Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Reminiscere, 16. März 2003
Predigt über Markus 12, 1-12, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
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Markus 12,1-2 und Matthäus 21,28-44

Das Gleichnis von den sogenannten bösen Weingärtnern hat seine Parallele im Matthäusevangelium, wo es (nach der dänischen Perikopenordnung, die auch Matth. 21,28-32 mit umfaßt) mit dem Gleichnis von den beiden ungleichen Söhnen im Weinberg verbunden wird, dem Ja-Bruder und dem Nein-Bruder.

Das Gleichnis stellt einen Vater mit zwei Söhnen dar, wo der Vater zuerst den einen darum bittet, in den Weinberg zu gehen und zu arbeiten. Und der Sohn sagt nein, bereut aber sein Nein und geht dennoch in den Weinberg und arbeitet. Dann bittet der Vater den anderen, der sagt ja, geht aber nicht. "Welcher unter den zweien hat des Vaters Willen getan?" fragt Jesus.

Die beiden Gleichnisse ergänzen einander, deshalb beziehe ich beide ein.

Predigt

Ich erinnere mich noch immer an einen Studienfreund aus Aarhus, meinem Studienort, der wie wir anderen regelmäßig von einem Buchverkäufer Besuch erhielt, der ihn dazu überreden wollte, mal dieses mal jenes zehnbändige Werk zu kaufen, das angeblich ganz unverzichtbar war, wenn wir uns Hoffnung machen sollten, das Examen zu bestehen. Aber dieser Freund fand bald heraus, daß die schnellste Art und Weise, den Mann loszuwerden, darin bestand, ihn hereinzubitten, seinen Empfehlungen etwas zuzuhören und dann sofort ja zu sagen und zu unterschreiben - um dann, sobald der Mann wieder gegangen war, das ganze wieder rückgängig zu machen und die Bücher mit einer Postkarte wieder abzubestellen.

Ich kann dieses System nicht empfehlen - aber diese Geschichte kann einen dennoch darüber nachdenken lassen, warum so gut wie nie nach einer Begründung gefragt wird, wenn wir ja sagen - während wir erklären müssen, ja fast entschuldigen müssen, wenn wir jemandem nein sagen.

Wie oft sagen wir nicht ja zu etwas und lassen dennoch andre Möglichkeiten offen - wenn uns etwas dazwischenkommt oder ich anderes vorhabe, dann wird mein Ja zu einem Nein.

Aber der Jasager vergißt, daß er Erwartungen bei dem geweckt hat, der gefragt hat. Der, der gefragt hat, konnte nicht hören, daß das Ja voll von Vorbehalten war - konnte vielleicht auch nicht hören, ob es ein Ja war, das nur das Ziel hatte, sich bequem und höflich aus der Affäre zu ziehen.

Man ist versucht, dieses Bild auf die volkskirchlichen Verhältnisse zu übertragen, wie sie sich oft darstellen. Wenn wir - jedenfalls in Dänemark - die Mitgliederzahlen betrachten, dann gibt es viele Jasager - aber wenn ein Ja in der Wirklichkeit, im Alltag gelebt werden soll, dann zeigt sich, daß in ihm ein nein verborgen war. Neulich zeigte das dänische Fernsehen den Besuch zweier afrikanischer Studenten in Dänemark und ihre Eindrücke von Kirche und Gesellschaft in Dänemark. Die afrikanischen Studenten waren erschüttert darüber, daß z.B. in einer dritten Klasse mit 22 Schülern nur vier Kinder das Vaterunser konnten und daß in derselben Klasse nur sechs, die manchmal in die Kirche gingen. Die Kinder wurden gefragt, warum sie nicht zur Kirche gingen, und ein Teil von ihnen sagte, dazu hätten sie keine Lust. Andere sagten, daß ihre Eltern auch nicht in die Kirche gingen. Aber alle in der Klasse waren getauft. Man hatte also ja gesagt.

So gesehen ist der Neinsagen sympathischer. Er schafft jedenfalls nicht Erwartungen, die er nachher nicht erfüllt. Oft gehört mehr Mut dazu, nein zu sagen - gegen den Strom zu schwimmen, mit dem hergebrachten zu brechen - seinen eigenen Weg zu gehen und sich über das Erwartete hinwegzusetzen.

