Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Karfreitag, 18. April 2003
Predigt über Johannes 19,16-30, verfaßt von Robert Schelander
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde,

„Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie“, so hören wir es in Filmen, wenn jemand die Nachricht vom Tod eines Angehörigen überbracht wird. Oft ist es die Polizei, die an der Tür klingelt und dann – mehr oder weniger schonungsvoll – die Nachricht überbringt: „Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie.“

Diejenigen, die diese Todesnachricht überbringen sind Menschen, die viel mit Tod zu tun haben. Sie werden in den Fernsehserien zum Tatort gerufen und dort mit dem Tod und manchmal auch mit dem Sterben von Menschen konfrontiert. Sie zeigen dabei nicht viele Emotionen. Wir als Zuschauer wissen, dass dies für die Kommissarin eine alltägliche Situation ist. Selten, wenn es ein besonders grässlicher Todesfall passiert ist, dann können auch Emotionen gezeigt werden, aber den eigentlichen Platz haben Gefühle bei der Überbringung der Nachricht. Wir haben den Eindruck, dass es für den routinierten Krimikommissar eine größere Belastung ist, vom Tod zu berichten, als diesem Tod am Tatort – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Auge zu sehen.

So wird jedenfalls im Fernsehen vom Tod berichtet. Von fiktiven Tod und Sterben. In Nachrichtensendungen und Dokumentationen wird auch von realem Sterben berichtet, manchmal auch Bilder gezeigt.

Selten – Gott sei Dank – werden uns wirkliche Todesnachrichten überbracht. Manchmal wenig überraschend, wenn man von einer längeren schweren Krankheit weiß und doch betrifft mich das Endgültige dieser schlechten Nachricht immer wieder. Umso mehr, wenn die Nachricht überraschend kommt, wenn ich mit diesem Tod nicht gerechnet habe. In solchen Situationen ringen wir nach Worten und fragen nach, wie es passiert sei? Und es wird uns erzählt, wer dabei war, wie jemand gestorben ist und was der Sterbende eventuell noch gesagt hat.

Auch in unserem heutigen Predigttext wird uns die Nachricht von einem Sterben und einem Tod überbracht. Diese Nachricht ist nicht neu oder überraschend. Wir haben sie wahrscheinlich schon oft gehört. Wir können daher diese Nachricht auch nicht so hören, wie sie beim ersten Mal gehört wurde. Hat man damals mit Jesu Tod gerechnet? Viele seiner Jünger und Anhänger werden von seiner Verhaftung erfahren haben. Ob sie auch Näheres über die Verhöre und die Verurteilung wussten? Die Hinrichtung selbst war öffentlich und so werden jene, die nicht unmittelbar dabei waren, auf Nachrichten gewartet haben und ihnen wurde als erstes vom Sterben des Jesus von Nazareth erzählt. Diese Nachrichten wurden aufgeschrieben und wurden so zu einem jener Texte, die wir in den Evangelien heute lesen. Sie erzählen mit leichten Akzentverschiebungen vom Sterben und Tod Jesu. Wie überbringt das Johannesevangelium uns die Nachricht?

Es erscheinen auf den ersten Blick wie zufällige Ereignisse, die uns hier berichtet werden:

Zum Beispiel: Jesus redet zu zwei ihm nahestehenden Personen, seiner Mutter und einem seiner Jünger. Offenbar will er für die Zeit nach seinem Tod sorgen. Immer wieder wird uns berichtet von Sterbenden, die noch ihre Angelegenheiten regeln.

Jesus wird, knapp bevor der Tod eintritt, ein Essigschwamm gegen das Durstgefühl gereicht. Johannes erzählt uns sogar welches Holz dafür verwendet wurde. Von einem letzten Satz Jesu wird berichtet: „Es ist vollbracht.“ Auch dies kennen wir aus anderen Berichten des Sterbens: Manche letzte Worte sind berühmt geworden.

Das Sterben des Jesus von Nazareth gleicht in so vielem dem Sterben von Menschen, wie es auch heute noch geschieht. Es ist ein gewaltsames, grausames Sterben gewesen. Aber im Bericht des Johannes merken wir wenig von Erschütterung und Schmerz darüber. Es scheint, als gäbe es nichts überraschendes in diesem Sterben – alles sei vorherbestimmt. Selbst in solchen Nebensächlichkeiten, wie dem Teilen den Kleides zeigt sich noch der geordnete, vorherbestimmte Ablauf. Man gewinnt den Eindruck eines ruhigen, fast beschaulichen Szene. Die Dramatik des Sterbens fehlt.

