Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Bibelsonntag, 26. Januar 2003
Predigt über Römer 7, 14-25, verfaßt von Ulrich Nembach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde,

heute ist Bibelsonntag. Das gerade begonnene Jahr ist zum Jahr der Bibel ausgerufen worden. Die Bibel ist in und soll in werden, wo sie es noch nicht ist. Auf unseren Kanzeln ist sie in. Texte der Bibel werden gepredigt. Warum tun wir das? Um was geht es im Kern in der Bibel? Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Text zum Bibelsonntag steht Röm.7,14-25. Der Text ist schwierig. Darum habe ich ihn vervielfältigt, so dass Sie mitlesen können, wenn ich ihn nun verlese.

I.

In unserer Lutherbibel sind die Verse 18b, 19, 24 und 25 fett gedruckt. Diese Hervorhebung markiert den Kern, das Zentrum der Aussage des ganzen Textes: Ich will das Gute, aber ich schaffe es einfach nicht, es auch zu tun.

Nicht wenige Menschen machen diese Erfahrung. Wie viele Partnerschaften drohen daran zu zerbrechen, dass eine andere Frau, ein anderer Mann plötzlich schöner, netter erscheint. Nachher ärgern sich nicht wenige. „Das habe ich nicht gewollt!“ denken sie dann und oft sagen sie es auch. Sie sagen es traurig, ärgerlich, manche sagen es auch verzweifelt. Sie klagen der besten Freundin, dem guten Freund, ihren Ärger, ihre Verzweiflung. Den Freunden bleibt dann meistens nicht viel mehr, als trösten zu können.

Warum ist das so? Haben wir uns nicht genug angestrengt? Eine andere Antwort gibt ein alter Film. Fritz Lang drehte ihn 1931.

Es ist ein Krimi. Prominente Schauspieler spielten mit, u.a. Gustav Gründgens. Der Krimi ist spannend. Er läuft immer wieder einmal im Fernsehen. Der Titel des Films heißt: „M, eine Stadt sucht ihren Mörder“. Um was geht es in dem Film? Kinder werden in Berlin ermordet. Die Polizei arbeitet fieberhaft. Sie sucht überall. Die Berliner Unterwelt gerät in Aufregung, weil die Polizei auf der Suche nach dem Mörder, in der Angst, er könnte wieder zuschlagen, das gewohnte Leben durcheinender bringt. Die Unterwelt kann nicht mehr in Ruhe ihren Geschäften nachgehen. Die Gangster tun sich zusammen und beschließen, den Mörder zu suchen. Sie wollen der Polizei helfen, damit wieder Ruhe einkehrt. Sie finden tatsächlich den Mörder. Was tun sie? Ihn der Polizei übergeben? Nein. Sie beschließen, eine Gerichtsverhandlung abzuhalten. Wie das funktioniert, wissen sie aus eigener Erfahrung gut. Der Mörder bekommt auch einen Verteidiger. Ordnung muß sein. Der Verteidiger hat keine Chance. Eine Hure aus dem Publikum bringt die Anklage auf den Punkt. Sie schreit aus dem Publikum: ein kleines Kind, so ein Würmchen umzubringen, ist das Letzte. Der Angeklagte bekommt das Schlusswort. Ja, es geht alles ordentlich zu. Er leugnet nicht. Und dann sagt er noch etwas. Es fällt ihm nicht leicht. Er krümmt sich, er schreit heraus, dass er gar nicht töten will, aber muß; immer wieder kämpft er dagegen an, aber er schafft es nicht. Da, in diesem Moment kommt die Polizei, die von der „Gerichtsverhandlung“ Wind bekommen hat. Sie greift ein. Ein Arm, der Arm des Gesetzes ergreift den Angeklagten. Der Beamte sagt: „Im Namen des Gesetzes“. Damit schließt der Film. Der psychopathische Kindesmörder ist verhaftet.

II.

