Geduld. Nur Geduld!

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Geduld. Nur Geduld!

Predigt zu Jakobus 5,7-8 | verfasst von Udo Schmitt | 

 

  1. Geduld ist keine Tugend

Geduld ist keine Tugend, mit der man heute Staat machen könnte. Ausgenommen in der Kindererziehung und im Modellschiffbau. Aber wer macht das heute noch? Also… Modellschiffe bauen.

Unsere Gesellschaft ist vielerlei Hinsicht kindisch und kurzatmig geworden. Unsere Arbeitswirklichkeit ist Teilzeit und Job, nicht Lebensstellung und Berufung. Ein Heuern und ein Feuern. Dafür Arbeitszeiten bis 22 Uhr und auch noch am Wochenende. Der Kunde ist König. Sprich: Ein Kindskopf und dummer Despot, der aber immer Recht hat.

Nicht nur unsere Arbeitszeit, auch unsere Freizeit ist entgrenzt und entkoppelt vom Wochenrhythmus: Früher gab es ein vereinsmäßig organisiertes Freizeitleben, dienstags Kegeln, mittwochs die Frauenhilfe, donnerstags der Chor, Fußballtraining am Samstag, danach ab in die Badewanne, sonntags Kirche. Ich weiß noch freitags gab es im Fernsehen immer alte Schwarzweißfilme „Väter der Klamotte“ und „Western von gestern“. Da gab es dann am Ende immer eine Szene, die die Filmmacher „Cliffhanger“ nennen. Die Kutsche mit dem Helden raste auf den Abgrund zu, er kämpft noch gegen die Feinde, die Kutsche stürzt hinab und… Wird unser Held überleben? Fortsetzung folgt. Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein. Wie gemein! Eine ganze Woche grübelte man dann, wie er es doch noch geschafft haben könnte. Und musste doch bis zum nächsten Freitag warten. Eine Ewigkeit für einen Zehnjährigen. Nur Geduld!

Wer hätte heute noch die Zeit, eine Woche zu warten? Unser ganzes Leben hat sich verändert. Ich empfinde es als schneller und hektischer. Wer im Straßenverkehr langsam fährt, wird angeblinkt, angepöbelt und als mobiles Hindernis geschmäht. „Ich habe es eilig, fahr voran, Mann! Schnell noch einkaufen, in den Supermarkt rein, und dann an der Kasse: Hilfe, eine Schlange! Endlich bin ich dran, vor mir nur noch eine alte Dame. O je!“ (Kennen sie auch nicht war?) „Nein, jetzt kramt die in ihrem Portemonnaie nach dem letzten Kupferstück. Und sie hat ihre Brille nicht dabei. Nein, das geht zu weit, ich bin ja nicht ungeduldig, aber…“ Die anderen sind unverschämt langsam, provozierend bräsig, unerträglich lahm, denn sie beschneiden mein Recht auf Geschwindigkeit und Freiheit. Besser sie treten mir nicht in den Weg.

„Schnell weg, da weg, da weg, macht Platz sonst gibt’s noch Streit, wir müssen schnell und haben keine Zeit“ (Hermann van Veen). Wir haben immer Zeitnot, müssen immer, müssen schnell dies noch, schnell das noch. Ich muss. Ich muss. Das ist das Wesen der Moderne und ihr Unglück: Keine Zeit. Keine Zeit zu warten, keine Zeit zu hoffen, zu lieben, zu lachen und zu weinen. Keine Zeit, keine Zeit. Immer vorwärts. Nicht stehen bleiben. Denn Stillstand ist der Tod.

  1. Seid geduldig.

Seid geduldig. Sagt die Bibel: Seid geduldig, denn das Kommen unseres Herrn ist nahe.

Einspruch, sagt da – nein, nicht der Verteidiger, sondern – der Versucher, als Stimme der Vernunft kommt er daher: „Mit Verlaub, da lachen ja die Hühner. Wer glaubt denn heute noch ernsthaft an das Kommen Christi. Und dass es unmittelbar bevorsteht? Und selbst wenn, wer erwartet dieses Kommen ungeduldig? Damit können wir doch niemandem mehr ernsthaft kommen. Kommt er heut nicht, kommt er morgen. Was soll´s schon?“

Als Jakobus seinen Brief schrieb, irgendwo um 100 n. Chr. war in den Gemeinden auch Unruhe. Vielen war bereits die Luft ausgegangen. Zu lange hatte sich Jesus Zeit gelassen mit der Wiederkunft, die man doch so bald erwartet hatte. Und die fast 2000 Jahren seitdem konnten das bereits damals eingetretene Problem weder beheben noch verschärfen. Die Frage lautet heute wie damals: Werden wir hier nicht für dumm verkauft? Worauf warten? Ist das nicht nur ein Vertrösten und Abwarten der Zeit? Frustrierend und lähmend. Warten wir auf Godot? Wurden wir von Gott sitzen gelassen? Nein, sagt Jakobus. Seid geduldig und stärkt eure Herzen. Das Kommen des Herrn ist nahe, nur Geduld.

