Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Septuagesimae, 16. Februar 2003
Predigt über Matthäus 20, 1-16a, verfaßt von Jan Ulrik Dyrkjøb (Dänemark)
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Jesus wollte, daß wir alles neu sehen. Er wollte, daß wir alles sehen, wie Gott es sieht. Er wollte, daß wir entdecken, daß Gott anders ist. Gott handelt anders und sieht anders, als wir handeln und sehen. Gott ist unser Schöpfer und Gesetzgeber. Gott offenbart sich uns und gibt uns sich selbst. Aber er kämpft auch mit uns. Wenn nötig direkt gegen uns. Er kann uns nämlich nicht einfach in Ruhe lassen. Er will etwas mit uns. Er will uns verwandeln. Er will uns wegzwingen von uns selbst. Er will, daß wir uns selbst vergessen. Er will unser Zentrum von uns selbst wegbewegen. Er will selbst unser Zentrum sein.

So ist es auch für Jesus. Für ihn steht Gott im Mittelpunkt. Er ist nichts für sich selbst, und eben deshalb wird er alles. Für Jesus geht es immer um seinen Vater im Himmel. Und er will, daß es für uns auch so ist.

Aber damit das so werden kann, muß er uns in seine Wirklichkeit hineinziehen. Er muß uns dahin bekommen, daß wir so sehen, wie er sieht, so sind wie er ist, beten wie er betet, daß wir uns selbst geben, so wie er sich selbst gibt.

Jesus will, daß wir alles neu sehen, Er will, daß will alles so sehen, wie Gott es sieht. Von uns selbst absehen. Damit Gott ins Zentrum rückt. Dann sind wir nämlich dort, wo Jesus selbst ist. Dann sind wir bei Gott.

Das will Jesus. Und was er will, das tut er. Er tut es in vieler Weise. Er ruft seine Jünger in die Nachfolge. Er konfrontiert die Menschen mit den Forderungen Gottes.

Aber er ist auch barmherzig. Seine Barmherzigkeit ist unendlich. Er sucht die Verlorenen und Ausgestoßenen. Er besucht die Verachteten. Er heilt die Kranken. Er vergibt dem Menschen, dem niemand vergeben kann und der sich auch nicht selbst vergeben kann. Er gibt alles. Er gibt sich selbst.

Aber damit zieht er auch alle in seine Wirklichkeit hinein: "Kommt alle Ihr, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken!"

Und wir, was tun wir? Wir meinen, es muß eine Weltordnung geben. Unser Leben soll einen Sinn haben. Es muß ein System geben. Es muß Rechte geben. Es muß Pflichten geben. Es muß eine Gerechtigkeit geben.

Petrus und die anderen Apostel sagen zu Jesus: "Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was wird uns dafür?" Und Jesus verspricht ihnen: Am Ende der Welt wenn alles neu geschaffen wird, wenn die alte Welt gerichtet wird, dann werden die Apostel auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Und er sagt, daß der, der alles verlassen hat, um ihm zu folgen, dies hundertfach wiederbekommen wird und ewiges Leben erhalten wird.

Das klingt ja gut! Aber dann fügt Jesus hinzu: Aber viele von den ersten werden die letzten sein, und viele von den letzten die ersten. Auch wenn Jesus den Aposteln einen wichtigen Platz am Tage des Gerichts verspricht, sollen sie auch wissen, daß es auch ganz anders kommen kann. Es gibt keine Sicherheit. Sie sind in Gefahr!

Denn sie haben ja schon angefangen, über ihre eigene Rolle in dem großen Zusammenhang nachzudenken: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was wird uns dafür?

In dieser Aussage verbirgt sich eine Gefahr. Was sie sagen, zeigt, daß sie noch immer sich selbst als ihr Zentrum haben! Jesus muß sie warnen. Er muß ihnen eine Geschichte erzählen, die alle menschlichen Vorstellungen von System und Gerechtigkeit aus dem Wege räumt - ein für alle Mal.

Die Geschichte, die Jesus erzählt, nennen wir das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Der Evangelist Matthäus erzählt sie, wir haben sie noch einmal gehört - falls wir sie vergessen haben sollten.

Die Arbeiter halten sich an ein System und eine bestimmte Form von Gerechtigkeit. Es ist die Form von Gerechtigkeit, die wir in einer Gesellschaft haben müssen. Es ist die Form der Gerechtigkeit, bei der es um uns geht, wie wir zusammen leben in dieser Welt. Eine Gerechtigkeit, wie sie aus unserer Sicht aussieht.

Aber für Jesus ist etwas anderes wichtiger. Er zeigt den Aposteln - und uns, was die Sicht Gottes ist. Der Besitzer des Weinbergs sagt zu den Arbeitern, die sich beklagen: "Kann ich nicht tun, was ich will, mit dem was mein ist?" Gott hat die Macht. Sein ist die das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, wie es im Vaterunser heißt. Gott gibt frei und souverän. "Ich will aber diesem letzten geben gleich wie dir", sagt der Besitzer des Weinbergs zu dem Arbeiter, der glaubt, er müsse mehr haben, weil er länger gearbeitet hat.

Völlig souverän. Ganz rücksichtslose Freigiebigkeit. Der völlige Bruch mit allen menschlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit - wie angemessen die ansonsten sein mögen. So ist Gott!

Jesus spricht von Gott. Der Gott, den Jesus als seinen Vater im Himmel hat. Er offenbart diesen Gott. Er will uns zu diesem Gott hinziehen.