Der Mörder tötet und kann nichts dafür. Was hier diesem Mann passiert, sagt Paulus von sich. Paulus sagt das von sich. Paulus! „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht,“ V. 19. Dann setzt Paulus noch eins drauf: „Sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“. Uns geht es genauso. Partnerschaften zerbrechen, obwohl Beteiligte, die Schuldigen das gar nicht wollen. Wir morden nicht. Aber, wie oft tun wir das Gute? Wenn wir dann einmal etwas Gutes tun, sind wir stolz, stolz auf uns selbst. Warum sind wir stolz, weil wir es endlich einmal geschafft haben. Ist einmal genug, sind zweimal genug?

Um dieses Problem geht es in der Bibel. Die Bibel behandelt dieses Problem in Beispielen, Erzählungen. Die Bibel unterscheidet sich darin nicht vom Film, dass sie auch Bespiele, Geschichten erzählt. Sie unterscheidet sich darin, welche Geschichten sie erzählt. Wie sollte die Bibel auch anders vorgehen? Sie will zu uns reden, mit uns sprechen. Kann sie das anders als in unserer Sprache? Luther übersetzte die Bibel ins Deutsche, damit wir sie verstehen. Menschen, viele Menschen lernten daraufhin zu lesen, damit sie die übersetzte Bibel lesen können. Vorher konnten nur Wenige in Deutschland lesen und schreiben. Warum sollten sie, fragten sie. Nun hatten sie einen Grund!

Ja, und dann lasen sie unseren Text. Der Römerbrief wurde viel gelesen. Sie lasen, wie wir sagen, um unseren Problemen auf den Grund zugehen. Ja, Paulus sagt mit recht: Ich. Was ihm passiert, geschieht auch mir und dir, uns allen.

Luther ließ dies Problem nicht los. Er hielt eine große Vorlesung über den Römerbrief. Sie ist so großartig, dass wir sie heute immer wieder lesen, Theologiestudierende hören Vorlesungen über diese Vorlesung. Später schrieb Luther Bücher über dieses Problem. Er diskutierte mit Erasmus von Rotterdam. Er diskutierte, wie es damals durchaus üblich war, mit Hilfe eines von ihm geschriebenen umfangreichen Buches. Wir heute verschicken ein umfangreiches Attachment angehängt an eine Mail. Luther gab seinem Buch den bezeichnenden Titel: De servo arbitrio, auf deutsch: Vom unfreien Willen. Erasmus hatte zuvor ein Buch geschrieben mit dem Titel: De libero arbitrio, Vom freien Willen. Erasmus, einer der führenden Gelehrten seiner Zeit, hatte völlig richtig gesehen, dass Luther von dem Brief des Paulus an die Römer her, unseren fehlenden freien Willen beklagte. Erasmus war anderer Meinung. Er meinte, dass der Mensch einen freien Willen hat. Erasmus war dieser Meinung trotz unseres Bibeltextes. Er blieb bei dieser Meinung bis zu seinem Tod.

III.

Natürlich habe ich die Freiheit, in Ferien länger zu schlafen oder früh aufzustehen und an den Strand zu gehen, vielleicht so früh, dass ich die Sonne aufgehen sehe. Der Mörder im Film hat auch diese Möglichkeit, aber nicht die andere, von seinem Tod bringenden Tun abzulassen, obwohl er das will. An dieser Unfähigkeit leidet er. Wir wissen uns bis heute nicht anders zu helfen, als dass wir solche Menschen wegschließen. Wie frei sind wir? Gut, ich bin in Ferien frei. Ich kann auch abschreiben oder es bleiben lassen, selbst wenn es mir schwer fällt. Das wissen wir seit unseren Schultagen und alle Schüler und Schülerinnen heute.

Wo ist dann die Grenze? Wenn eine Partnerschaft zerbricht? Ja, aber nicht nur da. Machen wir einen Test und zwar gleich jetzt. Der Test dauert nicht lange. Es genügen 5 Sekunden. Stellen wir uns die 10 Gebote vor Augen. Wer nicht alle auswendig kann, nehme die, die sie oder er kennt. So und nun vergleichen wir einmal anhand dieser bekannten Gebote und unserem Gedächtnis, wie oft wir die Gebote gebrochen haben. So jetzt. ...... 5 Sekunden sind um. Ich denke, dass das reicht, unsere Probleme, das Böse nicht zu tun, uns vor Augen zu stellen. Das Böse wird vorher, V. 14, und einen Vers später, V. 20, „Sünde“ genannt.