  1. Geduld

Geduld ist der lange Atem des Glaubens. Geduld ist so ganz anders als unsere kurzatmige Zeit.

Geduld bedeutet, dass ich den Dingen Zeit lasse – zu werden. Sein Wille geschehe.

Geduld heißt, dass ich nicht allem meine Vorstellungen und Wünsche überstülpe.

Geduld heißt, den Menschen, den Dingen und Gott Raum geben, nicht Gewalt antun,

sondern entspannt zu warten und gespannt zu beobachten, wie etwas entsteht.

Geduld bedeutet zulassen, dass etwas wird, auch wenn es anders wird, als ich es erwarte.

Auch wenn mir diese Zeit gerade nicht gefällt.

Sein Reich komme, sein Wille geschehe.

Geduld heißt, dass ich bereit bin, mich überraschen zu lassen.

Und dass ich der Kraft vertraue, die dem Menschen, den Dingen und der Welt innewohnt.

Es wird der Geist Gottes selbst sein. Geduld ist erwartungsvolles Vertrauen, dass er kommt.

Sein Reich komme, sein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

  1. Ihr wartet. Doch nicht ohne Grund.

Der Grund ist gelegt. Und einen anderen Grund kann niemand legen. Das Korn wurde bereits in die Erde gelegt, es wächst ja jeden Tag, auch wenn ihr es nicht seht, aber doch geschieht es, wird es, bricht auf, wurzelt und wächst. Und wie der Bauer geduldig, nicht gleichgültig, wartet, warten auch wir. Denn für eine lange Zeit kann man nichts anderes tun, als zu vertrauen: der Kraft, die die Dinge wachsen und reifen lässt, und dem Segen, der von oben her dazu kommen muss. Wasser und Wärme, Sonne und Regen. Und dass das, was Gott bereits an uns und der Welt getan hat durch Jesus Christus, dass das endlich doch zum Ziel kommt. Denn er kommt.

  1. Stärkt eure Herzen.

Jakobus war ein außerordentlich praktischer, handfester Christ. Christsein hieß für ihn, dass das gelebte Leben beredtes Zeugnis des Christseins sein musste – nicht aus moralischen Gründen, sondern weil es gar nicht anders möglich ist. Jemand, der von Gott und Christus erfahren hat, kann nicht anders, als sich im Leben dafür einzusetzen, dass Gottes Wille geschieht durch gute Werke und Gebet.

Stärkt eure Herzen heißt nicht, dass ich mich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen könnte, das nicht. Gleichwohl heißt es, geduldig sein und herzensgestärkt, dass ich nicht tatenlos bleibe und fruchtlos, dass ich alle Kräfte aufbiete, die mir zur Verfügung stehen. Und seht, da wo das geschieht: da ist Gott selbst und das ist Gottes Kraft in uns Menschen.

Stärkt eure Herzen: rüstet euch zu, geht aufeinander zu, sprecht miteinander! Über eure Hoffnung, über euren Glauben. Richtet euch auf und lasst zu, dass ihr aufgerichtet werdet! Verkriecht euch nicht in eure Gleichgültigkeit und vergeht nicht in eurer Angst vor der vorbeifliehenden Zukunft. Lasst euch nicht allein. Denn:

  1. Der Herr ist nahe.

Er ist näher als wir denken. Ich bin getrennt von ihm, ja, gewiss, aber ich sehe ihn durch einen feinen Schleier, dicht bei mir. Dieser feine Schleier, durch den ich ihn sehen kann, sind Gottesdienst und Menschendienst (hier und in der Welt) und das Gebet. Nah, ganz nah, dass mich immer wieder dieser Schleier berührt, wenn lebendiger Wind durch den Raum zieht. So nah, schon jetzt.

Da ist er. ER ist da. Schon jetzt. Und auch dann, wenn sich mein Leben beschließt, wenn ich endgültig in Gottes Hände allein gelegt bin. Wenn all meine Versuche und Fehlversuche zum Ende kommen und ich der Wahrheit meines Lebens entgegentrete. Wenn kein Betrug und Selbstbetrug mehr möglich ist, sondern mir Seine Möglichkeiten aufgezeigt werden. Wenn zerschundenes Leben endgültig und vollständig getröstet und geheilt wird.

  1. Und noch einmal: Der Herr ist nahe.

Der Herr ist nahe, schon jetzt, denen, die ihm nahe sind. Ihn an sich heranlassen. Ihn mit sich tragen. Ihn suchen und finden im Vertrauten wie im Fremden. Er bleibt fern nur denen, die ihm fern sind und nichts von ihm wissen wollen. Nur Geduld. Ganz nah ist er. Er kommt. Und das ist alles, was zählt.

Liedvorschläge:

„O Heiland reiß die Himmel auf“ (EG 7),

„Es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen“ (EG.E 8),

„Wir warten dein o Gottes Sohn“ (EG 152),

„Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11),

„Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16).

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

 

 

 

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