In den Medien wird meist dramatisch gestorben. Ich stelle mir vor, wie ein heutiger Berichterstatter von Jesu Tod berichtet hätte ... Welche Bilder gezeigt würden ... Ich bin mir sicher, da wäre mehr Dramatik drinnen: Verzweifelte Angehörige, mit dem Tod kämpfende Opfer, gierige Soldaten, Massen von Zuschauern, die sich drängen, die begeistert sind, die trauern und weinen ... Nein, mit dieser Kreuzigungsreportage hätte Johannes in heutigen Redaktionen keine Chance gehabt. Und es ist ja auch gut so, dass wir diese Art der Berichterstattung hier nicht finden. Johannes möchte mit seinem Bericht von Jesu Tod keine schnellen Emotionen wecken.

Aber zeigt Johannes nicht zuwenig Gefühl, Betroffenheit? Manche spüren in diesem Bericht von Jesu Tod eine zu große Abgeklärtheit, Distanziertheit. Von Erschütterung ist kaum etwas zu bemerken, selbst bei Jesus wird mehr das Fügen und Dulden betont als das Leiden und die Not. Unserer Haltung zu Leiden und Tod ist ja zumeist: Widerspruch und Auflehnung. Davon ist hier aber wenig zu spüren. Johannes berichtet uns im Gegenteil von einem Vollbringen und Erfüllen. Manche meinen Johannes spricht zu sehr vom Heil. . Wichtig ist ihm der „Gehorsam bis zum Tod“, damit Jesus seine Aufgabe erfüllt und am Ende sagen kann: Es ist vollbracht. Leid und Not, der grausame Tod, spielen kaum eine Rolle.

Was möchte Johannes mit seiner Nachricht vom Tod Jesu sagen?

Die schlechte Nachricht, die er uns mitteilt, steht in einem Buch, das wir gute Nachricht nennen. Unser Predigttext beinhaltet einen harten Widerspruch, indem er sagt: In diesem Leiden und Tod ist Gott zu erkennen. Diese gute Nachricht ist wohl bei Johannes am deutlichsten Ausgesprochen: die gute Nachricht vom Sterben Jesu. Doch halt ... kann man das so einfach sagen: Die gute Nachricht von Sterben. Ist nicht jede Nachricht vom Sterben und Tod eine schlechte Nachricht? Etwas in mir sträubt sich gegen diesen Satz. Stimme ich damit diesem Leiden und Sterben zu? Werde ich damit selbst zum Täter? Wir begreifen doch die Notwendigkeit dieses Todes so wenig, wie wir den Sinn irgendeines Sterbens verstehen.

Johannes will deutlich machen: Jesus ist für uns gestorben. Was kann dass heißen?

Wo ist Gott? Vielleicht ist dies eine erste Antwort darauf, warum Jesus gestorben ist. Gott ist den Menschen nahe gekommen, in dem er geboren wurde, gelebt hat mitten unter uns, er teilt unser Leben, er teilt auch unser Sterben. Seitdem gibt es keine Macht mehr, die uns von ihm trennen kann.

Zu dieser ersten Antwort gehört: Gott ist da, wo Leid und Not ist. So einfach und schlicht lautet die Botschaft. Aber sie ist nicht leicht zu verstehen. Am unmittelbarsten zu verstehen ist diese Antwort, wer selbst von Not und Leid betroffen ist. Jesus wird Bruder im Leiden.

Manche Menschen haben diesen Gedanken weitergedacht: am Karfreitag stirbt Gott. Das schlimmste, was uns passieren kann, dass Gott nicht mehr ist. Niemand da ist der die Welt und unsere Leben in Händen hält. Das lässt Gott zu. Ein widersprüchlicher Gedanke: Gott lässt sich selbst sterben, aber dieses Gedankenexperiment will zeigen, dass es keine tiefste Gottverlassenheit gibt, in der wir nicht auch von ihm getragen sind. Wo Gott nicht bei uns ist. Freilich, dies ist nicht immer leicht zu glauben und noch schwieriger anzunehmen.