Das ist ein Wort, was manche nicht gern hören. Aber das gehört auch zur Bibel, sie redet Klartext, nennt die Dinge beim Namen. So kann die Bibel, hier Paulus, die Dinge auf den Punkt bringen, uns unsere Grenze zeigen, klar machen. Wir schaffen es nicht, was wir eigentlich wollen, das Gute zu tun. Können wir also nur noch resignieren, uns verzweifelt fragen: Was sollen wir tun?

IV.

Ja, diese Frage stellt Paulus, V. 24. In der Bibel steht eben viel. Die Bibel nennt nicht nur die Probleme beim Namen, sondern sie bietet auch die Lösung. Paulus beendet seinen Text nicht mit V.24.

Die Lösung führte in der Vergangenheit wiederum zu umfangreichen Diskussionen in Büchern. Luther war daran ebenfalls beteiligt. Der wissenschaftliche Name der Lösung: iustificatio impii, auf deutsch: Rechtfertigung der Sünder. Gott selbst greift ein. Der Mensch, wir schaffen es nicht. Darum kann nur helfen, wer stärker ist als wir, Gott.

Wir kommen von Weihnachten her und gehen auf Karfreitag und Ostern zu. Gott schickt seinen Sohn, Jesus. Später wird er ihn leiden und sterben lassen. Dann wird er auferstehen, dem Tod entrissen und leben. Jesus ist ein Mensch wie wir, aber er ist zugleich Gottes Sohn. So bleibt er nicht im Tod. Dadurch durchbricht er die Mauer, eine Mauer; die mehr als eine Schallgrenze ist. Jene Grenze können wir mit technischen Mitteln, Überschallflugzeugen, durchbrechen, die Mauer Tod nicht. Wir haben die Möglichkeit, die Freiheit dazu nicht. Wir haben diese Möglichkeit so wenig, wie die 10 Gebote zu erfüllen. Alles hängt zusammen. Einmal im Grundsätzlichen unfrei – immer im Grundsätzlichen unfrei.

Um frei zu werden, braucht es mehr Stärke als wir haben. Diese Kraft, Stärke hat Gott und greift ein, greift ein zu unseren Gunsten.

Übrigens, darin sind sich die christlichen Kirchen einig. Sind sie sonst nicht immer einer Meinung, hier sind sie es wie auch gerade jetzt in der Friedensfrage. Die Kirchen sehen die Rechtfertigung nur in einigen Akzenten etwas anders. Es gibt keine Trennung zwischen Evangelisch und Katholisch hier. Beide Kirchen haben dies weltweit feierlich schriftlich in Augsburg erklärt. Es existiert nicht nur der Elysee-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich. Es gibt auch Gemeinsamkeiten zwischen evangelisch und katholisch.

Die Bibel sagt das Ganze kürzer. Sie formuliert im Unterschied zu Erasmus, Luther, den Kirchen nicht in umfangreichen Büchern oder in feierlichen Erklärungen, sondern wie sie knapp das Problem darstellte, so formuliert sie knapp die Lösung des Problems, selbst dieses für uns Menschen unlösbare Problem. Die Bibel kann das zwar auch breit darstellen, so in den Evangelien, jedoch ist Paulus hier, in unserem Predigttext, knapp im Ausdruck. Die Lösung des Problems erfolgt durch Leiden, Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Paulus setzt die Kenntnis der Lösung als bekannt voraus. Er zieht sofort und direkt die Konsequenz aus der Lösung: den Dank an Gott. „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“, V. 25.

Lassen Sie uns Paulus folgen und in den Dank einstimmen. Wir singen darum das Osterlied „Christ lag in Todesbanden“, EG 101, 1-3.

Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
unembac@gwdg.de


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