Warum ist das so wichtig? Die Sache mit Gott. Der große Kirchenvater der alten Kirche Augustin sagt: "Gott und die Seele begehre ich zu kennen. Nichts anderes? Nichts anderes." Augustin lebte von 354 bis 430. Er wurde in einer der römischen Provinzen in Nordafrika geboren, im heutigen Algerien. Dort war er auch in den letzten Jahren seines Lebens Bischof.

Dieser Nordafrikaner aus einer längst entschwundenen Zeit wurde zu einer der größten Gestalten in der Geschichte des Christentums und des Abendlandes. Wenn man eine Handvoll Menschen nennen sollte, die deutlicher als andere die Geistesgeschichte geprägt haben, dann wäre Augustin einer von ihnen.

Und worum geht es Augustin? Gott und die Seele - nichts anderes. Wirklich nichts anderes? Nein, nichts anderes!

Daß unsere Seele es wert ist, daß wir uns mit ihr beschäftigen, dürfte nicht überraschen. Wollen wir nicht etwas Entscheidendes über uns selbst wissen? Wollen wir nicht gerne wissen, wer wir wirklich sind? Wollen wir nicht gerne das Ziel unseres innersten Strebens kennen?

Sicher. Aber Gott? Warum ist Gott wichtiger als alles andere? Wir können Gott ja nicht sehen. Jesus erzählt eine Geschichte über etwas, was die Apostel nicht sehen können und was wir auch nicht sehen können.

Gott ist wichtig. Gott ist lebenswichtig für uns. Denn Gott ist das Leben, und Gott ist die Freiheit.

Alles andere geht ja dem Tode entgegen. Wir selbst gehen dem Tode entgegen. Wir kämpfen für das Leben gegen den Tod. Das ist unser Leben miteinander. Aber diesen Kampf werden wir verlieren.

Aber Gott ist die Quelle des Lebens. Gott ist das Leben. Und natürlich können wir Gott nicht sehen. Wir können nur sein leuchtendes Schöpfungswerk sehen. Leuchtend ist es - auch wenn alles vergänglich ist und sterblich. Er will, daß wir hier leben, sind und wirken, im Werk der Schöpfung, der Erde, der Gemeinschaft, der Fürsorge, der Liebe.

Leuchtend - und gefährlich und sterblich ist es. Und durch dieses gefährliche und sterbliche Leben will er uns zu sich ziehen, denn er ist das Leben selbst. Er will den Sieg erringen, den wir nicht selbst gewinnen können, und er will uns an diesem Sieg teilhaben lassen.

Gott ist das Leben. Und Gott ist die Freiheit. In allem Menschlichen sind wir ja durch unsere Gerechtigkeit gebunden, wir sind gebunden an Recht und Unrecht, an Macht und Nachgiebigkeit, an das, was wir gut nennen, und an das, was wir böse nennen. Wir sind gebunden an unsere eigenen Ideen und Vorstellungen und Systeme. Und wir jagen einander.

Ohne Gott können wir nichts anderes als uns des Lebens bemächtigen und einander zu jagen.

Aber all das gilt nicht bei Gott. Bei ihm sind wir nicht an all das gebunden, was sonst gilt. Bei Gott sind wir nur an Gott gebunden. Und er ist eine unendliche Tiefe von Schöpferkraft und Liebe. Das ist die höchste Freiheit.

Gott ist jenseits von Recht und Unrecht - unser Recht und Unrecht. Ja, er ist jenseits von Gut und Böse - unseren Vorstellungen von Gut und Böse. Er macht unsere Weisheit zu Schanden. So sagt es Paulus. Und er sagt, daß Gott eine ganz neue Weisheit einsetzt: "Für die, die berufen sind, Juden wie Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit".

Nicht die Weisheit der Menschen. Sondern Gottes Kraft und Gottes Weisheit. In diesem Menschen, in Christus Jesus, er, der zu uns kam in der Fülle der Zeit, "offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit". Auch das sagt Paulus so schön und großartig, wie er es kann.

Wir können Gott nicht sehen. Aber wir können uns zu ihm hin hören. Könnt ihr die Kraft nicht hören, die in den Worten der ersten Zeugen liegt? Die Apostel, vor allem Paulus, die Kirchenväter? Können sie wirklich die Kraft, die seherische Größe, aus sich selbst haben? Ist es nicht eine stärkere Kraft? Ist es nicht Gott, der ihnen die Augen öffnete und ihren Worten Kraft und Stärke verlieh? Ist es nicht der auferstandenen und in den Himmel gefahrene Christus, der sie ergriff?

Wir können Gott nicht sehen. Aber wir können uns zu Gott hin hören. Und wir können uns zu Gott hin beten. Das Gleichnis, das Jesus den Aposteln erzählt über den Weibergbesitzer und die Arbeiter im Weinberg ist eine Warnung und ein Versuch, den Boden zu bereiten. Hört, wer Gott ist. Hört, was ich euch zeigen will. darum bin ich gekommen. Hört, wie groß und freigiebig und anders Gott in Wirklichkeit ist!

Und das ist der Gott, auf den Jesus selbst hört und zu dem er betet. Er lebt im Hören, im Gehorsam und im Gebet. Sein innerstes Wesen ist Hören und Gehorsam und Gebet. Und er will nichts anderes als uns in sein Wesen hineinziehen. Er will nichts anderes als uns in sein Hören, seinen Gehorsam und sein gebet hineinziehen.

Das allein kann uns wirklich verwandeln. Das allein ist wirklich Leben. Das allein ist wirklich Freiheit. Amen.

Jan Ulrik Dyrkjøb
Knud Hjortsøvej
DK-3500 Værløse
Tel.: ++ 45 - 44 48 06 04
jukd@vaerloesesogn.dk



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