. Fazit: "Gefesselt an sein evolutionäres Erbe, gesteuert vom Diktat der Gene und Hormone, irrt der Mensch in seinem Triebleben umher". "Untreue ist das Programm der Natur", so wird festgestellt, und Ehebruch sei etwas durchaus Sinnvolles: er sorge dafür, daß die Vielfalt der menschlichen Gene erhalten bleibe. Die Ein-Ehe erschwert den Gen-Austausch. Irgendwie störend erscheint da nur die Eifersucht. Sie raubt dem Ehebruch die Leichtigkeit. Aber auch dafür gibt es Lösungen. Schon bietet eine "Seitensprung-Agentur" ihre Dienste an. Sie vermittelt Partnerinnen und Partner, die ihre Ehe zwar brechen, aber nicht zerbrechen lassen wollen. Offenbar alles nur eine Frage der geschickten Organisation und der Diskretion. Ehebruch! Das Thema ist aktuell!

II.

Ehebruch. Jesus ist dagegen. Und? Mose war auch schon dagegen. Wen wundert´s? Ich bin auch dagegen. Wo gäbe es einen verantwortlich denkenden Menschen, der das Gegenteil predigen würde? Die zehn Gebote liegen irgendwie "auf der Hand". In der menschlichen Gesellschaft muß es Ordnungen geben. Wo käme man hin, wenn jede und jeder stiehlt, lügt, mordet – und eben in fremde Ehen einbricht. Das geht nicht. Das wird auch ein Mensch ohne jede religiöse Bindung nachvollziehen können. Und typisch christlich ist das schon gar nicht. Was also ist aus diesem Jesuswort Wichtiges oder gar Neues zu entnehmen? Was geht über das allgemein Bekannte hinaus?

Jesus will ja offenbar nicht einfach das bekannte Gebot wiederholen: "Du sollst nicht ehebrechen". Er verschärft es. Ehebruch findet schon statt, wenn einer lustvoll hinschaut und überlegt, wie er in eine fremde Ehe einbrechen kann. "Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen." Er meint das absichtsvolle Anblicken mit dem Ziel, eine fremde Ehe zu brechen. Einwände läßt er nicht gelten, Einwände wie "es war ja nur das Auge" oder "es war ja nur die Hand". "Wenn dich aber dein rechtes Auge zum Abfall verführt, so reiß es aus und wirf's von dir. Es ist besser für dich, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.

Wenn dich deine rechte Hand zum Abfall verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für dich, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle fahre."

Starke Worte! Aber letztlich ist auch das nicht so neu. Jeder hätte Jesus damals zugestimmt, die gesamte antike Welt hat genau so gedacht (Luz). Was ist so neu? Was wüßte man nicht ohnehin? Was liegt nicht auf der Hand?

III.

Und ist dieser Text nicht überhaupt nur historisch wichtig? "Wer eine Frau ansieht ..." Da ist ausschließlich an Männer gedacht, die verheiratete Frauen ansehen. Geschützt wird hier nicht die Frau, sondern der fremde Ehemann. Seine Frau ist sein Besitz. Und es kam durchaus vor, daß Männer mehrere Frauen besaßen. Diese Männer hatten das Recht, ihre Frauen nach Belieben zu verstoßen. So war das damals. Heute ist das anders, Gott sei Dank. Aber ist damit nicht der ganze Text hinfällig? Heute ist doch die Gesetzeslage ganz anders!

Um bei den Einwänden zu bleiben: manche sagen, Jesus praktiziere hier eine Art "Trick". Er wolle beweisen, daß man es sowieso nicht schaffe. Darum verlange er etwas, das eigentlich unmöglich ist. Daß man die Ehe nicht brechen solle, sei ja noch zu verstehen. Aber das mit dem Hinschauen, das gehe nicht. Wer ist denn schon so ein Heiliger, daß er nie eine Frau ansieht – oder so eine Heilige, daß sie nie einen Mann ansieht?! Alle tun es, mindestens gelegentlich. Jesus hat uns Menschen quasi "erwischt"; er hat uns nachgewiesen, daß wir schwache Menschen sind. Wir schaffen es nicht, seine Gebote zu halten. Und darum sind wir auf ihn angewiesen. Das wäre etwas sehr Merkwürdiges: die Hürde so hoch stellen, daß man darüber stolpern muß. Welchen Sinn sollte das wohl machen?

Und schließlich ein letzter möglicher Einwand gegen den Text. Damals mag das alles sinnvoll gewesen sein. Die Menschen lebten in Sippen. Die Frauen wurden in den Häusern und Zelten verborgen gehalten. Fremde Männer durften sich ihnen nicht nähern. Man wollte sicher sein, daß der Nachwuchs von einem selber stammte. Wirksame Verhütung gab es nicht. – Ist das heute nicht alles anders? Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Man begegnet sich überall, sei es bei der Arbeit, bei Festen, in der Stadt. Kleinliche Eifersucht ist von gestern. Ein kleiner Flirt kann etwas Schönes sein. Und eine enge Moral schützt die Ehe nicht, sondern zerstört sie letztlich. Gilt es heute nicht, "eine Kultur der Erotik und eine Kunst der Sinnlichkeit zu entwickeln" (Drewermann zur Stelle)?!

