Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Advent, 8. Dezember 2002
Predigt über Lukas 21, 25-36, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Ein Kollege erwähnte neulich, daß im ersten Band der neuen dänischen Enzyklopädie, die gerade erschienen ist, der Artikel über die Angst einer der Artikel ist, der die meisten Spalten füllt. Da der Buchstabe G (für dän. glæde = Freude) erst später kommt, wußte man noch nicht, wieviel Spalten die Freude bekommen wird.

Aber dieser Artikel wird wohl nicht so viel Raum einnehmen wie der über die Angst. Das ist symptomatisch für unsere Zeit, daß man der Freude nicht so viel Raum gibt wie der Angst und der Sorge, der Leere und der Sinnlosigkeit.

Merkwürdigerweise hält man Schwarzseherei für Klarsicht - ja man muß geradezu dumm sein, um fröhlich zu sein, jedenfalls hoffnungslos naiv.

Denn wenn man die Welt realistisch betrachtet, wie es um sie steht, wie soll man sich da freuen können?

Nein, sagt der dänische Autor und Theologe Helmut Friis: "Das Reden vom Negativen befindet sich ganz anders auf einer Höhe mit dem modernen Verlust an Naivität und Unmittelbarkeit ... Die Freude ist für Kinder, Pfadfinder, Toren und Naturmenschen. Man muß dumm sein, um froh zu sein, und naiv, um von der Freude zu reden".

Aber Helmut Friis hat dies wirklich getan, er sprach von der Freude. In der letzten Woche erschien ein kleines Buch, wo er seine Gedanken Überlegungen gesammelt hat. Er hat sich mit dem Thema in Vorträgen und Radiosendungen jahrelang beschäftigt - auch kurz vor seinem Tode in diesem Sommer. Jetzt liegen seine Gedanken also in einem Buch vor, das den Titel trägt: Die Freude. Von Lastern und Tugenden.

Der Hauptgedanke ist der, daß die Freudlosigkeit zu Recht als Sünde und Unglaube bezeichnet werden muß, das heißt als Mangel an Zutrauen zu Gott als der tragenden Macht in unserem Leben.

Ich nehme das nun auf, weil der evangelische Ton, den ich darin höre, an den Text aus dem Lukasevangelium erinnert.

Die Worte Jesu bestätigen zwar das, was wir wissen und nicht bezweifeln können, daß nämlich Himmel und Erde vergehen werden.

Als Lukas diese Worte schreibt, geschieht dies auf dem Hintergrund der Zerstörung Jerusalems durch die Römer eine Jahrzehnte zuvor - und die Zerstörung des Tempels war für die Juden ein Zeichen dafür, daß die letzten Zeiten gekommen sind. Aber seitdem ist auch das römische Reich untergegangen - und andere Reiche haben sich erhoben.

Das Rußland der Zaren existiert auch nicht mehr - auch nicht mehr das Imperium der Sowjetunion. Die dänische Königin Margrethe die Erste vereinte den Norden so wenig wie das Dritte Reich Hitlers. So werden Welten untergehen - und es ist nicht schwer, die vielen zerstörerischen Kräfte in unserer Welt zu erkennen, man kann deshalb viel Zeit damit verbringen, die Zeichen des Untergangs zu zählen und auszulegen.

Genauso im persönlichen Leben. Die Angst ist wohl begründet, weil wir die Auflösung und die Verwirrung und den Zusammenbruch ganz hautnah erleben.

Allein in der Art und Weise, wie die Zeit arbeitet - und uns das nimmt, was wir lieben: Gesundheit, Jugend, Kräfte - auch in dieser Weise ist unsere Welt immer auf dem Weg in den Untergang.

Mit dem heutigen Text wäre es deshalb nicht sehr schwer, eine Untergangsstimmung hervorzurufen - aber war niemals die Aufgabe des Evangeliums und wird es nie sein.

Aber so etwas brauchen wir auch nicht - die Bedrohungen und die Zeichen sind ja unter allen Umständen da und waren immer da, sie waren eigentlich nie zu übersehen.

Nein, was wichtig ist an diesen Worten, sind die wunderbar trostreichen und verheißungsvollen Worte. Mitten im Zusammenbruch, der Verwirrung, der Angst - mitten in der Finsternis macht sich eine andere Wirklichkeit bemerkbar: "... so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht ... wisset, daß das reich Gottes nahe ist .... meine Worte vergehen nicht". Diese Worte Jesu entwerfen einen Horizont, der sowohl die Freude als auch ihren Gegensatz umfaßt, ihr Wachsen und ihr Verschwinden. Der Zweideutigkeit entkommen wir nicht - alles andere wäre Lüge - und für die Freude müssen wir stets kämpfen und auf ihr bestehen.

Es gibt eine alte Schilderung dieses dramatischen Kampfes zwischen Christus als dem Befreier und Erlöser auf der einen Seite und dem Teufel und dem Untergang auf der anderen Seite. Sie wird Gregor dem großen zugeschrieben, der im 6. Jahrhundert lebte - und er beschreibt den Kampf, als sei es ein Volksmärchen:

Die Menschen waren in die Gewalt des Teufels geraten, weil sie gesündigt hatten. Das tat Gott leid für die Menschen, aber was war zu tun? Der Teufel war ja in seinem guten Recht, die Sünder gehörten ihm. Da fand der liebe Gott eine List: "Herr Teufel, könnte es nicht möglich sein, mit dir zu handeln und die Menschen zurückzugewinnen. Ich kann dir statt dessen meinen Sohn anbieten". Der Teufel fand das Angebot gut. Könnte er Gottes Sohn in seine Macht bringen, das war mehr verlockend als die Macht über die Menschen. Aber in seiner Begeisterung hierüber ging er zu weit. Er quälte und peinigte den Sohn und ließ ihn schließlich einen qualvollen Tod sterben. Zur Strafe verlor der Teufel alles. Die Menschen hatten er verloren durch den Handel, den er eingegangen war, und als Christus von den Toten auferstand, verlor er auch ihn. Trotz seiner Schläue war der Teufel überlistet.

In dieser Geschichte liegt eine tiefe Wahrheit - und sie strotzt geradezu vor Freude über den "dummen Teufel", der sich täuschen läßt.

Eben dieses Übermaß an Freude schenkt uns das Evangelium mit den Worten: Sehet auf, erhebet eure Häupter - wendet Euch zum Advent, zu Christus. Amen.

Pfarrer Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk


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