Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Predigtreihe zum Vaterunser

3. Teil (15. Juni 1998): "Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden"

Verfasser: Klaus Steinmetz


Predigt über die dritte Bitte des Vaterunser: "Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden"

Verfasser: Klaus Steinmetz

Liebe Gemeinde!

Dein Wille geschehe - eine eigenartige Bitte, wenn man erst einmal anfängt, darüber nachzudenken. Geschieht er denn nicht sowieso, der Wille Gottes? Gilt nicht der Satz: Alles geschieht durch Gottes Willen - und umgekehrt: Nichts, was geschieht, geschieht gegen Gottes Willen? Das ist in dieser Grundsätzlichkeit und Allgemeinheit so richtig, wie es für den Einzelfall nichtssagend und darum möglicherweise sogar falsch ist.

Man versuche einmal, diesen Satz anzuwenden auf das entsetzliche Zugunglück von Eschede: Alles geschieht durch Gottes Willen. Da wirkt er geradezu zynisch. Wenn die Seelsorger dort nur so einen Satz als Hilfe und Trost parat gehabt hätten, dann hätten sie wohl niemandem helfen, niemanden trösten können.

Dieser Satz hat nur Sinn, wenn er aus einem großen Vertrauen heraus gesagt werden kann. Wenn aber dies Vertrauen weggebrochen ist in Entsetzen und Verzweiflung, dann hilft er gar nichts. Als angeblich objektive Feststellung taugt er nicht. Aber um diesen Willen Gottes im allgemeinen, der uns immer wieder völlig verborgen und quälend rätselhaft ist, geht es hier in dieser Bitte des Vaterunsers nicht. Um einen Willen Gottes, der sowieso geschieht, brauchten wir nicht zu beten.

Dein Wille geschehe - wenn man den einfachen Wortlaut ernst nimmt, dann heißt das doch: Er soll erst noch geschehen. Es ist hier noch nichts entschieden; es ist anscheinend noch offen, möglicherweise sogar noch strittig, ob der Wille Gottes geschieht. Er muß sich offenbar erst noch durchsetzen. Durchsetzen - wogegen?

Der Blick kann sich nach außen richten: auf andere Menschen, Mächte, Zustände. Wenn die Landlosen in Brasilien beten: Dein Wille geschehe, dann können sie ziemlich genau sagen, was an Unrecht, Gewalt und Unterdrückung dem Willen Gottes entgegensteht und wogegen er sich durchsetzen möge. Aber der Blick nach außen ist nicht der erste, vielleicht nicht einmal der wichtigste. Näher liegt dem, der betet, der Blick auf sich selbst. Dein Wille geschehe, das besagt dann vor allem auch: Dein Wille, nicht mein Wille. Das macht diese kleine, nur aus drei Worten bestehende Bitte schwer. Denn ich habe doch Ziele, an deren Erreichung mir liegt. Ich habe doch Wünsche, um deren Erfüllung ich bitte. Das ist mein Wille, der mich oft ganz erfüllt.

In dieser Bitte, die Jesus uns sprechen lehrt, wird unsere Aufmerksamkeit von uns selbst weggelenkt auf den, an den wir uns im Gebet wenden: Dein Wille geschehe.

Es gibt eine Geschichte, die so etwas wie eine Veranschaulichung, eine erzählende Auslegung dieser Bitte ist: Jesus selbst - am Abend seiner Festnahme im Garten Getsemane; er betet, nein er ringt geradezu mit Gott darum, daß der bittere Kelch des Leidens ihm erspart bleiben möge. Das ist sein so naheliegender Wunsch, und er fügt dann doch hinzu: Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.

Noch im Wortlaut dieser Einverständniserklärung klingt an, wie schwer das ist. Jesus selbst muß lernen, sich in den Willen Gottes hineinzugeben. Das ist die Schule des Gebets, die immer wieder geübt und eingeübt werden muß. Das geht nicht von selbst.

Kann man dann überhaupt noch um etwas bitten, wenn am Ende doch immer steht: Nicht mein Wille geschehe, sondern deiner? Nun, Jesus - gleichsam unser Vorbeter - läßt im Vaterunser als nächstes die Bitte um das tägliche Brot folgen. Er hält sich zwar an seinen Ratschlag, beim Beten nicht allzu viele Worte zu machen. Aber er faßt doch in diesem einen Wort "Brot" alles zusammen, was wir zum Leben brauchen und läßt uns ohne jedes Bedenken darum bitten. An anderer Stelle hören wir von ihm, daß er uns geradezu ermuntert, zu Gott zu sprechen in aller Unbefangenheit wie ein Kind zu seinem Vater oder seiner Mutter, oder wie einer zu seinem Freund redet. Und wie sollte denn im Gebet einer nicht alles vor Gott bringen, wo er doch durch das Beten vor allem zum Ausdruck bringt, daß er diesem Gott vertraut, daß er ihm alles Gute zutraut, alles Gute von ihm erhofft. Wie sollte es nicht die Mutter tun, die für ihr krankes oder gefährdetes Kind betet? Wie sollte es nicht einer für den anderen tun, den er liebt und um den er sich Sorgen macht? Ja, und wenn es einem wirklich so wichtig ist, warum sollte er nicht für den Ausgang eines Fußballspiels beten - auch wenn er weiß, daß bei Gott mehr Freunde über das Fair-Play sein wird als über ein bestimmtes Ergebnis. Auch das Stoßgebet, das der Schrecken, die Angst um uns selbst und um andere aus uns herauspressen, es hat sein Recht und seinen Platz. Wohl ist uns klar, daß es nicht die höchste und tiefste Form des Betens ist. Trotzdem geraten wir immer wieder in die Lage, daß uns nichts anderes einfällt und sind dann immer wieder darauf zurückgeworfen.

Im Beten stehen wir immer wieder auch ganz am Anfang. Erst später, und dafür gibt es das Vaterunser, hören und sprechen wir auch wieder: Dein Wille geschehe. Und das ist dann Ausdruck des Vertrauens, aus dem alles Beten entspringt und zu dem es hinführt, daß nämlich der Wille dessen, zu dem wir als Vater beten, letztlich gut für uns sei. Gut - nicht nur für uns, nicht nur für mich allein. So sehr wir darauf setzen, daß Gott für uns da ist, so wenig können wir ihn doch für uns allein vereinnahmen. Wer an Gott glaubt, der gönnt ihn zugleich allen. Gott steht für das Ganze.

Und so weitet die Bitte: Dein Wille geschehe - unseren Blick über uns hinaus, bezieht die ganze Erde und den Himmel, die ganze Schöpfung ein. In dieser Bitte liegt die große Hoffnung beschlossen, daß Gottes guter Wille nicht nur für mich, sondern auch für die anderen, für alle, für die ganze Welt und Schöpfung in Erfüllung geht. Die Hoffnung, daß er seine Schöpfung, die er ja aus Liebe geschaffen hat, nicht aus seiner Liebe fallen läßt, sondern gegen alles, was so oft an Rätselhaftem und Entsetzlichen in ihr ist, sich durchsetzt und sie ganz hineinholt in seine Liebe. Das ist dann, schon hier auf Erden der Himmel, in dem Gott alles in allem ist.

Amen.

Klaus Steinmetz, Superintendent
Johanneskirchhof 2
37073 Göttingen


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