Einwände! Zum Teil berechtigt. Die Situation damals war anders. Nicht alles, was Menschen in diesen Text hineingelesen haben, muß man mitmachen. Gerade in Fragen der Sexualität überschlägt sich manchmal die Phantasie. Auch bei Geboten und Verboten.

Ist es damit getan? Kommt dieser Text zu Recht in den "normalen" Predigt-Textreihen nicht vor? Was ist aus diesem Jesuswort Wichtiges oder gar Neues zu entnehmen? Was geht über das allgemein Bekannte hinaus? Was hat heute Gewicht?

IV.

Erst der Zusammenhang zeigt es. Der Text ist Bestandteil einer großen programmatischen Rede Jesu. Der erste Satz heißt: "Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich" (Matth. 5,3). Etwas freier übersetzt: "Freuen dürfen sich alle, die nur noch von Gott etwas erwarten und nichts von sich selbst; denn sie werden mit ihm in der neuen Welt leben" (Die Gute Nachricht). Ich halte diesen Satz für den Schlüssel. "Geistlich arm sein" – das bedeutet: mir kein Bild von Gott machen; Gott keine Bedingungen stellen; nicht besser als er wissen, was gut für mich ist. Kurz: Aufhören mit all den Einwänden und Auslegungskünsten. Nicht der Ehebruch war das eigentliche Problem zu Jesu Zeiten. Den gab es immer, gibt es und wird es weiter geben. Was von Gott wegführt, ist die Selbstgerechtigkeit. Jesus steht in heftiger Auseinandersetzung mit Leuten, die sich die Gesetze passend machen wollen. So feilschte man darum, wann der Hinauswurf der Ehefrau rechtens war: bei einer "geschlechtlichen Verfehlung" oder schon, wenn sie das Essen hatte anbrennen lassen. Ähnlich mag die Auslegungskunst beim Ehebruch gewesen sein: was galt noch als hinnehmbar, was war verboten. Jesus lehnt solche Differenzierungen ab. Sie verharmlosen die Sache. Sie suggerieren, das Leben könne gelingen, wenn man sich nur alles so hinbiege, bis es einem paßt.

Die einen versuchen das, indem sie ihre Freiheit betonen. "Wie ich lebe, das geht keinen etwas an!" Denen ist zu sagen: Es gibt keine Gott gegenüber neutralen Bereiche deines Lebens.

Die anderen versuchen, Gottes Gebote immer genauer auszulegen – angeblich genauer, nach dem Motto: das ist gemeint – das ist nicht gemeint, so ist es richtig – so ist es falsch. Und wenn man sich dran hält, glaubt man, vor Gott gut dazustehen. Denen ist zu sagen: Gerade ein auf diese Weise "frommer" Mensch, der alles "richtig" machen will, ist Gott fern. Du denkst zu gut von dir selber. Du schacherst mit Gott. Ein notorischer Sünder kann Gott näher sein als ein Mensch, der Gott gegenüber stolz ist auf das eigene Wohlverhalten. Selig, wer nur von Gott Gutes erwartet, nicht von seiner eigenen Moralität oder Schlauheit.

V.

Jesus buchstabiert das in seiner programmatischen Rede durch, neben anderen Themen auch am Ehebruch. Hör auf, dir selber Recht zu geben, ruft er uns zu. Es gibt eine bessere Gerechtigkeit. Eine von Gott geschenkte. Du kannst aufhören mit dem Schachern und Feilschen. Du bist ein freier Mensch Gottes. Was gut ist, ist dir gesagt. Dreh da nicht dran rum. Genieße dein von Gott geschenktes Leben.

Amen

Der Text kommt in den Vorschlägen der Perikopenreihen I – VI nicht vor. Ebenso verhält es sich mit den anderen Antithesen, außer der vierten. Die ist in Reihe V am 23. Sonntag nach Trinitatis versteckt (Reihe V ist 2001 dran; da gibt es aber gar keinen 23. Sonntag nach Trinitatis!). Diese Abstinenz gegenüber den Antithesen Jesu ist bemerkenswert, gelten sie doch als besonders charakteristisch. Aber vielleicht sollte man als PredigerIn froh sein, daß man sich mit diesem schwierigen (schwierig, weil er zum gesetzlichen Predigen verführen kann) Text über den Ehebruch nicht immer wieder auseinandersetzen muß. Denn eine wörtliche Auslegung – wie sie z.B. G. Stählin vertritt, würde die "christliche Kirche zu einem Invalidenhause werden" lassen (zitiert nach Luz zur Stelle). – In der Predigt habe ich bewußt auf Details aus der neutestamentlichen Umwelt und über die Stellung Jesu zur Frau verzichtet, weil ich das Lehrhafte vermeiden wollte. Ich weise aber nachdrücklich darauf hin, daß es sehr ergiebig ist, sich mit dem "Eheverständnis" der Bibel zu beschäftigen – gerade angesichts vieler kirchlicher Debatten über Ehe, Familie und Lebensstil. Viele Argumente kommen allenfalls aus der kirchlichen Tradition, nicht aber aus der Bibel.

Helmut Liersch
Predigerseminardirektor
Schützenstraße 22
38100 Braunschweig
mail: hliersch@aol.com


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