Wo ist Gott? Gott ist auf der Seite jener, die unschuldig in Not und Verderben sich befinden. Er ist mitten unter ihnen. Hier beginnt diese Spannung fruchtbar zu werden. Leiden, Schmerzen und Tod begegnen Kraft, Hilfe und Trost. Das Scheitern von Menschen begegnet Gottes Hilfe.

Ich denke, dies will Johannes uns mit dieser Nachricht, die dann doch nicht nur eine schlechte Nachricht ist, sagen.

Aber noch ein zweites beinhaltet diese Nachricht: In diesem Tod erwächst allen Menschen Heil. Ja gerade in dem Sterben dieses Einen steckt auch Erlösung.

Wir finden hier eine größere Spannung, als die Dramatik der modernen Todesberichterstattung in den Medien sie uns vermittelt. Dieser Tod des Einen – sein Ende – ist der Anfang für viele. Dieser Tod, sein Leiden und seine Not, bedeuten Leben und Fülle und Heil.

Diese zweite Wahrheit von Jesu Leiden und Tod ist wohl noch schwerer zu verstehen als die erste. Mir hilft dabei folgender Gedanke:

Seit Karfreitag hat die Welt ein neues Symbol: das Kreuz. Wir finden es überall in unserer Welt. Manchmal groß und pompös, oft aber auch klein und unauffällig. Wenn einzelne Menschen dieses Symbol tragen, so stellen sie eine Verbindung her zu diesem Jesus. Ob sie dabei auch an sein Sterben denken? Das Kreuz und die Kreuzigung gehören aber zusammen. Uns alle verbindet etwas mit diesem Jesus, auch wir müssen den Tod erleiden. Was er aber ist, das bittere Ende, das endgültige Scheitern oder das getroste Hoffen auf Gottes Liebe, das entscheidet sich auch in jenem Symbol, das seine Wurzel in jenem Bericht von Jesu Sterben und Tod hat.

Noch zwei Gedanken:

In der letzten Zeit sind die verschiedensten Bilder von Sterben und Tod über Fernsehen und Medien gesendet worden. Versuchen wir zu trennen zwischen fiktiven und realen Sterben, auch wenn beides uns häufig über die Medien berichtet wird. Der Predigttext berichtet vom Tod Jesu. Vermutlich später, als die Nachricht von Jesu Tod anderen Generationen weitergesagt wurde, wurde auch ein weiterer Satz hinzugefügt: Dass das, was erzählt wird, auch wahr sei. Es ist tatsächlich geschehen und keine Fiktion. Vielleicht ist dieser Satz gerade für uns heute, wo so viel gestorben wird, wichtig. Nicht immer fällt es leicht zwischen wirklichem und fiktiven Sterben zu unterscheiden. Wir wissen, dass wir nicht allen Bildern trauen können. Immer deutlicher wird, wie man mit Bildern manipulieren kann: Gerade auch mit Bildern des Leides und des Todes. Bleiben wir aufmerksam und verschließen dennoch nicht unsere Augen und nicht unser Herz. Bleiben wir aufmerksam aber auch auf Sterben in unserem Alltag, das im Gegensatz dazu oft unbemerkt bleibt. Sterbende brauchen Menschen die sie begleiten, die für sie da sind.

Angesprochen hat mich am Predigttext auch, wie Jesus sich um seine Hinterbliebenen sorgt. Er spricht seine Mutter und seinen Lieblingsjünger an und verweist sie aneinander. Dies ist deine Mutter, dies ist dein Sohn. Jesus stiftet hier Beziehung. Normalerweise sind wir durch Geburt verwandt, hier werden es die beiden durch einen Tod. Der Tod hat keine Macht, Beziehungen zu zerstören, sondern im Gegenteil: Christus gibt helfende Kraft Beziehungen aufzubauen. Wir sind aufeinander angewiesen, miteinander verwandt. Mit Blick auf Jesu Kreuz gilt dies wohl aber nicht nur für diese beiden Menschen, sondern darüber hinaus für uns alle. Noch eine gute Nachricht in der Schlechten.

Amen

Prof. Dr. Robert Schelander, Wien
E-Mail: Robert.schelander@univie.ac.at


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