Aber der Neinsager des Gleichnisses hält ja auch nicht an seinem Beschluß fest. Auch bei ihm hängen Wort und Tat nicht zusammen - in dieser Hinsicht haben sich der Jasager und der Neinsager gegenseitig nichts vorzuwerfen. Und niemand von ihnen fühlt sich dem gemeinsamen Leben und der gemeinsamen Arbeit im Weinberg verpflichtet. Ich sehe in beiden eine Haltung verkörpert, die sagt: Ich tue das, was mir gefällt und was mir paßt. Und beide übersehen, daß Erwartungen an sie gestellt werden. Früher einmal hieß es, daß die Menschen eine Berufung hatten, daß es etwas gibt, was wir sollen, daß das Dasein bzw. Gott und andere Menschen mit uns rechnen und etwas von uns wollen.

In dieser Weise meine ich auch, daß die beiden Bilder des Textes zusammenhängen, das Bild des Jasagers und des neinsagers und das Bild des Weinbergbesitzers, der seinen Weinberg verpachtete.

Was indirekt und implizit im ersten Bild liegt, wird im zweiten Bild ausdrücklich: Weder der Jasager noch der Neinsager achten genügend darauf, wie ihr Leben mit dem Leben anderer zusammenhängt und dieses beeinflußt. Die Pächter des Weinbergs leben ihr Leben, als seien sie die Herren, die alles bestimmen. Als gehörten der Weinberg und die Früchte ihnen - und als brauchten sie nicht mit jemandem zu teilen. In gewisser Weise unglaublich naiv: Zu leben, als hätte man ein Recht auf den Weinberg bzw. die Welt - vor anderen - und dann gewalttätig die anderen außen vor zu halten, um die Ernte bzw. die Ausbeute für sich zu behalten. Aber die Konsequenzen sind gewaltig und furchtbar.

Als das Gleichnis von den Zeitgenossen Jesu gedeutet wurde, verstand man es rein lokal, als eine heftige Kritik an den Juden, die den Weinberg für sich behalten wollten und Gott als ihren Gott betrachteten - wobei sie in ihrer Verteidigung so weit gingen, den Sohn Jesus zu töten, um sich das Erbe zu sichern. So gesehen hat das Gleichnis sehr zum Antisemitismus beigetragen. Im 16. Jahrhundert wurde das Gleichnis in der Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und der protestantischen Bewegung gedeutet. Lukas Cranach der Jüngere hat ein phantastisches Bild gemalt, das zeigt, wie der Papst und seine Leute den Weinberg versäumen und zerstören, während Luther und seine Mitstreiter den Weinberg so pflegen, wie es erforderlich ist, damit eine gute Ernte zustande kommt.

In einer heutigen Auslegung kann man das Bild auf verschiedenen Ebenen verwenden.

Sozial und politisch: Es zeigt uns selbst in der westlichen Welt als die, die sich die Welt als einen Weinberg angeeignet haben - und alles tun, um andere außen vor zu halten.

Religiös: Es zeigt uns selbst als die, die meinen, das Reich Gottes gehöre uns wie ein Weinberg.

In allen Fällen endet das Gleichnis mit ganz furchtbaren Konsequenzen. Aber so können wir nicht von der Kirche nach Hause gehen. So kann ich vielleicht mit dem Vorwurf leben, daß ich die ätzende Kritik an unserer Lebensweise nicht als letztes Wort stehen lassen will. Aber im letzten Bild ist ein anderes Bild enthalten, nämlich das von dem Sohn, der sowohl ja sagte als auch in den Weinberg ging - und sich heraustreiben und töten ließ, der aber sein Ja festhielt, zu seinem Vater, zur Welt, zu uns.

Sein Ja ist ein Gegenbild zu all unseren leeren Jaworten und trotzigem Neinsagen.

Und wir können Gottes Ja zu uns durch ihn hören - damit sich neue Wege öffnen, neue Möglichkeiten, damit wir neue Einsicht und neue Selbsterkenntnis gewinnen. Amen.

Pfarrer Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: ++ 45 - 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk



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